Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Hilfe, jetzt habe ich auch noch Erfolg: Wieder ein Roman über die anderen
Hilfe, jetzt habe ich auch noch Erfolg: Wieder ein Roman über die anderen
Hilfe, jetzt habe ich auch noch Erfolg: Wieder ein Roman über die anderen
eBook297 Seiten3 Stunden

Hilfe, jetzt habe ich auch noch Erfolg: Wieder ein Roman über die anderen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

In Nadines Leben könnte endlich Ruhe einkehren. Ihre Arbeit, ihr Privatleben - im Großen und Ganzen läuft alles prima. Wenn da nicht ihr Nachbar wäre. Und dessen Umtriebigkeit.

Von jetzt auf gleich sieht sich Nadine einer neuen Heraus- forderung gegenübergestellt, der sie sich nicht gewachsen fühlt. Das hat sie nun davon, dass sie sich von ihren eigenen Erlebnissen zu einem Roman hatte inspirieren lassen. Jetzt könnten Fans ihre Wohnung stürmen, ein alter Bekannter sieht seine Chance auf Rache, und von allen Seiten wird sie mit ihrem eigenen Erfolg konfrontiert. Ihr Leben wird öffentlich, was nie ihr Plan gewesen war. Mehr noch: Ihre große Liebe wird enttarnt!

Es entstehen elementare Fragen für sie: Was ist Erfolg? Braucht sie ihn, um glücklich zu sein? Und wieso hat sie mal wieder keiner gefragt ...?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Aug. 2017
ISBN9783742777928
Hilfe, jetzt habe ich auch noch Erfolg: Wieder ein Roman über die anderen

Mehr von Katja Kerschgens lesen

Ähnlich wie Hilfe, jetzt habe ich auch noch Erfolg

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Hilfe, jetzt habe ich auch noch Erfolg

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Hilfe, jetzt habe ich auch noch Erfolg - Katja Kerschgens

    Zu Beginn

    Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig.

    1

    »Was machst du?«

    Nadine brauchte eine Weile, bis sie das Geräusch knapp hinter sich als Stimme, schließlich als Sprache, endlich als Frage wahrnahm.

    »Was machst du da, Nadine?«, kam es einen Tick drängender.

    Sie warf den Kopf hoch und schnappte nach Luft wie ein Taucher, der durch die Wasseroberfläche bricht.

    »Äh ... ich schreibe.«

    »Und was genau?«

    Serafin trat neben sie und schaute auf den Bildschirm ihres Laptops.

    »Ach, nichts Besonderes«, wehrte sie gedankenverloren ab, während ihre Finger über die Tastatur flogen. Bis auf das Geräusch des Tippens blieb es lange still. Dann wurde ihr bewusst, dass er ihre letzten Zeilen mitlas. Sie erschrak darüber so sehr, dass sie beinahe den Laptop zugeklappt hätte.

    »Was immer das werden soll, ich finde es sehr witzig«, sagte Serafin leise und küsste sie hinter dem rechten Ohr. Ein wohliger Schauer galoppierte von dort bis in ihren rechten kleinen Zeh.

    »Findest du?«, fragte sie mit hörbarem Zweifel. Sie blickte auf den zuletzt geschriebenen Absatz.

    »Ja, wirklich. Und es kommt mir ein bisschen bekannt vor.«

    Nadine konnte nicht verhindern, dass ihr die Farbe ins Gesicht stieg.

    »Das ist ... nee, ich ... das ist ...«, stammelte sie.

    »Und was wird das nun?«

    Nadine sah Serafin an, dann wieder ihren Text. Sie zuckte mit den Schultern.

    »Wie viel hast du denn schon geschrieben?«

    Sie blickte auf den unteren Rand des Bildschirms.

    »194 Seiten«, sagte sie und konnte es selbst kaum glauben.

    »Also keine Kurzgeschichte.«

    »Ich weiß nicht.«

    Serafin lachte und streckte einen Arm aus, den er mit großer Geste herumschwenkte.

    »Du bist umgeben von Büchern und kannst keine Kurzgeschichte von einem Roman unterscheiden?«

    Nadine zuckte mit den Schultern.

