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WARUM TUST DU DIR DAS AN?: Tagebuch eines Schulleiters
WARUM TUST DU DIR DAS AN?: Tagebuch eines Schulleiters
WARUM TUST DU DIR DAS AN?: Tagebuch eines Schulleiters
eBook365 Seiten3 Stunden

WARUM TUST DU DIR DAS AN?: Tagebuch eines Schulleiters

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Über dieses E-Book

Eine Stimme aus dem Lehrerzimmer:
"Wenn wir nicht das Feindbild Schulleiter hätten, würden wir übereinander herfallen."

Ein Bericht von der Schulfront.

Und dennoch war Harald Togal gerne Lehrer und Schulleiter.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum29. Aug. 2012
ISBN9783844231441
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    Buchvorschau

    WARUM TUST DU DIR DAS AN? - Harald Togal

    Impressum

    WARUM TUST DU DIR DAS AN?

    Tagebuch eines Schulleiters

    Harald Togal

    published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Copyright: © 2012 Harald Togal

    ISBN 978-3-8442-3144-1

    „Wenn wir nicht das Feindbild Schulleiter hätten,

    würden wir übereinander herfallen."

    Stimme aus dem Lehrerzimmer

    Vorbemerkung

    Hier steht das, was mich oft fassungslos gemacht hat. Als

    „einfacher" Lehrer kriegt man wenig von dem mit, was sich auf der

    Leitungsebene einer Schule abspielt. Die Wahrnehmung ändert sich,

    wenn man als Schulleiter den täglichen Wahnsinn der Schule in seiner

    ganzen Fülle erleben muss. Wenn ich das eine oder andere davon

    unter Freunden bekannt gab, hörte ich: „Das gibt es doch nicht, das

    darf nicht wahr sein." Also habe ich es aufgeschrieben.

    Die Situation an „meiner" Schule weist einige Besonderheiten auf.

    Um die geht es hier auch. Es ist schwer, Außenstehenden Einblick in

    Schule zu vermitteln. Einblick in diese Schule zu geben, scheint fast

    unmöglich zu sein.

    Mein Tagebuch ist wahr, nichts ist übertrieben, nichts erfunden. Aber

    es enthält nicht die ganze Wahrheit. Es gab auch Positives: Das

    Engagement von Lehrerinnen und Lehrern bei den Sportturnieren,

    den Projektwochen, dem Schüleraustausch, den Tagen der

    offenen Tür oder bei der Beratung der Schülerzeitung.

    Ich erhielt viel Unterstützung, von den Schulsekretärinnen, dem

    Hausmeister, dem technischen Assistenten, von einigen Kolleginnen

    und, nicht zuletzt, vom Schulelternbeirat. Ich habe Freunde, die mir

    immer die Daumen drückten. Vor allem danke ich meiner Frau, ohne

    deren Geduld und Liebe ich diese Zeit nicht durchgestanden hätte.

    Harald Togal  

    Im Sommer 2004

    „Für viele Steinböcke wird es das Jahr ihres Lebens!"

    Aus dem Jahreshoroskop 2001 der Zeitschrift „Fernsehwoche"

    15. Januar – 15. April 1999

    Lasciate ogni speranza, voi, qu’entrate…

    (Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren.)

    Dante, Göttliche Komödie

    Die Schule liegt in einer Sackgasse. Ein Verkehrsschild am Beginn

    weist sie als Fußgängerzone aus. Zuerst kommt das Feuerwehrgerätehaus,

    dann das Bürgerhaus mit einer jugoslawischen Gaststätte, danach

    eine Turnhalle und ein etwas verwahrloster Parkplatz. An der

    Zufahrt zum Parkplatz steht ein Altkleidersammelbehälter, daneben

    ein Altschuhsammelbehälter. Rechts steht eine Grundschule und

    schließlich ganz hinten die Gesamtschule. Der Parkplatz ist schlecht

    beleuchtet. Morgens liegen oft Bierdosen herum. Das Gelände ist

    auch ein gern genutzter Hundekotplatz.

    Einem Feng-Shui-Anhänger fiele das Betreten der Schule schwer: Im

    Windfang des Eingangsbereichs befinden sich die Schülertoiletten.

    Jeder, der die Schule betritt, muss daran vorbei, durch den ewig müffelnden

    Windfang hindurch. Bautechnisch hingegen ist das eine geniale

    Lösung: Für innen und außen gibt es eine einzige, von beiden

    Seiten gut erreichbare Toilette.

