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Geheimauftrag für Sax (3): Spectator I: Schatten der Vergangenheit
Geheimauftrag für Sax (3): Spectator I: Schatten der Vergangenheit
Geheimauftrag für Sax (3): Spectator I: Schatten der Vergangenheit
eBook476 Seiten6 Stunden

Geheimauftrag für Sax (3): Spectator I: Schatten der Vergangenheit

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Über dieses E-Book

Geheim-Auftrag für "Sax": Spectator.
Ein Krimi-Action-Thriller im Spionagemilieu von H. Georgy.
*
Schatten der Vergangenheit
*
Dunkelheit und Finsternis legen sich nach dem 2. Weltkrieg über weite Teile der deutschen Nation. An der hochgesicherten Innengrenze der geteilten beiden Staaten kommt es Ostern 1970 zu einem dramatischen, aber vertuschten Zwischenfall. Über fünfzehn Jahre ziehen durchs sozialistische Land, bis die neue Politik von Michail Gorbatschow zu Umwälzungen im Osten führt, die den Globus verändern.
*
Während die Jubiläumsfeiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im Fernsehen übertragen werden, erinnert sich der deutsche Top-Agent Günter Freysing alias Sax etwas melancholisch in zahlreichen Streiflichtern der Geschichte an seine Zeit der Anwerbung als junger Spion Henry und seine Jugendliebe Sieglinde Stern in der niedergehenden DDR, als sei es gestern erst gewesen: Wer ist Freund? Wer ist Feind? Sollen sie beide dem perfiden System entfliehen? Auf wessen Seite stehen die Angehörigen einer Leipziger Großfamilie, zu der auch sein bester Freund Jens Ostrau gehört? Welche Ziele verfolgen geheimnisvolle Akteure wie August, Sieglindes Onkel Bernd, Genosse Kleeken und Stasi-Major Steiner? Jeder einzelne spielt sein eigenes Spiel in einer rasanten Zeit, welche die Bezeichnung "friedliche" Revolution nur sehr bedingt verdient.
Vorbei sind dann aber endlich jene Jahrzehnte, in denen die Menschen an der deutsch-deutschen Grenze den Tod zu erwarten hatten, wenn sie diese illegal zu überschreiten versuchten, um dem totalitären Überwachungsstaat zu entkommen. Früh spinnen stattdessen spätere Erzfeinde Freysings ihr gefährliches Netz in Anbetracht der neuen gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Aug. 2015
ISBN9783738037456
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    Buchvorschau

    Geheimauftrag für Sax (3) - Hymer Georgy

    Präambel

    Geheim-Auftrag für „Sax": Spectator – Teil I.

    Ein Krimi-Action-Thriller im Spionagemilieu von H. Georgy.

    Hinweis:

    Namen und Handlungen in diesem Werk sind die freie Erfindung des Autors, soweit es sich nicht um bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder historisch dokumentierte Begebenheiten handelt.

    Sofern Bezeichnungen von Behörden oder anderen Einrichtungen Verwendung finden, die realen Hintergrund haben, stehen sie in der Wirklichkeit freilich in keinerlei Zusammenhang mit hier beschriebenen rein fiktiven Vorkommnissen.

    BND

    Der Bundesnachrichtendienst ist eine keiner Polizeidienststelle angegliederte Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Kanzleramtes und sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland Informationen,

    die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung

    für die Bundesrepublik Deutschland sind.

    BND-AGENTEN

    Der Bundesnachrichtendienst vertraut bei seinen „Humint-Aktivitäten – also der Beschaffung von Informationen durch Menschen – in der Regel auf Insider, die von Vertrauensleuten angeworben werden. Es gibt keinen fundierten Nachweis, dass der BND ausgebildete Operativ-Agenten von einem Profil Günter Freysings alias „Sax, wie er in diesem Roman auftritt, tatsächlich einsetzt.

    „Günter Freysing" ist somit eine fiktive Gestalt. Auf der Internetseite des BND kann

    man sich über reale Job-Perspektiven bei Deutschlands Auslandsnachrichtendienst informieren.

    *

    *) „Sax": gesprochen wie [sä:cks]

    Vom gleichen Autor

    Ebenfalls von H. Georgy sind bereits erschienen:

    „Geheimauftrag für Sax (1): Die Stahlmann-Verschwörung"

    ISBN 13978-3-7380-2055-7.

    ca. 225 Seiten, ebook, im März 2015 veröffentlicht auf „neobooks".

    „Geheimauftrag für Sax (2): Die Merkantorius-Protokolle"

    ISBN 13978-3-7380-2550-7

    ca. 460 Seiten, ebook, im Mai 2015 veröffentlicht auf „neobooks".

    Die Handlung

    Geheim-Auftrag für „Sax": Spectator.

    Ein Krimi-Action-Thriller im Spionagemilieu von H. Georgy.

    1. Teil: Schatten der Vergangenheit

    Dunkelheit und Finsternis legen sich nach dem 2. Weltkrieg über weite Teile der deutschen Nation. An der hochgesicherten Innengrenze der geteilten beiden Staaten kommt es Ostern 1970 zu einem dramatischen, aber vertuschten Zwischenfall. Über fünfzehn Jahre ziehen durchs sozialistische Land, bis die neue Politik von Michail Gorbatschow zu Umwälzungen im Osten führt, die den Globus verändern.

    Während die Jubiläumsfeiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im Fernsehen übertragen werden, erinnert sich der deutsche Top-Agent Günter Freysing alias Sax etwas melancholisch in zahlreichen Streiflichtern der Geschichte an seine Zeit der Anwerbung als junger Spion Henry und seine Jugendliebe Sieglinde Stern in der niedergehenden DDR, als sei es gestern erst gewesen: Wer ist Freund? Wer ist Feind? Sollen sie beide dem perfiden System entfliehen? Auf wessen Seite stehen die Angehörigen einer Leipziger Großfamilie, zu der auch sein bester Freund Jens Ostrau gehört? Welche Ziele verfolgen geheimnisvolle Akteure wie August, Sieglindes Onkel Bernd, Genosse Kleeken und Stasi-Major Steiner? Jeder einzelne spielt sein eigenes Spiel in einer rasanten Zeit, welche die Bezeichnung „friedliche" Revolution nur sehr bedingt verdient.