    »Ach, das ist doch nichts. Hatte eben einfach Lust, ein bisschen was hinzuschreiben.«

    »Wann ist das alles entstanden?«, fragte Serafin und setzte sich ihr gegenüber an den Esstisch. Seine Haare waren nass und tropften auf sein T-Shirt. Er roch nach dem neuen Duschgel, dass sie ihm vor ein paar Wochen geschenkt hatte.

    »An den furchtbar langen, einsamen Abenden, wenn du unterwegs in fremden Städten warst«, sagte sie mit gespielter Theatralik in ihrer Stimme. Serafin grinste breit.

    »Manche Frauen treiben sich dann lieber in Spelunken herum und suchen ein Abenteuer für die Nacht.«

    Nadine streckte ihm die Zunge heraus.

    »Du schließt von dir auf andere.«

    Serafin machte ein ernstes Gesicht.

    »Wenn du meinst.«

    Er stand auf, drehte sich schwungvoll um und verschwand im Bad. Nadine atmete tief durch. Ihr rutschte es immer noch heraus, er konnte immer noch nicht damit umgehen. Beide hatten die Vergangenheit bis heute nicht abgehakt, jeder kaute auf seine Weise darauf herum. Eine dünne Schicht war darüber gewachsen, aber die Grasnarbe war löchrig. Stolpern war leicht. Blaue Flecken waren vorprogrammiert. 

    Und doch hatten beide Ja gesagt. Sie hatten das alles gewusst und sich aufeinander eingelassen. Nadine war stolz darauf, stellte sie trotzig fest. Sie stand auf und trat ins Bad, ohne anzuklopfen. Serafin kämmte sich die Haare, roch jetzt nach frisch aufgelegtem Aftershave.

    »Der war doof, ich weiß«, sagte sie, dabei ihren Worten zum Trotz um einen sachlichen Tonfall bemüht. Er drehte langsam den Kopf zu ihr.

    »Meins auch.«

    Er lächelte.

    »Heute Abend in die Bar?«

    Nadine schnappte sich ein Handtuch und warf damit nach ihm. Die Bar. Sie war das Stellvertreterwort für all die Kämpfe im letzten Jahr. Für die Frauen, die Serafin unverändert umschwärmten. Für Nadines alte Zweifel an seiner Zuneigung zu ihr.

    »Dafür darfst du mich heute Abend feudal zum Essen einladen!«, keifte sie mit einem Lachen in der Stimme. Serafin riss die Hände hoch, als wollte er sich vor einer schießwütigen Meute ergeben.

    »Ja, okay, wird gemacht!«, rief er.

    »Dann ist ja gut!«, setzte Nadine nach und ging zurück ins Wohnzimmer. Sie blickte auf Loriot, der sich auf dem Ohrensessel eingerollt hatte. Sein weißes Fell bewegte sich langsam auf und ab. Er hatte ein neues Halsband an, auf dem zwischen zwei großen hellen Schmucksteinen in türkisfarbener Schrift auf dunkelblauem Leder Ach? Ach was?! stand. Ein Geschenk von Serafin, das er extra hatte anfertigen lassen. Nadine spitzte nachdenklich die Lippen. Mit Serafin war ein neuer Luxus in ihr Leben gezogen. Heute Abend würde sich Serafin nicht lumpen lassen und sicherlich eines der teuersten Restaurants der Stadt ansteuern. Nicht, ohne vorher mit seiner verführerischsten Stimme die Dame am Telefon davon zu überzeugen, dass er auf jeden Fall einen Tisch brauchte. Für zwei Personen. Heute. Es ginge schließlich um Leben und Tod. Oder so ähnlich. Die Inspiration aus den zahlreichen Büchern, die er in so vielen Jahren eingesprochen hatte, war schier endlos, sein Gedächtnis ebenso.

