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Jo-Jo und das Feuer des Elia
Jo-Jo und das Feuer des Elia
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eBook547 Seiten7 Stunden

Jo-Jo und das Feuer des Elia

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Über dieses E-Book

Die neue Thriller-Reihe führt in das atemberaubende Leben zweier Spezialagenten: Jonas und Josy sind nur scheinbar gewöhn­liche Teenager vom Nieder­rhein. Ihre Bega­b­ungen ziehen sie immer tiefer in spekta­kuläre Heraus­­for­de­rungen. Wirken sie gerade noch mit bei der Aufklärung eines kleinen Bank­über­falls, stehen sie bald schon vor der größ­ten terroristi­schen Bedrohung Deutsch­lands.

Jo-Jo ist für den Autor, den Berliner Hauptstadt-Journalisten Gregor Mayntz, die moderne Variante des Agenten-Krimis. Ob Macho im Dienste Ihrer Majestät oder Amazone auf Ego-Trip - so konnte vielleicht gestern die Welt gerettet werden. Heute schaffen es Agenten wie Jonas und Josy nur gemeinsam, den Bösewichtern der globalen Verwicklungen das Handwerk zu legen, auch wenn die Gefahr noch so übermächtig zu werden droht.

In Band 1 lernen die Leser die jungen angehenden Agenten zu einem Zeitpunkt kennen, als die beiden 17-Jährigen selbst noch nicht ahnen, was auf sie zukommt. Wie sie ein Paar werden, wie sie an sich zweifeln, von den Ereignissen überfordert zu werden scheinen, dann aber ihren Weg finden - und sich ihnen ungeahnte Perspektiven bieten.

Von Band zu Band werden Jonas und Josy älter, geschulter und erfahrener. Sie steigen nicht nur immer tiefer ein in die Hintergründe von Politik und Gesellschaft, von Sicherheitsbehörden und Militärs. In ihren spannungsgeladenen Erlebnissen im Kampf gegen Kriminalität, Terrorismus und Krieg spiegelt sich auch die Entwicklung der Welt des 21. Jahrhunderts mit ihren offenen und verborgenen Konflikten, ihren Sehnsüchten und menschlichen Abgründen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum28. Apr. 2012
ISBN9783844221091
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    Buchvorschau

    Jo-Jo und das Feuer des Elia - Gregor Mayntz

    Das Buch

    Die neue Thriller-Reihe führt in das atemberaubende Leben zweier Spezialagenten: Jonas und Josy sind nur scheinbar gewöhnliche Teenager vom Niederrhein. Ihre Begabungen ziehen sie immer tiefer in spektakuläre Herausforderungen. Wirken sie gerade noch mit bei der Aufklärung eines kleinen Banküberfalls, stehen sie bald schon vor der größten terroristischen Bedrohung Deutschlands.

    Jo-Jo ist für den Autor, den Berliner Hauptstadt-Journalisten Gregor Mayntz, die moderne Variante des Agenten-Krimis. Ob Macho im Dienste Ihrer Majestät oder Amazone auf Ego-Trip - so konnte vielleicht gestern die Welt gerettet werden. Heute schaffen es Agenten wie Jonas und Josy nur gemeinsam, den Bösewichtern der globalen Verwicklungen das Handwerk zu legen, auch wenn die Gefahr noch so übermächtig zu werden droht.

    In Band 1 lernen die Leser die jungen angehenden Agenten zu einem Zeitpunkt kennen, als die beiden 17-Jährigen selbst noch nicht ahnen, was auf sie zukommt. Wie sie ein Paar werden, wie sie an sich zweifeln, von den Ereignissen überfordert zu werden scheinen, dann aber ihren Weg finden - und sich ihnen ungeahnte Perspektiven bieten.

    Von Band zu Band werden Jonas und Josy älter, geschulter und erfahrener. Sie steigen nicht nur immer tiefer ein in die Hintergründe von Politik und Gesellschaft, von Sicherheitsbehörden und Militärs. In ihren spannungsgeladenen Erlebnissen im Kampf gegen Kriminalität, Terrorismus und Krieg spiegelt sich auch die Entwicklung der Welt des 21. Jahrhunderts mit ihren offenen und verborgenen Konflikten, ihren Sehnsüchten und menschlichen Abgründen.

    Zum Autor

    Der Autor Gregor Mayntz arbeitet seit vielen Jahren für eine Tageszeitung als Hauptstadtkorrespondent. Jo-Jo ist sein Ausflug von der Berichterstattung über die reale Politik in die virtuelle Welt erfundener Abenteuer, die aber durchaus in dem Metier angesiedelt sein können, in dem er sich auskennt.

    Prolog

    Die Schmerzen waren einfach unerträglich. Jonas Finger krallten sich in die Dachrinne. Seit Minuten schon hing er über dem Abgrund, seit ihn die Explosion buchstäblich von den Beinen gefegt und er im Fallen dort noch einen letzten Halt gefunden hatte. Aber das Ding wurde heißer und heißer. Und das, was mal seine Hände waren, schien nicht mehr zu sein als eine blutige Mischung aus Knochen, Fleisch und Sehnen. Längst war seine Hoffnung, halbwegs heil aus diesem Inferno wieder herauszukommen, der puren Sehnsucht gewichen, dass es irgendwie endlich vorbei sein möge. Irgendwie. Auch wenn danach nichts mehr käme. Nichts. Egal. Hauptsache keine Schmerzen mehr. Trotz der höllischen Qualen war ihm innerlich nach Sarkasmus. Waren das nicht genau die Szenen, die er als James-Bond-Fan immer wieder konsumiert, ja genossen hatte? Stets in der Vorstellung, er selbst wäre dieser Held, der durchs Feuer geht, sich gerade noch mal in Sicherheit bringen kann. Und dann würde er mit einem eleganten Sprung auf einen vorbeifahrenden Lkw springen, von dort auf die Straße, sich kurz den Staub aus dem eleganten weißen Smoking klopfen und in der Menge untertauchen. Aber da war kein Staub auf seinen Klamotten, da war Blut. Und Flammen. Und vor allem: Schmerzen, die noch schlimmer wurden. Von wegen „Klappe, wir drehen die nächste Szene". Hier würde es keine nächste Szene geben. Es ging nicht um Nervenkitzel. Sondern um Tod. Die beiden finsteren Gestalten vom gegenüberliegenden Balkon hatten die Detonation bestimmt nicht überlebt. Ob es Josy schaffen würde, war noch nicht ausgemacht. Und für ihn selbst, ja was würde werden? Jedenfalls sollte es so schnell wie möglich enden. Diese Schmerzen!