    Wen dies weniger stört, der muss sich mit der Frage auseinander setzen,

    ob er eine Schule oder einen Recyclinghof betritt. Eine gelbe Tonne

    neben dem Briefkasten am Eingang ist noch zu verkraften. Im

    Toilettenwindfang stehen links und rechts, neben der Jungen- und der

    Mädchen-Toilette, jeweils zwei weitere Mülltonnen; macht zusammen fünf.

    Wer diese Schwelle überwunden hat, betritt die Eingangshalle, in der

    sich sieben Abfallbehälter unterschiedlichster Bauart befinden. Trotz

    oder vielleicht gerade wegen der großen Auswahl an Abfallbehältern

    werden zusammengeknüllte Bäckereitüten, Schokoriegelverpackungen

    und Getränkedosen aber mit Vorliebe auf dem Fußboden abgelegt.

    Ein Pflanzenfriedhof lockert dieses Ambiente auf. Zwei Dutzend

    dürre Fici Benjamini, abgesägte Yucca-Stämme oder beschädigte Philodendren

    zieren den Bereich. Diese Anhäufung unterschiedlichster

    Pflanzen vor dem Eingang zum Lehrerzimmer wird als „Dschungel"

    bezeichnet; eine Kränkung für die Regionen der Erde, wo es ihn

    (noch) gibt.

    Die Wände der Eingangshalle sind von Schülerinnen und Schülern bemalt

    worden: Fantasy-Gemälde, ein überdimensionales impressionistisches

    Bild auf der Tür zum Lehrerzimmer, die Betonsäulen altdeutsch

    rustikal mit Fachwerk übermalt. Jedes Werk für sich betrachtet beeindruckend.

    Ein Vorgeschmack auf fehlende pädagogische Koordination?

    Der Neue ist davon überzeugt, dass Räume erzieherische Wirkung

    haben. Verwahrloste, ungepflegte Schulkasernen sind lernhemmend

    und aggressionsfördernd.

    Der Eingangsbereich hat durchaus Charme. In der Mitte befindet sich eine

    nicht allzu große Aula, die sich vorzüglich für Veranstaltungen eignet,

    auf der linken Seite, hinter einer Glaswand, eine kleine Bücherei,

    daneben eine mit Teppichboden ausgelegte Sitzlandschaft. Überhaupt

    befinden sich im Erd- und Obergeschoss in mehreren Nischen

    liebevoll gestaltete Sitzecken, Produkte des Werkunterrichts. An der

    zentralen Wand im Eingangsbereich, ebenfalls im Fachwerkstil bemalt,

    hängen große Fotos aller Klassen. Davor blanke Holzbänke und

    -würfel, eine bei den Schülerinnen und Schülern beliebte Sitzgelegenheit.

    Kaum eine andere dem Neuen bekannte Schule hat solche

    schönen Sitzecken in den Fluren. In den Pausen sind sie leider nicht

    zu benutzen, da die Schüler das Gebäude verlassen müssen. So hat es

    die Gesamtkonferenz beschlossen.

    Eine letzte Mülltonne steht vor dem Eingang zum Verwaltungsflur.

    Vorherrschende Farbe dort, wie überall in der Schule, ein aggressives

    grünliches Gelb der Blechwände. Es wird aber von einer Unzahl A0-

    Fotopostern vergangener Sport- und pädagogischer Tage, von Auslandsfahrten,

    Kunstprojekten und Kollegiumsausflügen gemildert.

    Über den Postfächern der Lehrerinnen und Lehrer hängen Girlanden

    aus Endlos-Lochpapier. Darauf stehen – in Fraktur – pädagogische

    Leitsätze und Zielvorstellungen.

    Vor der Tür zum Schulleiterzimmer hängen modische Kreuze, wohl

    im Religionsunterricht gefertigt, im Nikki-de-Saint-Phalle-Stil, Pop-

    Kreuze, naiv bemalte Holzlatten. Darunter stehen eine große blaue

    Holzbank, deren Farbe sich mit dem unentschiedenen Gelb der

    Wände beißt, und hölzerne Sitzwürfel, gruppiert um einen zu hohen

    Tisch, einem Kastenmodell des Schülercafés unter einer Glasplatte.

