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Infektion: Zombie
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eBook306 Seiten3 Stunden

Infektion: Zombie

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Über dieses E-Book

Grippe und Lungenpest halten die Welt in Atem, so kann sich, anfangs unbemerkt, eine weitere Krankheit ausbreiten: Infektion Zet, hervorgerufen durch Parasiten, die die Körper ihrer Wirte nutzen und diese so zu willenlosen Zombies machen. Während die allgemeine Ordnung zusammenbricht, Ärzte forschen, um die Betroffenen zu heilen, versuchen Marie und ihre Weggefährten einfach nur zu überleben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Apr. 2015
ISBN9783738024388
Infektion: Zombie

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    Buchvorschau

    Infektion - Ly Fabian

    Kevin

    »Shit, das tut echt weh«, Kevin presste ein Taschentuch auf die Wunde an seinem Handgelenk. »Der braucht ja einen Maulkorb!«

    Die Frau schnappte ihren Kleinen und bemühte sich, das tobende Kind im Buggy festzuschnallen.

    »Es tut mir ja so leid, ich weiß nicht, was in Maximilian gefahren ist, er hat so etwas noch nie gemacht.«

    Sie wischte sich mit einem Tuch über die Stirn. Das Kind wand sich in dem Wagen, trat mit seinen Füßchen fest gegen den Fußschutz. Sie strich dem Kleinen über seine Locken, zog aber die Hand zurück, als er versuchte, auch nach ihr zu schnappen.

    »Hier, für Ihre Unannehmlichkeiten«, die Frau zog einen Schein aus ihrer Designertasche. Einhundert Euro. Dazu gab sie Kevin ein Pflaster, das er über die Wunde kleben konnte.

    »Ja, schon gut.« Er presste die Lippen zusammen. Dieser kleine Teufel mit dem Engelsgesicht hatte verdammt spitze Zähne!

    Die Frau stopfte dem Jungen einen Schnuller in den Mund, auf dem er wild herum kaute. Sein Zorn schien sich zu steigern, wenn Kevin ihn anblickte. Deshalb schob dieser den Wagen zur Seite, so dass das Kind nur den Rasen sehen konnte, und half der Mutter, die Förmchen aus dem Sandkasten zu klauben.

    »Vielen Dank, das ist sehr nett. Maxi hat friedlich gespielt und ich war so in mein Buch vertieft, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wie er sich auf Sie gestürzt hat.«

    »Ich bin gejoggt, hab nur kurz auf die Uhr geschaut, da hing er schon an meinem Arm!«

    »Im Miniclub in Tunesien war ein kleines Mädchen, das hat die anderen Kinder gebissen, er muss es sich von ihr abgeschaut haben. Es ist schon eine Weile her, irgendwie hat er es psychisch wohl doch nicht verarbeitet.«

    Die Frau räumte das Spielzeug in das Fach über den Rädern des Wagens. Der Kleine zappelte und versuchte, sich zu befreien. Die Mutter schob den Buggy brüsk an und eilte davon. Das Letzte, was Kevin sah, war der große bunte Schnuller, den der Knirps ausgespuckt hatte. Er beugte sich hinunter, um das Teil aufzuheben, damit er es der davoneilenden Mutter bringen konnte. Angewidert ließ er es gleich wieder fallen. Der Junge hatte den Sauger komplett zerkaut.

    Kevin lief nach Hause und weichte sein Shirt in kaltem Wasser ein. Er hoffte, dass er die Blutflecken so entfernen konnte. Danach nahm er das Pflaster ab und begutachtete die Wunde, hielt sie unter fließendes Wasser, desinfizierte sie und legte eine sterile Kompresse darüber, die er mit einer Mullbinde fixierte.

    Das würde eine Narbe geben. Verdammtes Balg.

    Am Abend, als seine Freundin Hannah kam, war der Zwischenfall im Park längst vergessen.

