Psychiatrie & Psychotherapie für Heilpraktiker: Lehrbuch zur Prüfungsvorbereitung
Von Klaus Dieterich
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Über dieses E-Book
Klaus Dieterich
Dr. Klaus Dieterich, geb. 1960, ist Gestalt - und Hypnosetherapeut (Heilpraktiker für Psychotherapie) sowie Neurobiologe. Er studierte Biologie in Kaiserslautern, promovierte in der Pharmakologie der Universität Heidelberg und war danach in den USA und Deutschland in der Hirnforschung tätig. Danach arbeitete er an der Uniklinik Magdeburg als Laborleiter, als Medical Manager und Projektmanager in der klinischen Forschung der Pharmaindustrie. Seit über 10 Jahren ist er als Therapeut in eigener Praxis, als Seminarleiter und als Dozent für klinische Psychologie, Neurophysiologie, Psychopharmakologie und Psychotherapie tätig.
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Psychiatrie & Psychotherapie für Heilpraktiker - Klaus Dieterich
1. Grundlagen
1.1 Definitionen
In diesem Lehrbuch werden Sie mit einigen Begriffen konfrontiert, welche hier im Vorfeld erläutert werden sollen.
In der speziellen Psychopathologie (Krankheitslehre) werden die einzelnen psychiatrischen Erkrankungen dargestellt und erläutert. Dazu werden verschiedene Teilbereiche herangezogen, um die Krankheit zu beschreiben.
Die Definition erläutert zur wesentlichen Erfassung des Krankheitsbildes kurz die Erkrankung.
Die Epidemiologie macht statistische Aussagen über die Häufigkeit, Geschlechts- und Altersverteilung der Erkrankung in der Bevölkerung. Zur Epidemiologie gehören die Begriffe Morbidität und Mortalität. Unter Morbidität versteht man die Krankheitshäufigkeit bezogen auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe. Zur Morbidität zählen die Prävalenz und die Inzidenz. Hingegen bedeutet Mortalität die Sterblichkeitsrate einer bestimmten Erkrankung und gibt die Anzahl der Todesfälle im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in einem bestimmten Zeitraum (in der Regel 1 Jahr) wieder. Die Prävalenz ist ein Maß für die Häufigkeit einer Krankheit in der Bevölkerung und wird in der Regel in Prozent angegeben. Die Prävalenz ergibt sich, wenn man die Anzahl der Erkrankten durch die Anzahl der untersuchten Individuen zum Untersuchungszeitraum teilt. Die Prävalenz wird oft als Punktprävalenz wiedergegeben, das ist die Prävalenz zu einem bestimmten Zeitpunkt (an einem bestimmten Stichtag). Weiterhin gibt es die sogenannte Lebenszeitprävalenz, auch als Lebenszeitrisiko (life-time-risk) bezeichnet. Die Lebenszeitprävalenz bezeichnet die Prävalenz auf die gesamte Lebenszeit bezogen und ist somit ein Maß für die Wahrscheinlichkeit einmal im Leben an einer bestimmten Krankheit zu erkranken. Ein anderes Maß für die Krankheitshäufigkeit ist die sogenannte Inzidenz. Diese gibt die Zahl der Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum in der Bevölkerung an. Die Inzidenz ergibt sich, wenn man die Anzahl der neu Erkrankten durch die Anzahl der untersuchten Individuen in der betrachteten Zeitspanne dividiert. Die Inzidenz wird entweder in Prozent oder als Anzahl der Neuerkrankungen pro Jahr pro 100.000 Einwohner angegeben.
Die Ätiologie beschäftigt sich mit den Krankheitsursachen. Diese sind meist multifaktoriell bedingt, also von mehreren Faktoren abhängig.
Der Krankheitsverlauf beschreibt den Verlauf von Beginn bis Ende einer Krankheit bzw. bei chronischen Erkrankungen den zeitlichen Verlauf mit allen Schwankungen über die Lebensspanne betrachtet.
Die Prognose gibt Aufschluss über die Gesundungswahrscheinlichkeit und die Heilungschancen einer Krankheit.
Die Symptomatik beschreibt die zu der Erkrankung gehörigen Krankheitszeichen, den Symptomen, welche in der Diagnostik durch technische Hilfsmittel oder Verfahren (bildgebende Verfahren, Blutbild etc.) oder psychometrisch (durch psychologische Testverfahren) anhand von diagnostischen Richtlinien überprüft und bewertet werden. Als Syndrom bezeichnet man einen Komplex aus mehreren verschiedenen Symptomen, die für eine bestimmte Erkrankung charakteristisch sind.
Die Differentialdiagnostik beschreibt Erkrankungen mit ähnlicher bzw. identischer Symptomatik, welche beim Stellen der Diagnose ebenfalls als mögliche Ursache in Betracht gezogen werden müssen.
Komorbiditäten sind Erkrankungen, die zusätzlich zu einer definierten Grunderkrankung auftreten können. So ist die Grunderkrankung einer „Zwangsstörung" häufig assoziiert mit einer Angststörung als Begleiterkrankung. Zur Komorbidität einer Zwangsstörung gehören somit Angststörungen.
Die Therapie gibt die Heilbehandlungsmöglichkeiten an. In der Psychiatrie gehören dazu die Psychotherapie und die Psychopharmakotherapie oder kurz Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung).
1.2. Das psychotherapeutische Erstgespräch
Im psychotherapeutischen Erstgespräch, dem ersten Patientenkontakt des Therapeuten, sind neben dem Aufbau einer tragfähigen Beziehung vor allem drei Dinge wichtig:
• die Anamnese
• der psychische Befund
• die Diagnose
Das sind die Grundbausteine jeder psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Untersuchung, welche exploriert werden müssen.