    Ein weiterer ohrenbetäubender Knall erschütterte das Dachgeschoss. Offenbar hatte das Feuer eine weitere Gasleitung erreicht, Steine und Ziegel flogen wie Geschosse an ihm vorbei, ließen jetzt auch auf der Straße, fünf Stockwerke tiefer, Panik aufkommen. Dort hatten Polizisten die Gaffer angebrüllt, Platz für die Rettungswagen zu machen. Aber selbst im ereignisverwöhnten Berlin war eine solche Katastrophe mitten im Wohngebiet nun einmal eine Sensation, die die Menschen zusammen strömen ließ. Eine Mischung aus Gier nach spektakulären Bildern und wohligem Schaudern über das Gefühl, dass andere leiden mussten und man nicht selbst in dem Dachgeschoss steckte, das inzwischen in voller Ausdehnung brannte.

    Die gefährlich nah einschlagenden Trümmerteile lösten nun jedoch eine Massenflucht aus. Auch für die Feuerwehrleute ging es ums Überleben. Die Rettungsplattform am Ende der Feuerwehrleiter war ohnehin auf dem Weg nach unten. Gottseidank. Im letzten Augenblick hatten die Männer den leblosen Körper auffangen können. Jonas hatte es genau gemerkt, als Josy das Bewusstsein verlor. Ihre Finger, die gerade noch seinen Arm fest umklammert hatten, waren langsam heruntergerutscht, dann hatte er mit einer letzten verzweifelten Anstrengung wenigstens Josys linke Hand gepackt. Während er mit seiner Linken sie beide festzuhalten versuchte. Wissend, dass das nur noch Sekunden zu ertragen sein würde. Er hatte gebrüllt vor Schmerzen, denn seine rechte Hand hatte, nachdem sie von der Kugel durchschlagen worden war, keine Kraft mehr. Sie brannte nur noch. Aber deshalb Josy in die Tiefe stürzen lassen, das ließ ihn seine letzten Reserven mobilisieren. Ein weiteres Mal seine letzten Kräfte. Für Josy. Für seine Freundin, ach was, für die Frau seines Lebens. Aber plötzlich war da kein Gegendruck mehr gewesen. Und so war sie Millimeter für Millimeter in ihr scheinbar sicheres Ende gerutscht, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Die eintreffende Feuerwehr hatte die Dramatik sofort erfasst und im richtigen Moment den Winkel der Leiter so verändert, dass die Retter im Korb rechtzeitig unter Josy zur Stelle waren und sie ihnen sozusagen in die Arme fiel. Zwei, drei Mal hatten sie hochgerufen, er möge sich doch auch fallenlassen. Aber er hatte es nicht verstanden, sondern erleichtert registriert, dass sie nach endlos scheinenden Sekunden endlich die Leiter einholten, damit sich die Notärzte um Josy kümmern konnten.

    Würde er sie je wiedersehen? Erstaunt nahm er wahr, dass er mit diesen Fleischklumpen, die einmal seine Finger waren, immer noch etwas fühlen konnte. Denn er hörte ein Knacken. Er schaute in die Richtung des Geräusches und sah, wie sich ganz allmählich die Rinne vom Dach löste. Unter ihm wurde die Leiter noch weiter weggefahren, „schneller Männer, hörte er, als er mit dem heißen Metall in den Händen Richtung Bordstein stürzte. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: „Das war es also, Dein Leben. Und dann kamen die Bilder. Wie er Josy nach seinem Sturz vom Dach doch noch einmal zu fassen kriegt. Wie sie die furchtbaren Absichten der Männer auf dem gegenüberliegenden Balkon entdecken und sich ohne nachzudenken dazwischen stürzen. Wie sie im Kanzleramt das ganze Ausmaß der Gefahr erkennen. Wie er im Mittelmeer fern der Küste zu ertrinken droht. Wie ein Film, der rückwärts läuft, kamen die Bilder immer schneller, wie Blitze von Erinnerungen vor seinem inneren Auge vorbei. Die Leiche in der Ferienwohnung, die verschwundene Freundin, der korrupte Polizist. Josys blutiges Knie beim Sturz mit dem Fahrrad und ihr Blick, der ihm einmal mehr ein heißes Gefühl durch die Adern trieb. Oder war das schon der Aufschlag auf dem Asphalt? Das Ende? Dann würde es jetzt sicher dunkel werden um ihn. Und es wurde dunkel. Aber die Bilder blieben. Sie wurden größer und deutlicher. Und schöner. Jetzt sah er das süße kleine Mädchen im Sandkasten vor sich, das er  - wie ihm klar wurde – immer schon geliebt hatte. Und das er nie wieder sehen würde. Es war ihm, als schickte ihm sein Unterbewusstsein zum Trost noch einmal die Bilder von den schönen, spannenden, verheißungsvollen Augenblicken aus den zurückliegenden Monaten. Doch jetzt  liefen sie wieder vorwärts, und zwar ganz langsam.

    Kapitel 1

    Die Kaffeemaschine rumpelte vor sich hin. Gleich würde Jonas den Höhepunkt des Tages erleben, wenn er Hauptkommissar Salzberg zu neuen Lobeshymnen brächte. „Wunderbar würde der Mann mit der Glatze sicherlich wieder sagen. Und dann betonen, wie falsch es gewesen sei, sich so lange und so energisch gegen Schülerpraktikanten bei der Kempener Kripo gewehrt zu haben. Schon am ersten Tag habe Jonas die Arbeit ungemein bereichert, wiederholte Salzberg mit niemals nachlassender Ironie. Allmählich ging Jonas dieses Ritual gewaltig auf die Nerven. Er hatte doch nur die hoffnungslos verdreckten Kaffeebecher der Kripobeamten gespült und statt der hart, sauer und flockig gewordenen Uralt-Kaffeesahne frische Milch besorgt. In erster Linie natürlich, weil ihn das Geschirr angeekelt hatte und er selbst einen guten Kaffee haben wollte. Der Nebeneffekt bestand darin, jedes Mal einen der dankbaren Beamten in ein kurzes Gespräch über seine aktuelle Arbeit verwickeln zu können. Das wiederum hatte seine Gefühle in Wallung gebracht: Es binnen einer Stunde vom Schülerpraktikant schon zum gleichwertigen Mitglied in einem eingespielten Kripo-Team gebracht zu haben! Das konnte doch nur bedeuten, dass er zusammen mit den Profis schon bald auf Verbrecherjagd gehen, die Schule abbrechen und wegen des sensationellen Fahndungserfolges sofort Kommissar werden würde. Nun lachte er innerlich über seine eigene Naivität. Denn außerhalb dieser Träume war das Kaffeekochen seine einzige „Aufgabe geblieben.