    »Am 30. September kommt ein neuer Horrorfilm im Kino, wir könnten doch nach Frankfurt fahren und danach noch in eine Sushi Bar. So was gibt’s hier in dem Kaff ja nicht.«

    »Nur wir beide?« Er spielte mit ihren Haaren. Ihr Kopf auf seinem Bauch. Das war zwar etwas unbequem, aber auf eine angenehme Art.

    »Wir könnten deinen Freund Timo mitnehmen und Marie.« Sie strahlte ihn mit großen blauen Augen an.

    »Du willst die beiden nur verkuppeln«, grinste er und rieb sich über den Verband am Handgelenk. Die Wunde begann zu jucken. Heilungszeichen sagte seine Mutter dazu immer.

    »Ja, will ich. Timo ist solo, Marie hängt nur mit diesem Nerd Sascha rum. Nein, da läuft nichts, aber der nervt. Marie ist doch hübsch, Timo steht auf dunkel. Vielleicht klappt es ja sogar. Dann könnten wir zu viert öfters mal was machen.«

    »Marie und Timo? Timo zockt Games und sie trainiert für Ironman. Er schießt online mit Pumpgun und sie offline mit Sportbogen. Ja passt.« Er lachte und kitzelte seine Freundin.

    Drei Wochen später ...

    »Soll meine Mutter dich mitnehmen?«

    »Danke, ich bin mit dem Fahrrad hier.« Marie winkte Hannah zu, bevor sie das Rad aus dem Ständer hob. Die Teilnahme an der Schreibwerkstatt war Hannahs Idee gewesen und reine Zeitverschwendung. Auf dem Heimweg passierte sie zwei Polizeifahrzeuge, die vorbeifahrende Autos anhielten. In der Ferne kreischten Sirenen. Das ging schon seit Tagen so. Die Haustür des Vierfamilienhauses öffnete sich, bevor sie den Schlüssel aus der Tasche ihres Parkas gezogen hatte. Beinahe stolperte sie über den Putzeimer.

    »Warte, Marie, ich halte dir die Tür! Pass bitte auf, wenn du dein Rad in den Keller trägst, die Treppe ist frisch gewischt!« Frau Maier, die Nachbarin wackelte mit ihrem  graugelockten Kopf, als Marie mit dem Rad gegen die Tür stieß.

    »Weißt du, was wieder in der Stadt los ist? Dauernd diese Sirenen!«

    »Mir ist nichts aufgefallen.«

    Der Schlüssel im Schloss knarzte, als sie aufschloss. In der Küche krähte ein Schlagerstar. Marie warf ihren Rucksack in ihr Zimmer, bevor sie ihre Oma Irene am Herd überraschte.

    »Machst du etwa den Auflauf mit Käse? Ich bin Veganerin!«

    »Erst einmal guten Abend, Schatz. Und ja, er ist mit Käse, denn deine Mama isst nachher mit, aber für dich habe ich eine extra Portion.« Sie wies auf eine kleine Form, neben der Großen, in der eindeutig nur Gemüse schmurgelte.

    »Soll ich den Tisch decken?«

    »Das wäre lieb.«

    Marie ging ins Wohnzimmer. Ihre Mutter Lisa lag auf der Couch. Während sie das Geschirr auflegte, lief im Fernsehen eine Dokumentation über eine afrikanische Klinik. Sie stellte den Ton lauter. Das Bild wechselte zu einem Krankenzimmer, in dem mehrere Menschen auf dem Boden lagen.

    »Die machen eine Panik.« Lisa gähnte. »Wir haben eine Frau, die glaubt, sich in Ägypten infiziert zu haben.«

    »Ist sie ansteckend?«

    »Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Privatpatientin. Die blockiert nur ein Bett. Sie ist dermaßen hysterisch, als ich ihr Fieber messen wollte, hat sie mich gekratzt.«  Lisa schob den Ärmel ihres Pullovers nach oben. Drei rote Kratzer auf bleicher Haut.

