Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die gestiefelte Mütze
Die gestiefelte Mütze
Die gestiefelte Mütze
eBook351 Seiten4 Stunden

Die gestiefelte Mütze

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Eine als Schachtelmärchen geschriebene Geschichte von einer Mütze die schlecht behandelt wurde und mit einem Stiefel in die Welt hinauszieht. Auf der Wanderschaft treffen die beiden eine hochpolitische Maus, die in einem Fellsmoking durch die Gegend läuft um politische Weisheiten zu verbreitet und eine Stubenspinne namens Esmaraldus Ottolegs, die sich in einer Dampfnudelbäckerei Rheuma in allen acht Beinen zugezogen hat. Diese vier bilden auf anraten der hochpolitischen Maus Thimotheus Politikus kurz Tom genannt eine Koalition. Sie meistern bei der Wanderung gen Süden, wo alles besser sein soll, haarsträubende Abenteuer. In den Pausen zwischen den Abenteuern erzählt Tom von seinem politischen Werdegang, Esmaraldus Ottolegs wie er fast in einem Bach ertunken wäre und die gestiefelte Mütze von der Stadt der goldenen Dächer.
Nebenbei erfährt man, wie es einer Maus ergeht, die bei einem Schuster versucht Schuhwichse zu klauen.
Warum solche Merkwürdigkeiten geschenen kann man auf 305 amüsant geschriebenen Seiten nachlesen.
Viel Spaß beim Lesen.
Gerd Grimm
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Apr. 2015
ISBN9783738025095
Die gestiefelte Mütze

Ähnlich wie Die gestiefelte Mütze

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die gestiefelte Mütze

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die gestiefelte Mütze - Gerd Grimm

    Vorwort

    Nach langer Verweildauer in diversen Schubladen habe ich mich im Jahre 2004 entschlossen, die Geschichte der gestiefelten Mütze zu veröffentlichen.

    Die Entstehung dieses spannenden, in verschiedene Geschichtsebenen verschachtelten Buches liegt schon einige Jahre zurück.

    Bereits 1988 entstand die erste Episode der gestiefelten Mütze und wurde in dem Band: ‚Das Wasser wird blau, wenn der Himmel es will’, veröffentlicht. Im Laufe der Jahre entstanden mehr und mehr Abenteuer, welche zunächst in einer losen Blattsammlung zusammengetragen wurden. Die Entscheidung, ob und wie eine Geschichte endgültigen Einzug in das Buch halten sollte, war außerordentlich schwierig.

    Eine Geschichte zu schreiben ist einfach, aber sie dann in mühevoller Kleinarbeit zur Druckreife zu bringen ist ein langer und mühevoller Prozess.

    Diese Arbeit hat zum allergrößten Teil meine geliebte Frau Simone übernommen, ohne deren tatkräftige Unterstützung die Geschichten der gestiefelten Mütze vermutlich nie zur Veröffentlichung gelangt wären. Auch ihr Bruder Stefan Budig, seinerseits Deutschlehrer von Beruf, hat uns oft mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

    Diesen beiden gilt mein ganz besonderer Dank und auch all Jenen, die meine schlechte Laune ertragen mussten, wenn es mal wieder nicht so lief wie ich es mir vorstellte.

    Ich wünsche all meinen Lesern viel Spaß und eine vergnügliche Zeit mit der gestiefelten Mütze.

    Gerd Grimm

    Die gestiefelte Mütze

    Es war vor vielen, vielen Jahren, da lebte einst eine junge Mütze bei einem Schneider. Der Schneider war kein sonderlich guter Schneider, sondern eher so ein Änderungsschneider von der billigen Sorte, wie man sie in fast allen Städten findet. Wenn die Leute ihre Kleidungsstücke gebraucht gekauft oder als Super-Sonder-Billigangebot bei Hyronnimus und Co. mitgenommen hatten, und das Zeug dann nicht so recht passen wollte, kamen sie zu ihm und gaben ihm den Auftrag, die Sachen abzuändern. Da aber die Leute, die solche Sachen kauften, meist nicht viel Geld hatten und demzufolge für das Flicken oder Ändern nicht viel bezahlen konnten, verdiente der Schneider auch nicht viel. Dadurch aber, dass der Schneider immer billig arbeiten musste und schlecht verdiente, wurde er griesgrämig und immer schlecht gelaunt. Immer griesgrämige Leute aber finden keine Frau, denn Frauen mögen im allgemeinen keine Griesgrame, es sei denn, sie sind selber griesgrämig, und die wiederum mochte der Schneider nicht. So kam es, dass der Schneider alleine leben musste, und er wurde noch viel griesgrämiger.

