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Am Ende des Wohlstands: Irrwege und Fehlentwicklungen der Reformpolitik
Am Ende des Wohlstands: Irrwege und Fehlentwicklungen der Reformpolitik
Am Ende des Wohlstands: Irrwege und Fehlentwicklungen der Reformpolitik
eBook397 Seiten4 Stunden

Am Ende des Wohlstands: Irrwege und Fehlentwicklungen der Reformpolitik

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Über dieses E-Book

Die an sich notwendige Reformierung der Institutionen des Sozialstaates ist mißlungen. Statt eines gut funktionierenden Systems öffentlicher und privater Dienstleistungen haben sich überall parasitäre Strukturen mit Selbstzweckcharakter entwickelt, die die gewachsenen Grundlagen autonomer gesellschaftlicher Bereiche zersetzen. Das trifft für die Arbeitsmarktreformen (Hartz IV) ebenso zu, wie für die Reformen im Gesundheitswesen, die in zunehmendem Maße ihre Zweckbestimmung verfehlen, aber auch für die vorgenommene Privatisierung oder Auslagerung von öffentlichen Dienstleistungen. Der Umbau des Sozialstaates nach Maßgabe kommerzieller Kriterien und neoliberaler Schlagworte ist gescheitert. Er hat wirtschaftliche Machtkonzentration, Verschwendung und Mißwirtschaft begünstigt und den Trend zur Verarmung, Verwahrlosung und Spaltung der Gesellschaft nicht verhindert, sondern eher unterstützt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Dez. 2015
ISBN9783738051964
Am Ende des Wohlstands: Irrwege und Fehlentwicklungen der Reformpolitik

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    Buchvorschau

    Am Ende des Wohlstands - Shimona Löwenstein

    1 Der Mythos des Sozialen

    Vor beinahe schon fünfzehn Jahren beleuchtete Walter Wüllenweber in einem Aufsatz in der Berliner Zei­tung folgenden zunächst etwas befremdlich anmutenden Sachverhalt: Das Sozial-Logo biete die perfekte Tarnung für eine Hilfeindustrie, die den Hilfsbedürftigen nicht nur nichts nützt, sondern ihren Interessen eher schadet. Das gilt nicht nur für die karitative Tätigkeit von Mutter Teresa, von deren Einnahmen (100 Millionen jährlich) angeblich 90 % nach Rom überwie­sen wurden, sondern auch für die ertragsreichen Hilfeindustrien in Deutschland, die an der Beseitigung der eigentlichen Übel oder Mißstände in Wirklichkeit wenig Interesse ha­ben, weil sie damit ihre Existenzberechtigung in Frage stellen würden. Zwei Beispiele wurden ge­nannt: das „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AGAG) und die „Arbeitsbe­schaffungsmaßnahmen (ABM), insbesondere in Ostdeutschland. Es zeigte sich, daß diese „sozialen Aktionen" kontraproduktive Auswirkungen für die zu erreichenden Ziele ver­zeichneten. [1]

    Wie ist es aber möglich, daß humanitäre oder soziale Hilfeleistungen den Hilfsbedürftigen eher schaden als helfen? Handelt es sich um Mißbrauch oder um strukturell bedingte Systemfeh­ler, die dazu führen, daß immer mehr Armut entsteht, je mehr Armutsbekämpfung betrieben, daß trotz großer Bemühungen, Arbeitsplätze zu schaffen, die Arbeitslosigkeit wei­ter wächst, und daß bei stetig steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen Teile der Bevölke­rung schlechter versorgt sind? Viele Menschen spenden oder engagieren sich ehrenamtlich, für Entwicklungshilfe, für die Bekämpfung von Armut und Krankheiten und sonstige hu­manitäre Ziele (in der letzten Zeit insbesondere für Flüchtlinge) oder auch für diverse Natur- und Umweltschutzprojekte in der Annahme, ihre Hilfeleistun­gen seien sinnvoll. Auch die Bereitschaft, Wohlstand zu teilen, und der Stolz auf den Sozialstaat, der allen ein menschenwürdiges Leben und Teilhabe am gesellschaftlichen Fort­schritt ermöglichen sollte, blieben lange Zeit unangefochten. Was ist geschehen, daß das angeblich „Soziale" asoziale Konsequenzen zeitigt, während Hilfeleistungen Mißstände nicht beseitigen, sondern nur die wachsende Hilfeindustrie fördern, die von den Mißständen lebt? War dem immer schon so oder entstanden diese Schieflagen erst durch gesellschaftliche Fehlent­wicklungen?

