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Kommissar Katzorke: Süße Schrippen
Kommissar Katzorke: Süße Schrippen
Kommissar Katzorke: Süße Schrippen
eBook351 Seiten4 Stunden

Kommissar Katzorke: Süße Schrippen

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Über dieses E-Book

Berlinkrimi, der mit ironischem Unterton die Berliner Polizeibehörde und den staatlichen und privaten Überwachungswahn auf die Schippe nimmt.
Ein Kommissar und eine Kommissarin ermitteln parallel, aber getrennt voneinander und mit verschiedenen Perspektiven und Motivationen am gleichen Fall.
Der Kriminalroman stellt uns vor die Frage, warum aus einer Schulklasse die einen Karriere machen und die anderen auf die schiefe Bahn geraten.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum1. Jan. 2014
ISBN9783847666134
Kommissar Katzorke: Süße Schrippen

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    Buchvorschau

    Kommissar Katzorke - Volker Lüdecke

    1.

    Kommissar Katzorke konnte von sich behaupten, einen kompletten Zellentrakt der Haftanstalt Tegel durch seine akribische Ermittlungsarbeit besiedelt zu haben. Im Dienste der Staatsgewalt hatte er erreicht, dass zweihundertsiebenundsiebzig Strafgefangene verschiedener ethnischer Herkunft ihn als ihren persönlichen Feind betrachteten.

    Den Hass ihrer Clans und Familien nicht mit eingerechnet.

    Sorglos über Berliner Boulevards spazierend, ahnte er nicht, welches Glück ihm widerfuhr, sich nicht einmal den Bruchteil jener Grausamkeiten vorstellen zu können, die ihn erwarteten, fiele er zufällig in die Hände eines von ihm Inhaftierten.

    An öden Zellenabenden, wenn vor den Gitterfenstern draußen kalter Nebeldunst hing, wusste seine Klientel oft nichts Besseres zu tun, als „Würgt den Katzorke" zu spielen. Oder sich umfassendste Grausamkeiten auszumalen, mit welcher Art von Folter sie seiner Karriere besonders schmerzhaft ein Ende bereiten wollten.

    „Erledigt!"

    Katzorkes Lieblingswort, wenn er den Bildschirm auf seinem Schreibtisch ausschalten konnte, weil ein Fall gelöst war. Minutenlang genoss er die matt dunkle Oberfläche.

    Dann entdeckte er darin Ertrinkende, wie im schwarzen Wasser des Teufelssees, um Hilfe zappelnde Opfer von Verbrechen. Seine Obsession, die er pflegte, weil sie ihm für alles, was er tat, als Rechtfertigung diente. Den Opfern helfen! Dienstschluss kannte er nicht.

    In Berliner Unterweltkreisen wurde er „Der Beißer genannt. Aus Respekt, sonst hätten sie ihn „Der Scheißer genannt.

    Pausenlos produzierte sein Hirn Strategien zur Observierung von potentiellen Straftätern. Auch solchen, die es in den Bezirken draußen noch gar nicht gab. Der Unterschied zwischen Dienst und Freizeit bestand für ihn darin, dass er im Dienst die polizeilichen Regeln einhalten musste. Während er anschließend seinen eigenen Maßgaben folgte.

    Warum sollte er privat zu Hause kein Nachtsichtgerät benutzen, während sich der gewöhnliche Bürgernachbar damit im Versandhandel längst eingedeckt hatte?

    Ein Kommissar zur Bekämpfung von organisierter Bandenkriminalität, schlechter ausgerüstet als der Spanner von nebenan?

    Privatsphäre hin oder her, seine staatsbürgerliche Pflicht war es, den Realitäten ins Auge zu sehen. Sofern diese im Dunklen stattfanden, musste er eben auch in den Nächten Durchblick bekommen!

    Zu Hause blätterte er gerne in Elektronikkatalogen, verglich Preise von Richtmikrofonen und Überwachungsdrohnen, berauschte sich an Kamera- und Flugeigenschaften. Ihn reizte das halb legale Arsenal. Er wusste, dass harmlose Tüftler in beinahe harmlosen Technikvereinen täglich daran schraubten und löteten, um die private Nische des merkwürdigen Nachbarn auszuspionieren.

    „Die Neigung zum Bespitzeln liegt in der Natur des Menschen. Es verschafft ihm ein Gefühl von Überlegenheit und eigener Bedeutung."

    Diese Meinung vertrat er gegenüber den Kritikern des Überwachungsstaats. Aus seiner Erfahrung heraus hatte die private Schnüffelei die Kapazitäten von Geheimdiensten längst in den Schatten gestellt.