1.2.1. Die Anamnese
Die Anamnese beschreibt die Krankengeschichte des Patienten und sollte folgende Informationen umfassen:
• Biografische Anamnese (Lebensgeschichte des Klienten)
• Familienanamnese (Familiensituation)
• Sozialanamnese (Freunde, Kontakte, Beziehungen)
• Somatische Anamnese (Krankengeschichte bzgl. körperlicher Erkrankungen, körperlicher Befund)
• Psychiatrische / psychotherapeutische Anamnese (frühere psychische Erkrankungen, auch anderer Familienangehöriger, sowie frühere Therapieversuche)
Eine eindeutige Diagnose kann nur im Kontext einer ausführlichen Anamnese gestellt werden.
1.2.2. Psychischer oder psychopathologischer Befund
Die Erhebung des psychopathologischen Befundes ist das Kernstück der psychiatrischen Diagnostik. Die Elementarfunktionen der Psyche (siehe Allgemeine Psychopathologie) bilden den Kern des psychopathologischen Befundes.
Beispiel eines psychopathologischen Befundes
1.2.3. Diagnose
Die Diagnose wird aufgrund der Informationen der Anamnese und der des psychischen Befundes erstellt und ist zunächst nur als eine vorläufige Diagnose zu betrachten. Man spricht daher auch von Arbeits- oder Verdachtsdiagnose. Denn im weiteren Behandlungsverlauf können neue Details zum Vorschein kommen, wodurch es notwendig werden kann, die vorläufige Diagnose zu revidieren.
1.3. Diagnosesysteme - psychiatrische Systematik
1.3.1. Triadisches System
Das triadische System basierte auf der ätiologischen Klassifikation psychischer Erkrankungen, wie es früher Verwendung fand und seit Einführung der neuen Klassifikationssysteme (siehe unten) nicht mehr in Gebrauch ist. Dabei wurden die psychischen Störungen in drei Kategorien eingeteilt, die sogenannte pathogenetische Trias:
• Exogene (organische) Störungen
Den exogenen Störungen liegen organische Ursachen zugrunde, eine Erkrankung des Gehirns oder andere körperliche Erkrankungen.
Zugehörige Erkrankungen sind beispielsweise:
• Demenz
• Delir
• Endogene Störungen
Bei den endogenen Störungen sind neben psychosozialen Faktoren primär biologische Anlagefaktoren an der Entstehung beteiligt.
Zugehörige Erkrankungen:
• Schizophrenie und wahnhafte Störungen
• Affektive Störungen
• Psychogene Störungen
Bei der Pathogenese der psychogenen Störungen spielen vorwiegend psychodynamische bzw. erlebnisreaktive Faktoren eine wichtige Rolle.
Zugehörige Erkrankungen sind beispielsweise:
• Belastungsstörungen & Anpassungsstörungen
• Angststörungen
• Zwangsstörungen
• Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
• somatoforme Störungen
• dissoziative Störungen
• Ess-, Schlaf- und sexuelle Störungen
1.3.2. Moderne Klassifikationssysteme
Weltweit existieren heute zwei diagnostische Klassifikationsmodelle für die Klassifizierung psychischer Störungen:
• das europäische Klassifikationssystem ICD-10 (International Classification of diseases in der 10. Überarbeitung, von der WHO herausgegeben)
• das amerikanische Klassifikationssystem DSM-V (diagnostic and statistical manual of mental disorders in der 5. Auflage, von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft, der APA, herausgegeben)
Bei beiden Systemen werden psychische Störungen nach phänomenologischen Gesichtspunkten (Symptomatik, Schweregrad, Krankheitsdauer und Verlauf) klassifiziert und nicht mehr nach ätiologischen Gesichtspunkten wie im triadischen System.
ICD-10
Die psychischen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten sind im Kapitel V der ICD-10 beschrieben und tragen den Kennbuchstaben F. Das Kapitel F enthält in 10 Unterkapiteln die10 Hauptgruppen, welche die Gesamtheit der heute bekannten psychischen Störungen umfassen.
Die erste Ziffer gibt das Unterkapitel und die zweite Ziffer eine gezielte Diagnose an. Diese Diagnose wird weiter eingegrenzt durch eine dritte Ziffer. Dazu folgt nach der zweiten Ziffer ein Punkt. Die dritte Ziffer (die erste nach dem Punkt) gibt eine Spezifizierung der Diagnose an. Die vierte Ziffer (die zweite nach dem Punkt) gibt entweder einen zeitlichen Verlauf an oder beschreibt Begleitumstände oder Begleitphänomene.
Die Unterkapitel von Kapitel V der ICD-10:
F0: Organische Störungen, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F1: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F3: Affektive Störungen
F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F5: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen oder Faktoren
F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F7: Intelligenzminderung
F8: Entwicklungsstörungen
F9: Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
Beispiel 1:
Das Unterkapitel F2 (Auszug):
Gezielte Diagnose durch die zweite Ziffer:
Weitere Spezifizierung der Schizophrenie durch die dritte Ziffer:
Verlaufsformen:
Spezifizierung der Schizophrenie durch Angaben des zeitlichen Verlaufs über die vierte Ziffer:
F20.x0 kontinuierlich
F20.x1 episodisch
F20.x2 episodisch, mit stabilem Residuum
Beispiel 2:
Das Unterkapitel F3 (Affektive Störungen, Auszug):
Gezielte Diagnose durch die zweite Ziffer:
F32 depressive Episode
Spezifizierung der depressiven Episode durch Angabe von Schweregraden (dritte Ziffer):
F 32.0 leichte depressive Episode
F 32.1 mittelgradige depressive Episode
F 32.2 schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome
F 32.3 schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen
Hinweis:
Die in den einzelnen Kapiteln des Buches in Klammern angegebenen Ziffern (F-Code) hinter der Bezeichnung der Störungsbilder entsprechen dem ICD-10-Diagnoseschlüssel.