    Es gab diese Momente, in denen Nadine sich vorkam wie eine Laus in Serafins Pelz. Sie hatten beide ihren Job, aber er hatte obendrein das Vermögen, das sein Vater ihm nach dem Verkauf seiner Firma noch zu Lebzeiten vermacht hatte. Nadine wusste nicht, wie groß es war, und sie hatte noch nie gefragt. Ob es irgendwann aufgebraucht war? Die Hotels, der flotte Wagen, allerlei anderes teures Männerspielzeug, die luxuriösen Abendessen, das musste ordentlich ins Kontor schlagen. Sie schüttelte den Kopf. Zahlen waren nicht ihre Welt. Im nächsten Moment saß sie wieder am Laptop und tippte weiter, versank sofort in der anderen Wirklichkeit.

    »Darf ich die Künstlerin nochmal stören?«

    Nadine sah auf, dann auf die Uhr auf ihrem Laptop. Wieder einmal waren über zwei Stunden einfach verschwunden. Sie hatte nichts davon gemerkt und spürte ein schlechtes Gewissen in sich aufsteigen.

    »Sorry«, sagte sie leise, ließ den letzten Satz in ihrem Dokument unvollendet und speicherte die Datei ab. Sie klappte den Laptop zu.

    »Ich wollte nur wissen, ob du eine Runde mitgehen willst.«

    Ihr Blick fiel auf ihren Hund, der sie mit seinen hinreißenden Knopfaugen ansah. Selbst den hatte sie vergessen.

    »Ja, klar ...«, sagte sie, schüttelte ihre letzten Gedanken aus dem Kopf, die um ihre Geschichte kreisten, und stand auf. Ihr Rücken machte ihr unmissverständlich klar, dass zwei Stunden Unbeweglichkeit keine gute Idee gewesen waren. Sie humpelte auf ihre Schuhe im Flur zu. Loriot sprang bereits der Leine entgegen, die Serafin in der Hand hielt.

    Die frische Luft fühlte sich sie wie eine erfrischende Dusche für ihren abgelenkten Geist an. Sie atmete tief ein und schmiegte sich an Serafins Seite, der leise lachte.

    »Dass du beim Lesen total versinkst, das kenne ich ja bereits, aber das mit dem Schreiben ist neu.«

    »Mir auch«, gab Nadine zu und wusste weiter nichts dazu zu sagen. Es hatte vor Wochen angefangen, irgendwann hatte es das Lesen nahezu verdrängt. Da musste etwas aus ihr heraus. 

    »Vielleicht hört das auf, wenn die Geschichte fertig ist.«

    Serafin lachte lauter.

    »Habe ich das verlangt?«, fragte er und zog sie enger an sich.

    »Nein«, gab sie zu und wunderte sich über sich selbst. Wem gegenüber hatte sie sich zu rechtfertigen?

    »Lass uns die große Runde gehen«, schlug sie vor. Sie bogen in die nächste Straße ein. Loriot verstand sofort und zog mit größtem Enthusiasmus an der Leine.

    »Wie sieht deine kommende Woche aus?«, fragte sie Serafin, der sein Smartphone zückte und darauf herumwischte.

    »Hm«, machte er, »ab Mittwoch steht eine Doku an, bis dahin ... Honig gurgeln.«

    Nadine grinste. Seine Synonyme für freie Tage waren hinreißend einfallsreich. Dann schaltete sie.

    »Was für eine Doku?«, fragte sie.

    Serafin zuckte unbestimmt mit den Achseln.

    »Ach, was weiß ich, eine Fernsehdoku über irgendwas mit Zukunft des Internets oder sowas.«

    »Eine Fernsehdoku?«

    Nadines Stimme überschlug sich. Serafin schmunzelte, ohne sie anzusehen. Sie blieb stehen und stoppte auch ihn, indem sie ihn am Arm festhielt.

    »Davon hast du mir ja gar nichts gesagt!«, rief sie und schwankte zwischen freudiger Überraschung und dem altbekannten, lästigen Argwohn. Serafin hatte regelmäßig Termine als Sprecher von Hörbüchern und Hörspielen, selten für eine Radiowerbung. Eine Fernsehdoku war neu.

    »Wann wolltest du es mir sagen?«

    »Habe ich doch gerade.«

    Nadine verdrehte die Augen.