    Fast noch mehr ärgerte ihn, dass Josy ihn mit diesem zweifelhaften Erfolg dauernd aufzog.

    „Männer sind halt doch die besseren Hausfrauen", stellte sie wieder und wieder fest. Und grinste ihn dabei herausfordernd an.

    Den Tonfall von Salzberg nachäffend, fragte sie, ob der „begabte Nachwuchskommissar ihr nicht ebenfalls einen frischen Becher dieses „wunderbaren Getränkes bringen könne. Dumme Kuh. Natürlich hatte sie keinen Tropfen bekommen. Und offenbar mochte sie auch keinen. Jedenfalls hatte Jonas sie noch nie Kaffee trinken sehen. Nicht ein einziges Mal in all den Jahren, in denen sie nun zusammen zur Schule gingen. Aber so genau wusste er es gar nicht. Schließlich hatte er seit Jahren nicht mehr auf sie geachtet. Und jetzt das!

    Dass dieses Mädchen überhaupt mit ihm in diesem alten Büro am Moorenring saß, und das 14 Tage lang, hatte ihn schon mehr als einmal furchtbar geärgert. Schließlich war er es doch gewesen, der mit viel Bitten, Betteln und Einschalten seines Onkels im Düsseldorfer Innenministerium die Kempener Kripo dazu gebracht hatte, zum ersten Mal seit Menschengedenken einen Schülerpraktikanten aufzunehmen. „Kein Platz, hatte es zunächst geheißen. Dann „Bedenken wegen des Datenschutzes, denn die Bearbeitung der Fälle hatte zwangsläufig mit vertraulichen personenbezogenen Informationen zu tun, die die Polizei, so das Argument von Salzberg, keinem Außenstehenden zugänglich machen dürfe. Jonas hatte dann darauf hingewiesen, dass sogar das Landgericht im benachbarten Krefeld seit Jahren Schülerpraktikanten nehme, und dass dort sicherlich noch mehr brisante Daten anfielen. Die jungen Leute mussten sich halt nur einer vorgeschalteten Schulung unterziehen und sich schriftlich verpflichten, alle Informationen für sich zu behalten. Er sei gerne bereit, einen Nachmittag zur Schulung nach Krefeld zu fahren, das Formular des Landgerichtes einzuscannen und überall, wo „Justizbehörde steht, „Polizeibehörde einzusetzen und selbstverständlich zu unterschreiben, hatte er dem Oberkreisdirektor in Viersen geschrieben.

    Denn diesem unterstand die Kripo in Kempen, jenem 30.000 Einwohner zählenden Städtchen am linken Niederrhein. Es zeichnete sich durch eine bis ins Mittelalter reichende Geschichte aus. Spuren fanden sich nicht nur überall in der Stadt-Architektur, jenem „Rundling, der als innerstädtische Ringstraße konsequent den Verlauf der historischen Stadtmauer aufnahm. Spuren fanden sich auch im Bewusstsein der Einwohner. Die Geschichte hatte es mit der Bedeutung des „Rundlings gut gemeint. Die kurkölnische Burg strahlte frühe Größe aus, und gleich vier große weiterführende Schulen machten Kempen zu einem Städtchen, das über seine eigenen Grenzen hinaus seit Jahrhunderten ins niederrheinische Umland ausstrahlte. Die schon früh begonnene und mutig zupackende Sanierung hatte in der Thomasstadt, wie sich Kempen nach ihrem berühmtesten Sohn, dem mittelalterlichen Kirchenlehrer Thomas von Kempen nannte, die Grundlagen für eine attraktive Mischung aus Geschäfts- und Wohnhäusern gelegt. Es passierte nicht gerade selten, dass betuchte Shoppingtouristen aus Düsseldorf oder Köln am Wochenende beim Stöbern durch die Boutiquen auf den Geschmack kamen, die Immobilienangebote studierten und Gefallen an dem Gedanken fanden, mitten in der Altstadt ein luxuriöses Appartement zu kaufen. Durch die günstige Verkehrsanbindung war man schnell in den Zentren an Rhein und Ruhr. Und sogar einen eigenen Bahnhof hatte das Städtchen erhalten können. Er war mit großem Aufwand sogar ausgebaut worden. Aber die traditionelle Befürchtung vieler Kempener, irgendwann aufs Abstellgleis zu kommen, hatte das nur mindern, nicht beseitigen können. Vermutlich hatte dieser latente Pessimismus der Kempener mit Erlebnissen zu tun, die nun schon Jahrzehnte zurücklagen. Die Neugliederung der Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte ihnen einen Stadtteil entrissen, und dann war auch noch der Sitz der Kreisverwaltung abhanden gekommen. Das hatte das Selbstbewusstsein nach Jahrhunderten stolzer Gefühle nachhaltig getroffen. Im Tauziehen um den Sitz der regionalen Behörden hatte es zwischen dem Sieger, der neuen Kreisstadt Viersen, und dem Verlierer, dem untergegangenen „Königreich Kempen", eine Reihe von Kompromissen gegeben. Unter anderem sollte Kempen noch so lange eine eigene, und gegenüber vergleichbaren Dependancen in anderen Kreisen wesentlich größere Kripo behalten, so lange noch Mitglieder der Mannschaft aus den 70er Jahren dort ihren Dienst versahen. Inzwischen gab es nur noch einen: Salzberg. Durch geschicktes Steuern im Hintergrund, zu dem auch attraktive Grundstücksangebote in der Innenstadt gehört haben sollen, war es gelungen, ihn von allen Versetzungsplänen abzubringen. Nun wollte man ihm noch möglichst lange einen ruhigen Job bereiten. Schließlich waren in der neuen Landesregierung Überlegungen in Gang gekommen, die wieder mehr auf Dezentralisierung setzten. Vielleicht würde es ja gelingen, die Kripo auf Dauer doch in Kempen zu halten. Als Beispiel für eine Reihe anderer Kreis-Einrichtungen. Also sollte es jetzt einerseits überzeugende Fahndungserfolge der Kempener in ihrem internen Aufklärungswettstreit mit den Viersenern geben, andererseits aber möglichst keine Experimente, die Salzberg die Arbeit verleiden könnten.