DSM-V
Das DSM-V ist das psychiatrische Klassifikationssystem in den USA und wird von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) herausgegeben. Das DSM-V ist ein multiaxiales Klassifikationssystem und in 5 Achsen gegliedert. Die psychiatrischen Störungsbilder sind hierbei in insgesamt 16 Kategorien auf die Achsen I und II verteilt.
Die 5 Achsen des DSM-V:
Achse I: psychopathologische Störungen Achse II: Persönlichkeitsstörungen
Achse III: körperliche Erkrankungen, die für die Störungen der Achse I und II von Bedeutung sind
Achse IV: psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme, die psychische Störungen beeinflussen können
Achse V: Beurteilung des allgemeinen Funktionsniveaus des Patienten, wobei die Leistungsfähigkeit in den psychischen, sozialen und beruflichen Funktionen erfasst wird
2. Allgemeine Psychopathologie
Die Psychopathologie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie und beschäftigt sich mit den krankhaften (pathologischen) Veränderungen der Psyche im Bereich des Erlebens, Fühlens, Denkens und Handelns.
Man unterscheidet eine allgemeine und eine spezielle Psychopathologie. Die allgemeine Psychopathologie beschreibt allgemeine psychopathologische Phänomene in verschiedenen Funktionsbereichen (z.B. Sprache, Denken, Wahrnehmung, Affekt, Antrieb), die bei den verschiedensten psychiatrischen Störungen als charakteristische Symptome vorkommen können. Aufgabe der speziellen Psychopathologie ist die Klassifikation der psychischen Erkrankungen, sowie der für sie typischen Symptome. Die spezielle Psychopathologie beschäftigt sich mit den psychiatrischen Störungsbildern sowie deren Krankheitsursachen, Symptomen und den Behandlungsgrundlagen.
2.1 Elementarfunktionen der Psyche
Zur Untersuchung von psychischen Störungen werden in der Psychiatrie die psychischen Basisfunktionen, Grundqualitäten der Psyche, die man als Elementarfunktionen bezeichnet, ermittelt. Die Störungen dieser Elementarfunktionen weisen auf bestimmte psychische Erkrankungen hin und dienen als psychopathologische Kriterien bei der Erstellung der Diagnose. Zu den psychischen Elementarfunktionen zählen:
• Bewusstsein
• Orientierung
• Aufmerksamkeit, Konzentration, Auffassung
• Gedächtnis
• Denken
• Wahrnehmung
• Ich-Erleben
• Affekte
• Antrieb und Psychomotorik
• Kontaktverhalten (Sozialverhalten)
ferner:
• Intelligenz (in der Kinder- und Jugendpsychiatrie von Bedeutung)
Zur Erstellung der Erstdiagnose werden die Elementarfunktionen eruiert. Die Ergebnisse dieser Einschätzung ergeben den sogenannten psychopathologischen bzw. psychischen Befund. Zum psychischen Befund können noch weitere Parameter hinzukommen, wie z.B.:
• äußeres Erscheinungsbild
• Sprache bzw. Sprechverhalten
• Suizidalität
• Selbst- oder Fremdaggression
• Krankheitseinsicht und Therapiemotivation
• zirkadiane Besonderheiten (Schwankungen der Befindlichkeit und des Verhaltens des Kranken während der 24-h Periode)
• Prämorbide Persönlichkeit (Primärpersönlichkeit = wie war Klient vor der Erkrankung, als er noch gesund war)
2.2 Störungen der Elementarfunktionen
Nachfolgend werden die Störungen der einzelnen Elementarfunktionen beschrieben.
2.2.1 Bewusstseinsstörungen
Bewusstsein bezeichnet die Fähigkeit die aufgenommenen Sinnesreize aus der Umwelt und aus unserem Innern sowie unsere Gedanken bewusst wahrzunehmen. Nach Scharfetter¹ umfasst Bewusstsein die drei Qualitäten:
• Vigilanz
• Bewusstseinsklarheit
• Ich-Bewusstsein
Die Vigilanz ist die Wachheit bzw. der Wachheitsgrad und ist die Voraussetzung des klaren Bewusstseins. Die Bewusstseinsklarheit ist die Unversehrtheit unserer Sinneswahrnehmung, also die intakte Aufnahme von Sinnesreizen durch unsere 5 Sinne sowie die Unversehrtheit unseres Denkens. Das Ich-Bewusstsein ist die Gewissheit des wachen, bewusstseinsklaren Menschen (Ich bin ich)¹.
MERKE:
Die Bewusstseinsstörung ist das Leitsymptom bei akuten Funktionsstörungen des Gehirns wie z.B.:
• Schädel-Hirn-Traumata
• Infektionen
• Intoxikationen
• Blutungen
• Ischämien
Die Störungen des Bewusstseins werden in quantitative und qualitative Störungen differenziert.
2.2.1.1 Quantitative Bewusstseinsstörungen
Bei dieser Form der Bewusstseinsstörung steht die Vigilanzminderung als Beeinträchtigung der Bewusstseinsklarheit im Vordergrund. Nach zunehmendem Grad der Bewusstseinsstörung, entsprechend der Schlaf-Wach-Skala, unterscheidet man Benommenheit, Somnolenz, Sopor und Koma.
Benommenheit
Phänomenologie:
• Vigilanz und Bewusstseinsklarheit sind leicht eingeschränkt, daher Verlangsamung von Denken und Handeln
• Reaktionsverlangsamung
• Patient ist leicht schläfrig, jedoch durch Ansprechen leicht weckbar
Vorkommen:
Rauschzustände, leichte Intoxikationen, verschiedene hirnorganische Störungen. Es müssen nicht unbedingt krankhafte Ursachen vorliegen. So kann leichte Müdigkeit in Zusammenhang mit Alkohol beispielsweise schon zu einer Benommenheit führen.