    Irene schaltete wortlos den Fernseher aus, ehe sie das Essen hereintrug. »Beim Abendbrot bitte keine Horrormeldungen.«

    Nach dem Essen spielten sie eine Runde Scrabble, bevor es Marie gelang, sich zurückzuziehen.

    Mutter und Oma stritten sich ständig über ihren Vater. Sicher, sie hatte sich in den Sommerferien dort sehr wohl gefühlt und was war gegen seine Idee zu sagen, ein Jahr bei ihm in Florida zu verbringen? Immerhin hatte sie in den Ferien dort auch den Führerschein gemacht, mit dem sie hier nur leider noch nichts anfangen konnte. Sie öffnete ihren Laptop. Auf Facebook fanden sich einige neue Nachrichten. Ihr Vater hatte ihr zahlreiche Links geschickt. Darunter YouTube-Videos. Schlecht gemachte Zombiefilme. Verärgert klickte sie die weg. Es schien ein neuer Trend zu sein, denn Freunde, die sie diesen Sommer kennengelernt hatte, sendeten ihr ähnliche Filme, teilweise selbst gedreht, unprofessionell und schlecht gemacht. Eine Nachricht kam von Sascha. »Komm vorbei, ist wichtig ...«

    Sie schaute auf die Uhr. 22.30 Uhr. Morgen war Samstag, Lisas erstes freies Wochenende seit Wochen.

    »Wir unternehmen einen tollen Ausflug, nur wir drei!«, hatte sie angekündigt, kurz bevor sie sich mit Oma gestritten hatte. Marie schickte Sascha eine Nachricht, legte einen Zettel auf den Nachttisch und schlich aus der Wohnung. Als sie das Fahrrad aus dem Keller holte, stieß sie gegen die Briefkästen. Das Flurlicht funktionierte nicht. Auf der nahe gelegenen Autobahn rauschte der Verkehr, obwohl die Ferien schon lange vorbei waren.

    »Komm rein! Bist du allein?« Sascha schaute sich misstrauisch um, als sie vor der Tür des Reihenendhauses stand. In seinem Zimmer regierte das Chaos. Überall lagen Bücher zwischen Wäschestücken und Getränkedosen auf dem Boden. Im Fernsehen lief ein englisches Nachrichtenprogramm.

    »Wir stehen vor einer Zombie-Epidemie! Hast du davon gehört?«

    »Nein. Ich habe heute nur einen Dokumentarfilm über die Lungenpest gesehen, dann gab es noch etwas über eine Masernpandemie und nicht zu vergessen die Grippewelle aus Osteuropa. Das mit den Zombies ist mir anscheinend entgangen. Letztes Jahr meintest du, eine Alien-Invasion stände bevor. Die scheinen sich inzwischen ja gut integriert zu haben. Bisher hat sie noch keiner enttarnt.«

    Sascha warf ihr einen bösen Blick zu. »Das mit den Zombies ist real!«

    Marie lächelte.»Okay, von mir aus.«

    »Ich habe Interviews gesehen. Die Geheimdienste spielen es runter, damit keine Panik aufkommt.« Er rief an seinem Tablet einige Links auf. »Da, schau selbst!«

    »Das ist ein Ausschnitt aus Walking Dead, das andere eine Sequenz aus WorldWarZ. Damit kannst du nur deine Eltern erschrecken.«

    »Das hier ist aber echt!«

    »Auch nicht! Da mache ich dir ja einen besseren Film!« Marie klickte auf dem Teil herum, während Sascha aufräumte und einen Rucksack füllte.

    »Das solltest du auch tun. Für den Fall, dass du schnell weg musst. Wechselwäsche, Geld, Essen, Wasser. Ich bringe morgen Vorräte in unsere Scheune. Man muss an verschiedenen Stellen etwas lagern!«

    Sie nahm sich selbst ein Wasser, während er weiter seine Sachen sortierte.

    »War es das? Sollte ich deswegen extra heute noch vorbei kommen? Das hättest du mir auch am Handy sagen können.« Sie legte sein Tablet zurück.