    Jonas ahnte davon nichts. Sein Leben drehte sich um seine Leidenschaft für den Sport, um seine Eltern, die vor Jahren in der so genannten Neuen Stadt Kempens ein Häuschen gebaut hatten, und um seine Zukunftspläne, die – obwohl er inzwischen 17 Jahre alt war, immer noch stark von Agenten-Abenteuern geprägt waren. Sein Bemühen um ein Praktikum bei der örtlichen Kripo war im Grunde für ihn nur letzte Wahl gewesen. Denn der Bundesnachrichtendienst hatte sich als Ort für ein Schülerpraktikum als leider unerreichbar herausgestellt. Das Landeskriminalamt war auch noch „ein paar Nummern zu groß gewesen, wie Jonas von seinem Onkel erfuhr. Deshalb musste es wenigstens mit der örtlichen Kripo klappen. Besser die Kaulquappe im Glas als den Frosch irgendwo im Teich, hatte sich Jonas gesagt. Dann bestand wenigstens die Chance, dass sich die Kaulquappe in seiner Hand doch noch in einen Frosch verwandelt und ihm den Wunsch nach einem Einstieg in die spannende Welt der Doppel-Null-Agenten „mit der Lizenz zum Töten doch irgendwie erfüllte.

    So hatte er sich Stück für Stück herangearbeitet. Seine Hartnäckigkeit hatte seinen Onkel offenbar beeindruckt, und nach zwei Telefonaten mit dem Landgerichtspräsidenten in Krefeld und dem Oberkreisdirektor in Viersen war das Unternehmen „Schülerpraktikum bei der Kripo in Kempen in Gang gekommen – freilich als „Versuch überschrieben, der zudem je nach Anfall aktueller Ermittlungsfälle jederzeit abgebrochen werden konnte. Dieser Passus hatte Jonas ganz und gar nicht gefallen. War damit doch die Befürchtung verbunden, dass er doch nicht so viel werde miterleben können. Denn natürlich bestand die Gefahr, dass er rausflog, sobald es spannend würde.

    Das Unglück mit Josy passierte in der Schule, als Jahrgangsstufenleiterin Brunhilde Winkels die Liste mit den feststehenden Praktikumsstellen durchsah. Sie hatte gerade wieder triumphierend festgestellt, dass die Schulleistungen der Mädchen deutlich besser seien als die der Jungen – und dann mit großem Bedauern den Aufmacher der aktuellen „Rheinischen Post vorgelesen, wonach Frauen in Deutschland immer noch deutlich weniger verdienen als Männer. Das liege vor allem daran, dass Frauen traditionell in schlechter bezahlte Berufe strebten, Männer in besser bezahlte. Also müsse schon die Schule auf eine andere Berufsauswahl einwirken, lautete der Schluss für Frau Winkels. Bis dahin hatte Jonas ihr nicht sonderlich genau zugehört. Das schien ihn alles nichts anzugehen. Die Jobs bei der Kripo waren zwar spannend, aber zu den gut bezahlten gehörten sie nicht. Und außerdem waren sowieso von Jahr zu Jahr mehr Frauen unter den Polizeianwärtern. Doch die Winkels hatte eine andere Vorstellung, die sicherlich begünstigt wurde durch den Umstand, dass die Kempener Kripo tatsächlich nur aus Männern bestand - von Sibylle König mal abgesehen. Aber die war „nur Sekretärin. Also mal wieder eine typische Männer-Frauen-Verteilung, die für die Lehrerin ganz und gar nicht akzeptabel war. Und so bot sich für sie ein willkommener Anlass, mal wieder ein gefürchtetes Doppel-E zu starten: Ein „emanzipatorisches Exempel". Der verkrampfte Feminismus hatte sich zwar überall überlebt, aber sich in Person von Brunhilde Winkels in Kempen eine ziemlich lebendige Nische erhalten. Und in dieser war Platz bei der Kripo für einen Jungen nur, wenn zugleich auch ein Mädchen genommen würde. Selbst im Fernsehen gingen schon eine ganze Menge Frauen erfolgreich auf Verbrecherjagd, also sei es höchste Zeit, dass dies auch in der Realität des linken Niederrheins endlich kapiert werde. Jonas hatte das Gefühl, einen Schlag in den Magen abgekriegt zu haben. Wenn die Winkels das tatsächlich durchdrücken wollte, würden die Behörden bestimmt den Versuch gleich wieder einstellen. Wo angeblich für einen kein Platz war, würden zwei schon gar nicht hinpassen.

    Aber wer die Winkels kannte, wusste um ihre Hartnäckigkeit. Schon nach einem Tag hatte sie mit zig-Telefonaten einen zweiten Praktikumsplatz erzwungen, einen, der ausdrücklich einer Praktikantin vorbehalten war. Von einem Gespräch mit seinem Onkel wusste Jonas, dass hinter den Kulissen dabei mächtig Staub aufgewirbelt worden war. Die Winkels hatte damit gedroht, die Sache öffentlich zu machen, den ganzen „Macho-Verein Kripo" hochgehen zu lassen und alles vor den Landtag und den Petitionsausschuss des Bundestages zu bringen. Das Innenministerium hatte deshalb auf den Oberkreisdirektor eingewirkt und dieser unter der Bedingung zugestimmt, dass der Versuchscharakter nochmals unterstrichen wurde: Sofortiger Abbruch, wenn es auch nur leichte Anzeichen dafür gebe, dass durch die Anwesenheit der beiden Praktikanten der Dienstbetrieb beeinträchtigt werde. Und zwar für beide. Jonas hatte als Ergebnis seiner Bemühungen somit fast die Garantie, nichts erleben zu können. Und es schmerzte ihn besonders, dass Josy täglich Zeugin dieser Niederlage werden würde. Ausgerechnet Josy, die Zicke aus dem Nachbarhaus.

    Mit ihr war er schon zusammen in den Kindergarten Christ-König gegangen. Damals konnten sich die beiden noch richtig gut leiden. Ihre Eltern hatten die Häuser zur gleichen Zeit nebeneinander gebaut, sich gegenseitig bei den Eigenleistungen immer wieder unterstützt und damit eine enge Freundschaft der Familien aufgebaut, in die sich die Kinder nahtlos einfügten. Sie spielten abwechselnd im Sandkasten des einen oder der anderen, trafen sich mit anderen Freunden mal in dem einen, mal in dem anderen Haus. Sie waren eigentlich eine große Familie, hatten mindestens einmal sogar ihren Urlaub zusammen verbracht. Schemenhaft erinnerte sich Jonas daran, dass sie zusammen Winddrachen ausgemalt, Kartoffeln an Stöcken im Feuer verkohlt und manchmal auch ziemlichen Blödsinn veranstaltet hatten. Eher peinlich fand er, dass seine Mutter von Zeit zu Zeit daran erinnerte, dass die beiden sich sogar einmal im Planschbecken im Garten geküsst hätten und dass Jonas fest davon überzeugt gewesen sei, Josy unbedingt heiraten zu wollen. Daran erinnerte er sich nun wirklich nicht. Eine Sandkastenliebe reicht halt wirklich nur bis zu den Rändern des Sandkastens. Und diesen gab es inzwischen nicht einmal mehr. An seiner Stelle war ein Blumenbeet angelegt worden. Und zwar sowohl in der Wirklichkeit als auch in Jonas’ Kopf. Diese Erinnerung war gründlich überwuchert. Denn schon in der Grundschule hatte sich eine ständige Rivalität zwischen ihnen entwickelt, die mehr als einmal ihre Spuren in Form ausgerissener Haare, Kratzer im Gesicht und blauer Flecken auf den Beinen hinterlassen hatte. Glücklicherweise waren sie dann auf dem Gymnasium Thomaeum in unterschiedliche Klassen gekommen und hatten sich nur ab und zu auf dem Schulweg und auf dem Pausenhof gesehen. Leider hatten sie sich dann aber in der Oberstufe für eine Reihe gleicher Kurse entschieden, so dass sie sich nun doch wieder fast täglich im Unterricht begegneten. Doch außerhalb der Klassenräume waren sie sich weiterhin aus dem Weg gegangen.