    Das Konzept einer Ordnung, die später als die „soziale Marktwirtschaft" bezeich­net wurde, wie es von den Vertretern des ursprünglichen deutschen Neoliberalismus, des sogenannten Ordo-Liberalismus, vor allem von Walter Eucken, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow, in der Nachkriegszeit formulierten wurde, ging von der Vorstellung der freien Marktwirtschaft, der Wettbewerbsordnung als der effizientesten und gerechtesten Wirtschaftsordnung aus, de­ren Schutz vor privatwirtschaftlicher Vermachtung dem Staat aufgetragen wurde. [2] Dieser An­satz sollte nicht mit dem heutigen konzeptlosen „Neoliberalismus verwechselt werden, der im Gegenteil die immer größere Machtkonzentration durch globale Weltwirtschaftskonzerne und die gängige Praxis des rücksichtslosen Aufkaufens anderer Unternehmen, einschließlich „feindlicher Übernahmen, Monopolisierung, Kartellbildung und Beseitigung von Konkur­renz eher mit sozialdarwinistisch anmutenden Schlagworten über die Durchsetzung des Tüchtigeren als quasi Naturgesetz zu rechtfertigen sucht. Die „soziale Markwirtschaft" sollte auch keinen „dritten Weg im Sinne eines Kompromisses zwischen der als ineffizient erkann­ten Planwirtschaft und dem „ungebändigten Kapitalismus [3] einschlagen, sondern eine Syn­these von echter Marktordnung und Wohlstand der ganzen Bevölkerung schaffen, deren be­nachteiligte Teile erst bei seiner Verteilung mitberücksichtigt werden sollten. Somit war die Auf­gabe des Staates zunächst die Sorge für Rahmenbedingungen der Marktordnung und Beach­tung von fairen Spielregeln, damit es auf dem Markt zu keiner „Vermachtung" kommt, danach die Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens und gleicher Chancen für alle.

    Dieses Konzept wurde aber vorschnell als Festlegung von Zielen durch staatliche Eingriffe in das Spiel der Wirtschaft mißverstanden, infolge dessen in das Marktsystem immer mehr dirigisti­sche und marktfremde Bestandteile hineingetragen wurden, die dessen Funktionsfähig­keit beinträchtigen. Es beruhte auf einem Denkfehler: Der Zweck der Wirt­schaft, nämlich die an sich moralisch neutrale Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung, die erst im Zusammenspiel des Marktes moralisch zu bewertende Ergebnisse (Arbeitsplätze, allgemeinen Wohlstand) als Nebenfolgen hervorbringt, wurde mit diesen Nebenfolgen selbst verwechselt. Man könnte diese Denkweise etwa durch die Vorstellung veranschaulichen, als würde man bei einem Fußballspiel nicht für das faire Spielen sorgen, sondern den Gewinner im voraus bestim­men und durch Eingriffe ins Spiel oder Modifizierung der Regeln das Ergebnis garantie­ren wollen. Diese Auffassung erinnert an archaische ökonomische Vorstellungen der Kirchenväter, die durch die Einführung von Moralgesetzen in die Rahmenbedingungen des Mark­tes, das Festlegen von gerechten Preisen oder Löhnen, die Marktwirtschaft ihrer Effi­zienz beraubten. Das Ergebnis dieses Moralismus ist keine moralische Wirtschaft, sondern eine Verschwendung von Mitteln und Chancen, die dadurch gerade den Ärmsten vorenthalten wer­den. [4]

    Ludwig Erhard, dessen hauptsächliches Verdienst es war, die Marktwirtschaft in der Bundesre­publik auch gegen die anfängliche Skepsis der Alliierten durchgesetzt zu haben, hatte vor dieser Entwicklung gewarnt: „Die Marktwirtschaft und die menschliche Freiheit und Frei­zügigkeit müssen Schaden leiden und am Ende verlorenge­hen, wenn etwa um des Phan­toms des Wachstums willen die in­nere und äußere Stabilität unserer Wirtschaft nur noch durch immer weiter greifende Eingriffe des Staates in das wirt­schaftliche Gefüge rein äußer­lich in einem technologischen Sinn gewährleistet erscheinen, während der Wissende sehr wohl erkennt, daß diese notwendig immer weiter um sich greifende ‚Plan’-Wirtschaft mit dem Ge­danken einer freiheitlichen Le­bensordnung nicht mehr vereinbar ist." [5]