    »Ja, aber ... Fernsehen! Das ist ... Wie bist du da drangekommen?«

    »Hey, ich bin nur der Off-Sprecher, das ist auch nichts anderes als meine anderen Jobs.«

    Nadine stemmte die Hände auf die Hüfte.

    »Jetzt sag schon!«

    Serafin zog die Augenbrauen zu einem Ausdruck der Verblüffung zusammen.

    »Was denn? Wie ich immer an meine Jobs komme. Durch Empfehlung, durch ein paar Telefonate, dank meines betörenden Lächelns natürlich. Das Übliche eben.«

    Nadines Argwohn wollte gewinnen. Als Hörbuchsprecher war er ein Geheimtipp. Aber Fernsehen? Sie würde ihn mit noch mehr Menschen teilen müssen. Andererseits war es ein Erfolg für ihn und seine Sprecherkarriere. Sie ärgerte sich, dass sie sich nicht vorurteilsfrei darüber freuen konnte. Am meisten fuchste sie, dass sich aufs Neue dieses eifersüchtige Misstrauen in ihr ausbreitete. Sie schloss kurz die Augen und atmete gegen den lästigen Impuls an. Hier stand ihr Ehemann, der sich vor einer Gruppe von Zeugen für sie entschieden hatte. Was wollte sie noch? Sie sah zu ihm hoch.

    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte sie lächelnd und küsste ihn. Er erwiderte ihren Kuss, und Nadine gab sich dem guten Gefühl hin. Dabei spielte sie mit dem rechten Daumen an ihrem Ehering, um auch dem Rest ihres unnötigen Aufwallens entgegenzuwirken. Als sie weitergingen, fragte sie: »Sollen wir heute Abend nicht lieber zuhause bleiben? Wir könnten uns etwas Leckeres kochen.«

    »Klar«, antwortete Serafin, »was haben wir denn da?«

    Nadine stutzte. Der Kühlschrank war halb leer, die Geschäfte hatten zu. Ihr Vorschlag war ihren eifersuchtsgeschwängerten Nachwehen zu verdanken. Mit Serafin essen zu gehen, hatte etwas von einem Spießrutenlauf. Die Blicke der anderen, das war nicht einfach für sie. Für ihn gab es auffälliges Hinterherschauen, für sie ... tja. Wenn sie Glück hatte, wurde sie kaum bemerkt. An schlechten Tagen waren die Blicke abschätzig. Wie damals im Waschraum des Studios, als die Mutter von Sebastian ...

    Sie schüttelte ihren Kopf. Schluss damit.

    »Du hast Recht, Essen gehen ist gut«, ergab sie sich. Serafin tippte auf sein Handy ein, hielt es ans Ohr und sagte nach einer Weile: »Sie müssen mir helfen, ich stehe vor einem Dilemma. Wenn ich heute Abend keinen Tisch bei Ihnen bekomme, dann muss ich damit rechnen, die Liebe meines Lebens zu verlieren!«

    Nadine knuffte ihn kraftvoll in die Seite, Serafin ließ sich nicht ablenken.

    »Ja, heute Abend. Bitte retten Sie mein Leben«, er wehrte Nadines weitere Angriffe mit einer Hand ab und setzte mit seinem verführerischsten Bariton hinterher: »Ich weiß sonst nicht, was passieren wird.«

    »Kannst Du nicht mal ganz normal einen Tisch bestellen wie andere Leute auch?«, fragte sie, als er nach seiner bühnenreifen Vorstellung sein Handy wegsteckte.

    »Was war daran unnormal?«

    »Das mit dem Leben retten und so ...«

    »Wieso? War doch alles die reine Wahrheit. Ich will nichts riskieren.«

    »Liebe meines Lebens?«, fragte Nadine und spürte ihr Herz bis in den Hals klopfen. Er sah ihr in die Augen.

    »Irgendwelche Zweifel?«

    Es blieb seine Art, seine Zuneigung indirekt zu zeigen. Nadine übte sich immer noch darin, sich daran zu gewöhnen.