    Vorbei sind dann aber endlich jene Jahrzehnte, in denen die Menschen an der deutsch-deutschen Grenze den Tod zu erwarten hatten, wenn sie diese illegal zu überschreiten versuchten, um dem totalitären Überwachungsstaat zu entkommen. Früh spinnen stattdessen spätere Erzfeinde Freysings ihr gefährliches Netz in Anbetracht der neuen gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten.

    Als sich Henry im Trubel der Wendezeit zu einem gewagten Husarenstreich überreden lässt, scheint sein eigenes weiteres Schicksal besiegelt…

    Vorschau: II. und III. Teil (Geheimauftrag für Sax, Band 4 und 5):

    Die Gegenwart holt Sax ein, als eine europäische Vega-Trägerrakete mit dem Spionage-Satelliten Spectator, einem geheimen Gemeinschaftsprojekt von Deutschland und Frankreich zur totalen Überwachung in Europa im Gepäck, kurz nach dem Start in Südamerika über dem Atlantik explodiert.

    War es Sabotage? Ist dies nur Teil einer Serie von mysteriösen „Raumfahrunfällen" der jüngeren Zeit? Wenn ja, wer steckt dahinter? Haben feindselige Mächte die Hände im Spiel, oder bewahrheitet sich ein schrecklicher Verdacht, der auf bisherige Verbündete hinweist?

    Zwei vermeintlich nebensächliche Aufträge, die Sax 2014 in die Ukraine und nach Tschechien führten, scheinen damit in Verbindung zu stehen. Lebt der kalte Krieg wieder auf? Oder steht die Welt siebzig Jahre nach der Naziherrschaft, die Deutschland einst teilte, abermals vor großen Eroberungsfeldzügen?

    Was für Freysing wie ein Erholungsurlaub nach schwersten Verletzungen während eines vorangegangenen Einsatzes beginnt, entwickelt sich schnell zu einem extrem mörderischen Auftrag. Seine Mission, bei der er einmal mehr von seiner attraktiven französischen Kollegin und Geliebten Cathleen Conquête unterstützt wird, ist gefährlicher als je zuvor, denn es geht fast nebenbei auch um Abermilliarden von Euro beim Kampf um die wertvollsten Ressourcen unserer Tage:

    Information und Zeit.

    Welche Rolle in der Angelegenheit haben alte Bekannte inne, die Sax bereits auf seinem frühen Lebensweg als Henry begegneten? Verfolgen abermals perfide verschwörerische Kräfte aus Politik, Wirtschaft und Industrie eigene Interessen?

    Deutschland, Ungarn, Tschechien, die Ukraine, Frankreich, Französisch Guyana und andere mehr sind die Schauplätze dieses vielschichtigen Falles, in dem „Sax" nicht nur mit seiner eigenen komplizierten Vergangenheit konfrontiert wird, sondern sich auch erneut zeigt, dass in der Welt der Spionage Vertrauen ein Luxus ist, den man sich nicht leisten kann.

    Und, dass sich die totalen Überwachungspraktiken von heute gar nicht so sehr von denen damals unterscheiden…

    Die Frage ist berechtigt:

    Kann Sax auch diesmal seinem dienstlichen Auftrag gerecht werden?

    Widmung

    Geheim-Auftrag für „Sax"*): Spectator – Teil 1.

    Ein Krimi-Action-Thriller im Spionagemilieu von H. Georgy.

    Gewidmet den über 800

    offiziell bestätigten deutschen Staatsbürgern,

    die an der Grenze unseres einstmals geteilten Landes

    gewaltsam den Tod fanden.

    Und jenen, die verschwiegen wurden.

    Auferstanden aus Ruinen

    und der Zukunft zugewandt,

    lass uns dir zum Guten dienen,

    Deutschland, einig Vaterland.

    Alte Not gilt es zu zwingen,

    und wir zwingen sie vereint,

    denn es muss uns doch gelingen,

    dass die Sonne schön wie nie

    über Deutschland scheint.

    (Johannes R. Becher; Text der Nationalhymne der DDR)

    1. Teil

    Schatten der Vergangenheit.

    H. Georgy.

    „Geheimauftrag für Sax: Spectator – Band I"

    Mr. Gorbachev, tear down this wall!"

    (der US-amerikanische Präsident Ronald Reagan,

    am 12. Juni 1987, in Berlin)

    Prolog

    Infolge des verheerenden und mit aller Grausamkeit geführten Angriffskrieges des nationalsozialistischen Großdeutschlands (sogenanntes Drittes Reich) gegen seine Nachbarstaaten seit 1939 erfolgte ab 1944 eine völlige alliierte Gegeninvasion. Der Zweite Weltkrieg endete für das Deutsche Reich unter weitestgehender Zerstörung vieler größerer seiner Städte nebst der Infrastruktur in bedingungsloser Kapitulation.

    Die Geschichtsbücher lehren uns, dass die vorangegangenen Greueltaten des totalitären Hitler-Regimes (Holocaust) und die notwendige Befreiung weiter Teile Europas von der Naziherrschaft mit all seinen Übeln die Mittel rechtfertigte, durch welche diese herbeigeführt wurde, und dem ist nichts Grundsätzliches hinzuzufügen.

    Während allerdings im Anschluss an die Befreiung des Westens Deutschlands und dessen vorübergehende Aufteilung in drei Besatzungszonen dort ein rascher Wieder-aufbau mittels des Marshall-Plans gelang und der American Sprit die nachfolgenden Jahrzehnte beflügelte, gab es in Mitteldeutschland (heutige Bundesländer Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg) umfangreiche Wirtschaftsdemontagen durch die stalinistische UdSSR, gefolgt von der Unterdrückung durch eine kommunistische Marionettendiktatur. Berlin wurde zur geteilten Stadt mit zahlreichen Sonderregelungen (Viermächtestatut) in vielen Bereichen, der Westteil dort zum Freiheitssymbol im kommunistischen Ostblock.