    Das Problematische an dieser Entwicklung waren nicht die guten Absichten der sozialen Refor­mer, sondern die Art und Weise, wie man diese zu verwirklichen suchte, nämlich durch direkte Eingriffe in die wirtschaftlichen Abläufe, beispielsweise durch Festsetzung von Min­dest- oder Höchstpreisen, die zu Deformationen des jeweiligen Marktes führen, diverse Nebenfol­gen bewirken und der gewünschten Vorstellung eher zuwiderlaufen. So führte etwa die Festsetzung von Höchstpreisen [6] für Mieten in Altbauwohnungen keineswegs zur Siche­rung von preiswerten Wohnungen für „sozial Schwache", d.h. Menschen mit niedrigem Einkom­men, sondern zu einem desintegrierten Wohnungsmarkt. Es kam zur überdimensiona­len Steigerung der Mieten in den Neubauwoh­nungen, von den Vermietern beabsichtigtem Ver­fall von alten Häusern, leerstehenden Wohnungen und dem dadurch geschaffenen Pro­blem der Hausbesetzer, verbunden mit unerwünschten gesellschaftlichen Nebenfolgen (wie ständi­gem Wohnungsmangel, Schaffung von anderen nichtwirt­schaftlichen Auslesekriterien sei­tens der Vermieter, Protek­tion, Beste­chungen, schwarzem Markt, hohen Abständen und Kau­tio­nen, stei­genden Zahlen von Obdachlosen trotz bereits ge­stiegener Mieten usw.). Langfri­stig ist auch die Nachfrage, wie vor langer Zeit von den Wirtschaftswissenschaftlern vorausge­sehen, und da­mit auch die Überschußnachfrage gestiegen. Hätte man von Anfang an keine Höchstpreise garantiert, wäre wahrscheinlich auch das Ange­bot langfristig elastischer, die Mieten viel­leicht insgesamt etwas höher, das Wohnungsangebot jedoch ausrei­chend. Die unzähligen Regelun­gen zugunsten einmal der Mieter (Kündigungsschutz auch bei Nichtzahlern), ein andermal der Vermieter (Eigenbedarf als Kündigungsvorwand) mit dem gesam­ten überwucherten Mietrecht, machten die Lage nicht besser.

    Heute wird den Vermietern gestat­tet, die Miethöhe an den jeweiligen Mietspiegel des Bezirks anzupassen oder höhere Mie­ten durch durchgeführte „Modernisierungsmaßnahmen (insbesondere zur vermeintlichen Erhöhung der „Energieeffizienz) [7] zu fordern, was oft zu ungerechtfertig­ten legalen Mieterhöhungen führt. Im Unterschied zu früher stellt nicht mehr Woh­nungsmangel (viele Wohnungen vor allem in den Plattenbaubezirken im Osten standen lange Zeit leer), sondern vor allem überhöhte Mieten, [8] die einen Großteil der fixen Lebenshaltungskosten ausma­chen, das Hauptproblem dar. Vielerorts kommt es zu sog. „Gentrifizierung" (Luxusmodernisierungen und Verdrängung ursprünglicher Einwohner aufgrund überhöhter Mieten), die man in der letzten Zeit durch verschiedene Regelungen, wie z.B. die Mietpreisbremse [9] wieder einzudämmen versucht. [10] Die Regelungen sind umstritten und werden den erwünschten Effekt auch kaum haben, ebensowenig wie schon zuvor der Mietspiegel.

    Ebenso erzielte der jahrzehntelang betriebene verschwenderische „soziale Wohnungsbau" nur eine Reihe weiterer Deformationen auf dem Wohnungsmarkt. Die staatliche Nachfrage rich­tete sich nicht nach Marktkrite­rien, sondern man beauftragte bestimmte Baufirmen, die Gewinnbe­teiligung proportional zu den aufgewen­deten Ko­sten er­hielten. Durch diesen völlig unwirtschaftlichen Ansatz, an dem nur die beauftragten Firmen gut verdienten, verbunden mit un­sinnig eng festgesetz­ten Wohnkriterien und überflüssigen Standardvorschriften, fiel die Kosten­rechnung entspre­chend hoch aus, wodurch der Bau von sozialen Wohnungen sogar noch teurer als der frei finanzier­ten wurde. Mit dieser Praxis wurde also nicht Sparsamkeit und Wettbewerb, sondern Verschwendung und „Abzocke der Bauherren auf Kosten der Steuer­zahler belohnt. [11] Später wurden die ursprünglichen „Sozialbauwohnungen in vielen Städ­ten an private Investoren verkauft, was oft zu drastischen Mietsteigerungen führte. Das mißlun­gene Projekt war damit beendet. [12] Di­rekte Mietzuschüsse für Menschen mit geringem Einkom­men (das sog. Wohngeld) wären dage­gen billiger und ohne Nebenfolgen gewesen. [13]