    Nun hatte die Winkels mit der ihr typischen Logik vorgeschlagen, dass Josy ihr Praktikum bei der Kripo machen sollte. Und warum? Weil dann Jonas und Josy morgens zusammen hin und abends zusammen nach Hause fahren könnten. Das sei einfach sicherer, zumal die Arbeitszeit, wie sie gehört hatte, sehr flexibel sein würde und es morgens noch und abends schon wieder dunkel sein könne. Ein dämliches Argument, hatte Jonas sogleich gedacht. Als ob 17-jährige nicht allein in Kempen unterwegs sein könnten. Und außerdem hatte Josy doch eigentlich lieber ans Geologische Landesamt nach Krefeld gewollt.

    „Statt der geologischen sollten Sie vielleicht einmal menschliche Abgründe erkunden", hatte die Winkels dazu gemeint, und Josy die Mitteilung gemacht, dass es beim Landesamt gleich drei Bewerber für einen Praktikumsplatz gebe und sie nicht die besten Chancen habe, da sie als einzige nicht aus Krefeld komme.

    Also kam es, wie es nach der Überzeugung von Jonas absolut nicht kommen durfte. Montagmorgen hatte der Hauptkommissar sie zusammen willkommen geheißen. Innerhalb von fünf Minuten hatte er ihnen einen derart komprimierten Vortrag über die Aufgaben der Kripo, ihr Zusammenspiel mit der übrigen Polizei auf der einen und der Staatsanwaltschaft auf der anderen Seite, die Laufbahnen, die Dienst- und Fachaufsichten und die einzelnen Zuständigkeiten der verschiedenen Ebenen und Bereiche gehalten, dass sie schnell den Faden verloren hatten. Danach war er mit ihnen durch die einzelnen Etagen und Büros gegangen und hatte ihnen rund zwei Dutzend Beamte vorgestellt, von denen aber die meisten offenbar gar nicht zur Kempener Kripo gehörten, sondern nur hier saßen, um einen Banküberfall in Vorst, rund sechs Kilometer vor den Toren Kempens, aufzuklären. Das hatte ganz groß in den Zeitungen gestanden: Ein maskierter Mann hatte die Sparkassen-Filiale überfallen und war mit der Beute auf einem Fahrrad geflüchtet. Auf dem Parkplatz des weit bekannten Medikamentenhilfswerkes „action medeor" hatte er das Fahrrad ins Gebüsch geworfen und war zu einem Komplizen ins Auto gestiegen. Mit quietschenden Reifen waren die Verbrecher dann Richtung Kempen geflüchtet. Ein Fahrer einer nahe gelegenen Fleischwarenfabrik hatte die Angaben einer Mitarbeiterin des Hilfswerkes bestätigt, dass es sich um einen dunkelroten japanischen Kleinwagen, vermutlich einen Honda, gehandelt hatte. Das Viersener Kennzeichen, das hatte die Polizei schnell herausgefunden, war gefälscht. So wie bei einem Banküberfall zwei Wochen zuvor in Hinsbeck, einem Ort nahe der niederländischen Grenze. Und einem weiteren vor drei Wochen in Oedt, einem anderen Ort, ebenfalls nur rund sieben Kilometer von Kempen entfernt.

    Jedes Mal waren die Taten ähnlich abgelaufen. Weil bei dem Überfall in Oedt die Täter auf der Flucht einige Geldscheine verloren hatten und sich diese wenig später im nahegelegenen „Gänsebrunnen wiederfanden, hatte sich für die offiziell „Raubüberfälle im Raum Kempen bezeichnete Sonderkommission intern der Name „Soko Gänsegeld breit gemacht. Und im alltäglichen Sprachgebrauch war daraus ein schlichtes „SKGG geworden, wie Salzberg ihnen kurz und eher gehetzt erläuterte. Mit großen Augen schauten Jonas und Josy in die Räume, versuchten möglichst viel von den Abkürzungen, Bildern und Spuren zu erhaschen, die auf den Tischen und auf großen Pinboards festgehalten waren. Doch sie wurden schnell weiter gezogen. Das gehe sie überhaupt nichts an. Und sie sollten froh sein, dass sie trotz dieser Überfallserie ihr Praktikum hätten beginnen können. Eigentlich habe man das wegen dieser Ereignislage vorzeitig abblasen wollen. Aber wenn sie versprächen, sich von „Gänsegeld" fern zu halten und – von der Teilnahme an ausgewählten Besprechungen und Ermittlungen abgesehen – nur in ihrem eigenen Raum im zweiten Stock zu bleiben, dann werde man die Schüler zwei Wochen bei der Kripo dulden.

    Nett klang das nicht. Die finstere Miene von Hauptkommissar Salzberg hellte sich erst wieder auf, als Jonas mit dem duftenden Kaffee in der Hand an seine Büro-Tür klopfte. Er war daraufhin sogar noch einmal mit in das Zimmer am anderen Ende des Flures gekommen, in dem er die beiden Schüler platziert hatte. Offenbar war er gar nicht mal ein so abweisender Typ. Dass er so unfreundlich gewirkt hatte, hing wohl eher mit Jonas’ Überrumpelung in Sachen Praktikum zusammen. Fred Salzberg kannte mit seinen 58 Jahren vor allem ein Motiv: Möglichst geräuschlos in seinen Ruhestand kommen und dann den Lebensabend mit seiner Frau in seinem chic umgebauten Fachwerkhaus an einer von Kempens ältesten Straßen mitten in der Innenstadt genießen. Sein ganzer Stolz war sein Garten. Das wurde Jonas und Josy schnell klar, als Salzberg sofort und ungefragt davon erzählte. Der Clou daran: Er hatte neben dem von seiner Mutter ererbten noch zwei weitere winzige Häuschen auf der rückwärtigen Seite gekauft und alles kunstvoll miteinander verbunden, so dass ein richtiges kleines Paradies mitten in dichter Altstadtbebauung entstanden war. Dieses persönliche Lebensglück sollte ihm keiner mehr nehmen. Deshalb hasste Salzberg alles Fremde. Zum Beispiel ein Schülerpraktikum. Was da alles schief gehen und alles durcheinander bringen konnte!