    Er schaute sie an. »Darüber kann man nicht am Telefon sprechen. Da weiß man nie, wer mithört. Wir werden alle belogen. Denk immer daran!«

    Seine geröteten Augen fixierten sie. Sie fühlte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Verdammte Verschwörungstheorien. Sascha drehte immer mehr ab. Er kiffte eindeutig zu viel.

    »Keine Sorge, ich passe auf!« Sie küsste ihn zum Abschied auf die Wange.

    An der Autobahnbrücke stoppte sie. Eine Kolonne Militärfahrzeuge. Endlos. Zum Glück war Sascha nicht hier. Er würde behaupten, der dritte Weltkrieg wäre ausgebrochen.

    »Sie kommt!«, zischte jemand. Erschrocken zuckte sie zusammen. Neben ihr stand ein Mann in einem altmodischen Trenchcoat. Sie hatte nicht bemerkt, wie er sich angeschlichen hatte. Seine dürren Hände umklammerten die Brüstung. Er wandte ihr sein zerfurchtes, von fettigen Zotteln umsäumtes Gesicht zu.

    »Die Apokalypse!« Er kicherte. »Wir werden alle sterben!«

    Sie stieg auf ihr Rad und fuhr so schnell sie konnte nach Hause. Der Alte verfolgte sie mit seinen Blicken, bis in den Schlaf.

    »Dass du immer noch schläfst! Es ist schon fast elf!« Oma stand neben ihrem Bett. »Wir wollten etwas unternehmen. Deine Mutter ist jetzt allein einkaufen.«

    »Wir können doch auch morgen etwas unternehmen.« Marie schlurfte ins Bad. Sie stand unter der Dusche und ließ das heiße Wasser laufen, als könnte sie damit die Zeit anhalten. Es hämmerte an der Tür. »Dusch nicht so lange!«

    Seufzend drehte sie den Hahn zu. In der Küche nahm sie sich Tee aus der Thermoskanne. Irene zeigte auf die aufgeschlagene Zeitung. Lungenpest, neue Fälle in Berlin und Frankfurt. Krisensitzung im Gesundheitsministerium.

    »Hoffentlich breitet sie sich nicht noch weiter aus!«

    »Was soll sich ausbreiten?« Lisa schloss die Eingangstür. Irene zeigte auf die Schlagzeile. »Hier, schau, schon wieder neue Fälle, die Leute brechen auf der Straße zusammen und bluten aus dem Mund.«

    »Wie eklig.« Marie schaute auf das Foto.

    »Die haben geschlafen und jetzt bekommen sie es nicht mehr in Griff. Zum Glück arbeite ich in einem kleinen Haus, bei uns gibt es keine Infektionsabteilung. Aber unser Chef hat erreicht, dass wir trotzdem geimpft werden, sobald die neuen Chargen nächste Woche kommen. Wird ein Riesengeschäft für die Pharmaindustrie.«

    Lisa stellte eine Tasche auf den Boden. »Schaut mal! Hab ich für uns mitgebracht.« Sie zog drei Hexenhüte, an denen Haare befestigt waren, heraus. Einer hatte rotes, der Zweite orangefarbenes und der Dritte weißes Haar. Dazu schwarze Umhänge.

    »Sonderangebot. Fünf Euro das Set!«

    »Ich nehme mal an, die weißhaarige Hutperücke ist für mich gedacht.« Irenes Stimme klang pikiert.

    »Ich nehme ihn!« Marie stülpte das Teil über. Die weißen Haare umschmeichelten ihr Gesicht »Ist doch ein guter Kontrast zu meinem Teint!« Sie drehte sich vor dem Spiegel.

    Es nieselte am Sonntag, deshalb wurde der geplante Ausflug auf ein Mittagessen reduziert. Lisa besaß noch einen Gutschein von einem nahegelegenen Restaurant. Die Angst, so kurzfristig keinen Platz zu bekommen, war unbegründet. Auf dem Parkplatz befanden sich nur wenige Wagen. Vor dem Eingang stand ein Hänger, auf dem, in Heu gebettet, mehrere unterschiedlich große Kürbisse lagen. Im herbstlich geschmückten Restaurant konnten sie sich einen Platz aussuchen.

