Abfall der Lust: Die Impotenz des Mannes
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Über dieses E-Book
Christoph Geissmar
Christoph Geissmar ist Kunsthistoriker, Kurator und Autor sehr verschiedener Bücher. Er lebte an ganz unterschiedlichen Plätzen, in London, New York und Wien, aber auch in der Lüneburger Heide in einem Dorf. Jetzt arbeitet er in Berlin-Prenzlauer Berg.
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Buchvorschau
Abfall der Lust - Christoph Geissmar
Für Ines
Christoph Geissmar
Abfall der Lust
Die Impotenz des Mannes
Eine Novelle
Inhalt
A Prolog
Bilderlosigkeit – Ahnungslosigkeit
Gewächse
B Pierre
Wege
Der Körper und sein Pierre – wer er ist
Bericht vom Blumenkohl
Die Distanz von der Welt und von den Leibern
Allein mit dem Trieb – die Permanenz des Wollens
Der Luststau nach innen gewandt
Wiederkehrende Erinnerungen
Der Busen – der Po
Der Tod - das sterbende Glied
Gewalt
Fixierung, Eindringen
Pierre geht unter
Lache!
C Geschehnisse
Das tote Kind
Generationen verleben – Schönheit vergehen lassen
Kastration – Sterilisierung – Angst vor Kindern
Karriere machen ohne Kinder – ein Vorwurf
Der Mann als Mutter – Kinder und Männer
Abgeschnitten von den Kinderwelten
Die konstante Nebenlinie
Sichtbeziehungen
Projektionsflächen
Ästhetische Unentschlossenheit
Banalität
Frauen am Drücker
Das Feuer des Feminismus
Die Wiederkehr eines alten Mannes: der Vater
D Frauen
Nähe, Häute
Vorbilder
Verbunden
Der Typ Berit
Polyamorie
Sprösslinge
Die ausgeschlossene Lüge und Leugnen
Das Cécile Wesen
Körperzeichen
E Umgebungen
Abbreviation
Zur Liebe per Datenbank
Das pornographische Bild
Die blaue Pille – Steifheit today
Der süße Druck
Geschmeckte Lust
Dauerkontakt
Aufgelöst im Fluss
Wie befreit sich Pierre?
A Prolog
Bilderlosigkeit – Ahnungslosigkeit
Von der Impotenz gibt es keine Bilder. Das ist seltsam, weil das Thema seit Jahrtausenden so viele Männer betrifft. Es existiert trotzdem kein Mythos, keine Idee, denn es ist ein Tabu über Schwäche zu sprechen – doch könnte das gut sein. Dennoch gibt es keine Abbildung, keinen Akt, ein Versagen der Bilderwelt. Das Denken über Impotenz offenbart eine Lücke. Es ist eine Normalität, die nicht vorkommt. Üblicherweise sprechen Pierre und sein ganzes Fach, die Kunsthistoriker und Image People über das, was sie auf Bildern sehen, aber nicht darüber, was sie nicht sehen. Sie reden über etwas Abgebildetes, etwas Vorhandenes. Sie beschreiben, ordnen, deuten seit mehr als 150 Jahren Sichtbares. Aber Pierre möchte sich erklären können, warum es für die Impotenz keine Bilder und einen entsprechenden historischen Wandel gibt. Wo ein Void, Nicht-Existentes, der Geschichte und der eigenen Disziplin zu orten ist.
Seltsam ist, dass Impotenz nicht greifbar ist, obwohl alle davon wissen und sie selbst erfahren. Ohne dass man sich ein Bild von ihnen machen kann, existieren diese Emotionen des In-der-Watte-Seins; aber ihre Eindringlichkeit endet an der Schädelgrenze. Die Impotenz ist dennoch ein gewaltiger Beweger.
Pierre kennt das – man schließt sie im Handeln aus, aber sie bleibt Hintergrund jeder Aktion – die so oft vorgestellte unsichtbare Kraft jenseits des Bildes des tosenden Liebens und Ermüdens im täglichen Bett, den Wunschträumen eines körperlichen Umfangs. Impotenz, Kraftlosigkeit ist auch ein Prinzip, etwas, was aus der Welt auf die ahnungslosen Körper- und Gedankenhülsen zukommt. Sie mag stärker sein als Bilder. Ohne das Bild vor sich zu haben, beginnt der Tag für Pierre mit der Vorahnung einer Möglichkeit: der des Scheiterns seiner gedanklichen Versuche. Sein Körper und die ihm in der Konkurrenz der anderen attestierte Kraftschwäche hat sich noch gar nicht bewegt, da weiß er schon, dass er gegen die Welt ein Bild entwerfen muss, das seiner Existenz in Unvollkommenheit trotz seiner Fähigkeiten entspricht. Was sein Gedächtnis als Lücke speichert, erscheint frühmorgens als Unzulänglichkeit, vorhersehbarer, zu bestimmender Fehler, die Pierre zu überwinden angeht, um täglich wieder zu scheitern.