    Er wohnte in einer kleinen Wohnung, die meist ungeheizt und furchtbar dreckig war. Den Dreck machte nie jemand weg. Er selbst war viel zu faul dazu und eine Frau, die ihm den Dreck wegmachen konnte, hatte er ja nicht.

    Wenn der Schneider des Morgens aufstand, warf er sich drei Schluck kaltes Wasser ins Gesicht, das nannte er waschen, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, das nannte er kämmen, und setzte sich an den Tisch, um zu frühstücken. Bevor er das Brot aufschnitt, nahm er die Mütze und wischte mit ihr den Dreck vom Vortag vom Tisch.

    Nach dem Frühstück klopfte er die Mütze an der Tischkante aus, setzte sie auf, und verließ die Wohnung, um in seine Werkstatt zu gehen. Die Werkstatt lag am anderen Ende

    der Straße. Dort angekommen, schmiss er die Mütze auf den Arbeitstisch, knäuelte sie fest zusammen und steckte etliche Näh  und Abstecknadeln hinein.

    Das tat der Mütze furchtbar weh. Am liebsten hätte sie vor Schmerz laut geschrien, aber noch war die Mütze stumm. Sie traute sich noch nicht zu reden, denn sie dachte:

    „Wer weiß, was sonst noch alles passiert. Es ist gut so, wie es ist, und so soll es bleiben."

    Insgeheim wünschte die Mütze den Schneider jedoch zum Teufel.

    Der Schneider zog seine Stiefel aus, stellte sie in eine Ecke und ging an die Arbeit. Spät am Abend zog er die Nadeln aus der Mütze, setzte sie auf, zog sich die Stiefel wieder an, von denen der Rechte immer etwas unwillig mit dem Leder knarrte, und ging nach Hause.

    Er ging immer sehr spät nach Hause, denn er konnte seine dreckige, kalte Wohnung nicht leiden. Seine Werkstatt musste, der Kunden und des guten Eindrucks willen, immer aufgeräumt und sauber sein. Auch darüber war er griesgrämig, denn das Saubermachen lag ihm überhaupt nicht. Aber eben weil die Werkstatt immer sauber war, hielt er sich dort am liebsten auf. Außerdem kam spätabends manchmal noch ein Kunde, der eine besonders eilige Arbeit hatte, weil er vielleicht mit einer schönen Frau ausgehen wollte, und er sich die beste Hose zerrissen hatte. Solche Kunden hatten es meist eilig und waren froh, dass sie noch jemanden fanden, der ihnen aus der Klemme half. Sie bezahlten den Schneider für diese Arbeit gut. Der konnte das Geld gebrauchen, denn er war ständig pleite.

    Dann war da noch das mit der Einsamkeit. Der Schneider war furchtbar einsam. Niemand besuchte ihn zu Hause. Er hatte nicht einen einzigen Freund, seines Griesgrames wegen. So blieb er abends länger in der Werkstatt, um ab und zu mit einem Kunden ein paar Worte zu wechseln. Er brauchte das, denn jeder Mensch braucht ab und zu jemanden, mit dem er reden kann. Mit den Kunden sprach er meist freundlich über das Wetter oder andere belanglose Dinge. Freundlich sein musste er zu seinen Kunden, besonders zu den späten, gut zahlenden. Auch das verbitterte ihn, freundlich sein zu müssen, obwohl ihm überhaupt nicht danach war.

    Wenn der Schneider dann endlich nach Hause kam, schmiss er voller Griesgram die Mütze auf den Tisch und machte sich etwas zu essen. Manchmal wischte er sich mit der Mütze den Mund ab, manchmal putzte er ein paar Fettspritzer mit ihr auf. Niemals jedoch wusch er die Mütze. Die Mütze wurde, je länger sie bei ihm war, immer unansehnlicher.

    Dabei war sie eine ausgesprochen schöne Mütze, mit roten Kreisen auf blauem Grund und mit einem dicken Bommel oben dran. Nach und nach fühlte die Mütze sich immer dreckiger. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Es ging so weit, dass sie sich eines Tages selber nicht mehr leiden konnte.