    Bereits 1949 konstituierten sich zwei neue deutsche Staaten: Die westliche freiheitlich-demokratische Bundesrepublik Deutschland (BRD), und die flächenmäßig kleinere, sozialistische Deutsche Demokratische Republik (DDR). Die Deutsche Teilung war damit ein Fakt, obwohl die Regierenden in der neuen westdeutschen provisorischen Hauptstadt Bonn sich weigerten, den Oststaat formal anzuerkennen.

    Der historische Osten Deutschlands (die Hälfte der Mark Brandenburg, Pommern, Schlesien und Ostpreußen) ging unter endgültiger Zerschlagung des alten Staates Preußen und Vertreibung vieler seiner deutschstämmigen Bewohner gänzlich verloren und ist heute völkerrechtlich anerkanntes überwiegend polnisches Staatsgebiet. Das unter Adolf Hitler annektierte Sudetenland fiel zurück an die neue Tschechoslowakei, während das angeschlossene Österreich wieder eigenständig wurde und im folgenden ideologischen Konflikt zwischen den Supermächten USA und UdSSR seine ihm auferlegte Neutralität lange Zeit bewahrte.

    Ein Volksaufstand 1953 in der DDR wurde blutig niedergeschlagen. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 entstand der Eiserne Vorhang, und Dunkelheit senkte sich über weite schöne Teile der Deutschen Nation. Wer dieser zu entfliehen suchte, musste damit rechnen, bei einem „illegalen Grenzübertritt" als „Republikflüchtling" von geschulten Volksarmisten mit allzu lockerem Zeigefinger erschossen zu werden – ein perfider Todesstreifen aus Stacheldraht und Selbstschussanlagen zog alsbald eine Blutspur von der Lübecker Bucht her längs der Elbe und des Harzes bis nach Oberfranken.

    In vier Jahrzehnten wuchsen in den beiden deutschen Staaten nebeneinander, aber getrennt voneinander, neue Generationen heran, wie sie verschiedener kaum sein konnten. Dabei entwickelte sich nicht nur Unverständnis gegenüber der jeweils die anderen prägende Ideologie, sondern auch eine besondere Art gegenseitiger Geheimdiplomatie und Spionage mit all deren Eigentümlichkeiten. Wenn man als Jugendlicher in der BRD in wachen Nächten die Quarze seines CB-Funkgerätes verbotenerweise umordnete, konnte man sie hören, die endlosen Ketten geheimnis-voller Nachrichten, die durch den Äther nach drüben geschickt wurden:

    Neugen-Zwo, Neugen-Neugen-Vier, Fünnef-Drei, Fünnef-Neugen-Sieben, Acht-Drei, Zwo-Fünnef-Vier, Eins-Vier-Neugen, Acht-Acht-Zwo…"

    Der Westen erlebte Freiheit, das Wirtschaftswunder, den Überfluss, den Aufstieg zur führenden Exportnation in einem sich mehr und mehr vereinigenden Westeuropa, freilich auch die bleierne Zeit des Linksterrorismus - der Osten hingegen Plan- und Mangelwirtschaft, Indoktrinierung, Beschränkungen und sukzessiven Niedergang.

    Die BRD war machtlos gegenüber dieser politisch motivierten Blockabschottung. Erst in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre keimte neue Hoffnung auf, als ein mutiger Reformer in Moskau das Heft in die Hand nahm, Offenheit (Glasnost) und Umstrukturierung (Perestroika) propagierte und damit eine Abkehr von der bisherigen Doktrin herbeiführte: Michail Sergejewitsch Gorbatschow, der neue Generalsekretär der KPdSU und Staatsführer der UdSSR.

    Der Eiserne Vorhang, welcher im kalten Krieg der Supermächte nach der großen Zerstörung lange Zeit die Menschen Europas voneinander getrennt hatte, begann durchlässig zu werden. In Ungarn, Rumänien, der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Polen führten Demokratiebewegungen zu einem Prozess der Veränderung.

    Plötzlich schien auch in der DDR, im Osten Deutschlands, alles in Frage gestellt, woran die Nachkriegsgenerationen dort ihr Leben lang glaubten. Zaghafte erste Versuche, dort so etwas wie eine freie, legitime Opposition zu etablieren wurden gestartet, doch noch verweigerten sich die alternden Funktionäre der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Unruhen kamen auf!

    Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren."

    Im Westen wie im Osten machte man sich Sorgen darüber, was passieren würde, wenn jemand die Lunte an dieses Pulverfass steckte, und suchte verzweifelt nach praktikablen Alternativen zu einem neuerlich gewaltsamen Volksaufstand. Vor dem Hintergrund der spannenden Wendezeit entschieden sich in jenen Tagen die Schicksale zahlreicher Menschen. Das des jungen Henry, der hier in einen Strudel aus Weltpolitik und Spionage gerät, ist eines hiervon.

    *

    November/Dezember 2014:

    Ans Krankenbett gefesselt aufgrund seiner beim letzten Auftrag erlittenen schweren Verletzungen (vgl.: „Geheimauftrag für Sax: Die Merkantorius-Protokolle"), erlebt der BND-Agent Sax Günter Freysing, nun Mitte vierzig, noch einmal diese turbulente Zeit - als sei es erst gestern gewesen, dass er als junger Student Henry in Leipzig vom Geheimdienst des Klassenfeindes angeworben wurde.

    Bald wird er in der Gegenwart in neue Aufträge verwickelt sein - nur um am Ende festzustellen, dass sich eigentlich in dieser Welt seit damals nicht wirklich allzu viel verändert hat… doch dieses Wissen ist nicht weniger tödlich!

    *

    Landkarte

    Deutschland nach dem 2. Weltkrieg.

    © H. Georgy.

    (Die dicke schwarze Linie markiert den späteren Grenzverlauf DDR/BRD bis 1990).