    Auf der blauen Bank ist eine hölzerne Gliederpuppe festgeschraubt.

    Sie jagt dem Neuen, der in den ersten Wochen sein Büro erst spät

    abends bei Notbeleuchtung verlässt, jedes Mal einen gehörigen

    Schrecken ein. Er lässt sie vom Hausmeister wegschaffen. Damit handelt

    er sich eine erste Rüge des Personalrats ein.

    Seit wann diese Ausstellungsstücke im Verwaltungsflur präsentiert

    werden, ist nicht zu klären. Die Antworten variieren zwischen ewig

    und bestimmt länger als drei Jahre.

    Die beiden freien Wände im Schulleiterzimmer werden von Fototapeten

    geschmückt, Naturlandschaften. Davor stehen Verwandte der

    Pflanzen aus dem Eingangsbereich. Auf der Tür zum Sekretariat klebt

    die Fototapete einer rosafarbenen Bauernhaustür.

    Der raumhohe Kaktus, den der neue Nutzer des Schulleiterbüros als

    einzigen Zimmerschmuck vorerst überleben lässt, zeigt sich undankbar.

    Er kippt eines Tages über den Schreibtisch und jagt seine haarscharfen

    Nadeln in die Hände und Unterarme des Neuen.

    In den Verwaltungsräumen setzt sich die Recyclinghofidee fort. Alle

    Zimmer haben einen oder mehrere mit blauen Abfallsäcken ausgestopfte

    50-Liter-Papierkörbe.

    Nachtrag: Der Neue ersetzt die 50-Liter-Papierkörbe durch normale

    Büropapierkörbe. Die Zahl der Mülltonnen wird erheblich reduziert.

    Dennoch wird die Schule bald als eine der saubersten im

    Kreisgebiet gelobt werden.

    Der Schreibtisch

    Über Tage hinweg ist der Neue damit beschäftigt, die Hinterlassenschaft

    des Vorgängers aus dem Schreibtisch zu räumen: Hustenbonbons,

    Tempotaschentücher, vertrocknete Folienstifte, hunderte Kulis

    und Bleistifte. In den Schränken ruhen vergilbte Publikationsverzeichnisse

    und Broschüren. Der Neue wünscht sich einen Erlass, der

    Ruheständlern auferlegt, ihren Schreibtisch aufzuräumen. Herr

    Dahlheimer, der Vorgänger, wird in seiner Abschiedsrede behaupten,

    er hätte einen aufgeräumten Schreibtisch hinterlassen.

    Der Vorgänger

    Herr Dahlheimer war überraschend vorzeitig pensioniert worden. Es

    hatte Auseinandersetzungen gegeben, so war zu hören, u. a. mit der

    Stellvertreterin, dem Personalratsvorsitzenden und dem Schulelternbeiratsvorsitzenden.

    Die Steuergruppe für das Schulprogramm war

    von der Gesamtkonferenz aufgelöst worden. Dalheimer war Befürworter

    der Förderstufe gewesen. Das Kollegium war dagegen. Es hatte eine,

    auch öffentlich geführte, erregte Auseinandersetzung darüber gegeben.

    Er hatte sein altes Klavier an die Schule verkauft. Auf Schulrechnung

    soll ein Klavierstimmer dann das alte und das neue private gestimmt

    haben. Als der Neue das Beschriftungsgerät sucht, bekommt er den

    Tipp, er solle den Vorgänger anrufen. Der Hausmeister erzählt, dass er

    eines Tages Gartenmüll in mehreren Abfallbehältern der Schule gefunden

    habe und die Nachbarn verdächtigte. Kleinlaut habe der Vorgänger

    zugegeben, dass er von ihm stamme. Auch private Wäsche

    habe er in der schuleigenen Waschmaschine gewaschen. Der damalige

    Hausmeister habe seine Wohnung renoviert.

    Die Abschiedsfeier

    Zur Abschiedsfeier hatte er das gesamte Kollegium geladen. Gekommen

    war ein knappes Drittel. Der Schulrat schützte einen anderen

    Termin vor, so dass der Neue dem alten Direktor die Entlassungsurkunde

    überreichen musste. Der Vorgänger hielt sich selbst eine

    Laudatio. Darin kam von Plato bis Pestalozzi vor, was bei solchen

    Gelegenheiten vorzukommen pflegt. Ein schon früher pensioniertes

    Mitglied der Schulleitung redete von seinen Schwierigkeiten, eine

    Rede zu halten. Der Neue las ein Gedicht von Eugen Roth.