    Irgendwann dann, an einem Tag, an dem sie sich besonders elend fühlte und der Schneider wieder einmal allen Dreck mit ihr fortwischen wollte, fasste sie sich ein Herz und verließ ihre stumme Welt für immer. Sie sprach den Schneider an:

    „He du, Schneider."

    Der Schneider glotzte ziemlich blöd, dass ihn jemand ansprach, wo er doch ganz allein in seiner Wohnung war.

    „Schneider, ich rede mit dir! - Ich, deine Mütze!"

    Der Schneider wurde ganz bleich. Er streckte die Hand nach der Mütze aus, nahm sie auf und hielt sie sich dicht vor das Gesicht. So etwas hatte er noch nie erlebt. Eine Mütze, die mit ihm redete.

    „Mützen können nicht reden, dachte er, „Mützen sind Kleidungsstücke.

    Und mit Kleidungsstücken kannte er sich aus, schließlich war er ja Schneider.

    Die Mütze war aber eine ganz besondere Mütze. Sie hatte ein Innenleben und Gefühle, wie sie nur ganz besondere Mützen haben können, nämlich solche, die mit viel Liebe gestrickt worden sind.

    „Hör mal zu, Schneider", sprach die Mütze, „seit ich bei dir bin, behandelst du mich schlecht.

    Du wäschst mich nicht.

    Du steckst Nadeln in mich, bis mir vor Schmerz ganz schlecht wird.

    Du wirfst mich in Ecken, und als Krönung putzt du allen Dreck mit mir weg, so als ob ich ein alter Putzlappen wäre.

    Aber ich sage dir, ich bin eine Mütze, eine schöne Mütze, und ich bin stolz darauf, eine Mütze zu sein. Mützen haben den höchsten Stellenwert in der Kleiderrangordnung. Sie halten die Gedanken im Kopf warm, und so kommt es, dass diejenigen, die eine gute Mütze haben, immer freundliche und gute Gedanken haben. Für diese würdevolle und in höchstem Maße anspruchsvolle Aufgabe wollen wir Mützen auch anständig behandelt werden. Da das bei dir nicht der Fall ist, verlange ich ab sofort eine angemessene Entschädigung für meine Dienste. Außerdem fordere ich, dass du mich wenigstens einmal im Monat wäschst und auch sonst entsprechend behandelst. Das heißt: keine Nadeln mehr in meinen Eingeweiden, keine Verwendung mehr als Putzlappen und einen angemessenen Platz am Kleiderhaken neben der Tür."

    Der Schneider hatte sich wieder gefangen. Er konnte Revoluzzer und Gewerkschafter auf den Tod nicht leiden, und das, was die Mütze eben von sich gegeben hatte, hörte sich verdammt nach Gewerkschaft und Revolution an. Er sagte nur:

    „Pah!" und schmiss die Mütze in eine heiße Pfanne.

    Die Mütze war stur wie ein Esel und wusste genau, was sie wollte. Sie rollte sich aus der Pfanne, vom Herd, quer durch die Stube, zum Tisch, das Tischbein herauf und blieb genau vor des Schneiders Augen liegen.

    „So, schrie sie voll Wut, „du wolltest mich anbrennen. Das wird dich teuer zu stehen kommen. Ich verlange von dir ein Tässchen Milch und ein Stückchen Brot pro Tag als Bezahlung.

    Sie hatte einmal gehört, dass Milch innerlich reinigen sollte, und, so dachte sie sich, wenn ich länger bei dem Schneider bleiben soll, muss ich was für meine innerliche Reinigung tun. Da die Mütze aber von purer Milch immer Sodbrennen bekam, forderte sie zusätzlich ein Stückchen Brot.

    „Du bekommst gar nichts. , brummte der Schneider, „und wenn du nicht still bist, fliegst du ins Feuer.

    Das saß. Die Mütze schwieg. Sie dachte sich:

    „Es ist wohl besser, wenn ich einen strategischen Rückzug mache. Aber warte, Schneider, meine Zeit kommt noch."

    Als am nächsten Morgen der Schneider den Tisch mit ihr abwischen wollte, legte sie los. Sie machte schmatzende Geräusche und zwar derart laut, dass die ganze Nachbarschaft es hören konnte. Er ließ sofort die Mütze fallen, denn er dachte:

    „Wenn die Nachbarn das hören, denken die, dass ich so schmatze, und das ist schlecht fürs Geschäft."