Somnolenz
Phänomenologie:
• Patient ist schläfrig und sehr apathisch
• Nur durch lautes Ansprechen oder Anfassen weckbar
• Reflexe ungestört. Muskeltonus leicht reduziert.
• Gute und gezielte Abwehrreflexe vorhanden
Vorkommen:
Intoxikationen, endokrine und metabolische Funktionsstörungen, Fieber, Trancezustände, starke Erschöpfung.
Sopor
Phänomenologie:
• Patient befindet sich in tiefem Schlaf bzw. schlafähnlichem Zustand
• Nur durch starke Weckreize wie Schütteln oder Zwicken erweckbar, danach desorientiert und keine sprachlichen Äußerungen
• Reflexe ungestört. Muskeltonus reduziert
• Ausweich- und Korrekturbewegungen sind deutlich reduziert
• grobe aber ungerichtete Abwehrreflexe
Vorkommen:
Erhöhter Hirndruck, Enzephalitits, Hirnblutung, schwere Intoxikationen sowie nach epileptischen Anfällen.
Koma
Das Koma bezeichnet einen Zustand tiefster Bewusstlosigkeit ohne Erweckbarkeit. Das Koma ist durch äußere Reize nicht mehr zu beeinflussen und die Reflextätigkeit ist erloschen. Als Sonderform ist das Wachkoma (Coma vigile) zu nennen. Es wird auch als apallisches Syndrom bezeichnet. Der Patient ist dabei wach, bei geöffneten Augen, zeigt jedoch keinerlei Bewegungen, keine Blickfixierung und keine Lautäußerungen. Die vegetativen Funktionen wie Atmung und Herzschlag hingegen sind vollkommen intakt. Die Patienten reagieren meistens auf Reflexe. Beim Wachkoma-Patienten ist sozusagen das Stammhirn, das Herzschlag, Atmung und Schlaf reguliert, intakt, aber das Großhirn in der Funktion gestört. Bei manchen Patienten tritt irgendwann das sogenannte Remissionsstadium ein, in der sie zunehmend wieder auf Zuwendung und Ansprache reagieren.
Phänomenologie:
• Bewusstlosigkeit
• Durch stärkste Weckreize nicht erweckbar
• Keine Abwehrreflexe vorhanden
Vorkommen:
Schwere Intoxikationen, schwere Infektionen, akute Hirnschädigungen und Hirnblutungen, zerebrale Gefäßverschlüsse, starke endokrine und metabolische Entgleisungen, kreislaufbedingte Anoxie, Schock und beim großen epileptischen Anfall (Grand mal).
MERKE:
Quantitative Bewusstseinsstörungen haben meist eine organische Ursache.
2.2.1.2 Qualitative Bewusstseinsstörungen
Hier werden Störungen, die mit einer Trübung, Einengung oder Verschiebung des Bewusstseins einhergehen, verstanden und wie folgt eingeteilt:
Bewusstseinstrübung
Phänomenologie:
• die Klarheit des Erlebens (Wahrnehmungsklarheit) ist reduziert
• Denken, Handeln und Kommunikation sind gestört bzw. verworren
• Verlust des Erlebenszusammenhanges (Zusammenhänge werden nicht mehr logisch wahrgenommen und das Denken ist unzusammenhängend)
Vorkommen:
Unter Einfluss von Drogen, Medikamenten, auch bei organisch bedingten psychischen Erkrankungen. Die Bewusstseinstrübung findet sich häufig bei frisch operierten Patienten im Delir.
Bewusstseinseinengung
Phänomenologie:
• Einengung des Bewusstseins
• nach innen gerichtete Aufmerksamkeit
• vermindertes Ansprechen auf Außenreize
• traumhaftes Erleben
Vorkommen:
Alle Zustände, bei denen eine Fokussierung auf ein bestimmtes Erleben dominiert, beispielsweise bei einer monotonen bzw. längeren Autobahnfahrt oder bei Trancezuständen. Als klinisches Beispiel ist der epileptische Dämmerzustand zu nennen.
Bewusstseinsverschiebung / -erweiterung
Die Bewusstseinserweiterung wird oft auch als Bewusstseinsverschiebung bezeichnet.
Phänomenologie:
• Intensivere Sinneswahrnehmungen (Gefühl von Intensitäts – und Helligkeitssteigerung) mit Bewusstseinssteigerung bezüglich Wachheit und Wahrnehmung (wird als besonders klar und hell erlebt)
• tiefere und intensivere Raum-Zeitwahrnehmung
• das Bewusstsein wird als erweitert erlebt
Vorkommen:
Nach Einnahme psychoaktiver Substanzen (Drogenrausch), bei manischen Zuständen, Schizophrenie und bei kontemplativen Techniken (z.B. Meditation)
2.2.1.3 Syndrome mit quantitativen bzw. qualitativen Bewusstseinsstörungen
Nachfolgend finden Sie eine kurze Übersicht über die wichtigsten Syndrome mit quantitativen und qualitativen Bewusstseinsstörungen. Einige dieser Störungen finden Sie auch im Kapitel „Organisch bedingte psychische Störungen" wieder.
Delir
Das Delir ist eine akute organisch psychotische Störung mit quantitativen und qualitativen Bewusstseinsstörungen.
Phänomenologie:
• Bewusstseinstrübung
• Verwirrtheit und Desorientierung
• Wahnideen
• Wahrnehmungsstörungen (vorwiegend optische Halluzinationen)
• häufig vegetative Symptomen
• psychomotorische Veränderungen (Erregung, Agitation, Nesteln)
• Reizbarkeit
Vorkommen:
Meist bei Alkohol-Entzug, Intoxikationen z.B. durch Medikamente und organischen Erkrankungen.