    „Überwachungstechnik von Morgen schon heute erproben."

    Öffentlich schwieg er über sein plakatives Berufsethos, aber in ein paar Jahren würden auch seine Kollegen damit ausgerüstet sein. Er wäre dann längst damit bestens vertraut.

    „Was nützt dem Bürger der Schutz seiner Privatsphäre, wenn man ihn dafür bestiehlt und ermordet?"

    Ein weiteres Motto, das er nur im Kreis von speziellen Kollegen zum Besten gab. Über die anderen, die über veraltete Polizeiausrüstung lamentierten, ohne selbst dagegen etwas zu unternehmen, ärgerte er sich unverhohlen.

    „Was suchen die bei der Polizei?"

    Mit den Jahren seiner Beamtentätigkeit hatte er sich ein stattliches Arsenal an Überwachungstechnik zugelegt. Als sein privates Hobby sozusagen. Keine Spielzeuge, alles Profigeräte. Vergleichbare Technik, wie Militärs und Geheimdienste sie verwenden. Er liebte gediegene und robuste Qualität. Auch wenn die Apparate beinahe unerschwinglich waren.

    Ein Boulevardblatt hatte kürzlich seine Erfolge öffentlich gewürdigt. Mit der Schlagzeile: „Der Superkommissar".

    Sein Foto hätten sie in der Zeitung allerdings gern weglassen können. Seitdem war „Der Beißer" eine öffentliche Person. Kein angenehmes Gefühl.

    Aber im Landeskriminalamt wurde seitdem kolportiert, seine Beförderung sei nur noch eine Frage von Wochen. Oder von Monaten. Je nach Wetterbericht.

    In der Behörde nannten sie ihn nicht Beißer, sondern „Das Tier". Obwohl er keineswegs beliebt war. Nie hatte er freiwillig mit Kollegen über Privates geredet. Sein erster Gang morgens war der zum Kaffeeautomat. Geschwätz interessierte ihn generell nicht.

    Lieber zog er seinen massigen Kopf tief zwischen die Schultern, um nicht rechts oder links grüßen zu müssen. Blieb einfach stumm, wie verschlafen und trank anschließend seinen Kaffee allein am Schreibtisch. Schwarz, er traute keinem mit Milch und Zucker!

    Dann senkte er seinen pomadigen, schwarz gelockten Schädel so dicht über den Inhalt der Akte, oder kroch fast in den Bildschirm, dass jeder Beobachter den Eindruck gewinnen musste, er wäre kurzsichtig. Oder fast blind. War er aber nicht.

    Diese seltsame Angewohnheit half ihm bei seiner Konzentration. Gegen die alltäglichen Befindlichkeiten von Kollegen. Die Diskussionen um Zugluft, das Wetter, die Tagespolitik. Am meisten verabscheute er Plaudereien über die Familien, die übliche Bürogruppendynamik. Wie sie bestimmt in jeder größeren Bürogemeinschaft stattfand. Er fühlte sich nicht berufen, mit Kollegen über miserables Kantinenessen oder den defekten Fahrstuhl zu debattieren. Bei seinen Fällen ging es immer um Leben oder Tod!

    „Genau in diesem Moment wird wieder ein Verbrechen vorbereitet. Es hängt schon unsichtbar wie ein Gottesurteil über dem Opfer!"

    Nur ein einziges Mal hatte er die Nerven verloren und einen faulen Kollegen mit dieser Aussage gebrandmarkt.

    Später, im Laufe des Vormittags, ungefähr ein bis zwei Stunden nach Dienstbeginn, richtete sich seine Gestalt dann langsam auf. Bis Mittag saß er kerzengerade am Schreibtisch. Er redete sogar, wenn eine Ermittlung es erforderte, in sachlichem Tonfall mit ausgewählten Kollegen.

    Alles hat seine Geschichte, und menschliches Verhalten resultiert daraus. Nachdem er als junger Beamter aus einer Wache in Reinickendorf in die Zentrale nach Tempelhof versetzt worden war und sich darüber freute, hatten sie ihn gemein „Deus ex Deo getauft. „Gott ohne Deo bedeutete der Spruch, weil er Körperpflege nur am Wochenende betrieb.

    Ihr böser Humor war jedoch bald verflogen, nachdem er in der Hierarchie der Behörde elegant an ihnen vorbeigezogen war. Keiner hatte dem ein Meter fünfundsechzig Mann solchen Ehrgeiz zugetraut. Ab da waren sie gewarnt.