    Schmatzen galt als unschicklich, und wenn der eine Schneider unschicklich war, gaben die Leute eben dem anderen Schneider in der Stadt den Auftrag.

    Außerdem dachten die Leute, dass ein unschicklicher Mensch auch schlechte Manieren haben musste. Und Schneider mit schlechten Manieren galten im Volksmund als schlechte Schneider.

    Er holte sich also einen Lappen, um den Tisch abzuwischen. Die Mütze fühlte sich unheimlich gut, denn sie hatte ihren ersten Kampf im Leben gewonnen.

    Tief im Innern des Schneiders brodelte es. Er war nicht gewillt, sich von einer wild gewordenen Mütze sein Leben diktieren zu lassen. Er sagte nichts und ging ziemlich eilig in die Werkstatt. Dort angekommen, tat er, als sei nichts gewesen. Er benahm sich, wie er sich all die Jahre zuvor, Tag für Tag, benommen hatte.

    In der Werkstatt fühlte die Mütze sich sicher, denn es gab keinen Ofen, in den sie hineingeworfen werden konnte. Die Werkstatt hatte Zentralheizung.

    Als der Schneider sie gerade zusammenknäueln und die erste Nadel in sie hineinstecken wollte, rief sie:

    „Halt! Brot und Tässchen Milch, oder..."

    „Was oder?"

    „Das wirst du dann schon sehen."

    „Pah!", sagte der Schneider wieder und stieß die erste Nadel in ihr zartes Gewebe.

    Daraufhin brüllte die Mütze so schrecklich, dass die Leute auf der Straße stehen blieben und sich fragten, was da wohl Entsetzliches geschehen möge.

    Den Schneider erzürnte das Geschrei der Mütze fürchterlich. Je lauter sie schrie, mit umso mehr Wut donnerte er die Nadeln in sie hinein. Das Geschrei ihrerseits und das Nadeln hineindonnern seinerseits dauerte so lange an, bis sich zwei mutige, wohlbeleibte Damen, die zufällig auf der Straße daherkamen, der Sache annahmen. Sie blickten sich beide tief in die Augen und sagten: „Was auch immer dort drinnen geschehen mag, wir wollen nachsehen und dem Jammer ein Ende bereiten. Koste es, was es wolle. Wo Hilfe gebraucht wird, soll man helfen."

    Dann gaben sie sich wild entschlossen fest die Hand und marschierten auf die Tür des Schneiders zu. Dreimal klopften sie an, doch das Schreien hörte nicht auf. Im Gegenteil, die Mütze hatte das Klopfen gehört und brüllte noch einige Töne lauter.

    Die beiden wohlbeleibten Damen blickten sich noch einmal ganz, ganz tief in die Augen, gaben sich noch einmal ganz, ganz fest die Hand und traten ein.

    Der Schneider sah aus den Augenwinkeln, dass sich die Tür öffnete und stoppte mitten in der Bewegung.

    Die Mütze hörte auf zu schreien.

    Die beiden wohlbeleibten Damen standen in der Tür und sagten - nichts.

    Sie blickten den Schneider tief und missbilligend an. Einen Augenblick verharrten sie noch, dann verließen sie die Werkstatt.

    Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, sahen sie sich ein letztes Mal ganz, ganz tief in die Augen, gaben sich ein letztes Mal ganz, ganz fest die Hand und gingen auseinander, eine jede mit dem Gefühl, eine Heldentat vollbracht zu haben.

    In der Werkstatt herrschte furchtbar dicke Luft. Der Schneider kochte vor Wut.

    Die Mütze fühlte sich siegessicher, sie sagte:

    „Zieh die Nadeln aus mir heraus oder..."

    „Was oder?"

    „Das wirst du dann schon sehen."

    „Pah!", sagte der Schneider und ging an eine Arbeit, die er am Vortag begonnen, aber nicht zu Ende geführt hatte.

    Die Mütze hatte sich unterdessen etwas Neues ausgedacht. Jedes Mal, wenn ein Kunde die Werkstatt betrat, fing sie gar jämmerlich zu wimmern an.