Amentielles Syndrom (Verwirrtheitszustand)
Das amentielle Syndrom ist eine Störung mit akuter Verwirrtheit, Desorientiertheit, formalen Denkstörungen und leichter quantitativer Bewusstseinsbeeinträchtigung.
Phänomenologie:
• Akute Verwirrtheit und Desorientierung
• Auffassungs- und Konzentrationsstörungen
• Denkstörungen wie z.B. inkohärentes Denken
• nicht oder nur leicht beeinträchtigte Bewusstseinslage
• ängstliche Gestimmtheit
• Rat- und Kritiklosigkeit
• Erregung und motorische Unruhe
• Nach dem Abklingen besteht oft eine Amnesie für das Erlebte
Vorkommen:
organisch bedingte Psychosen, Hirnerkrankungen, Hirnschädigungen, Hirndurchblutungsstörungen, Intoxikationen
Oneiroid
Das Oneiroid oder oneiroide Syndrom bezeichnet den Zustand einer traumhaften Verworrenheit und ist nur unscharf vom Delir abgrenzbar.
Phänomenologie:
• Traum - oder tranceartige Zustand (Patient ist wie in einem tiefen Trancezustand)
• Verwirrtheitszustand mit leichter Bewusstseinstrübung
• Orientierung ist beeinträchtigt
• illusionäre Verkennung
• Meist mit lebhaften und fantastischen Sinnestäuschungen, auch mit wahnhaftem Erleben
• Irreales Erleben mit intensiven Gefühlen wie Begeisterung, Entsetzen oder Faszination
• Patient ist auf sich bezogen, gefühlsmäßig versunken und regungslos
• Meist gefolgt von einer Amnesie
Vorkommen:
Bei der akuten schizophrenen Psychose (siehe Schizophrenie), bei der Epilepsie oder bei organischen Psychosen (wie z.B. bei Intoxikationen durch Drogen oder Medikamenten).
Dämmerzustand
Phänomenologie:
• Nach außen wirkt der Patient geordnet und besonnen
• Bewusstseinseinengung auf das innere Erleben, eingeengte Aufmerksamkeit
• Häufig illusionäre Verkennung der Umgebung oder halluzinatorische Wahrnehmungsstörungen
• Verlangsamter oder gesteigerter Antrieb
• Handlungsfähigkeit des Patienten bleibt im Großen und Ganzen erhalten
• Es besteht anschließend eine Amnesie für die Zeit des pathologischen Zustandes
• Der Dämmerzustand endet meistens mit Schlaf
Vorkommen:
Der Dämmerzustand kommt recht selten vor und findet sich z.B. bei der Epilepsie und beim Schädel-Hirn-Trauma. Bei der Epilepsie tritt er nach dem epileptischen Anfall als epileptischer Dämmerzustand auf, der Stunden, Tage oder länger anhalten kann. Auch bei Rauschzuständen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss kann es zu einem Dämmerzustand kommen.
2.2.2 Orientierungsstörungen
Orientierung ist die Fähigkeit, sich selbst sowie die Situation, in der man sich befindet, einzuordnen. Ist die Orientierung gestört, fehlen uns alle oder nur bestimmte Informationen zu unserem derzeitigen Zustand wie Ort, Zeit, Situation oder Person. Die 4 Qualitäten der Orientierung sind:
• Zeit
• Situation
• Ort
• eigene Person
Die entsprechende Desorientiertheit zu diesen Qualitäten nennt man:
• Zeitliche Desorientierung:
Der Patient weiß das Datum, den Tag, das Jahr oder die Jahreszeit nicht.
• Örtliche Desorientierung:
Der Patient weiß nicht, wo er sich befindet.
• Situative Desorientierung:
Der Patient erfasst die Situation nicht, in der er sich befindet.
• Desorientierung zur eigenen Person:
Der Patient weiß nicht mehr, wer er ist. Sein Name, sein Geburtstag oder seine Herkunft hat er vergessen.
Vorkommen:
Die Ursachen der Orientierungsstörungen sind meist organisch begründet: Delir (Alkoholdelir z.B.), Korsakow-Syndrom, dementieile Syndrome.
MERKE:
Orientierungsstörungen treten meist in folgender Reihenfolge auf: Zeit-Situation-Ort-Person (ZSOP).
Zuallererst ist die zeitliche Orientierung gestört, die Orientierung zur eigenen Person bleibt bis zum Schluss erhalten. Wenn die Orientierung zur eigenen Person gestört ist, sind immer auch alle anderen Orientierungsqualitäten beeinträchtigt.
Prüfung der Orientierung:
Durch Fragen zu den einzelnen Qualitäten, wie z.B.:
• Wie heißen Sie? Wie alt sind Sie? Wann wurden Sie geboren?
• Welches Datum oder welche Jahreszeit haben wir heute?
• In welcher Stadt befinden wir uns?
• In welcher Einrichtung befinden wir uns hier?
• Wer bin ich und was denken Sie, welchen Beruf ich habe?
• Warum sind Sie heute hier?
Die entsprechenden Fragen sollten in das Gesamtgespräch eingebunden und so versteckt sein, dass der Patient sich nicht kompromittiert fühlt.
2.2.3 Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Auffassungsstörungen
Aufmerksamkeitsstörungen
Bei einer Aufmerksamkeitsstörung ist die Aufnahme von Wahrnehmungsinformationen in Umfang und Intensität und damit die Ausrichtung des Bewusstseins auf einen Sachverhalt beeinträchtigt.
Konzentrationsstörungen
Bei einer Konzentrationsstörung ist die geistige Hinwendung auf eine Tätigkeit, einen bestimmten Gegenstand oder Sachverhalt gestört und kann nicht über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden.