    »Was muss ich anziehen?«, fragte sie. Er schaute sie von oben bis unten an.

    »Bleib so!«

    Sie folgte seinem Blick. Eine alte Jeans, ein ausgewaschenes T-Shirt, die flusige Strickjacke. Es war ihr gewohnter Sonntagslook, gemütlich, praktisch, für die Öffentlichkeit nicht geeignet. Vielleicht gerade noch für einen unbeobachteten Hundespaziergang. Aber ganz bestimmt nicht für ein Restaurant der obersten Preisklasse. Sie dachte an den Tag zurück, an dem sie mit einem windigen Anwalt in einem teuren Restaurant gesessen hatte, die Angst vor dem Jobverlust im Nacken, vor sich ein Teller mit einer kunstvoll drapierten Köstlichkeit. Damals. Da war es völlig unvorstellbar, dass sie in noch teureren Restaurants logieren würde. In Begleitung eines umwerfenden Mannes.

    Ihr Leben hatte eine kuriose Wendung genommen.

    »Was lässt dich gerade lächeln?«, kam es von ihrer Seite. Sie fühlte sich ertappt.

    »Ich versuche, mir vorzustellen, wirklich heute Abend in diesem Aufzug mitzukommen.«

    »Na und? Solange wir zahlen können ...«

    Der Satz ließ in Nadine etwas aufblitzen, das sofort wieder verlosch. Sie wusste, dass sie eine ganze Weile vor ihrem Kleiderschrank verbringen würde. Eine Sonntagsbeschäftigung, die immer öfter ihren alten Sonntag verdrängte. Sie drückte den anwachsenden Unmut weg. Worüber hatte sie sich zu beschweren? Sie hakte sich bei Serafin ein und schaute zu, wie Loriot von einem Baum zum nächsten trabte, seine Nase tief auf den Boden gesenkt. Sie blickte in die Baumkronen, die sich in den letzten Tagen in ein erstes helles Grün gekleidet hatten. Es war ein überraschend warmer Frühlingstag. Alles erwachte zum Leben, und sie empfand es als eine gute Idee, das mit dem Leben. Mit all seinem schmückenden Beiwerk. Her damit.

    2

    Die Woche begann mit dem Abschluss einer Hörspielaufnahme. Zufrieden bedankte sich Nadine am Nachmittag bei den Technikern und den beteiligten Sprechern. Sie schaute auf die Uhr. Heute würde sie früh zu Hause sein. Das traf sich gut, denn auf sie wartete ein Mann. Dieser Mann mit dieser Stimme, die Gänsehaut verursachen konnte, der so verboten gut aussah und sie gestern Abend nicht nur zu einem großartigen Abendessen eingeladen hatte. Der Nachtisch in den eigenen vier Wänden war ...

    »Darf ich Sie was fragen?«

    Nadine schreckte aus ihren Gedanken hoch. Vor ihr stand der kleine Moritz, der in dem Hörspiel einen altklugen Dreikäsehoch gesprochen hatte. Er hatte eine runde Brille auf der Nase und abstehende Ohren, was auch optisch zu seiner Rolle passte. Nadine mochte den Knirps, der sich mit viel Spiellaune auf die Studioarbeit eingelassen hatte. Da hatte sie beim Casting mal wieder den richtigen Riecher gehabt.

    »`Tschuldigung«, nuschelte er jetzt und verkehrte sich damit ins Gegenteil der Figur, die er gemimt hatte, »geht das dann irgendwann weiter?«

    Nadine musste einen Moment nachdenken, dann verstand sie seine Frage.

    »Erst mal nicht, diese Geschichte ist heute abgeschlossen.«

    »Ja, und andere Sachen?«

    Er hatte zum ersten Mal bei Hörspielaufnahmen mitgemacht. Jetzt schien er Blut geleckt zu haben. Nadine lächelte ihn an.

    »Wir haben dich in der Sprecherkartei«, sagte sie und merkte sofort, dass diese Antwort nicht altersgerecht war. Sie ergänzte schnell: »Wenn es was Neues gibt, dann werden wir auf jeden Fall gucken, ob du dabei sein wirst.«

    Moritz war offenbar nicht ganz glücklich mit dieser Antwort, aber er fügte sich in sein Schicksal.