    Der Hauptkommissar legte den beiden jungen Leuten einen Stapel von Kripo-Verbandszeitschriften und Einführungsbroschüren auf den Tisch. Josy blätterte eher lustlos darin, Jonas steckte schon deutlich mehr Interesse in die Seiten. Aber irgendwann wurde auch ihm langweilig. Salzberg hatte angekündigt, dass die drei anderen Kollegen auf der Etage zu ihnen kommen und von ihrer Arbeit erzählen würden, sobald sie Zeit dafür fänden. Aber nach drei Stunden war noch keiner erschienen. Notgedrungen kamen Jonas und Josy nach so vielen Jahren, in denen sie sich aus dem Weg gegangen waren, selbst wieder ins Gespräch, erzählten von ihrem früheren Kindergarten am Concordienplatz, der nun nicht mehr eine Steinwüste, sondern ein richtig schön begrünter Ort geworden war, und von einigen Streichen an ihrer ländlich gelegenen Grundschule. Wie sie etwa einmal mit Tommy vom Hof aus der Nachbarschaft eine ausgewachsene Sau in die Lehrer-Umkleide neben der Turnhalle getrieben hatten und keiner so Recht entscheiden mochte, wer sich beim Zusammentreffen mehr erschrocken hatte: die Sau oder Fräulein Schmidt. Sie erzählten vom Schulausflug zur Burgruine Wachtendonk, wo das schönste Burgfräulein gekürt werden sollte.

    „Ich glaube, Du hast total super ausgesehen", meinte Jonas.

    Binnen Bruchteilen einer Sekunde blaffte Josy ihn an: „Und warum hast Du mich dann ausgelacht, so dass ich nur noch wegrennen konnte?", fragte sie mit einer Stimme, die zwischen Gereiztheit und tiefem Verletztsein schwankte.

    ‚Autsch‘, dachte Jonas. Das hat wohl tief gesessen. Ist sie mir deshalb all die Jahre aus dem Weg gegangen?

    „Ich, äh, ich dachte nicht, dass Dich das damals, äh, so, äh…"

    „Vergiss es einfach, zischte Josy. „Schließlich will ich heute kein Burgfräulein mehr werden.

    Jonas lachte.

    „Ich stell mir das gerade vor: Du mit dem langen spitzen Hut, dem Schleier und dem langen Kleid – aber heute würde man Dich wohl eher als Hermine Granger ansehen."

    Josy zog einen Brieföffner aus der Schale vor sich auf dem Tisch und erhob ihn drohend: „Pass bloß auf, dass ich Dir keinen Harry-Potter-Blitz in die Stirn ritze."

    Bei Josys Griff in die Schale war zwischen den Stiften ein kleiner Zettel zum Vorschein gekommen war, den sie nun näher musterten.

    „Was steht denn da drauf?", wollte Jonas wissen.

    Josy winkte ab.

    „Das geht uns bestimmt nichts an, schließlich ist das doch sonst der Team-Besprechungsraum."

    Dennoch: Sie waren neugierig genug, den Zettel auseinanderzufalten. Es war eine Art Geschäftsverteilungsplan. Buchstaben standen darauf, und dahinter ein paar Sachgebiete und weitere Abkürzungen. An erster Stelle war ein „S. zu lesen. Klar, das musste Hauptkommissar Salzberg sein. Unten, etwas abgetrennt, ein „K. mit dem Zusatz „Sekr. Auch das war offensichtlich: Frau König, die laut Herrn Salzberg halbtags hier arbeitet, mal vormittags und mal nachmittags kommt – aber jetzt, um 15 Uhr, immer noch nicht erschienen war. „v.A., das musste Inspektor Frank van Alten sein, der jüngste Kripobeamte in Kempen. Der schien ganz in Ordnung zu sein, jedenfalls meinte er bei der Begrüßung, er werde sie beide sicherlich zu einem Einsatz mitnehmen, sobald er von seiner Abordnung in die SKGG wieder an seinen eigentlichen Schreibtisch zurückgekehrt sei. Das „Kl. auf dem Zettel machte Jonas und Josy auch keine Mühen. Das war Harald Klein. Das war tatsächlich sein Name, wie er ihnen versicherte. So wie der berühmte Assistent aus der Fernsehserie um Hauptkommissar Stefan Derrick, dem er regelmäßig sein Dienstfahrzeug vorfahren sollte. Und so hatte Klein ihnen auch sogleich gesagt, er kenne natürlich sämtliche „Harry-hol-schon-mal-den-Wagen-Witze. Zur Bestätigung hatte er Salzberg angeschaut und ihm ein „Nicht wahr, Stefan? zugerufen. Was dieser, mit seinen Gedanken offenbar gerade woanders, zunächst gar nicht zu verstehen schien. Bis Jonas ihm auf die Sprünge half: „Ach, so sehen Sie also in Wirklichkeit aus, Herr Derrick? Darauf lachten alle vier, und der Rundgang war beendet.

    Eine Tür war verschlossen geblieben. Und zwar die zwischen dem Besprechungsraum und dem Sekretariat mit der Teeküche hinten dran.

    „Hier arbeitet mein Kollege und Stellvertreter Hauptkommissar Adrian Husen, hatte Salzberg erläutert. Und hinzugefügt. „Wenn er da ist.

    Auf die fragenden Gesichter der beiden Praktikanten reagierte Salzberg mit einer für sie unverständlichen Erläuterung: „Wenn er nicht da ist, arbeitet er auch."

    Jonas hatte prompt nachgehakt: „Und wann ist er da?".

    Die Antwort war von einem vielsagenden Seufzen begleitet: „Das weiß keiner, vermutlich nicht mal er selbst." Aber das, so erfuhren sie einmal mehr nachdrücklich, ging sie natürlich ebenfalls überhaupt nichts an.