    »Ich hätte nicht gedacht, dass es heute so leer ist«, meinte Lisa zu Irene. Der Kellner, der die Getränke brachte, zuckte mit den Schultern. »Normalerweise bekommt man sonntags ohne Reservierung keinen Platz. In der Stadt soll es Unruhen geben und die Polizei hat überall Straßensperren errichtet.« Er verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln.

    Das Essen war phantastisch. Zum Schluss spendierte der Wirt seinen wenigen Gästen Kaffee und Kuchen.

    Zu Hause blinkte der Anrufbeantworter. Lisas Station.

    »Ich muss morgen einspringen. Eine Kollegin ist krank geworden. Spätdienst.« Lisas Stimme klang gepresst. Eigentlich hatte sie sich auf ein paar freie Tage gefreut.

    »Pass auf dich auf!« Irene musterte ihre Tochter. »Du bist viel zu blass. Und deine Kopfschmerzen, das kommt von zu viel Stress.«

    Montag

    Der Schulbus kam mit ein paar Minuten Verspätung. Marie konnte sich einen Platz sichern. Sie lehnte sich an das Fenster und schloss die Augen. Die ersten Stunden zogen sich. In Ethik sprachen sie über die Gefahr eines Krieges in Europa. In Kunst entwarfen sie Halloweenverkleidungen. Marie überkam Sehnsucht nach der Familie ihres Vaters. Den Spaß und die Lebensfreude ihrer amerikanischen Sippe. Sascha war nicht da. Ich bereite mich vor, hatte er ihr auf ihre Frage gesimst.

    »Du kommst spät.«

    Irene werkelte in der Küche. Eierpfannkuchen.

    »Ich esse doch keine Eier!«

    »Dann musst du dir selbst etwas kochen. Es ist total ungesund, wie du dich ernährst. Du bist doch noch im Wachstum.«

    »Mit siebzehn? Eher nicht. Was hast du da alles gekauft, ich esse so was nicht, dass weißt du doch.«

    Auf dem Küchentisch lagen Schokolade, Bonbons und Gummibären, daneben kleine Beutel.

    »Das ist für Halloween. Hilfst du mir später?«

    »Ich muss noch für Mathe lernen, tut mir leid.«

    Marie schlief schon, als ihre Mutter aus der Klinik kam. Lisa duschte nur kurz, bevor sie ins Bett fiel, auch am Dienstag sahen sie sich nicht. Als Marie am Mittwoch von der Schule heimkam, standen unzählige Tüten auf dem Tisch, Irene hatte Bonbons und einzelne, farbig sortierte Gummibärchen in jede gepackt. Dazu eine Rippe Schokolade. Fassungslos schaute Marie auf die Teile.

    »Sieht gut aus! Was meinst du? Ist alles abgezählt, ganz gerecht. Jede Tüte enthält gleich viele Drops, Bären, Bonbons und Schokolade! Du kannst auch für die Schule ein paar mitnehmen. Für deine Freunde!«

    »Das ist ekelhaft! Du hast jedes einzelne Teil mit der Hand angefasst! Denkst du, irgendjemand will angetatschte Süßigkeiten?!«

    Irene schaute sie entgeistert an. Ihre Gesichtsfarbe wechselte.

    »Ich habe meine Hände gewaschen!«

    Marie verließ die Küche. Sie wollte nicht streiten. Diese Tüten in der Schule. Hannahs Lachen konnte sie jetzt schon hören. Am Donnerstag setzte sie den Hexenhut auf. Unter dem Umhang trug sie schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Sie schminkte sich weiße Lippen, passend zur Perücke. Die Beutel standen nicht mehr in der Küche. Irene ignorierte ihren Gruß. Lisa war schon weg. Frühdienst. Den Bus sah sie noch wegfahren, sonst kam er immer zu spät. Marie holte seufzend das Fahrrad aus dem Keller. Wenn sie sich beeilte, könnte sie es gerade so schaffen.