    Die Politik der Eingriffe in Wirtschaftsabläufe betrafen selbstverständlich nicht nur den Woh­nungsmarkt. Ansätze zu einer Wirtschaftslenkung in den siebziger Jahren waren bereits deut­lich zu erkennen, wurden jedoch auf­grund des linken Zeitgeistes nur von Wenigen als mögli­che Gefahren für die ganze Ordnung erkannt. So stellte Franz Böhm in einem polemi­schen Aufsatz von 1973 fest, daß wirtschaftliche Interventionen, welche die einzig wirksame Konkurrenz ausschalten, über ihre Ineffizienz hinaus auch sehr unerwünschte politische Ef­fekte besitzen. [14] „Kurz, der politische Effekt von Interventionen ist, daß auf die Wirtschaften­den ein starker Anreiz ausgeübt wird, sich zum Behuf der Erlangung oder Beibehaltung von Inter­ventionen politisch zu organisieren. Anstatt ihr partikulares Privatinteresse – wie es im Sinn der marktwirtschaftlicher Ordnung liegt – durch Marktreaktionen (Verbesserung der eige­nen Leistungskraft) wahrzunehmen, bedienen sich die Wirtschaftenden immer häufiger und nachhaltiger ihres Wahlrechts, der Presse, ihres Demonstrationsrechts, des Streiks." [15]

    Das war bestimmt nicht dasjenige, was die deutschen Neoliberalen in der Nachkriegs­zeit unter dem Schutz der Wettbewerbsordnung gemeint haben. Schließlich sprach selbst der größte Protagonist der „sozialen Marktwirtschaft" aus dem Kreis des eher liberal-konser­vativen Ordo-Liberalismus, Alfred Müller-Ar­mack, vom Abrücken in sozialistische und dirigistische Vorstellungen. [16] Seine Warnung vor dem, was er „Demokratisierung" nannte, d.h. einer Verwandlung der „sozialen Marktwirtschaft in „puren Pragmatismus oder ei­ne „Politik des Stimmenfangs", [17] wies auf Gefahren hin, die das rationalistisch-technokrati­sche Mißverständnis bereits von Anfang an in sich barg: „Diese stetig gegen den marktwirtschaftli­chen Prozeß ge­richteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen und zusätzlichen Be­lastungen der Wirtschaft haben als besonderes Charakteri­stikum die scheinbare Unmerklich­keit dieses Prozesses. (...) Jeder dieser einzelnen Schritte (...) mag ein Stück Vernünftig­keit enthalten, die Summe der kleinen Schritte bedeutet je­doch eine zunehmende Bela­stung der Wirtschaft, eine immer größere Verstrickung der Staatsfinanzen in ein Netz dirigi­sti­scher Politik, das am Ende praktisch auf einen Systemwech­sel hinausläuft, zumindest in eine Ordnungsform, die auch po­litisch nicht mehr regulierbar und steuerbar ist." [18]

    Schärfster Kritik unterzog vor allem Friedrich August von Hayek den Sozialstaat und das mit seiner Entwicklung zusammenhängende Postulat „sozialer Gerechtigkeit", dem die spon­tane Ordnung der freien Marktwirtschaft und Gesellschaft geopfert wird. „Vieles, was heutzu­tage im Namen der ‚sozialen Gerechtigkeit’ getan wird, ist deshalb nicht nur ungerecht, son­dern auch höchst unsozial im wahren Sinne des Wortes: es läuft schlicht auf den Schutz solide be­fe­stigter Interessen hinaus." [19] Mit dieser Feststellung, an der natürlich linke Programmatik Anstoß nahm, war Hayek und ähnlich gesinnte liberale Denker nicht allein. Der Wohlfahrts­staat mit seiner Leitvorstellung, der „sozialen Markt­wirtschaft", einer ­wachsenden Büro­kratisie­rung und einem ständig dichteren Netzwerk interven­tionistischer Regeln hat sich, trotz sei­ner frei­heitlich-humanen Ideologie, zu einem vom Gesichtspunkt der Selbstregulierung ex­trem un­natürlichen System entwickelt, wie von vielen Kritikern seit Anfang der 80er Jahre im­mer wieder festgestellt wurde. [20] Seitdem war von einer „Krise des Sozialstaats" die Rede.

    Kurt Biedenkopf sprach 1985 im Zusammenhang mit seiner Kritik des Sozialstaats von ei­ner „Verstaatlichung der Verteilungs­konflikte [21] und verglich diesen allmählichen Prozeß mit dem Erscheinungsbild einer Krankheit: „Die Widersprüche, die daraus erwachsen, setzen sich durch das ganze System der mit­einander verbundenen (vernetzten) Teilbe­reiche fort und tre­ten – ähnlich wie es bei einer seelischen Krankheit der Fall sein kann – an Stel­len des Kör­pers der Ge­samtwirtschaft als Krankheitssymptome auf, an denen sie kei­ner erwartet hat. Die Sym­ptome führen nach Ansicht des CDU-Politikers nicht zu ei­nem Abbau des Wider­spruchs, sondern zu neuen Maßnahmen, die allein auf das Symptom zie­len. „Das Symptom wird als Ursa­che gesehen. Seine ‚Behandlung’ erzeugt neue Widersprüche – und so weiter." [22]