    Dieses Wimmern ging den Kunden regelrecht durch Mark und Bein. Es liefen ihnen kalte Schauer den Rücken hinunter. Die Kunden gaben vor, eine sehr wichtige Besorgung machen zu müssen, und verschwanden wieder so schnell es ging. Die Arbeit aber, die gaben sie dem anderen Schneider in der Stadt.

    So kam es, dass der Schneider an diesem und an den folgenden Tagen keinen einzigen Auftrag erhielt. Es ging sogar so weit, dass sich Gerüchte in der Stadt verbreiteten, und einige schlaue Herren Mutmaßungen über das andauernde Gewimmer anstellten. Einer der Herren, der resoluteste, wollte sogar die Polizei benachrichtigen, damit endlich in der Werkstatt nach dem Rechten gesehen werde.

    Dies alles bekam natürlich auch der Schneider mit und vor allem, es ging an seine Kasse. Er hatte in den letzten Tagen keinen müden Kreuzer eingenommen.

    „Na warte, dachte der Schneider nach einigen Tagen, als er des Abends nach Hause kam und er wieder den ganzen Tag vergebens auf Kundschaft gewartet hatte, „dich werd' ich los.

    Nachdem er in die Küche gegangen war, schmiss er als erstes die Mütze neben den Herd auf die Spüle, die wie immer randvoll mit dreckigem Geschirr stand. Anschließend ging er in den Keller, holte einen großen Korb Holz herauf und zündete im Herd ein Feuer an.

    Er heizte kräftig ein und stopfte den Herd so voll, dass kein Span mehr hinein passte. Danach zog er sich die Stiefel aus und setzte sich an den Tisch. Seelenruhig saß er eine gute halbe Stunde und spielte mit einer Wanze, die er kreuz und quer über die Tischplatte jagte. Als es in der Küche unerträglich heiß zu werden begann, zerquetschte er die Wanze mit dem Daumen und erhob sich. Er ging zur Spüle, nahm eine dreckige Pfanne und tat so, als wollte er mit der Mütze die Pfanne auswischen. Doch plötzlich sprang er zur Seite, riss die Herdtüre auf und warf die total verdutzte Mütze hinein.

    Noch ehe die Mütze etwas sagen konnte, war die Herdtüre wieder zu. Sofort fing ihr äußerer, weicher Flaum Feuer. Es war barbarisch heiß. Schon brannte sie fast überall. In wilder Panik strengte sie all ihre Wollfäden an und stemmte sich mit übermützlicher Kraft gegen die Tür. Die Holzscheite knackten und krachten. Das Feuer verlosch fast von der Gewalt, mit der sie sich gegen die Herdtüre stemmte. Plötzlich, mit einem lauten Knall, flog die Tür auf und die Mütze rollte zu Boden. Aber sie brannte noch immer. So schnell sie konnte, rollte sie sich die Spüle hinauf, hinein in einen großen Topf mit Wasser. Es zischte gewaltig, als sie sich ins Wasser fallen ließ.

    „Gerettet!", dachte sie. Erschöpft blieb sie einen Augenblick im Wasser liegen, bis die Erinnerung an den Schneider zurückkam. Sie schwang sich aus dem Topf, rollte auf den Schneider zu und brüllte mit sich überschlagender Stimme:

    „Ich verlasse dich. Du wirst schon sehen, was du davon hast, ruchloser Geselle, undankbarer!"

    Dann versagte der Mütze die Stimme.

    Der Schneider wurde bei ihrem Anblick kreidebleich. In Schlappen rannte er aus dem Haus, die Straße entlang, in die Werkstatt und kauerte sich zitternd in eine Ecke. Kurz darauf stand er noch einmal auf, verschloss die Werksatttür von innen und schob auch noch den Riegel vor. Er hatte Angst. Schließlich hätte er um ein Haar seine Mütze ermordet. Das war Grund genug für die Mütze, ihm in die Werkstatt hinterher zu rollen. Bei dem Gedanken daran wurde er noch einen Ton bleicher, denn er wusste ja nun, welche unbändige Kraft in der Mütze steckte.

    Die Mütze unterdessen dachte nicht daran, dem Schneider nachzurollen. Sie bewegte sich zum Kühlschrank, trank einen halben Liter Milch, denn Sie fühlte sich innerlich entsetzlich dreckig, aß einen viertel Laib Brot und überlegte, wie sie am besten verschwinden könnte. Wegrollen ging nicht, das hätte ihre Wolle auf Dauer nicht ausgehalten. Sie gedachte weit wegzugehen. Steine und Stöcke hätten sie ziemlich schnell zerrissen.