Pierre erlebt Kräfte, die ihn normen wollen, in Gedanken ist es seine Hüllenlosigkeit, die Übermacht des Tages gegen die ihn verfolgenden, langsam erlöschenden Gedanken der Nacht, die ihn wehrlos machten. Was ihm nun zu denken gibt, ist die wahre Impotenz, eine bilderlose Einsicht in die Notwendigkeit von Schwächen und Fehlern. Impotenz ist nicht etwas unvollkommen Erregtes wie ein lahmes Glied, sondern die Unfähigkeit Dinge zu steuern und in die richtige Richtung zu lenken. Jeder Mann würde Pierre sagen: sie zu beherrschen. Jede Frau würde ihm auf seinem Thron sagen: einen Weg zu finden. Impotenz ist Pierre allgegenwärtig nicht nur als sexuelle Unterlassung und das alltägliche Scheitern darin. Sondern auch als ein Verlust einer nicht gewonnenen Überlieferung, einer misslungenen Überhöhung im historischen Hintergrund von Pierre. Da ist gar nichts zu finden. Impotenz ist nicht sublimiert worden. Und daher bleibt sie bilderlos. Niemand kann daher ahnen, was Impotenz bewirkt.
Gewächse
Der Blumenkohl - Brassica oleracea – ist ein weltweit verbreitetes Gemüse. Zu ihrem Wachstum bevorzugt die Pflanze nährstoffreiche Böden, sie lässt sich das Jahr über bei entsprechender Pflege lange Zeit züchten und ernten. Das Gewächs ist auf den Wochenmärkten und im Supermarkt zum Kauf präsent. Als Kohl im Angebot finden die Sorten ihre Abnehmer und ihren Weg in die Küchen. Das Gemüse stinkt beim Kochen, ist banal und fad. Es ist billig beim Kauf wie auf dem Herd, selbst wenn man sich alle Mühe gibt. Man kann seinem Geschmack kaum nachspüren, im besten Fall sättigt es. Trotzdem ist das Gemüse gekocht weich, warm und subtil seinem beim Kochen kaum mutierenden Bild nach. Es bietet aber keinen Genuss, keinen Thrill.
Der gewöhnliche Blumenkohl quer durchgeschnitten besteht einfach aus einem Strunk und den Röschen. Beim Betrachten erinnert dieses Bild an das des menschlichen Hirns in einer Röntgenaufnahme oder einer Computertomographie vom Hals ab aufwärts gesehen. Der Blumenkohl wächst elfenbeinfarben eingebettet und verschattet in eine weite Umgebung von grünen Blättern, welche die Knolle umhüllen, dieses Bild bietet die Draufsicht. Lückenlos ineinandergefügt bilden die Röschen eine gewachsene, leicht gerundete Oberfläche von eher kleinteiligen, mikroskopischen visuellen Reizen auf einigen Quadratzentimetern. Obwohl ein wenig ordinär ist, das präzise Geschaute doch eine miniaturisierte Pracht.
In seiner ganzen Gewöhnlichkeit steht der Blumenkohl aus der vergangenen Küche unserer Mütter neben dem Erscheinungsbild der frischen, köstlichen Salate der modernen Küche, dieser sich aus einem Zentrum heraus entfaltenden Blätterpracht aus nahen Falten, Spalten und der zu gleichen Kompaktheit in einem satten Grün. Der Klischeevorstellung.
Die Kraft, die von diesen Pflanzen ausgeht, hat eine Parallele im Fühlen und Sehen der zunächst verdeckten Weiblichkeit, ihrem sich entfaltendem Körpervolumen und ihrer Macht im Bild. Es gibt zwei, drei mächtige Bildmuster, die alles belegen, was unsere westlichen Sinne erfassen können: zunächst die des Opfertodes von jungen Männern, der Kreuzigung, des Hara-Kiri, der Suicide Bomber. Dann den Blick auf die Frauen, das Bild der Zeugung, das seit