    Die meisten hatten Süßigkeiten mitgebracht. Fast alle waren kostümiert. Nach der großen Pause wollten sie die beste Verkleidung wählen.

    »Dein Psychofreund steht da hinten!« Hannah, die Elfe, grinste anzüglich. Sascha stand am Rand des Hofes, neben einer Eiche. Er fixierte sie mit fiebrig glänzenden Augen. Marie ging zu ihm.

    »Sie sind hier!«

    »Sascha, die haben sich nur verkleidet! Zombiewalk!«

    Marie winkte Timo, der mit einer Gruppe Oberstufenschüler an ihnen vorbeischlurfte. Sie waren bleich geschminkt. Einige hatten sich klaffende Wunden gemalt, andere trugen Kontaktlinsen. Ein paar jüngere Schüler filmten begeistert mit ihren Handys. Timo stellte sich stöhnend neben sie, er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn und die kunstvoll aufgeklebte Wunde fiel hinunter. Sascha wich erschrocken einen Schritt zurück. Timo lächelte. »Verdammtes Zeug, das juckt vielleicht! Hast du wirklich gedacht die Wunde wäre echt?«, wandte er sich an Sascha. Der starrte ihn an und schüttelte langsam den Kopf. Timo hob das Teil vom Boden auf, wischte es vorsichtig ab und klebte es auf seine Wange. Hannah grinste und schlenderte in ihre Richtung. »Cool Timo, echt genial! Wenn ich sehe, wie andere einfach als Penner kommen, ohne sich zu verkleiden …«

    Timo lachte gutmütig. Hannah musterte Sascha. »Das glaube ich jetzt echt nicht! Du hast dir ein Beil umgeschnallt! Wie krank ist das denn? Wenn es ein Gag sein soll, müsste wenigstens Blut daran kleben!«

    Sascha begann zu zittern. Marie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Lass dich nicht provozieren!«

    »Hast du Kevin schon gesehen?«, wandte sich Hannah an Timo.

    »Er war heut Morgen nicht da, aber Ismael ist vorhin an ihm vorbeigefahren, der sieht sowas von cool aus. Ah, dort hinten kommt er! Er ist auch Zombie! Eigentlich wollte er Footballer sein.« Kevin schlurfte einer Horde kreischender Siebtklässler hinterher.

    »Hey Kev! Ich bin hier!« Hannah lief zu ihrem Freund, sprang ihm regelrecht in die ausgestreckten Arme. Timo schaute ihr amüsiert hinterher.

    Das Gekreische  auf dem Schulhof erstarb unter dem schrecklichen Schrei. Hannahs Kopf stand unnatürlich vom Rumpf ab. Um sie breitete sich ein roter See aus.

    Hannah

    Maries Hand schmerzte. Sascha presste ihre Finger zusammen.

    »Lauf nicht hin! Er ist einer von ihnen. Siehst du es jetzt?« Seine Stimme klang hohl. Ringsumher Schreie und Menschen, die wie gelähmt herumstanden.  

    Kevin hob das Gesicht, schaute in ihre Richtung. Sein Mund war blutverschmiert. Marie zitterte. Die Zeit verging wie in Zeitlupe. Inzwischen hatten sich zwei seiner Freunde auf Kevin gestürzt. Einer riss ihn an den Haaren nach hinten, der andere warf ihm eine Jacke über den Kopf. Ein weiterer kümmerte sich um Hannah. Die, die den Tobenden hielten, schrien um Hilfe, da sie ihn kaum bändigen konnten.

    Marie versuchte sich von Saschas erstaunlich kräftigem Griff loszureißen.