    Daran mussten Jonas und Josy unwillkürlich denken, als sie die zweite Zeile des hochinteressanten Zettels studierten. Ein „H. stand dort, freilich mit einem eingeklammerten Fragezeichen dahinter. So als sei sich da jemand nicht sicher gewesen, ob Husen wirklich Husen heißt. Und hinter diesem Fragezeichen standen eine ganze Menge weiterer Fragezeichen. Sie waren derart tief ins Papier gedrückt, dass da jemand offenbar im Besprechungsraum seine ganze Wut hatte loswerden wollen. Vermutlich war Husen bei dieser Besprechung auch nicht dabei gewesen. Was war mit „H.? Die wildesten Gedanken kamen den beiden in den Kopf. So wurde das Praktikum bei der Kripo doch schon eine sehr spannende Angelegenheit. Wenn auch ganz anders als vermutet.

    Der Zettel hatte die Stimmung zwischen Jonas und Josy merklich verändert. Am Montagmorgen waren sie erst im Büro von Salzberg aufeinander getroffen. Wie zwei Fremde, die einander erst vorgestellt werden mussten. Am Abend radelten sie erzählend zusammen nach Hause. Am Dienstagmorgen hatte Jonas bei Josy geklingelt, worauf sie zusammen in die Stadt gefahren waren. Und nach dem ähnlich ereignislosen Dienst hatten sie noch ein Eis am Viehmarkt gegessen, bevor sie wieder gemeinsam nach Hause fuhren.

    Diesen Morgen nun hatte Josy Jonas an der Haustüre abgeholt. Erstaunlich eigentlich, dass dies nach all den Jahren wieder eine Premiere darstellte, obwohl sie doch nebeneinander wohnten und von der Thomas-Mann-Straße in der Neuen Stadt meistens sogar denselben Weg zu ihrem Gymnasium nahmen. Manchmal hatten sie sich natürlich auf dem Weg gesehen – aber dann so getan, als hätten sie sich übersehen. Mitten durch die Hochhaussiedlung an dem Spielplatz vorbei, auf dem sie früher mit ihren Freunden viele Stunden verbracht hatten, dann über den Concordienplatz und durch eine schmale Gasse direkt zum Schulzentrum. Jetzt fuhren sie eben nur ein Stück weiter, durchquerten das Kuhtor, eines von vier mittelalterlichen Stadttoren, bogen auf den „Wall" ein, der den Grünstreifen von der Innenseite der alten Stadtmauer begleitete, und waren dann bald am Kripo-Gebäude.

    Die Kripo war in einem alten Backsteinbau untergebracht - einem Überbleibsel der ursprünglichen inneren Ring-Bebauung. Immer noch galt jedoch das Sanierungskonzept, nach dem diese Bauten dem Grüngürtel weichen mussten. Deshalb hatte der Kreis seit Jahren nicht mehr in sein Polizeigebäude investiert: In den Büros unter dem Dach war es im Sommer unerträglich heiß, im Winter kühlten sie viel zu schnell aus, und auf dem Gang im obersten Stockwerk mussten bei Regenwetter Wannen aufgestellt werden. Die Dielen hatten die besten Zeiten hinter sich und verrieten durch lautes Knarren jede Bewegung. Das galt erst Recht für die Holzstufen im Treppenhaus. Die Arbeit lief unter dem Eindruck der Abbruchreife. Zwar dachten Kempener Kommunalpolitiker bereits über eine Verlagerung in ein modernes Gebäude mitten in der Stadt nach. Aber erst sollte die mögliche neue Dezentralisierungsstrategie eine neue Perspektive bieten. Lieber vorher nicht an den Verhältnissen rühren, lautete die Devise.

    Das war bei Jonas und Josy gänzlich anders. Sie waren dabei, ihr Verhältnis grundsätzlich neu zu klären.

    Josy hatte jedenfalls an diesem Morgen ausgesprochen gute Laune.

    „Ich hab das Gefühl, heute passiert noch was", sagte sie, als der Moorenring-Bau in Sicht kam. Um dessen hintere Hälfte wucherte zwischen mehreren kleinen Müllhaufen meterhoch das Unkraut.

    „Was soll schon groß passieren?, brummte Jonas. „Vielleicht, dass ich dem Hauptkommissar heißen Kaffee über die Hose schütte und er deswegen Großalarm auslöst?

    Er ahnte in diesem Augenblick nicht, wie nah er damit bereits an die folgenden Ereignisse herangekommen war.

    Zunächst aber hatten sie mit der üblichen abweisenden Stimmung im Büro fertig zu werden. „Harry", so nannten Jonas und Josy Inspektor Klein insgeheim, war besonders mürrisch. Offenbar wurmte es ihn, mit Fahrraddiebstählen, Autoaufbrüchen und Graffiti am Postgebäude befasst zu sein, also nur mit Dingen, die wenig Fahndungserfolg und viel Schreibkram erwarten ließen, während der jüngere Kollege van Alten mit den Profis aus Krefeld, Mönchengladbach und Düsseldorf in der Soko Bankräuber jagen durfte.

    Hinzu kam, dass nun zum ersten Mal auch der mysteriöse Hauptkommissar Adrian Husen in seinem Büro saß. Ein kräftiger, schlanker Typ mit relativ langen dunkelblonden Haaren, der so sonnengebräunt war, als käme er gerade von einigen Tagen auf dem Surfbrett von den Malediven zurück an den Schreibtisch. Und das im April! Husen starrte sie an, als wären zwei Wildschweine aus dem Flur in sein Büro gestürmt. Und dann begann er, sie lautstark zu beschimpfen: Was sie denn hier zu suchen hätten, hier hätten Unbefugte keinen Zutritt. Ob ihnen klar sei, dass sie ausgerechnet bei der Polizei eingedrungen seien. Erst nach einer ziemlich langen Schimpftirade, konnte Jonas ein „Wir sind die Praktikanten!" dazwischen quetschen. Worauf Husen zwar leiser, aber nicht ruhiger wurde. Das habe er ja ganz vergessen, und er wisse immer noch nicht, was sich der Chef dabei gedacht habe. Um eines gleich klar zu stellen: Sein Büro sei absolut tabu für sie. Wenn er sie einmal darin anträfe, wäre das Praktikum auf der Stelle beendet. Sie könnten sich sogar strafbar machen, wenn sie zu neugierig seien.

    Derart zusammengestaucht, überlegten Jonas und Josy, ob das mit dem Praktikum wirklich eine gute Idee gewesen war, ob sie nicht lieber die Winkels anrufen und ihr das Klima hier mal schildern sollten.

    „Na Ihr, immer noch da?" Die barsche Frauenstimme schien ihre Gedanken zu bestätigen. Sie gehörte Frau König, und auch die war definitiv nicht auf ihrer Seite.

    Josy fing sich schneller als Jonas und rief kratzbürstig zurück: „Wir wünschen Ihnen auch einen sehr schönen Tag, Frau König!" Woraufhin die Tür des Sekretariates mit lautem Knall zugeschlagen wurde. Dicke Luft also, und sie hatten leider eine sehr konkrete Ahnung davon, warum alle so wütend auf sie waren. Sie störten einfach die gewohnten Abläufe, die auch ohne ihre ständige Beobachtung offenbar schon schwierig genug waren.