    Zu dem Zeitpunkt, für den das Büffet angekündigt war, erschienen

    Freunde aus dem örtlichen Karnevalsverein und sangen ein nicht

    enden wollendes Bänkellied auf ihren Vereinskollegen. Der Neue

    nahm beim Büffet schon für die Vorspeise einen großen Teller.

    Die Schulleitung

    Aus der Schule waren Hilferufe gekommen. Der Neue war vom Schulamt

    zum Halbjahr an die Schule geschickt worden. Nicht nur der

    Schulleiter war pensioniert worden, der pädagogische Leiter ebenso,

    ein Jahr zuvor der Leiter des Haupt- und Realschulzweiges.

    Der Förderstufenleiter, Herr Nagel, hatte eine schwere Operation hinter

    sich und zur Wiederherstellung der Gesundheit seine Arbeitszeit

    reduziert. Da sein Lebenswerk, die Förderstufe, aufgelöst wird, ist ihm

    nicht zu verdenken, dass er resigniert. Er taucht im Laufe des Vormittags

    auf, kopiert ein paar Unterrichtsmaterialien, lässt die Fehldrucke

    rund um den Kopierer liegen und verschwindet grußlos

    gegen Mittag. In den Leitungsteamsitzungen diskutiert er gerne

    grundsätzlich. Er ist gegen Computer in der Schule, gegen die Schaffung

    einer Vertretungsreserve, für gewerkschaftliche Positionen, gegen

    nachmittägliche Sitzungen des Leitungsteams. In den Gesamtkonferenzen

    provoziert er den Neuen gerne.

    Die Leiterin des Gymnasialzweiges, Frau Willnow, hat ebenfalls aus

    Gesundheitsgründen reduziert und unterrichtet zudem mit der

    Hälfte ihrer Stunden an der Oberstufenschule in der Stadtmitte. Sie

    hat einige anstrengende Monate lang die Schule geführt. Den Neuen

    unterstützt sie sehr.

    Die Stelle des pädagogischen Leiters wird nicht wieder besetzt. Die

    Landesregierung hält nichts von Gesamtschulen. Sie setzt ihnen administrativ

    zu, z. B. mit der Nichtbesetzung freier pädagogischer Leiterstellen.

    Die Stelle des Leiters des Haupt und Realschulzweiges wird

    auf absehbare Zeit auch nicht besetzt werden, da die Schülerzahl

    unterhalb der Grenze liegt, ab der die Stelle ausgeschrieben werden

    muss. Somit haben nur der vier Klassen umfassende Gymnasialzweig

    und die sechs Klassen umfassende Förderstufe eine hauptamtliche

    Leitung, die 11 Haupt- und Realschulklassen aber nicht.

    Für die Funktion der Stellvertreterin war fünf Jahre zuvor eine Lehrerin

    aus dem Kollegium ausgewählt worden, Frau

    Zastrow. Da sie eine Besoldungsstufe überspringen musste, ließ ihre

    endgültige Ernennung auf sich warten. Die Zusammenarbeit zwischen

    Dahlheimer und der Stellvertreterin muss schwierig gewesen sein.

    Frau Zastrow regierte in Zeiten der Abwesenheit des Schulleiters

    selbstherrlich. Sie hob seine Anweisungen auf und angeblich durchsuchte

    sie seinen Schreibtisch. Dahlheimer war häufig abwesend. Er

    hatte einen Schüleraustausch mit Marokko ins Leben gerufen.

    Sie war vom damaligen Leiter des Schulamtes ausgesucht worden. Es

    gibt den Verdacht, diese Auswahl sei geschehen, weil Dahlheimer von

    einem Dezernenten ausgewählt worden war, den der Schulamtsleiter

    wiederum nicht sehr mochte. Ein Mitspracherecht bei der Besetzung

    der Stellvertreterstelle hat ein Schulleiter nicht.

    Über Frau Zastrows Amtsführung gibt es widersprüchliche Meinungen.

    Dass die Chemie in der Schulleitung nicht gestimmt habe, wie

    Herr Schwegler, der Koordinator, sagt, sei eine wohl wollende Umschreibung.

    Jetzt endlich, seit der Ankunft des Neuen, werde in den

    Leitungsteamsitzungen nicht mehr gebrüllt.