Prüfung von Aufmerksamkeit und Konzentration:
• Rückwärts rechnen: Von 100 fortlaufend 7 oder 3 subtrahieren lassen (hierbei Differentialdiagnose Dyskalkulie beachten)
• Worte buchstabieren lassen (vorwärts und / oder rückwärts)
• Wochentage oder Monatsnamen rückwärts aufzählen lassen
• Stroop-Test (hier sind die Farben, in der die Worte geschrieben sind, zu nennen, aber nicht die Worte selbst, was einige Konzentration verlangt)
Beispiel Stroop-Test
Auffassungsstörungen
Bei einer Auffassungsstörung können Wahrnehmungen nach Sinn und Bedeutung nicht mehr korrekt begriffen und eingeordnet werden. Die Auffassung kann dabei falsch oder verlangsamt sein oder vollständig fehlen.
Prüfung der Auffassung:
• während des allgemeinen Gesprächsverlaufs (Gesprächskontext)
• Sinn eines Sprichwortes erklären lassen (Sprichworttest)
• Fabel erzählen und diese wiedergeben lassen
• Bildgeschichten wiedergeben und interpretieren lassen
Vorkommen von Aufmerksamkeits- Konzentrations- und Auffassungsstörungen
Schizophrenie, Depression und organische Psychosen (Demenz, Schädel-Hirn-Trauma etc.), chronischer Alkoholmissbrauch. Kommt auch bei nicht pathologischen Zuständen wie beispielsweise Müdigkeit oder psychischer Belastung vor.
2.2.4 Gedächtnisstörungen
Bei den Gedächtnisfunktionen (mnestische Funktionen) unterscheidet man Merkfähigkeit und Erinnerung. Merkfähigkeit bedeutet die Fähigkeit neue Informationen zu speichern, während Erinnern das Abrufen von gespeicherten Informationen beschreibt.
Die Störung der verschiedenen Grundfunktionen gibt wichtige Hinweise auf die Art der Störung sowie auf die Prognose und Therapie. Besonders Störungen des Bewusstseins, der Orientierung und der Merkfähigkeit lassen an eine organische Störung denken. Diese muss grundsätzlich medizinisch abgeklärt werden (z.B. Computertomographie, Labordiagnostik).
Vorkommen der Gedächtnisstörungen
Organische Psychosen (z.B. Delir, Demenz, amnestisches Syndrom), Suchtstörungen (Korsakow-Syndrom), Depressionen (Pseudodemenz)
A) Merkfähigkeitsstörungen
Bei der Störung der Merkfähigkeit ist die Fähigkeit, neue Informationen zu speichern, beeinträchtigt. Bei der Merkfähigkeitstörung handelt es sich um eine Störung des Frischgedächtnisses (Kurzzeitgedächtnis). Der Patient hat dabei Probleme sich neue Informationen über einen Zeitraum von ca. 10 Minuten zu merken.
Prüfung des Kurzzeitgedächtnisses:
• 3 Wörter merken lassen, nach 10 min abfragen
• 4-6 Zahlen vorsprechen und in umgekehrter Reihenfolge wiederholen lassen
Beispiel: Ein Patient fragt im Gespräch etwa alle 10 Minuten den Psychiater wer er denn eigentlich sei. Wegen einer Merkfähigkeitsstörung (z.B. ein amnestisches Syndrom) kann sich der Patient nichts mehr einprägen.
B) Erinnerungsstörungen
Bei der Störung der Erinnerung ist die Fähigkeit, frühere Erfahrungen abzurufen beeinträchtigt oder sie fehlt ganz. Es handelt sich also um Störungen beim Wiedererinnern gespeicherter Inhalte. Erinnerungsstörungen sind somit Störungen des Altgedächtnisses (Langzeitgedächtnisses). Bei entsprechenden Störungen ist die Fähigkeit, sich an länger als 10 Minuten zurückliegende Inhalte und Eindrücke zu erinnern, gestört oder aufgehoben.
MERKE:
Gedächtnisstörungen sind ein Leitsymptom der organischen Psychosyndrome.
Prüfung des Langzeitgedächtnisses (Altgedächtnisses):
• Therapeut fragt biographische Daten aus der Anamnese ab (z.B. Familienstand, Beruf, Herkunft, Eltern)
• Fragen: „Wie schätzen Sie Ihr Gedächtnis ein? „Vermissen Sie z.Z. vermehrt Dinge?
„Haben Sie Schwierigkeiten, sich etwas zu merken – ein Beispiel?"
Beispiel: Ein an Alzheimer-Demenz erkrankter Patient hat vergessen, wie seine Kinder heißen und erinnert sich nur noch bruchstückhaft an seine Lebensgeschichte.
Es werden vielgestaltige Erinnerungsstörungen unterschieden:
Amnesie
Zeitlich und inhaltlich begrenzte Erinnerungslücke. Man unterscheidet folgende Formen:
• totale oder partielle Amnesie (komplette Erinnerungslücke oder bruchstückhafte Erinnerung, bei der nur Teile eines Ereignisses erinnert werden)
• retrograde Amnesie (Erinnerungslücke vor dem schädigenden Ereignis)
Beispiel: Nach einem Unfall mit Schädel-Hirn-Trauma erinnert sich ein Patient nicht mehr an die Geschehnisse vor dem Unfall.
• kongrade Amnesie (Erinnerungslücke für die Dauer des schädigenden Ereignisses)
Beispiel: Nach einem Unfall erinnert sich ein Patient nicht mehr an die Geschehnisse während des Unfalls. Alle Erinnerungen vor und nach diesem Zeitraum sind intakt.
• anterograde Amnesie (Erinnerungslücke nach dem schädigenden Ereignis)
Beispiel: Nach einem Unfall mit Schädel-Hirn-Trauma erinnert sich ein Patient nicht mehr an die Geschehnisse in den Wochen nach dem Unfall.
Vorkommen
Schädel-Hirntrauma, zerebrale Infarkte, hypoxische Schädigungen des Gehirns (z.B. nach Kohlenmonoxid-Vergiftung, nach Strangulation), Wernicke-Korsakow-Syndrom, dissoziative Amnesie
Hypomnesie
Bezeichnet eine herabgesetzte Erinnerungsfähigkeit.