    Dabei hatte Sibylle König zunächst eigentlich einen sehr netten Eindruck gemacht, als Jonas und Josy ihr zum ersten Mal begegneten. Das hing wohl damit zusammen, dass sie zuvor einfach nicht zum Dienst erschienen war und beim Chef erst einmal „Schönwetter machen musste. Sie hatte etwas von „Migräne gemurmelt, und dass sie absolut nicht in der Lage gewesen sei, etwas zu tun, und außerdem habe sie in der Vorwoche ja Überstunden gemacht, weil die Sekretärin der Soko verhindert gewesen sei.

    „Lass mal gut sein, Sybillienchen", hatte Salzberg gesagt, und bei Sibylle König einen Mienenwechsel von Leiden zu Verärgerung ausgelöst.

    Offenbar mochte sie diese Verballhornung ihres Vornamens ganz und gar nicht.

    „Nenn mich Sibylle oder von mir aus Königin, Fred", meinte sie und zog seufzend von dannen. Sie würde ihn wohl nicht mehr ändern.

    Alsdann war sie zu den beiden Praktikanten gegangen und hatte ihnen sehr geduldig und irgendwie auch nett die Abläufe in der Kempener Kripo erläutert. Jonas und Josy hatten eifrig mitgeschrieben. Schließlich mussten sie am Ende des Praktikums einen Bericht verfassen, mit dem sie nachweisen sollten, dass sie die Praxis nicht nur erlebt, sondern auch begriffen hatten.

    Die „Königin" hatte den beiden jungen Leuten noch weitere Broschüren auf den Tisch gelegt und eine angenehme Lektüre gewünscht – und dann die Türe hinter sich geschlossen. Die offene Türe war bis dahin der einzige Hoffnungsschimmer für Jonas und Josy gewesen, wenigstens irgendetwas mitzukriegen von dem, was sich bei der Kripo tat. Denn manchmal konnte man den Männern beim Telefonieren zuhören oder bei ihren kleinen Besprechungen, wenn sie etwa in der Tür von Salzberg standen und ihn fragten, ob die geplante Vorgehensweise so richtig sei. Jonas und Josy ließen eine Viertelstunde verstreichen, dann machten sie sich auf den Weg zu Frau König ins Sekretariat. Sie wollten so tun, als hätten sie etwas nicht verstanden. Als sie an Husens Büro vorbeikamen, bemerkten sie, dass die Tür nicht mehr abgeschlossen, sondern nur angelehnt war. Und sie hörten, wie jemand eine Schublade nach der anderen öffnete. Lauschen wollten Jonas und Josy nicht, aber als sie merkten, dass das Sekretariat leer war, kehrten sie um.

    „Sie ist bestimmt mal eben zur Toilette, wir gehen einfach in fünf Minuten noch mal hin", sagte Jonas laut, als sie auf der Höhe von Husens Zimmer waren.

    Josy nickte und deutete Richtung offener Türspalt. Hinter der Tür war es mucksmäuschenstill geworden. Als wäre jemand ertappt worden. Von ihrem Raum aus konnten sie verfolgen, wie nun eilig auch die letzte Schublade zugeschoben wurde, Husens Bürotüre langsam aufging und Frau König den Raum auf Zehenspitzen verließ. Leise zog sie die Tür hinter sich zu. Während sie den Raum wieder abschloss, fiel ihr Blick nach links in Richtung des Besprechungsraumes, aus dem sie vier neugierige Augen aufmerksam beobachteten. Beherzt drehte sie den Schlüssel um.

    „Ich muss hier auch die Post verteilen", sagte sie laut.

    Das war zwar richtig, aber es war keine Erklärung für ihr Verhalten. Denn eine Stunde zuvor hatte sie ihnen noch erläutert, dass sie die Post für die einzelnen Beamten bei sich im Sekretariat in Ablagekörbe sortiere, aus denen sich jeder dann bediene. Genau dieser Widerspruch schien ihr selbst nun auch aufzufallen.

    „Ihr wisst, dass Euch die ganzen internen Vorgänge hier nichts angehen, klar?", fügte sie mit deutlich vorwurfsvollerem Unterton hinzu.

    Von da an war es mit den Nettigkeiten vorbei. Das Spiel mit der geschlossenen Praktikanten-Tür wiederholte sich noch einige Male, worauf sich bei Jonas und Josy auf unerklärliche Weise ein heftiger Harndrang entwickelte, der sie leider zwang, jeweils zwei oder drei Minuten nach einer neuerlichen Türschließungsaktion der „Königin" plötzlich zur Toilette zu müssen.

    Die dahinter stehende Absicht war so offensichtlich, dass Jonas kombinierte: „Wir sollen etwas nicht mitbekommen, das ist klar, und deshalb sollten wir ganz besonders spitze Ohren kriegen."

    Also öffneten sie daraufhin auf dem Weg zur Toilette ihre Türe besonders leise und bewegten sich sehr langsam und möglichst lautlos durch den Flur. Schnell fanden sie heraus, wohin sie treten mussten, um auch das letzte Knarren des alten Holzfußbodens zu vermeiden. Als Jonas bei einer dieser WC-Schleich-Aktionen die Sekretariats-Türe geschlossen vorfand, wurde die Neugierde endgültig übermächtig und er versuchte zu horchen. Er hörte, wie die „Königin" mit unterdrückter Stimme mit jemandem telefonierte. Alles verstand er nicht, aber es war für ihn offensichtlich, dass sie sehr aufgeregt war.

    „Kannst Du mir nicht erzählen… Südfrankreich dazugehört … könnte Dir vertrauen … lass Dich hochgehen … Versteckspielen leid … dachte, Du liebst mich auch … soll endlich einen richtigen Vater haben."

    Offensichtlich hatte sie ihr Handy benutzt, denn plötzlich wurde sie lauter, weil das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Jonas hörte noch deutlich: „Ich muss jetzt Schluss machen, aber morgen will ich auch mal wieder einen Abend mit Dir verbringen!"

    Schnell huschte Jonas zurück in den Besprechungsraum. Zu schnell. Denn ein lautes Knarren im Flur hatte ihn verraten. Wenig später stand eine aufgebrachte „Königin" im Zimmer.

    „Könnte es sein, dass hier gelauscht wird?", sagte sie so laut wie vorwurfsvoll.

    „Ich, äh, ich musste mal dringend auf die Toilette, stammelte Josy. Doch die „Königin schaute dabei in Jonas

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