    Einige Jahre später faßte Wernhard Möschel in einem Aufsatz alle Systemfehler des ausufern­den Sozialstaats zusammen: Das Wort „sozial" werde inflationär gebraucht, die Sozialpoli­tik sei aus der ursprünglichen Hilfe für Bedürftige zum bewußt eingesetzten Lenkungs­mittel und der Sozialstaat zum „sozialen Obrigkeitsstaat", ja einem „sozialen Überforde­rungsstaat" geworden. Die praktizierte Sozialpolitik sei unmäßig und kontra­produktiv, und zwar in Bereichen wie dem Versicherungswesen, dem Agragsektor, dem so­zialen Wohnungsbau, aber auch im Gesundheitswesen, beim Ladenschlußgesetz wie bei der Vermögungsbildungsförderung. Sie berücksichtigt nach Möschels Ansicht keine ökonomi­sche Verhältnismäßigkeit und wälzt Nebenwirkungen und Kosten auf Dritte ab. Der Größenmaß­stab des Anteils sozialer Leistungen am Bruttosozialprodukt, der Belastung der Ein­kommen und der Kostenexplosion vor allem in der Rentenfinanzierung und im Gesundheitswe­sen schien ihm schon damals an seine Grenze gekommen zu sein. Überdies hielt er das soziale Anliegen auch vom moralischen Gesichtspunkt für zweifelhaft, da es mit dem Schutz bestimmter Gruppen (der Arbeitnehmer) zugleich die Chancen anderer (der Arbeitslo­sen) versperre. [23]

    Um all diese verschwenderische und kontraproduktive Politik zu rechtfertigen, wurde die ge­samte hergebrachte sozialethische Terminologie auf den Kopf gestellt, Begriffe wie Frei­heit, Solidarität, Menschenwürde u.a. umgedeutet, der Sozialstaat zu einem fast religiösen Be­griff verklärt, stellte Gerd Habermann in einem Aufsatz von 1996 fest, in dem er für die Entmy­thologisierung des Sozialen sowie die Rückgabe sozialer Verantwortung an die Bürger plädierte. Der wohlfahrtsstaatliche Leviathan mit seinem Ideal des „Lebens aus einem Topf", also einer großen Solidarhaftung aller für alle und ständiger Ausweitung sozialer Zwangsversiche­rung in allen Bereichen, mache seine Bürger nicht nur nicht freier, sondern lasse an dem gewaltigen, unübersichtlichen und intransparenten Umverteilungs- und Versiche­rungssystem ganz andere Gruppen als die tatsächlich Hilfsbedürftigen profitieren: vor allem Berufspolitiker, Interessengruppen und die öffentlichen Bediensteten, denen die Umver­teilung obliegt. „Das unübersichtlich und intranspa­rent gewordene staatliche Wohlfahrtssy­stem scheint besonders Berufspolitikern zu nützen, die über die Austeilung von ‚sozialen Geschenken’ ihre Wahlkämpfe führen. Mittels Ausver­kauf der Freiheit sichern sie sich ihre Macht." [24]

    Dreißig Jahre nach dem beklagten Vordringen so­zialistischer und dirigistischer Vorstellun­gen sieht dieses System, das über den Kommunismus im Kalten Krieg gesiegt hatte, nicht als eine Synthese von echter Marktordnung und staatlicher Sozialpolitik aus, sondern als ein von einer politischen Oligarchie regierter unersättlicher Leviathan. Die mit vielen Einschränkun­gen, regulierenden und inter­venierenden Maßnahmen belastete Wirtschaft gilt ihm als Werk­zeug verschiedener Interessen und Mittel zur Finanzierung anderer, weder freiheitlicher noch sozialer Ansprüche. Die Umformung des Sozialen zum Macht- und Herrschaftsinstrument des Staates, das auf altbekannten Säulen, nämlich Angst, Intransparenz und Solidaritätsappellen be­ruht, verfehlt zunehmend sein proklamiertes Ziel, die „soziale Gerechtigkeit", äußerte spä­ter Meinhard Miegel. Der Sozialstaat habe die Gesellschaft, von der er lebt, entsolidarisiert, entmündigt und damit entwürdigt, deformiert und völlig ausgelaugt, bis er jetzt an die Gren­zen deren Tragfähigkeit gelangt sei: Jahrzehntelang habe er keine Vorsorge getroffen, keine Zu­kunftsinvestitionen getätigt, sondern bloße Umverteilung betrieben. Mit Täuschung, Betrug und Illusionstheater, insbesondere durch die Illusion eines „Wohlstands auf Pump", der nur durch stets zunehmende Schuldenberge finanziert wird, sucht er seine Herrschaft weiter aufrechtzu­erhalten. [25]