    Einige Zeit lang kursierten Gerüchte, er verfüge über einen Mentor im Umfeld des Polizeipräsidenten. Seine familiären Verhältnisse wurden klassisch ausspioniert, es fehlte trotzdem der passende Hinweis. Definitiv stammte er nicht aus reichem Hause.

    Als man befürchtete, er werde Bereichsleiter, begann die Arschkriecherei.

    „Bin gerade am Kaffeeautomaten vorbeigekommen: schwarz, ohne Milch und Zucker? Na, klar!"

    Auf einmal kamen einige regelmäßig an seinem Minibüro vorbei.

    2.

    Eine interessante Geschäftsidee zu haben, ist eine feine Sache. Allein, sie in ein real existierendes Geschäft zu verwandeln, stellt eine unvergleichlich größere Herausforderung dar.

    Es war höchste Zeit für Sandor, in seinem Leben etwas gebacken zu kriegen. Wieder war ein angenehm faul verbrachter Sommer fast vorüber und braungebrannte Urlaubsrückkehrer füllten zum Ende der Sommerferien die U7 Richtung Rixdorf.

    Dort wohnte Sandor, seitdem er Philosophie studiert hatte. Eigentlich studierte er immer noch.

    Wenn er sich im Kreis seiner langjährigen Freunde umsah, musste er mit Wehmut feststellen, dass die Anzahl derjenigen, mit denen er nachts um die Häuser ziehen konnte, auf wenige Kandidaten zusammengeschrumpft war.

    Karrieristen waren keine mehr darunter, die verkehrten nicht mehr in poststudentischen Kreisen. Eher „Zurückgebliebene", die es seit Schulzeiten nicht geschafft hatten, sich von ihren Spielekonsolen abzunabeln.

    Sandor war sich über die Veränderungen in seinem Umfeld bewusst. Mit einem dieser ewig Jugendlichen unterwegs zu sein, war ungefähr so spannend, wie einen Autisten im Rollstuhl durch den Klinikpark zu schieben. Innerlich spielten die einfach die ganze Zeit weiter. Festgeklebt in einer bunten, utopischen Fremdfantasiewelt.

    Den Einschnitt in seinem Leben hatte er allerdings erst richtig bemerkt, als ihn die attraktiven Frauen in Bars und Clubs von Neukölln nicht mehr wahrnahmen. Von heute auf morgen unsichtbar!

    Er hatte tatsächlich einmal probiert, durch die Wände seiner Wohnung zu gehen. Eine Beule an seinem Kopf signalisierte ihm, sein Körper war materiell noch vorhanden. Nur er fühlte sich körperlos.

    Färbte etwa das Image seiner Begleiter negativ auf ihn ab?

    „Die sind alle fixiert auf den neuen Trendtyp."

    Unterwegs auf der Treppe im U-Bahn-Schacht fielen ihm solche Sätze ein, die fantastisch zu seiner Protagonistin im Drehbuch passten. Bloß nicht vergessen, die coole Suade!

    Sein Job im Copyshop an den Yorckbrücken brachte ihm gelegentlich einen One Night Stand ein. Meistens aber nur mit einer Studentin, die sich einfach mal vom Klausurenstress abreagieren musste. Todsicher folgte bei der Zigarette danach die unfassbar unerotische Frage.

    „Wann hast du denn vor, dein Studium zu beenden?"

    Und anschließend das dämliche Kompliment.

    „Du siehst doch gar nicht aus wie ein Langzeitstudent."

    Was für ein Absacker nach einem Quickie!

    „Der Zwang der Ökonomie macht mich nicht gerade locker, Babe!"

    Solch flapsigen Bemerkungen verhinderten alle weiteren Treffen. Und erst recht eine dauerhafte Beziehung.

    Für seine Vita in Bewerbungsschreiben war er schlicht auf einem öden Job im Copyshop hängen geblieben. Von außen sah es deutlich so aus. Weil er nicht jedem auf die Nase binden wollte, was er wirklich vorhatte.

    „Für die Realisierung meiner Geschäftsidee brauche ich vorerst noch ein regelmäßiges Nebeneinkommen. Später läuft die Firma dann von selbst."

    Sein Partystatement, was immer gut ankam. Das er allerdings schon lange nicht mehr losgeworden war, mangels einer passenden Party. Seine Freunde feierten nicht mehr zu Haus.