    Sie dachte noch nach, als sich plötzlich der rechte Stiefel, der schon immer etwas unwillig mit dem Leder geknarrt hatte, bemerkbar machte. Er winkte ihr kurz mit der dicken Zehe und forderte sie auf, aufzusitzen. Die Mütze verstand sofort. Sie rollte zum Stiefel und hüpfte obenauf. Der Stiefel knarrte behaglich mit dem Leder.

    „Auf geht's, Stiefel. Hinaus in die Welt!"

    Der Stiefel wippte noch einmal kurz mit der dicken Zehe, dann schritt er durch die Tür ins Freie.

    „Endlich frei", seufzte die Mütze erleichtert. Der Stiefel brummte zustimmend.

    „Also los, Stiefel. Was kostet die Welt!"

    Mit diesem Ausruf ritt die Mütze auf dem Stiefel der untergehenden Sonne entgegen.

    Der Weg zum Fluss

    Einige Wochen waren inzwischen ins Land gegangen, und die Mütze wanderte immer noch unermüdlich mit dem Stiefel durchs Land, auf der Suche nach einer friedlichen Unterkunft, Arbeit, einem Tässchen Milch und einem Stückchen Brot. Immer und immer wieder hatte sie die verrücktesten Abenteuer erlebt.

    Sie war an einen Bäcker geraten, der sie über und über mit Mehl einstäubte.

    Sie war an einen Strauchdieb geraten, der sie kurzerhand raubte.

    Gottlob fand der Stiefel sie wieder.

    Sie wurde in einer Kneipe vergessen und hatte unzählige Male das Pech, immer wieder an die falschen Menschen zu geraten, nämlich solche, die ihre wahre Größe nicht erkannten, und sie wie einen alten, schmutzigen Lappen behandelten.

    Gerade hatte sie wieder einmal eines ihrer haarsträubenden Erlebnisse hinter sich gebracht, (jenes Arbeitsverhältnis bei dem Bäcker, der sie über und über mit Mehl einstäubte) und war mit dem rettenden Sprung auf den Stiefel geflohen, den sie mit den Worten anzufeuern pflegte: „Auf geht’s Stiefel, was kostet die Welt." Da fasste sie einen Entschluss.

    „Stiefel, sprach sie zu ihrem treuen Begleiter, als sie weit genug von dem Ort entfernt waren, in dem der Bäcker den Menschen seine schmutzigen Brötchen andrehte, „ich glaube, wir sollten nach Süden gehen.

    Der Stiefel brummte etwas atemlos, denn ihm saß die überstürzte Flucht noch im Leder.

    „Schon hundertmal habe ich gehört: Im Süden ist es schön. Im Süden sind alle so freundlich. Im Süden sind alle so zuvorkommend. Weißt du es nicht?"

    Der Stiefel nickt kurz mit dem Schaft.

    „Bist du einverstanden?"

    Wieder Nicken.

    „Also gut. Beschlossene Sache. Wir gehen nach Süden. Wo waren wir hier nicht schon überall. Nirgends wurden wir geduldet. Und wenn wir glaubten, einmal eine vernünftige Bleibe gefunden zu haben, entpuppte sich die Geschichte als eine einzige große Lüge."

    Der Stiefel ließ die Mütze weiterplappern und lief geradeaus auf ein kleines Wäldchen zu. Dort angekommen blieb er stehen und bedeutete der Mütze abzusteigen, weil er müde war.

    „Hast ja recht, meinte sie. „Legen wir uns schlafen. Der Tag war aufregend genug.

    Der Stiefel schnarchte schon, als sie noch murmelte:

    „Mal sehen, ob der Süden wirklich besser ist"

    „Auf geht’s", rief die Mütze, als sie den Stiefel endlich wach hatte und aufgesessen war.

    „Was kostet die Welt? Richtung Süden!"

    Der Stiefel drehte sich einmal ratlos im Kreise.

    „Bist du ungebildet", schüttelte die Mütze den Bommel.

    „Im Osten geht die Sonne auf

    im Süden steigt sie hoch hinauf,

    im Westen will sie untergehn,

    im Norden ist sie nie zu sehn.

    Alles klar?

    Na dann los."

    Der Stiefel drehte sich so, dass er die Sonne zur Linken hatte und stiefelte los.