    Der so gepriesene deutsche Sozialstaat erscheint angesichts all dieser Tatsachen in einem ganz anderen Licht, nämlich als ein verschwenderisches System, von dem vor allem große organi­sierte Interessen, Berufspolitiker, Staatsdiener und die angeschlossene Hilfeindustrie profitie­ren, der aber die Lebensgrundlagen der Gesellschaft auf Kosten der Zukunft verzehrt. Der parasitäre Charakter dieser nur vermeintlich „sozialen Hilfeleistungen ist bezeichnend für viele Bereiche der Gesellschaft. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß inzwischen fast alle grundlegenden gesellschaftlichen Sphären, der Arbeitsmarkt und alle sozialen Systeme (das Renten- und Gesundheitswesen), die Infrastruktur, die Umwelt und die Bildung bis zur Krimi­nalitäts- und Gewaltbekämpfung von dieser Entwicklungstendenz betroffen sind. Dieser Trend hat zur Folge, daß sich überall eine überdimensionierte „Hilfeindustrie etablierte, die ihre ursprünglich sinnvolle Funktion nach und nach durch eine selbstbezogene Scheinhilfe als Selbstzweck ersetzt. Die Struktur dieser Inanspruchnahme bestimmter gesellschaftlicher Funktio­nen ist mit der eines Tumors vergleichbar, der für sein eigenes Wachstum die Funk­tion gesunder Zellen und Organe so lange unterbindet, bis der ganze Organismus zugrunde geht. So wurde jedenfalls die Situation um die Jahrhundertwende seitens der Kritik gesehen und daraus auf eine gerundlegende Reformierung des ganzen Systems geschlossen. Die Frage ist allerdings, ob die seitdem vorgenommenen Reformen auch die richtigen Heilmittel waren, d.h. ob sie die diagnostizierte Krankheit tatsächlich behandelt oder eher verschlimmert haben.

    1.1. Die Krise des Sozialstaats und der Tanz auf der „Titanic"

    Die sich ständig verschlechternde Situation in mehreren sozialen Bereichen war also gut be­kannt, wurde jedoch verdrängt. Immer heftigere Kritik an sorgloser Politik kam seit den 80er Jahren vor allem von Wirtschaftswissenschaftlern. So wies beispielsweise das Frankfur­ter Institut für wirtschaftspolitische Forschung seit 1983 in mehreren Publikationen auf die Gefah­ren des sehr verbreiteten kurzsichtigen, engstirnigen und punktuellen Denkens in der Poli­tik hin, das allmählich auch das einzelwirtschaftliche Denken und Handeln korrumpiert und fehlgeleitet habe: Nebenwirkungen und langfristige Folgen von politischen Entscheidun­gen wurden ausgeblendet oder verdrängt, überfällige Korrekturen hinausgezögert und Illusio­nen über die Tragfähigkeit staatlicher Finanzen geschürt. Durch Mängel im Bildungswesen und die Behinderung von Forschung und Entwicklung wurden ungünstige Bedingungen geschaf­fen, durch Preisinterventionen, ein unzweckmäßiges Steuersystem, desorganisierte Mietwohnungs­märkte, brüchige Renten-, Pflege- und Krankenversicherungssysteme und eine Flut von Gesetzen, Verordnungen, Reglementierungen, Wettbewerbsbeschränkungen, strukturkon­servierenden Subventionen u.ä. die Wirtschaft verwirrt und gelähmt, private Initia­tive fehlgelenkt. Die Folgen waren Vernachlässigung von Investitionen in die Infrastruktur zugun­sten von Konsumausgaben, vor allem Sozialleistungen und Subventionen, und deren Finan­zierung durch immer höhere Neuverschuldung, d.h. Verlagerung von Lasten auf kom­mende Generationen. [26] Kritisiert wurden also vor allem die kontraproduktive Förderungs- und Reglementierungspolitik, die Tendenz zur Bürokratisierung und Verrechtlichung der Wirt­schaft und des Arbeitsmarktes, die Kostenexpansion der Staatsausgaben und der sozialen Versicherungssysteme sowie auch die moralische Zweifelhaftigkeit von vermeintlich sozialen Ziel­setzungen in der Praxis. Die Empfehlungen des Instituts waren 1994, die Fehlentwicklung die­ses verkürzten Zeithorizonts und dessen Folgen allgemein bewußt zu machen, eine Übertra­gung von Entscheidungsfreiheiten auf private Unternehmen und Haushalte, die Einfüh­rung institutioneller Stabilisierungsfaktoren (wie es z.B. die Bundesbank vor der Einfüh­rung des Euro war) sowie die Überprüfung aller Gesetzesvorlagen im Hinblick auf ihre Ne­ben- und Fernwirkungen in der Zukunft. Sie wurden allerdings nie befolgt.