    (Fußnoten)

    Im weiteren Text des Romans zum besseren Verständnis auf Fußnoten verweisende Ziffern im Klammern sind im Ebook aus technischen Gründen auf den letzten Seiten des Buches, vor dem Nachwort des Autors und der Vorschau auf weitere Bände, erklärt.

    Kapitel 1: Roter Nachthimmel.

    In den Wäldern des Harzes, Innerdeutsche Grenze, südwestlich des Brockens. Ende März, um Ostern 1970. Roter Nachthimmel.

    Die Dunkelheit einer weiteren eisig kalten Spätwinternacht hatte sich längst über die Baumkronen des dichten hohen Tanns gelegt, der die deutschen Mittelgebirge bestand. Ein beinahe voller, jedoch im Abnehmen begriffener Mond leuchtete vom frostklaren Himmel her hell über dem Brocken und ließ deutliche Strukturen seiner eigenen Oberfläche erkennen. In den letzten Wochen hatte es noch sehr stark geschneit, daher befanden sich Ansammlungen weißen, unverfälschten pappigem Schnees an den kaltwindigen Hängen der höheren Lagen. Dort, wo sich auch in den Niederungen und Tälern des Harzes die glitzernde Feuchtigkeit hartnäckig am Boden hielt und abgeknickte dürre Bäume vor sich hin moderten, sprießten vereinzelt die verschiedensten Pilze in all ihrer Pracht und gaben sie frühgeschlüpften Insekten Lebensraum. Wenn man die Ohren spitzte, glaubte man gelegentlich den entfernten Ruf eines Waldkauzes zu hören, oder das Rascheln von Klein- und Damwild in Kuhlen mit wärmendem Unterholz.

    Der grau in grau wirkende, in Wahrheit aber halb orange, halb weiße und mit einigen farbigen Peace-Zeichen bemalte leere VW Bully, welcher völlig unbeleuchtet auf der westlichen Seite der innerdeutschen Grenze am Rand der den Wald durchziehenden schmalen Behelfsstraße abgestellt war, mochte schon bessere Tage gesehen haben. Er war an den Reifen und Radkästen sehr verdreckt und wies zudem etliche kleinere Roststellen an Kanten und Fugen auf, dort, wo der Lack leicht abgeblättert war.

    Ein einzelner Mann stand fast direkt vorn aufrecht daneben und urinierte gerade unablässig in den Straßengraben, als wolle er den Moosen und Gräsern dort durch das gezielte hinweg fräsen des Schnees etwas besonders Gutes tun. Sorgsam darauf bedacht, nicht versehentlich seine neuen hellen Markensportschuhe zu treffen, verlieh er seiner sich anbahnenden Erleichterung durch ein selbstgefälliges Grinsen Ausdruck. Das beinahe jungenhafte, bei näherem Hinsehen aber von der ein oder anderen feinen Alterslinie geprägte Gesicht wirkte ansonsten in Gemeinschaft mit seinen dunklen Augen eher ernst. Bei besserem Licht hätte man seinen Teint als blass beschrieben, so aber täuschten die schattigen Verhältnisse darüber hinweg, dass der Genuss von allzu viel Piece(1) in den Jahren zuvor an seiner Gesundheit gezehrt hatte. Das Haar war lang, hellbraun und leicht lockig; es fiel bis knapp über die Schultern. Dazu trug er einen buschigen Schnauzbart quer über die gesamte Breite der Oberlippe, der an den Enden über beide Mundwinkel bis zum Kinn herablief. Um den Hals herum baumelte ein dünnes viereckiges Lederband mit einem undefinierbaren handgeschnitzten Anhänger am verknoteten unteren Ende, dessen Bedeutung sich höchstens Völkerkundlern erschloss. Seine Statur wirkte eher klein, aber muskulös, mit jener Breite in den Schultern, die auf mehrjährige schwere körperliche Arbeit hindeutete. Die Kleidung, die er zur dicken Wollunterwäsche trug, war US-Import-Ware von der Stange – ein bedrucktes buntes neues Shirt mit einem unter der etwas zurückgehaltenen Jeansjacke hervor lugenden „Apollo-11"-Motiv(2), sowie eine zu dieser passenden Hose, deren Schlitz er nun, nach getanem kleinen Geschäft und pragmatischem Abschütteln seines Lieblings, wieder sorgfältig schloss.

    Währenddessen hatte er unverwandt tief in den Wald hinein gestarrt, aber nichts Besonderes darin erkennen können, abgesehen von einem alten kleinen hellen Blechschild an einem schmalen, mannshohen eisernen Hohlpfahl, auf dem schwarze und rote Buchstaben die warnenden Worte HALT! HIER GRENZE! ergaben. Jetzt wandte er sich ab. Er widerstand nach kurzem, begehrlichem Blick der Versuchung, sich aus der angebrochenen Packung der filterlosen Roth-Händle eines Lungentorpedos zu bedienen, welche sich zwischen einem aktuellen landesweiten Autostraßen-Atlas, einer großen dunklen Sonnenbrille und allerlei sonstigem Kram in der Ablage über der Armaturenabdeckung im Inneren des Wagens befand. Der kleinste Lichtschein, wie etwa jener einer aufleuchtenden Zigarettenglut, wäre hier, im Dunkel der Märznacht, kilometerweit zu sehen gewesen. Eben diese Aufmerksamkeit auf sich wollte er um beinahe jeden Preis vermeiden! Eine halb zusammengerollte deutsche Abendzeitung lag auch dabei und kündete von den Gesprächen der Botschafter der Besatzungsmächte, die seit heute in Berlin zusammengekommen waren, um über den zukünftigen Status der Stadt zu verhandeln. Dies hatte die fortgesetzten Artikel betreffend den Vietnam-Krieg beinahe ins Abseits gedrängt, gegen den er und seine Freunde vor ein paar Wochen noch demonstrierten.