    „Halt stopp, rief die Mütze und hoppelte auf ihm herum, „du läufst geradewegs nach Norden. Die Sonne muss rechts von dir stehen. Rechts ist dort, wo deine Spitze am kürzesten ist.

    Der Stiefel brummte unwillig über die Besserwisserei der Mütze und machte einen großen Bogen, bis schließlich die Sonne rechts von ihm stand. Er schritt kräftig aus und sie kamen schnell voran. Die Sonne stieg und brannte auf Leder und Wolle. Die Mütze fühlte sich unwohl, denn je wärmer es wurde, desto mehr juckte es sie in den Fäden. Mehl und Salzpartikel scheuerten in ihren zarten Fasern.

    Ein Dorf, dessen Kirchturm verführerisch in der Sonne glitzerte, umwanderten sie noch am Vormittag. Die Mütze hatte den Bommel noch voll von Dörfern, die ihren Kirchturm verführerisch in die Sonne streckten, und auch der Stiefel hatte keine große Lust, schon wieder in die Hände eines habgierigen, unachtsamen Menschen zu geraten, der ihn misshandelte oder achtlos in einen dunklen Schuppen stellte. Das Dorf, in dem der Bäcker wohnte, hatte auch ganz friedlich und freundlich seinen Kirchturm in die Luft gereckt. Damals dachte die Mütze, der glänzende Turm blinzelte ihr zu. Sie hatte ein „Komm ins Dorf, hier ist es schön" herausgelesen. Schön war das Dorf ja, aber nicht für eine alleinstehende Mütze mit einem Stiefel, die auf der Suche nach Arbeit und Wohnung sind.

    Dabei hatte die Mütze gleich eine vierfache Last zu tragen. Zu der einfachen Last kam, dass sie zweitens eine freischaffende Mütze war, sich also nicht alles gefallen lassen durfte, sie drittens nicht kostenlos arbeiten konnte, denn auch eine Mütze muss leben, und sie viertens einen   Angestellten - unterbringen musste, den Stiefel nämlich.

    Sie konnte und wollte den Stiefel nicht einfach stehen lassen, das ließ ihr mützliches Gewissen nicht zu. Sie empfand dem Stiefel gegenüber eine Verpflichtung. Er war ihr zum liebsten Stiefel der Welt geworden. Sie hing an ihm, wenngleich er furchtbar unselbstständig war. Ohne sie hätte er sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt. Wie sollte er auch. Er saß normalerweise an der niedersten Stelle des Menschen, dem Fuß, und wurde sein Leben lang getreten. Ihm wurde sozusagen mit der Geburt die Persönlichkeit gebrochen.

    „Wie soll sich da ein Stiefel frei entwickeln können?", dachte die Mütze und bedauerte ihn. Der eingeschlagene Weg erwies sich als äußerst schwierig. Sie mussten Zäune und Tümpel umwandern, Böschungen überklettern und sich durch dichtes, hohes Schilf arbeiten, welches ihr manchmal derbe an der Wolle riss. Gegen Mittag erreichten sie einen breiten Fluss, an dessen Ufer sich ein etwa zehn Meter breiter Grasstreifen hinzog. Er war durchsetzt mit matschigen, braunen Lachen und wurde von meterhohem im Winde rauschendem Schilf abgeschirmt. Hier und da lagen kopfgroße oder größere Findlinge herum, die in der Mittagshitze einen willkommenen Schatten spendeten.

    Als sie dem Fluss näher kamen, konnte die Mütze das Ufer nicht schnell genug erreichen. Sie musste einem dringenden mützlichen Bedürfnis nachgehen.

    Nachdem sie das letzte Schilfrohr hinter sich gelassen hatten sprang sie in hohem Bogen vom Stiefel und rollte mit einem lauten AAAHHHH ins Wasser.

    Sie stöhnte erleichtert auf, als sich ihre Fäden voll Wasser sogen.

    „Endlich waschen", keuchte sie.

    Mehl und Salz lösten sich und das Wasser spülte einen Teil davon fort.

    „Komm Stiefel, walk mich", rief sie.

    Der Stiefel zögerte. Er hielt nichts von Wasser. Ihm war ein trockener Lappen und Schuhwichse wesentlich lieber. Aber das verstand die Mütze nicht, sie wusste nichts vom Wohlergehen des

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1