    Die ersten beiden sozialdemokratischen Kanzler haben den Sozialstaat ausgebaut und unverant­wortlich expandieren lassen. [27] Auch während der 16-jährigen Kanzlerschaft von Hel­mut Kohl trat die lange angekündigte politische Wende im Sinne einer grundlegenden Re­form der sozialstaatlichen Strukturen nicht ein, im Gegenteil: Die kritische wirtschaftliche Situa­tion hat sich mit einer Steigerung der Staatsverschuldung um 240 % und der Arbeitslosig­keit um 60 % sowie einer steigenden Steuer- und Abgabenlast weiter verschlim­mert. Daher wundert es nicht, daß der spätere (verbale) Reformkonsens zugleich als Abschied vom „Sozialen" gedeutet wurde. Ende der Siebziger war dieser zum Leitbegriff der Republik geworden, während Kohls Wiedervereinigung in dessen traditionell etatistischer Logik er­neut zum Projekt der Sozialpolitik gemacht und deren Kosten dem sozialen Sicherheitssystem auf­gebürdet wurden. [28] Statt einer Wende redete man am Ende der CDU-Regierung eher von ei­nem Reformstau.

    Aber auch die an Gerhard Schröder geknüpften Reformhoffnungen haben sich nicht er­füllt. Es erschein zunächst nicht allzu realistisch, nachdem eine nur scheinbar konservative Regierung sechzehn Jahre lang dieselbe Verteilungs- und Beschwichtigungspolitik betrieben hatte, von ei­ner sozialdemokratischen eine wesentliche Änderung zu erwarten. Der schwache Kanzler war nicht einmal in der Lage, seine winzigen Spar­pläne durch Streichungen von bestimmten Steuervergünstigungen (Spendenabzugsfähig­keit, Eigenheimzulage usw.) im Hinblick auf die Spenderlobby und bevorstehende Landtagswah­len durchzuziehen. [29] Zum Teil standen Schröder die Widerstände in seiner eige­nen Partei im Wege, erstarrte Parteistrukturen, [30] gegen die er sich als Kanzler nicht durchzuset­zen vermochte, zum Teil gegenseitige Blockaden der Parteien. Dafür war das erbärmli­che Ergebnis des Vorweihnachtsspektakels 2003 im Vermittlungsausschuß ein gutes Beispiel. Selbst die von ihm eingeleitete und später gepriesene Reform-Agenda 2010, vor der man sich zunächst eine gewisse Steuerentlastung versprach, wurde von der Opposition gegen ihre eigenen Grund­sätze bekämpft und blockiert. [31] Und doch war es gerade dieses Programm, das der ebenso konzeptlosen britischen Politik Tony Blairs oder der Neuen Demokraten in Amerika ähnelte, mit dem eine Reihe von Scheinreformen eingeleitet wurde, die unter dem Vorwand von Modernisierung, Privatisierung und Deregulierung mehr Schaden an den bestehenden Strukturen eingerichtet hat als die spätere eher vorsichtigere Politik der „kleinen Schritte" von Angela Merkel.

    In den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende schien es zumindest, als sei das Leitbild des Sozialstaats und das Glaubensbekenntnis zum Sozialen, verbunden mit vie­len Rücksichten auf Besitzstände und Wahlergebnisse, stärker gewesen als alle Hin­weise auf die Widersinnigkeit und wirtschaftliche Irrationalität der bestehenden Praxis, Progno­sen und Warnungen von Sachverständigen. Die katastrophale Finanzlage (das „schwar­ze Loch im Bundeshaushalt) war beispielsweise nach den Steuerschätzungen bereits vor den Wahlen 2002 gut bekannt, wurde aber im Wahlkampf möglichst verschwiegen oder ver­tuscht. [32] Die Bundesrepublik sei sehenden Auges in die Krise geschlittert, schrieb Dieter Schröder an die Adresse des „Wahlbetrugs von Gerhard Schröder: „Genau genommen dau­ert diese Krise schon über 30 Jahre. Sie ist eine schleichende Krankheit, deren Symptome nur vorübergehend immer wieder verdeckt worden sind, wenn der Ölpreis sank oder die Weltkon­junktur anzog und ein Wachstumsschub Geld in die stets überforderten Kassen des Staa­tes oder der Sozialversicherungen lenkte. Keine der beiden großen Volksparteien kann sich rühmen, dem Patienten Deutschland je eine Rosskur verordnet zu haben." [33]