    Über Frau Zastrow ist nachzulesen, dass sie sich beim Schulamt über

    die Sekretärin beschwerte, weil die aus ihrer Ananasdose genascht

    hätte. Die Zusammenarbeit war für die Sekretärin so belastend, dass

    sie kreisrunden Haarausfall, eine Stresskrankheit, bekam. Frau Zastrow

    soll einmal im Sekretariat auf dem Boden gelegen und geschrieen

    haben, so dass man den Notarzt rufen musste. Sie habe gerne Stellen

    gezeigt, wo sie Abhörwanzen vermutete.

    Zwei Jahre nach ihrer Zwischenbeförderung stand die Ernennung

    bevor. Dahlheimer äußerte sich nicht eindeutig zur Frage der

    Bewährung. Seine laue Beurteilung löste im Schulamt Erstaunen aus.

    Jahrelang hatte er Klage über sie geführt. Jetzt konnte er sich Frau

    Zastrow als Stellvertreterin vorstellen. Es gibt Vermutungen, dass sie

    inzwischen zu viel von ihm wusste, als dass er ihre Nichtbewährung

    hätte vorschlagen können. Schließlich schob er eine negative Aktennotiz

    nach.

    Nachtrag: Mit Hilfe der Rechtsstelle der Lehrergewerkschaft wird

    Frau Zastrow drei Jahre mit dem Schulamt in Fehde wegen der

    ausgebliebenen Beförderung liegen.

    Einmal wollte Dahlheimer ihr eine Falle stellen. Er, ein „guter zweiter

    Mann", wie Herr Schwegler sagt, hatte den Stundenplan immer selbst

    gemacht. Einen Stundenplan, was meist Aufgabe der Stellvertreterin

    ist, hatte Frau Zastrow nie erstellen müssen.

    Vor zwei Jahren beauftragte er sie in den Sommerferien damit. Sie

    packte einen Schulcomputer in ihren Wagen, kam aber ohne Plan aus

    den Ferien zurück. Der Vorgänger musste in einem dreitägigen Marathon

    den Plan selbst machen.

    Anschließend war sie fast ein Schuljahr krank. Sie reichte wöchentlich

    Atteste ein, bis Dahlheimer sie nach Monaten entnervt bat, sich

    doch eine langfristige Erkrankung bescheinigen zu lassen. Im Folgenden

    Jahr kam sie zurück an die Schule, aus Gesundheitsgründen mit

    reduzierter Arbeitszeit, erhielt einen unterrichtsfreien Tag für Therapiestunden

    und späten täglichen Unterrichtsbeginn wegen morgendlicher

    gymnastischer Übungen. Außerdem hatte das Schulamt

    zur Beschleunigung ihrer Gesundung verfügt, dass sie nicht mit

    Schulleitungsaufgaben belastet werden dürfe. Inzwischen als behindert

    eingestuft, beantragte sie eine spezielle, ihrem Rückenleiden angepasste

    Arbeitsplatzausstattung. Sie erhielt sogar einen Sonderparkplatz

    auf dem Schulhof, der mit einem Gitter abgetrennt wurde.

    In dieser Situation, zu Beginn des 2. Schulhalbjahres, trifft der Neue

    ein. Er braucht Klarheit, ob die Stellvertreterin den Stundenplan fürs

    kommende Schuljahr macht. Er fragt im Februar, wie es um sie stehe.

    Sie legt sich nicht fest, ist aber zu allem bereit. Es gehe ihr schon viel

    besser. Aber ganz stabil sei ihre Gesundheit noch nicht. Sie könne

    nicht verhindern, dass sie gelegentlich ausfalle. Aber wenn sie wieder

    in der Schulleitung mitarbeite, sei klar, dass der Neue die Schule nach

    außen zu vertreten habe. Da werde sie ihm nicht reinreden. Der Neue

    ist überrascht, woran sie schon denkt. Er bittet sie, ihn möglichst frühzeitig

    zu informieren, wie es mit ihr weitergehe.