    »Hey, lass mich, wenn du schon nicht anpacken willst!«

    »Willst du gebissen werden? Du kannst nicht helfen und ich denke nicht im Traum daran!«

    »Du bist so ein Feigling.«

    »Ich bin nur kein Selbstmörder.«

    Inzwischen waren bei den Jungen, die mit Kevin rangen, noch zwei weitere, die halfen, ihn am Boden zu halten. Auch ein Lehrer tauchte endlich auf.  Er eilte mit einem Rot-Kreuz-Koffer zu Hannah. Aus der Ferne ertönten Sirenen. Eine Durchsage forderte die Schüler auf, ihre Klassenräume aufzusuchen.

    »Du musst mit mir kommen.«  Sascha versuchte sie hinter die Bäume, die den Schulhof umgaben, zu ziehen.

    Marie riss sich los. »Ich will zu Hannah!«

    Doch die Stelle wurde inzwischen von mehreren Lehrern abgeschirmt.

    »Falls sie Zeugen suchen, geh auf keinen Fall hin!« Saschas Stimme klang beschwörend. »Die versuchen es  unter Kontrolle zu halten, doch es ist zu spät. Sei vorsichtig, du weißt, wo du mich findest.«

    Sascha hatte sich zurückgezogen, bevor eine Lehrerin sie erreichte, um sie aufzufordern nach hinten in das Gebäude zu gehen. In der Klasse herrschte bedrückende Stille. Wenige hatten das Drama direkt mitbekommen, doch jeder wusste inzwischen Bescheid. Der Mathematiklehrer betrat das Klassenzimmer, als erneut eine Durchsage ertönte. Alle, die den Vorfall auf dem Schulhof beobachtet hatten, wurden gebeten, sich in die Aula zu begeben. Marie zögerte, ihr Mäppchen rutschte hinunter. Während sie die Einzelteile auf dem Boden zusammensuchte, standen zwei ihrer Mitschüler auf und verließen den Raum. Sie sortierte ihre Stifte und blieb sitzen. Was hatte sie schon gesehen? Wenn sie befragt würde, müsste sie zugeben, dass Sascha, obwohl krankgemeldet, auch da gewesen war.

    Die Stunde plätscherte dahin, auch der Lehrer konnte sich nicht auf seinen Stoff konzentrieren, als die Tür nach einem kurzen Klopfen geöffnet wurde. Ein Polizeibeamter betrat den Raum.

    »Ihr habt sicher von dem Vorfall auf dem Schulhof gehört, bei dem eine Schülerin schwer verletzt wurde. Sie ist in der Klinik und wird notoperiert. Wir vermuten, dass der junge Mann unter dem Einfluss einer neuen Droge gehandelt hat. Eine Substanz, die Menschen psychisch sehr verändern kann. Ich muss alle bitten, sich an die Polizei oder einen Vertrauenslehrer zu wenden, falls ihr wisst, wer diese Drogen verteilt. Ebenso würden wir gern mit den Schülern reden, die in letzter Zeit zu Kevin Strauß Kontakt hatten.«

    Marie machte sich klein. Was sie über Hannahs Freund wusste, ließ sie an der Drogenversion zweifeln. Er war wie sie im Sportleistungskurs und extrem gesundheitsbewusst. Freiwillig hätte er nie illegale Drogen genommen.

    Hannah hatte den Angriff überlebt. Trotz des vielen Blutes. Der Polizist verabschiedete sich. Inzwischen war die Stunde vorbei und die zwei Zeugen der Schulhofattacke aus ihrer Klasse noch nicht zurück. Sie schaute versonnen aus dem Fenster, unten standen vier Polizeiwagen. Obwohl es in den Pausen sonst ziemlich laut einherging, war es jetzt sehr ruhig. Die Schüler flüsterten nur miteinander. Nach der Klingel kam statt der Kunst- die Deutschlehrerin. Sie erwähnte den Vorfall nicht, schaute jedoch ständig auf ihre Uhr, nachdem sie Arbeitsblätter verteilt hatte. Die letzte Stunde fiel aus. Marie konnte sich kaum auf die Heimfahrt konzentrieren. Beinahe

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