    Ungeduldig sah er einige Sekunden lang auf seine moderne Seiko-Quarz-Armbanduhr am linken Handgelenk, die er lediglich wegen ihrer grünlich schimmernden Leuchtzeiger über dem Ziffernblatt ablesen konnte. „Shit!", zischte er dabei äußerst leise zu sich selbst. „Wo bleiben die?".

    Er atmete tief durch und lauschte auf weitere Geräusche, doch es war nichts zu hören außer den Klängen der unberührten Natur. Ein leichter Wind kam auf, der nicht stark genug war, etwas mehr als ein kaum wahrnehmbares Rascheln in den schneehaltigen Nadeln der Bäume zu erzeugen. Ihm fröstelte kurz, trotz der Unterbekleidung und der Jacke – im Frühjahr fielen die Temperaturen hier im Harz des Öfteren noch auf deutlich unter den Gefrierpunkt. Daher rieb er sich Arme und Schultern mit den Händen und trat einige Male, deutliche Abdrücke hinterlassend, im weichen Boden fest auf, um sich etwas Aufwärmung zu verschaffen. Sein Atem ging dabei flach, aber ruhig und hinterließ einen zarten hellen Nebel in der Luft. So sehr er sich bemühte, vernahm er nicht einmal die gelegentlich auch zur Nacht unterwegs befindlichen Fahrzeuge auf der nicht allzu fernen Bundesstraße, zu der jene verzweigten Waldwege letztendlich führten, welche das Grenzgebiet markierten.

    Er ging langsam halb um den großen Wagen herum und blickte angestrengt für jeweils einige Sekunden die hier fast schnurgerade verlaufende Straße herauf und herunter. Kein anderes Auto war weit und breit zu sehen. Glücklicherweise, denn wenn, wäre es womöglich eines mit westdeutschen Grenzschützern gewesen, die sorgsam darauf achteten, dass kein Mensch das sogenannte „Niemandsland" bis zum Grenzzaun betrat. Die nächste Patrouille war in einer Viertelstunde fällig, wenn seine Informationen stimmten.

    Noch zehn Minuten, maximal. Dann wurde es Zeit, wieder zu verschwinden.

    *

    Tiefer im Wald, auf der anderen Seite einer an dieser Stelle vielleicht fünfzehn bis zwanzig Meter breiten gerodeten und unterpflügten Sperrzone, blickte ein zweiter Mann durch ein kleines, aber leistungsstarkes Doppelfernglas. Er unterschied sich völlig von demjenigen, der auf der Westseite der Grenze auf ihn wartete. Auf ihn, und auf die acht weiteren Menschen beiderlei Geschlechts, die sich hinter und neben ihm tief im niederen Gestrüpp versteckt hielten. Auch zwei kleinere Kinder, ein etwa dreijähriges Mädchen und ein etwas älterer Junge, waren darunter, aber sie schliefen dick verhüllt am Boden bei den Frauen. Die erwachsenen Mitglieder der kleinen Gruppe waren unterschiedlichen Alters, aber keiner von ihnen jünger als fünfundzwanzig oder älter als vierzig Jahre. Die Köpfe der Männer wurden von flachen Arbeitermützen bedeckt. Zwei der Frauen trugen einfarbige dunkle Kopftücher, um ihr helles Haar zu verbergen, welches ansonsten das Mondlicht wiederspiegeln konnte, aber auch gegen die Kälte; eine dritte, hübsch, flachsblond und mit grüner Strickwollmütze, war unverkennbar hochschwanger. Alle Männer hielten sparsames Gepäck in ihren Händen oder hatten es vor sich auf dem Erdboden abgestellt. In den Gesichtern der Erwachsenen paarten sich angespannte Erwartung und Angst, welche sie einander zu verbergen suchten.

    Derjenige mit dem Fernglas war um einen Meter neunzig groß, was man ihm jetzt, da er selbst nieder hockte, nicht sofort ansah, wirkte schlank, besaß dunkelblondes Haar und einen beinahe schon voluminösen sich kräuselnden Vollbart. Das ovale Gesicht bekam durch den markanten Bartwuchs eine bemerkenswerte Fülle, ohne ihn dabei älter zu machen, als er es tatsächlich war. Die augenscheinliche Kraft, die in ihm steckte, rührte von früherer sportlicher Betätigung her - ein Blick auf seine weichen Hände hätte ihn sofort als nicht handwerklich tätigen Menschen entlarvt. Seine grauen Augen wirkten ruhig und klar, während er die Lage sondierte. Wie alle anderen, war er in dicke, tarnende Kleidung gehüllt, welche sie warm hielt und ihnen zugleich half, mit der Umgebung zu verschmelzen. Letzteres war auch notwendig, denn das Grenzgebiet wurde von einer nahtlosen Kette nicht allzu weit auseinanderstehender Aussichtstürme her überwacht, auf denen jeweils speziell geschulte Wachtposten der DDR-Grenztruppen ihren Dienst versahen.

    Der heimliche Beobachter wusste von einem Insider, der sie zuletzt auch durch den Sperrbezirk bis hierher gelotst hatte, das ein Stück weiter nördlich die Grenze dichter wurde. Dort bauten sie an einem Metalllamellenzaun mit hinterhältigen Selbstschuss-kartuschen, Stacheldrahtrollen und Alarmgebern, sowie sehr hohen, geschlossenen Beton-Wachttürmen, von denen aus man das Gebiet Kilometerweit überblicken konnte. Hier allerdings handelte es sich noch eines jener alten Exemplare aus Holz, die bereits seit den frühen 60er-Jahren errichtet worden waren. Im Augenblick bestand daher noch eine kleine Chance zur Flucht, aber bald würde es kein Entrinnen mehr geben!

    Die Grenztruppen hatten seit einiger Zeit, wie er wusste, auch die Anweisung, ohne besondere Vorwarnung auf jedermann gezielt zu schießen, der es wagte, den Abschnitt bis zum Maschendrahtzaun zu betreten, der jenseits der gerohdeten Fläche verlief. Dort, aufgesetzt auf die Oberkante des Zaunes, gab es drei Reihen scharfen, bedrohlich wirkenden Stacheldrahtes. Ein Überklettern kam für die meisten von ihnen nicht in Frage.