Hypermnesie
Bezeichnet eine gesteigerte Erinnerungsfähigkeit.
Vorkommen
Ursachen für eine Hypermnesie: Hirntraumen, Hirnerkrankungen, Drogen, Fieberzustände oder bei einem Nahtodeserlebnis. Hypermnesie wird auch bei manchen Autisten mit dem sogenannten Savant-Syndrom beobachtet. Hypermnestische Zustände sind aber auch im Traum und unter Hypnose möglich.
Paramnesie
Hier handelt es sich um Gedächtnisstörungen mit verfälschten Erinnerungen. Man spricht auch von sogenannten Trugerinnerungen, Erinnerungstäuschungen oder Gedächtnisillusionen. Zu den Paramnesien zählen folgende Phänomene:
Vorkommen
im normalpsychischen Bereich, Störungen mit Wahnsymptomatik
Ekmnesie
Bei der Ekmnesie handelt es sich um sogenannte Zeitgitterstörungen, eine Störung des Zeiterlebens, bei der die zeitliche Einordnung von Erlebnissen in das normale Zeitgitter, bestehend aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, gestört ist. So können biographische Ereignisse nicht mehr oder nicht mehr richtig zugeordnet werden. Beispielsweise werden lang vergangene Ereignisse so erlebt oder erinnert, als seien sie erst kürzlich passiert.
Beispiel: Ein 88-jähriger demenzerkrankter Patient will seinen Vater besuchen, um ihm bei der Feldarbeit zu helfen. Der Vater ist natürlich schon lange tot. Er half ihm damals schon früh bei der Arbeit auf dem Bauernhof. Diesen Teil der Vergangenheit erlebt er als Gegenwart.
Vorkommen
dementielle Syndrome
Konfabulationen
Es handelt sich hier um konstruierte Erinnerungen an Situationen und Gegebenheiten, die nie passiert sind. Dabei werden Gedächtnislücken unbewusst mit der Phantasie des Patienten ausgefüllt.
Vorkommen
Konfabulationen sind typisch beim Korsakow-Syndrom und bei degenerativen zerebralen Erkrankungen.
2.2.5 Denkstörungen
Denkstörungen werden unterteilt in formale und inhaltliche Störungen des Denkens.
2.2.5.1 Formale Denkstörungen
Formale Denkstörungen beeinflussen die Art und Weise, wie wir denken. Der Denkablauf kann beispielsweise gehemmt oder eingeengt sein. Man unterscheidet:
Denkverlangsamung
Der Gedankengang ist verlangsamt, mühsam und schleppend.
Vorkommen
Bei organisch bedingten Psychosen, depressiven Syndromen oder bei Übermüdung.
Beispiel: Ein Patient teilt mit, dass er bei einem Gespräch nach kurzer Zeit dem Gesprächsverlauf nicht mehr folgen kann, weil er sich dabei zu sehr anstrengen muss. Sein Denken sei so langsam und schwerfällig.
Denkhemmung
Der Denkablauf ist mühsam und erschwert, zäh und träge, ohne Einfälle. Im Gegensatz zur Denkverlangsamung steht bei der Denkhemmung das subjektive Empfinden eines inneren Widerstands, welches das Denken bremst, im Vordergrund. Das Sprechen ist erschwert und schleppend mit monotonen und einfallsarmen Inhalten.
Vorkommen
Depression, Schizophrenie und organisch bedingte Psychosen
Beispiel: Ein Patient klagt, dass er mit seinen Gedanken einfach nicht weiter kommt, als denke er gegen einen Widerstand, als würden seine Gedanken vor einem Stoppschild halt machen².
Umständliches Denken
Nebensächliche bzw. unwichtige Details können nicht von wesentlichen Inhalten getrennt werden. Das Denken ist daher sehr weitschweifig, erreicht aber nach Umwegen sein Ziel.
Vorkommen
Schizophrenie, Manie, organisch bedingte Psychosen
Eingeengtes Denken
Wird auch als inhaltliche Perseveration bezeichnet. Der Patient ist nur auf wenige Denkinhalte fixiert und sein Denken haftet an nur einem oder wenigen Themen.
Es handelt sich somit um eine Einschränkung des inhaltlichen Denkumfangs. Alles, was nicht zu diesem Thema gehört wird ignoriert oder wahnhaft verkannt, d.h. zum Thema gehörend uminterpretiert.
Vorkommen
Depressionen
Beispiel: Ein Patient beschäftigt sich ständig mit der verbalen Verletzung durch einen Freund, der ihn beleidigt hat.
Gedankensperrung / Denksperrung
Die Gedankensperrung oder Denksperrung wird in der Literatur auch als Gedankenabreißen oder Gedankenabbrechen bezeichnet. Die Gedankensperrung bezeichnet eine plötzliche Unterbrechung des Denkablaufs. Der flüssige Gedankengang bricht dabei ohne erkennbaren Grund mitten im Fluss ab, der Patient hat sozusagen den Faden verloren. Äußerlich erkennbar als plötzliches unmotiviertes Stocken des Patienten im Gespräch.
Vorkommen
Typischerweise kommt dieses Phänomen bei der Schizophrenie vor (z.B. in Form des Gedankenentzugs).
Beispiel: Ein schizophrener Patient hält mitten im Satz inne und meint, dass er nicht weiterreden könne, da ihm der Gedanke plötzlich gestohlen wurde³.
Perseveration
Die Perseveration ist eine Sprachstereotypie, ein krankhaftes Haften an Worten und Denkinhalten, wobei alles nur eintönig um ein bestimmtes Thema kreist. Dabei handelt es sich um die Wiederholung gleicher Worte, Fragen, Befürchtungen, Redewendungen und Denkinhalten, auch wenn sie im aktuellen Kontext nicht mehr sinnvoll sind.