    »Ja, okay«, zeigte er sich von seiner besten Seite und wackelte davon, seiner Mutter entgegen, die im Flur auf ihn wartete. Nadine nickte ihr freundlich zu, diese lächelte erst ihr, dann ihrem Sohn aufmunternd entgegen. Sie zogen von dannen und mit ihnen ein Stück Hoffnung auf Ruhm. Nein, das ist wahrscheinlich Unsinn, dachte Nadine. Aber die professionelle Studioatmosphäre verleitete die kleinen Sprecher und vor allem deren Eltern nicht selten zu einer solchen Vorstellung. Doch die Realität, neue Interessen und nicht zuletzt so mancher Stimmbruch standen dem meist entgegen.

    »Willkommen in der Wirklichkeit«, murmelte sie, während sie ihr Smartphone aus der Hosentasche fingerte. Sie suchte die direkte Durchwahl von Dr. Bohrkamp.

    »Verlag Bohrkamp, hier Bohrkamp.«

    »Chef, wir sind durch«, sagte sie, während sie Handtasche und Hundeleine in die freie Hand nahm, »steht noch was an, oder ...?«

    »Das kann man Ihnen nicht abgewöhnen, stimmt´s?«

    »Was genau?«, fragte sie mit Unschuldsmine und wusste genau, wie dieser Dialog weitergehen würde.

    »Studio oder Verlag, aber nicht zwei Dinge an einem Tag, so ...«

    »Ja, so lautet die Regel, aber es ist immer einen Versuch wert.«

    »Bis morgen.«

    »Bis morgen«, lachte Nadine und drückte das Telefonat weg. Ja, sie konnte nicht aus ihrer Haut. Erst recht, wenn ein Arbeitstag so früh zu Ende ging. Andererseits hatte sie den besten aller Gründe, so schnell wie möglich diese heiligen Hallen zu verlassen. Sie spürte, wie ihr Magen einen kleinen Salto der Vorfreude machte, und musste bei dieser Gefühlsaufwallung an den Tag zurückdenken, als sie morgens als Erste im Studio gewesen war. Da hatte es sich genauso angefühlt. Und dann war Serafin hereingekommen und mit ihm der zweite Kuss. Doch je näher sie sich danach kamen, umso mehr hatten sie sich selbst im Weg gestanden. Jetzt waren sie verheiratet. Der Weg aufeinander zu war weit gewesen. Umso näher wollte sie ihm jetzt sein.

    Vor dem Studio zückte sie erneut ihr Handy und wählte Serafins Nummer.

    »Hallo«, war seine übliche schlichte Begrüßung, und natürlich war es das aufregendste Hallo aller Zeiten.

    »Bin hier schon fertig«, sagte sie und atmete die frische Luft ein.

    »Ups.«

    »Wie, ups?«

    »So früh?«

    Nadine zog die Augenbrauen zusammen.

    »Ja. Wieso? Ist was?«

    »Hatte erst in ein, zwei Stunden mit dir gerechnet.«

    Nadine spürte Unwillen in sich aufsteigen.

    »Tja«, gab sie mit einer ordentlichen Portion Patzigkeit zurück, über die sie selbst erschrak, und überquerte den Parkplatz, »ist halt so.«

    »Weißt du, ich habe noch ...«, druckste Serafin herum, »da ist noch ein Termin bei mir ...«

    Nadine musste sich zusammenreißen, um nicht fuchsig zu werden.

    »Was für ein Termin?«, fragte sie so ruhig wie möglich.

    »Na gut, ich gebe es zu. Auf mich wartet ein Rendezvous. Ich wollte es dir nicht am Telefon sagen, aber ...«

    Nadine blieb stehen, ihr Herz setzte einen Schlag aus.

    »Wie bitte?«, fragte sie tonlos.

    »Sorry, aber diese Frau ist einfach entzückend und ...«

    Die Sirene eines Krankenwagens heulte auf der Straße auf, Nadine hörte es mit dem freien Ohr und gleichzeitig in ihrem Handy.