    Als der Neue Frau Zastrow einmal darauf anspricht, dass sie mit

    Elternfragen rechnen müsse, weil sie äußerst rigide „blaue Briefe" verschicke,

    gleichzeitig aber häufig gefehlt habe, bittet sie ihn, ihr das

    schriftlich zu geben. Der Neue betont, dass er dieses Gespräch kollegial

    führe, weil er besorgte Elternanrufe gehabt habe und ihr dies

    nicht verheimlichen wolle. Sie zieht daraufhin eine Statistik aus der

    Tasche und liest dem Neuen vor, aus welchen Gründen sie ihren

    Unterricht nicht habe halten können: Wandertag, Projekttag, und

    dann sei da noch die Jugendbüchervorstellung gewesen, die er, der

    Neue, angeordnet habe.

    Eine weitere Kollegin trifft der Neue in der Schulleitung an: Frau Melles.

    Sie erstellt aushilfsweise die Aufsichts-, Vertretungs- und Stundenpläne.

    Es gibt Stimmen im Kollegium, die sagen, dass die Schule

    noch nie so gute Pläne gehabt habe. Die Zusammenarbeit mit ihr ist

    vom ersten Moment an hervorragend. So geht der Neue durch die

    Schule, wundert sich, dass das Lehrerzimmer und die Flure voll sind,

    die Klassenräume leer, obwohl seit Minuten die fünfte Stunde angefangen

    hat. Da fordert Frau Melles bereits durch die Lautsprecher die

    Schülerinnen und Schüler auf, in die Klassen zu gehen.

    Der Status des Neuen ist brisant. Er nimmt Schulleitungsaufgaben

    wahr, ohne Schulleiter zu sein, ohne eine ministerielle Beauftragung

    zu haben. In ähnlichen Fällen wird der Leiter einer benachbarten Schule

    dienstverpflichtet. Ihm wird nahe gelegt, unauffällig zu agieren, niemanden

    im Kollegium zu verprellen, keine unpopulären Entscheidungen

    zu treffen, nichts zu verändern. Er versucht, dies Frau Melles

    zu erklären, die ihn des Öfteren auffordert, Missstände abzustellen.

    Sie ist auch für die Organisation des Haupt- und Realschulzweiges

    verantwortlich. Das ist auf Dauer nicht mit ihren Aufgaben beim

    Stunden- und Vertretungsplan zu vereinbaren, daher sucht der Neue

    nach weiteren Kolleginnen oder Kollegen, die in der Schulleitung

    mitarbeiten könnten. Frau Melles aber möchte die Zweigleitung

    behalten. Sie will sich als Stellvertreterin bewerben. Und diese Tätigkeit

    ist nützlich für eine Bewerbung.

    Der Neue beauftragt sie in Absprache mit dem Schulamt wesentliche

    Aufgaben einer Stellvertreterin wahrzunehmen. Das führt zu Irritationen

    im Kollegium, insbesondere bei den Anhängern der „teilkranken",

    von allen Schulleitungsaufgaben entbundenen Frau Zastrow.

    Frau Melles gibt zu verstehen, dass sie unter keinen Umständen

    gewillt sei, an der Schule zu bleiben, wenn Frau Zastrow wieder als

    Stellvertreterin arbeiten werde. Die jetzige Situation sei schon belastend

    genug. Das kann der Neue nur bestätigen. Ihm fällt auf, dass

    Frau Zastrow die Stimme senkt, wenn er das Lehrerzimmer betritt,

    dass sie ständig Notizen macht, bei Konferenzen von Anfang bis Ende

    mitschreibt. Obwohl schon im Mantel, bleibt sie eine Dreiviertelstunde

    im Lehrerzimmer, als der Neue mit dem Personalratsvorsitzenden

    über Gott und die Welt redet. In den Pausen schielt sie ständig ins

    Raucherzimmer, wo der Neue sich oft aufhält. Sein Tabakkonsum ist

    gestiegen, seit er an dieser Schule ist.

    Zur Schulleitung gehört auch Herr Schwegler, der Koordinator. Er hatte

    eine andere Schule wegen Fehlverhaltens verlassen müssen. Der

    Elternbeiratsvorsitzende nennt ihn Generalfeldmarschall. Er habe beim Schulfest

    die Eltern ganz schön herumkommandiert. Schwegler erzählt gelegentlich

    vom Militär, sein Ton bei Durchsagen ist schneidig. Die Schülerzeitungsredaktion

    befiehlt er in den Pausen häufig in sein Zimmer. Die Tür hat

    außen einen Knopf, keine Klinke. Man muss anklopfen oder, sofern

    man einen passenden Schlüssel

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