    Immerhin konnte er sich bei zwanzig Wochenstunden Hilfstätigkeit wenigstens zwischendurch gedanklich seinem Filmprojekt widmen. Sogar während der Arbeitszeit!

    Was allerdings nur bedingt richtig war, denn von jedem Job musste man sich erst innerlich wieder lösen, um sich anschließend davon erholen zu können. Daher stapelten sich zahlreiche Drehbuchfassungen seit Monaten unberührt unter seinem Bett. Für ein und denselben Spielfilm.

    Immerhin blieben seine Manuskripte bestens geschützt vor den gierigen Augen der Medienmafia, die jeden neuen Stoff, jeden Trend, jede Idee abgriffen, um sie als ihre Ideen zu vermarkten und damit Kasse zu machen. Für die war jeder Schreiberling nichts weiter als das Übel am Text.

    Sandor knurrte sich unterwegs in das Thema hinein.

    „Ich das Übel am Text? Niemals!"

    Am liebsten übersahen diese Mediengangster das Copyright. Ihnen standen ja versierte Justitiare jederzeit zur Verfügung. Die armen Poeten dagegen konnten sich eh keine Klage vor Gericht leisten.

    „Die haben leichtes Spiel!"

    Sandor quetschte seinen eins achtzig Body in einen überfüllten U-Bahn Waggon. Eine Zumutung, diese BVG Kurzzüge.

    Längst Allgemeinwissen, dass Burnout gefährdete Fernsehredakteure, koksende Regisseure oder geldgeile Filmproduzenten junge Autoren ausweideten, um ihnen komplette Dialoge und Storys zu klauen. Sie allein hatten die Macht zu entscheiden, was dem Fernsehzuschauer zu gefallen habe und was nicht.

    „Ein Drehbuch ist locker mal zwanzig bis fünfzigtausend Euro wert!"

    Immer wenn Sandor diesen Satz in die wöchentliche Kneipenrunde geworfen hatte, sah er die Scheine in Bündeln schon vor sich. Seine Kumpels hingegen schalteten dabei längst geistig in andere Regionen.

    „Wenn einer Beziehungen hat!"

    „Ja, ja!"

    Diese Einschränkung war die bittere, alles entscheidende Wahrheit. Schütti und Thorsten nickten mechanisch.

    „Was für ein Schwachsinn im Fernsehen verholzt wird. Und die kriegen auch noch Geld dafür!"

    Nächste Runde. Ohne Beziehungen war das beste Drehbuch nicht mehr wert als der Preis von Altpapier.

    Über hilfreiche Kontakte verfügte Sandor nicht. „Vom Tellerwäscher zum Millionär", der amerikanischen Traum, funktionierte in Deutschland nicht. Stattdessen kassierte er seine tägliche Dosis krebserregenden Feinstaub aus den Tonerkartuschen der Kopierer.

    Sandor hustete immer öfter.

    „Eine Mafia hat kein Interesse an ehrlich arbeitenden Menschen. Die fördern nur Kriminelle!"

    „Grand Theft Auto. Du musst deine eigene Gangsterkarriere starten!"

    „Von mir aus."

    Gruselgeschichten von geprellten Künstlern waren Sandor häufig zu Ohren gekommen. Autoren, deren jahrelange Arbeit an einem Buch von der Medienmafia mit einem Schlag vernichtet worden war. Dreiste Plagiate, sogar im öffentlich rechtlichen Fernsehen!

    „Mir wird das nicht passieren!"

    Aber wie sollte er mit Produzenten ins Geschäft kommen, wenn er sein Manuskript nicht präsentierte? Seine Litanei von der Ungerechtigkeit der Gesellschaft war ja schön und gut, nur andere hatten es ja auch irgendwie geschafft.

    Inzwischen lag die siebte Überarbeitung seines Drehbuchs sicher unter der gebrauchten Matratze. Absolut sicher, denn seine Schlafunterlage bewies so viel natürliche Bodenhaftung, dass mutmaßlich kein Bettgast den Wunsch verspürte, jemals einen Blick darunter zu werfen.

    „Mein Leben hat immerhin ein Ziel."

    „In meinem gibt es auch eines: immer das nächste Level erreichen."

    Thorsten wirkte irgendwie immer müde. Sein Geheimnis, warum.

    „Eine attraktive Redakteurin eines zahlungskräftigen Fernsehsenders wird eines Tages in deiner Reichweite erscheinen."

    Seine Kumpels fanden seinen Gesichtsausdruck dazu passend.

    „Sie wird sich natürlich sofort in dich verlieben. Und dann ganz zufällig dein Drehbuch lesen."