    Am unteren Ende hinter dem Hindernis, so hatte er jetzt durch seine Gläser erspäht, war gerade eine weitere männliche Gestalt damit beschäftigt, den Zaundraht dicht an einem der ihn mittragenden Betonpfeiler mittels einer kurzen Zange zu zerschneiden – immer nur drei oder vier Wicklungen auf einmal, um dann erst einmal innezuhalten zwecks Feststellung, ob das dadurch verursachte Geräusch auch nicht die Wachen auf dem nächststehenden Turm aufmerksam machte. Bei Nacht trug dieses sehr weit! Schließlich war die Kluft zwischen Zaun und Pfeiler so lang, dass jene Person dort den Maschendraht mit wenig Kraft derart umbiegen konnte, damit ein erwachsener Mensch in ziemlich gebeugter Haltung hindurch gelangen konnte.

    Der Mann mit der Zange, der nicht wusste, dass man ihn bereits bemerkt hatte, glitt nun etwas zurück bis zu den ersten Bäumen, die den Rand des von Bewuchs freien Streifens bildeten, steckte das Werkzeug ein und stand in der Deckung der sich dort von Westen her lichtenden Baumreihen auf. Dann formte er die Hände so vor dem Mund, dass er einigermaßen echt den Ruf einer Nachteule nachmachen konnte. Die Menschen im Buschwerk auf der Ostseite hörten den Laut. Zwei oder drei von ihnen, darunter die Schwangere, blickten auf. Der vollbärtige Mann mit dem Fernglas legte dieses kurz vor sich auf einer Reisetasche ab. Dann gab er, weiterhin hockend, das Rufzeichen zurück und flüsterte leise über die Schulter weg in deren Richtung: „Es geht los! Haltet euch bereit."

    Er bemerkte, wie die Menschen sich ein wenig aus ihrer Deckung erhoben und, soweit vorhanden, Gepäck aufnahmen. Ein, zwei alte Halme brachen hörbar, als sie sich bewegten. Eine der Frauen mit Kopftuch versicherte sich, dass die beiden Kinder weiterhin schliefen, und blickte in friedliche süße kleine Gesichter mit sanft geschlossenen Augen. Noch wirkten die verabreichten Schlaftabletten. Er selbst richtete das Fernglas noch einmal ein Stück längs des Grenzstreifens entlang hinauf auf den Wachturm. Der Umriss eines einzelnen Soldaten mit typischem NVA-Helm war auf der Plattform hinter einer hüfthohen Palisade zu erkennen, aber er hatte sich momentan der anderen Richtung zugewandt. Über dessen Schulter hing ein AK-47-Sturmgewehr samt Trommelmagazin, wie der Beobachter problemlos ausmachte. Genug Munition und Feuerkraft, sie alle niederzumachen, falls er sie entdeckte.

    „Jetzt!", flüsterte er dann scharf zu denjenigen, die sich am nächsten zu ihm befanden, und machte mit der rechten Hand eine entsprechende Handbewegung, um sie zur Eile zu treiben. Die Reihenfolge war vorher abgesprochen worden: Seine eigene schwangere Frau und einer der Männer als Helfer zuerst. Dann Pause. Dann dicht nacheinander das Paar mit ihren beiden Kindern. Noch eine Pause. Dann die älteste Frau und der dritte Mann mit dem meisten Gepäck. Zum Schluss er selbst. Doch als es jetzt endlich so weit war, schienen die beiden jüngeren Männer nicht zu halten zu sein, und preschten eigennützig einfach ungestüm drauf los. Einer von ihnen war derjenige, welcher eigentlich die Schwangere hatte unterstützen sollen. Der Vollbärtige vermochte nicht, die beiden zurück zu halten, sondern schüttelte nur den Kopf, dabei zornig, aber leise, so etwas wie „verdammte Schweine!" zischend. Im Moment konnte er nichts tun, aber später einmal würde er sich die beiden gern zur Brust nehmen wollen. Im Augenblick gab es Wichtigeres!

    Die beiden Männer huschten mit ihren eigenen Taschen leicht geduckt und wieselflink geradlinig über den holprigen schneehellen Grenzstreifen und erreichten nach wenigen Sekunden das frische Loch im Zaun, wo sie von dem Fluchthelfer erwartet wurden. Er hielt jetzt den Draht von seiner Seite her beiseite geklappt, sodass sie mühelos erst die Taschen durchreichen und dann nacheinander selbst hindurch schlüpfen konnten. Die Schwangere hingegen war überrascht und unschlüssig zugleich etwas nach Luft japsend in beinahe aufrechter Haltung stehen geblieben und blickte sprachlos ihren weiterhin hockenden Ehemann an.

    „Weiter!", raunzte dieser ihr leise zu. „Du schaffst das!", machte er ihr Mut.

    „Nein. Nicht allein!, entgegnete sie ebenso leise, aber schroff. „Nicht ohne dich!

    „Du musst! Denk an das Baby!", verlangte er, doch sie schüttelte energisch den Kopf.

    Dickkopf, dachte er. Dies war nicht der Zeitpunkt für lange Debatten! Er richtete das Fernglas erneut auf den Wachturm und erkannte, dass der Wachtposten bisher noch nicht auf sie aufmerksam geworden war. „Die nächsten, los!", bestimmte er schnell.