    Wie die Politik die Wirklichkeit einer sich verändernden Welt verdrängt und sich Wohlstandsil­lusionen über eine heile Welt hingibt, beschrieb 2002 Meinhard Miegel in seinem Buch Die deformierte Gesellschaft. Auch in der gleichnamigen Radiosendung wurde darüber berichtet, wie die heutigen Probleme (Überalterung, Arbeitslosigkeit, Verar­mung und Krise des Sozialstaats), die auf einen dramatischen Wandel sämtlicher Strukturen der Gesellschaft hinweisen, von den Deutschen, vor allem den Politikern nicht wahrgenom­men, und schon überhaupt nicht zu lösen versucht werden. [34] Die deutsche Politik sei durch Man­gel an Perspektiven, Versäumnisse und Fehlentscheidungen gekennzeichnet. Die politi­schen Diskussionen um Einwanderung, Arbeitslosigkeit usw. seien sämtlich vergangenheitsbezo­gen und wirklichkeitsfern: Unberücksichtigt bleiben die demografische Ent­wicklung, [35] vor allem die Alterung der Bevölkerung und die Zuwanderungsproblematik, die veränderten Bedingungen von Wirtschaft und Beschäftigung seit den siebziger Jahren, wo­nach keine hohen Wachstumsraten mehr zu erwarten sind, [36] sowie die Tatsache, daß selbst das schon lange ausbleibende Wachstum bei einer hohen Wissens- und Kapitalintensität keine zu­sätzlichen Arbeitsplätze mehr schaffen wird. Durch eine Förderung des Mittelmaßes, fal­sche Bildungspolitik, Vermeidung von Elitenbildung und Verschwendung oder Fehlleitung des Humankapitals durch ungenutztes Wissen von arbeitslosen Akademikern verkümmert der Wissensbestand der Gesellschaft; [37] durch verschwenderische unproduktive Ausgaben und veral­tete Gewerkschaftspolitik wird auch der Kapitalstock bzw. dessen Produktivität vermin­dert. [38] Aber gerade diese Quellen des Wohlstands (Wissen und Kapital) [39] werden in Deutsch­land zu wenig gefördert, ja allmählich zugeschüttet. Ideologische Hintergründe, falsche Vorstellun­gen und Machtinteressen verhindern es, sich auf die Veränderungen der Lebenswirklich­keit einzustellen und den allgemeinen Niedergang der deutschen Wohlstandsgesell­schaft abzuwenden.

    Nach Gabriele Metzler bestand der Grund für die Effizienz- [40] und Legitimationskrise (staatli­cher Interventionismus auf Kosten der Freiheit) [41] des deutschen Sozialstaats seit den 70er Jahren im Zusammentreffen von verminderter staatlicher Handlungsfähigkeit (Reform­blockaden, „Unregierbarkeit") und gestiegenen Erwartungen (Überforderung) infolge der Entwicklung in den 60er Jahren, in denen eine erweiterte Interpretation des Sozialstaats und eine gleichzeitige „Revolution der Erwartungen eingeleitet wurde. Metzlers Haupt­these lautet: Der Sozialstaat ist ein Projekt der „ersten Moderne, der seine Grenzen erreicht hat. Diese sind wirtschaftlich durch die Unmöglichkeit seiner Finanzierbarkeit (Kostenexplo­sion) aufgrund der demographischen Entwicklung (Bevölkerungsrückgang, Alterung) und der Koppelung der Alterssicherung an Erwerbsarbeit (Arbeitslosigkeit) sowie soziokulturell (Entsolida­risierung und Individualisierung) gegeben. [42] Die Tatsache, daß zwar Neuerungen einge­führt, ein Sparkurs eingeleitet, aber keine echte Umkehr stattfand und grundsätzliche Lö­sungsvorschläge oder Strategieentwürfe immer nur Gegenstand akademischer Diskussionen geblie­ben sind, erklärt sie vor allem durch die große Resistenz und den Strukturkonservativis­mus der Institutionen, verbunden mit den Reformblockaden diverser Lobbys und der Kosten­frage. Damit wird die These von der „Pfadabhängigkeit der Entwicklungen" und ihrer prakti­schen Unumkehrbarkeit gestützt. Der deutsche Sozialstaat war als ein Sozialversicherungs­staat konstruiert und ist es trotz aller Wandlungen und ideologischen Anstriche bis heute geblie­ben. [43]

    Inwiefern die deutsche Sozialpolitik bis heute durch Kontinuität mit Bismarcks Sozial­staat oder auch von bestimmten neuen Trends geprägt ist, müßte einzeln untersucht werden. Die Denkweise, auf der das immer wieder festgestellte kurzsichtige politische Handeln be­ruht, gehört jedenfalls eher in die vormoderne Zeit und ähnelt der Art und Weise, wie sich bei­spielsweise der Feudalherr die benötigten Mittel von seinen Untertanen holte: durch eine Steuer- oder Abgabenerhöhung. Sie geht von der naiven Überlegung aus, daß mehr Steuer doch mehr Geld in die staatliche Kasse einbringt – eine „Milchmädchenrechnung", die nicht auf­kommt. Elementare Kenntnisse wirt­schaftlicher Zusammenhänge ergeben auch ohne kompli­zierte Berechnungen von Wirtschaftsexperten, daß das Defizit am Ende

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