Vorkommen
Dieses Phänomen ist typisch vor allem bei Depressionen und bei dementiellen Syndromen.
Beispiel: Ein demenzerkrankter 86-jähriger Patient wiederholt ständig wie kalt es draußen doch sei und man am besten zu Hause bleiben solle.
Neologismen
Hier handelt es sich um Wortneuschöpfungen des Patienten. Diese können einzelne Wörter, Wortgruppen oder ganze Sätze betreffen. Diese Neuschöpfungen sind Erfindungen des Patienten, die in der Sprache nicht existieren und daher oft nicht oder nicht unmittelbar verständlich sind. Der Sinn ergibt sich dann meist nur aus dem Gesprächskontext. Gelegentlich in Zusammenhang mit der Verbigeration auftretend.
Vorkommen: Schizophrenie
Beispiel: Ein schizophrener Patient berichtet: „Da kamen dann die Männer und wrubagen mich zu Todesschreck. Ganz herum, ohne Wenn und Halt. Bagen mich zum Ende mit Schreck."
Verbigeration
Bezeichnet ein ständiges und sinnloses, oft auch rhythmisches Wiederholen von Wörtern oder Wortbruchstücken (Silben). Dabei können auch Neologismen gebildet werden.
Vorkommen: Schizophrenie
Grübeln (zirkuläres Denken)
Ständige Beschäftigung mit unangenehmen, belastenden oder quälenden Gedanken. Die kreisenden Gedanken werden als ich-zugehörig erlebt und beziehen sich auf die aktuelle Lebenssituation des Patienten. Es findet keine konstruktive Auseinandersetzung der Gedanken statt.
Vorkommen: Depression, organische Psychosen
Beispiel: Eine Patientin macht sich ständig Sorgen um ihre finanzielle Sicherheit, obwohl es dafür keine objektiven Gründe gibt. Es belastet sie sehr, dass sie an nichts anderes mehr denken kann und ihre Gedanken nur noch um dieses Thema kreisen⁴.
Gedankendrängen
Gedanken, Einfälle und Ideen stellen sich ungewollt ein, drängen sich auf, ohne Beeinflussungsmöglichkeit durch den Patienten.
Vorkommen: Manie, Schizophrenie
Ideenflucht
Die Ideenflucht ist eine Beschleunigung der Denkabläufe und eine Steigerung des Gedankendrängens mit sehr schnellen, einfallsreichen und verworrenen Gedankengängen. Das Denken ist dabei nicht mehr zielorientiert. Durch die zahlreichen Assoziationen des Patienten wechselt das Denkziel ständig.
Vorkommen: Manie, Schizophrenie, Rauschzuständen, ekstatische Zustände
MERKE:
Die Ideenflucht ist das Leitsymptom der Manie
Beispiel: Ein Patient erzählt erst über seine Arbeit, sieht dann einen Pfleger und lässt seine Gedanken über diesen freien Lauf. Anschließend beschreibt und beurteilt er den Psychiater, um dann schließlich zu Verbesserungsvorschlägen des Pflegebetriebs zu kommen. Auf die Frage nach psychischen Erkrankungen in der Familie antwortet er, dass seine Familie immer mal wieder krank gewesen sei, dass der Körper die Psyche krank mache und umgekehrt. Er berichtet, dass seine Mutter Krebs hatte und fragt den Psychiater, ob er lieber Krebs oder Hummer esse. Krustentiere seien nicht einfach zu essen und man bräuchte besseres Besteck dazu. Letztendlich äußert er Ideen für die Wahl neuen Bestecks für die Eröffnung der Schale bei Krustentieren⁵.
Vorbeireden
Der Patient versteht zwar die ihm gestellten Fragen, geht auf diese jedoch nicht ein und und redet inhaltlich über etwas Anderes, gleitet inhaltlich ab.
Vorkommen: Schizophrenie
Zerfahrenes (inkohärentes) Denken
Die auch als Denkzerfahrenheit oder Denkinkohärenz genannte Störung beschreibt ein ziellos-verworrenes und zusammenhangloses Denken. Es handelt sich um dissoziative Gedankengänge, bei denen der Zusammenhang im Denkfluss gestört ist. Das Denken ist zerrissen, sprunghaft und logische sowie assoziative Verknüpfungen fehlen. Man spricht auch von einem dissoziativen Gedankengang oder von assoziativ gelockertem Denken.
Bei der Denkinkohärenz kann man verschiedene Formen der Zerfahrenheit unterscheiden. Bei der leichten Form der Denkinkohärenz ist der Satzbau noch intakt (Paralogik), während er bei schwereren Formen zerstört ist (Paragrammatismus) bis hin zum Wortsalat mit einem Wirrwarr aus unverständlichen und sinnlosen Wörtern und Silben (Schizophasie, Sprachzerfall).
Vorkommen: Schizophrenie
Beispiel: Ein Patient berichtet: „Sehr wahrscheinlich haben sie gehört, wie sie das Gehirn abziehen…man will probieren, mir den Weltuntergang zu stoppen…Himmelwind und Wetter und dass die Leute in andere Stimmung kommen, das nenne ich absegmentieren. Auch der Hauswind, das Kraftsegmentierung…ich sag das Morden, ich hätte Hypnose produzieren sollen."⁶
2.2.5.2 Inhaltliche Denkstörungen
Inhaltliche Denkstörungen beziehen sich auf das, was wir denken. Zu den inhaltlichen Denkstörungen zählen:
• Wahn
• Zwang
• Überwertige Ideen
MERKE:
Die häufigsten inhaltlichen Denkstörungen sind Wahn oder Zwang.
A) Wahn
Definition
Wahn ist eine inhaltlich falsche, irreale,