    Die beiden Frauen mit den Kopftüchern blickten einander kurz an. „Ich nehme den Jungen!", meinte dann die deutlich ältere von ihnen beiden, ebenfalls leise, aber resolut, zu den zwei verbliebenen Männern, und schnappte sich das schlafende Kind. Es gab keinen Wiederspruch. Sie wirkte kräftig und stark, als habe sie bereits in ihren jungen Jahren bei der Trümmerbeseitigung nach dem Kriege mitgeholfen, und besaß keine Mühe, den eingehüllten Knaben zu tragen. Die Mutter der beiden Kinder hingegen war wesentlich schmächtiger, trotzdem lud sie sich wie lange zuvor besprochen das kleine Mädchen auf. Es blieb noch genug übrig, was ihr ebenfalls noch hier befindlicher eigener Mann würde hinterher tragen müssen. Dann machten sie sich kurz nacheinander auf den Weg. Jene Frau, die den Jungen trug, schien nicht nur stark, sondern auch trainiert und laufschnell zu sein – sie erreichte den Maschendrahtzaun in nur wenig mehr Zeit, als soeben die abtrünnigen Männer benötigt hatten. Letztere waren inzwischen jenseits des Zaunes bereits tiefer im Wald untergetaucht und zwischen den dort wieder dichter werdenden Bäumen im Dunkeln nicht mehr zu erblicken.

    Die zweite Frau versuchte der ersten so rasch wie möglich zu folgen, jedoch geschah hierdurch das, was von dem einen oder anderen vielleicht insgeheim befürchtet worden war: Plötzlich stürzte sie aus dem Lauf heraus mitsamt des von ihr getragenen kleinen Mädchen etwa fünf, sechs Meter vor dem Ziel an einer glatten Stelle in einer Furche des Bodens, fiel unkontrolliert der Länge nach in den hier nur dünnen Schnee hin und schrie dabei kurz auf. Das getragene, ummantelte Kind entglitt beim Aufprall ihren reflexartig hochgestreckten Armen und kullerte durch die gemeinsame Vorwärtsbewegung noch einen halben bis einen Meter weiter.

    Der Mann mit dem Fernglas hielt den bei ihm noch verbliebenen anderen mit einem schnellen Griff am Arm auf, als dieser, erschrocken, sofort losrennen wollte, um seiner ausgeglittenen Frau und der Tochter zu helfen, denn gerade drehte sich der Wachtposten oben auf dem Turm langsam um. Ein zweiter dort oben, der bisher nicht von unten her wahrgenommen worden war, da er wohl für ein Päuschen hinter den Brettern auf dem Boden gesessen hatte, gesellte sich zu ihm, und es war zu erkennen, dass die beiden sich kurz unterhielten. Die Worte waren freilich nicht zu verstehen. Einer der beiden setzte ein Fernglas an die Augen. Es war ein großes, schweres NVA-Zeiss-Jagdglas mit restlichtverstärkender Optik, die nichts verborgen hielt. Aber er suchte zu weit; der in Augenschein genommene Sektor begann erst knapp hinter jener Stelle, an welcher die benommene Frau und das Kind lagen.

    Die beiden verbliebenen Männer und die Schwangere warteten nervös, bis die Soldaten auf dem Wachturm sich nach Sekunden, die sich zur Ewigkeit dehnten, wieder abwandten. Offenbar hatten sie von dort aus etwas bemerkt gehabt, aber nichts wirklich mitbekommen. Der Vollbärtige unten im Versteck ließ den anderen los und nickte ihm kurz zu, damit er sich auf den Weg machen konnte. Dieser nahm zwei schwere Taschen auf und rannte los. Die ältere Frau mit dem Jungen lief bereits jenseits des Zaunes hastig durch den anfangs noch lichteren Wald, als sich die Gestürzte, aufgefordert durch den sie nervös herbei winkenden Fluchthelfer am Zaun, wieder aufrappelte. Die Knie ihrer Hosenbeine waren aufgeschürft, und möglicherweise hatte sie eine Prellung an der Brust davongetragen, da sie ihre kleine Tochter im Fallen nicht losließ, sondern schützend nach vorn und oben hielt, und so ihren eigenen Sturz nicht abfedern konnte.

    „Nimm Kathrin!, flüsterte sie, als ihr Mann sie erreichte. „Ich komme schon klar!, aber es war ihr deutlich anzusehen, dass sie sich bei dem Sturz verletzt hatte. Nicht sehr, aber doch so, dass sie etwas gehandicapt sein würde. Er warf die Taschen mit Schwung über ein paar Meter hinweg auf den Durchlass im Zaun zu, wo sie von demjenigen dahinter gerade so erreicht und durch das Loch gezogen werden konnten. Dann beugte er sich herab und wollte gerade nach der in einer Furche liegenden Kleinen greifen, als diese erwachte und unmittelbar darauf laut zu weinen begann. Möglicherweise hatte sie sich bei dem Sturz trotz der Ummantelung weh getan, oder gar eine ernstere Verletzung zugefügt. Die Frau war derweil mit etwas Mühe aufgestanden und bewegte sich danach, deutlich humpelnd, so schnell es ihr möglich war, die letzten Meter auf die Öffnung im Maschendraht zu.

    Maaaammmaaaaa!", schrie das Kind und streckte ein Ärmchen der Mutter hinterher. Von einer Sekunde zur anderen änderte sich alles. Ein mittlerer Scheinwerfer, auf dem Wachturm entflammt, tauchte den Abschnitt, auf welchem sie sich befanden, in gleißendes Licht, aber es dauerte noch einen Moment, bis die Soldaten dort völlig realisierten, was vor sich ging. An dieser Stelle, wenn auch außerhalb, so doch nahe des militärischen Sperrgebietes des Brockengipfels, rechneten sie nicht wirklich mit einem illegalen Grenzübertritt, und waren dementsprechend überrascht.

    In dem Moment hatte die Frau bereits den Zaun erreicht und sich halb hindurch gezwängt. Der Mann mit dem nun schreienden Mädchen auf dem Arm, jetzt fast panisch zurückblinzelnd in der plötzlichen Helligkeit, befand sich direkt hinter ihr.

    „Verdammt!", entfuhr es dem Vollbärtigen in seiner Deckung. Dessen schwangere Frau war nah zu ihm heran getreten und fasste ihn gerade erschrocken an einer Schulter. Sie sahen einander verstehend an. Die Frau war kleiner als der Mann, vielleicht einen Meter siebzig oder weniger, und besaß um ihr glattes Gesicht herum eine energische Ausstrahlung. Sie wirkte kraftvoll, aber nicht bäuerlich, und schien eine gewisse Mühe damit zu haben, die Balance zu halten. Ihre Niederkunft war längst überfällig – ein Wunder, dass sie es überhaupt bis hierher geschafft hatte, ohne dass die Wehen einsetzten.