    »... da kann ich einfach nicht widerstehen.«

    Bevor sie verstand, wie ihr geschah, hatte sie jemand von hinten um die Taille gefasst und sie schwungvoll umgedreht. Im nächsten Moment fand sie sich mitten in einem Kuss wieder.

    »Orrr, Serafin!«, schimpfte Nadine, als er sich gelöst hatte. Sie ärgerte sich, dass er es regelmäßig schaffte, diesen Knopf bei ihr zu aktivieren.

    »Wie lange wartest du schon ...?«

    »Viel zu lange«, raunte er, dass es ihr durch und durch ging, »ich habe da eine sehr schöne Suite für uns beide reserviert und ...«

    Er ließ den Satz unvollendet, denn er wusste, dass er damit bei Nadine bereits den nächsten Reflex ausgelöst hatte. Sie schluckte tapfer gegen die aufsteigende Standardreaktion an.

    »Fahr uns einfach nach Hause«, sagte sie leise. Dieser Satz fühlte sich gut an, denn er wäre vor gut einem halben Jahr undenkbar gewesen.

    »Ich kann dich gar nicht beeindrucken?«, spielte er den Enttäuschten.

    »Du beeindruckst mich pausenlos«, erwiderte sie ernst.

    Ein Strahlen erfüllte sein ebenmäßiges Gesicht. Oh ja, er blieb beeindruckend, auch nach all den gemeinsamen Monaten, die wie ein Traum an ihr vorbeigeflogen waren. Sie blieben ein denkbar ungleiches Paar. Als sie ihren Eltern gemeinsam eröffnet hatten, dass sie eine Woche später heiraten würden, waren diese blass geworden. Die Blicke ihrer skeptischen Tante auf ihrer Hochzeit hatten sich tief bei Nadine eingebrannt. Der Händedruck ihres neuen Schwagers war auffallend distanziert gewesen. Und doch stieg sie jetzt in Serafins Wagen, schmiegte sich in den Ledersitz und lachte mit ihm über seine freche Überraschung, während sie zu ihrem gemeinsamen Zuhause fuhren. War es nicht völlig egal, was andere über diese Konstellation dachten?

    »Und? Ist es gut gelaufen heute?«

    »Ja, bestens. Ich musste nur dem kleinen Moritz am Ende klarmachen, dass erstmal kein neues Hörspiel für ihn geplant ist.«

    »Oh, armer kleiner Mann.«

    »Vielleicht zerstöre ich gerade einen Kindertraum?«, überlegte Nadine laut und fühlte dem seltsamen Gedanken nach.

    »Du Hexe, oh, du Satansbrut!«, intonierte Serafin den Inquisitor aus einem der letzten Hörbücher, das er eingesprochen hatte. Nadine lachte leise, dann setzte sie mit ernster Miene hinterher: »Na ja, so ein Kindheitstrauma ist schnell in den Kopf gesetzt. Ein falscher Satz - und dieser Mensch hat den Rest seines Lebens einen Glaubenssatz eingepflanzt, der seinen Weg bestimmt. Mir ist schon klar, wie viel Verantwortung ich in meinem Job habe.«

    »Hast du das von deiner Freundin Fippsi?«, fragte Serafin, hielt an einer roten Ampel und sah Nadine mit zweifelndem Gesichtsausdruck von der Seite an. Sie schob die Schultern nach oben.

    »Vielleicht. Ist nur so ein Gefühl, aber bei so kleinen, empfindlichen Seelen habe ich immer Angst, irgendwas falsch zu machen.«

    »Tja.«

    Die Ampel sprang von gelb auf grün, und Serafin fuhr mit quietschenden Reifen an. Er blieb ein großer Junge mit teurem Spielzeug, der das gerne zeigte. Beim Thema Gefühle war er ein einsilbiger Gesprächspartner. Nadines ehemalige Nachbarin Fippsi hatte ihr in einem ihrer vielen Telefonate klar gemacht, dass man einen anderen Menschen nicht ändern könne. Nadine

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1