    Oben auf dem Wachturm richtete der eine Soldat den Lichtkegel genau auf die Bewegung am Zaun. Der andere hatte das Sturmgewehr von der Schulter genommen und machte dieses weithin hörbar mit zwei kurzen Handgriffen schussbereit. „Halt! Wer da? – Stehenbleiben!", schallte es im selben Moment herunter. Ein alter Lautsprecher verstärkte die Aufforderung, sodass sie nicht zu ignorieren war.

    „Meinst du, dass sie wirklich gezielt schießen?", fragte die Schwangere leise, mit einem nun doch ängstlichen Ausdruck im Gesicht. Sie hatte ebenfalls das Waffengeräusch gehört und glaubte nicht mehr, dass ihnen die Flucht überhaupt gelänge. Besser, sie kehrten um!

    „Ich will es nicht hoffen!, meinte der Vollbärtige. Sein Flüstern klang jetzt mehr besorgt, aber nicht ängstlich. „Aber sie haben entsprechende Anweisungen.

    Eine in kurzen, durchdringenden Intervallen hupende Sirene ging plötzlich los, oben auf dem Turm, und ihr kilometerweit hörbares Dröhnen lag sofort in Aller Ohren. Die Frau erschrak, und nochmals, als ihr Mann im Lärm den Reißverschluss der vor ihm liegenden, prall gefüllten Reisetasche aufzog und dieser zwischen den darin befindlichen Kleidungsstücken eine ältere Luger-P08-Pistole entnahm. Er wusste, dass die Waffe keine große Reichweite besaß, aber vielleicht war es ihm möglich, die Wachen damit abzulenken. Wenn er auf dieser Seite des dichteren Waldes in Richtung auf den Wachturm zu lief, würden sie auf ihn aufmerksam, und ihr gelang vielleicht die Flucht. Vielleicht! Wenn sie dann nur hinter ihm her waren, würde er sich zu helfen wissen. Er prüfte die Waffe kurz auf ihren Ladezustand. Acht Schuss, mehr gab es nicht, aber immerhin!

    Er erhob sich etwas und nahm die Schwangere intensiv in die Arme, blieb aber vorsichtig, um nicht ihren gewölbten Bauch zu drücken. Dann sagte er ihr mit schnellen Worten direkt ins Ohr, damit sie es trotz der Alarmsirene verstand: „Ich renne auf den Wachturm zu. Wenn sie die Richtung des Scheinwerfers ändern, um mich zu erfassen, gehst du los. - Gott sei mit dir!". Er gab ihr einen kurzen Kuss.

    „Aber…", wollte sie einwenden, und nahm dabei etwas Abstand.

    „Keine Wiederrede! Du musst ´rüber! Denk´ auch an den Film!", sagte er energisch. Sie wusste, was er meinte: Den kleinen Minoxfilm, den sie mit Leukoplast-Streifen unter der Kleidung an den Leib geklebt trug, und der wichtige Informationen enthielt! Informationen, die unbedingt die Organisation erreichen mussten, für welche sie und ihr Mann in den letzten sieben Jahren gearbeitet hatten. Hier, im Osten, heimlich. Doch das war jetzt vorbei, denn offenbar waren sie aufgeflogen, und hatten beinahe halsüberkopf die Flucht antreten müssen. Es blieb nunmehr keine Zeit für lange Abschiedsworte. Die Zeit arbeitete gegen sie.

    Der jungen Frau am Zaun war es inzwischen gelungen, ganz hindurch zu schlüpfen und von ihrem Mann das Mädchen entgegenzunehmen. Dieser wartete ungeduldig, um ihr zu folgen, verhedderte sich dann aber etwas im Draht, weil der Fluchthelfer sich um die Frau und das Kind kümmerte, anstelle den Durchschlupf offen zu halten.

    „Du gehst ´rüber! Ich komme nach, sobald ich kann!", sagte derweil der dies besorgt beobachtende Vollbärtige in der Deckung und spurtete los, dicht bei den Bäumen und fast jenseits des Lichtkegels, der weiterhin noch zentral auf die Stelle gerichtet war, an welcher jetzt der andere Mann ein wenig festsaß. Die Pistole steckte dabei gesichert hinten im Hosengürtel.

    Der Soldat mit der Maschinenpistole gab zwei einzelne Schüsse ins Licht ab, ohne jedoch genau auf jemanden zu zielen. Die Kugeln gingen an den Flüchtenden und am Zaun vorbei in den weichen Boden. Schnee, Erde und Gestein spritzten auf. Das spornte den Mann im Zaun an, der beim ersten scharfen Knall zusammengezuckt war, und es gelang ihm, ebenfalls ganz hindurch zu gelangen. Von dort aus blickte er zurück und konnte sehen, dass die Schwangere besonnen noch abwartete. Es war viel zu gefährlich für diese, durch das Licht zu gehen, denn die Soldaten auf dem Wachturm hätten sie dann voll im Visier… Und sie konnte keinesfalls rennen oder auch nur schnell laufen, wie die anderen vorher!

    Ein wenig ratlos, was er jetzt tun solle, blickte er den Fluchthelfer an. Dieser sah beinahe genauso aus wie der Mann am VW und schien dessen Zwillingsbruder zu sein. Seine Haare waren jedoch kürzer gehalten und er besaß keinen Schnauzbart, das Gesicht hatte er unter Zuhilfenahme von Ruß geschwärzt. Im vollen Licht des Scheinwerfers nützte das freilich gar nichts, und Angst stand in seinen Augen. Anstelle des Jeans-Outfits trug er zu Stiefeln eine olivgrüne Bundeswehrhose und einen entsprechenden Parka mit hochgezogener Kapuze. Auf beide waren mit Filzschreiber

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