    „Das findet sie nicht."

    Sandor meinte es ernst. Der Spott der beiden ärgerte ihn.

    „Ich gebe ihr den entscheidenden Tipp. Unter deiner Matratze."

    Woher kannte Schütti sein Drehbuchversteck?

    „Woher weißt Du von meinem Versteck?"

    Seine Freunde lächelten süffisant.

    „Noch ein Bier?"

    Die Drinks in der Rixdorfer Kneipe waren teuer.

    „Nee, Schluss für heute! Ich hau ab."

    „Na, denn!"

    Die U-Bahn vibrierte beim Bremsen vor der Station. Noch zwei Stopps, dann wäre er zu Hause.

    Thorsten und Schütti würde er an diesem Abend ganz sicher nicht treffen. Keine Lust auf die Loser. Dass er ihnen versehentlich sein Versteck ausgeplaudert hatte, ärgerte ihn maßlos. Wie besoffen musste er gewesen sein, als er das ausgeplaudert hatte.

    Zum Glück hatte er vor ein paar Monaten zum ersten Mal einen kleinen Nebenverdienst auf der Berlinale ergattert. Für die Dauer des Filmfestivals. Davon zehrte er immer noch. Es ging also aufwärts. Vielleicht folgte dort im neuen Jahr ein noch besserer Job.

    Die Filmpartys, die er während der Berlinale mitgekriegt hatte, fand er legendär. Je länger sie zurück lagen, desto legendärer wurden sie in seinen Erinnerungen.

    Das kollektive Besäufnis des britischen Filmverbands zum Beispiel, im schicken Literaturhaus in der Fasanenstraße. Für Sandor ein einmalig tiefer Einblick in sein zukünftiges Leben als Drehbuchautor. Fulminant saufen und halbnackt auf den Tischen tanzen! Das hatte ihm schon sehr zugesagt.

    Oder das kalte Fisch Buffet bei den nicht minder trinkfesten Skandinaviern, in der Botschaft der skandinavischen Länder am Tiergarten! Solche unvergesslichen Erlebnisse würden ja bald regelmäßige Highlights seines gewohnten Alltags sein. In diesen Momenten empfand er sich der Medienindustrie und ihren Vorzügen längst zugehörig. Er war ja einer von ihnen, mittendrin!

    „Are you a director?"

    „No, sorry, I´m not!"

    Sandor hatte die auf Jobsuche umher streunenden Schauspieler gehasst. Sie plusterten sich immer fürchterlich auf. Wollten von allen Seiten Beifall. In seinem neuen Partyrevier. Aufgrund seiner rötlichen Haare hielten sie ihn wohl für einen irischen Regisseur, dessen unscharfes Foto im Festivalkatalog abgebildet worden war.

    „Ich bin aus Berlin."

    „Welcher Bezirk?"

    „Rixdorf."

    Nach diesen Biodaten ließ das Interesse normalerweise schnell nach. Am liebsten hätte er sich ein Schild umgehängt, mit der Aufschrift: „Seid ihr blind? Ich suche auch!"

    Gelegentlich versuchten einige männliche Filmbonzen ihrem libidinösem Glück mit ihm im Pool der Cineasten nachzuhelfen. Gaben sich als bedeutende Regisseure aus. Um mal einen Eingeborenen in ihr Hotelbett zu kriegen. Einen Hetero verführen, das war für sie der geilste Kick.

    Sandor brauchte an diesem Abend eine halbe Flasche Wein, um halb getröstet einzuschlafen.

    Am folgenden Tag saß er wieder in der U7 auf dem Weg zum Copyshop an den Yorckbrücken, wo er sich sicher mit defekten Kopiergeräten herum ärgern würde.

    Seinem Chef gehörte ebenfalls die Bar mit dem Namen „Wirtschaftswunder", ganz in der Nähe, Yorckstraße. Aber trotzdem war er zu geizig, um neue Kopiergeräte anzuschaffen.

    An fast jeder U-Bahn Station der U7 stiegen urlaubsgebräunte Fahrgäste ein, deren rötlicher Teint von Mallorca, Teneriffa, Antalya oder den Kapverdischen Inseln stammte. Glückliche Flüchtlinge, die sich eine Auszeit vom Stress in der Stadt erkauft hatten.

    Von seiner lausigen Bezahlung blieb nichts für Urlaub.

    Um die im Bahnabteil ihm gegenüber sitzenden Urlaubsgesichter nicht länger ertragen zu müssen, spannte er eine auf der Sitzbank vergessene BZ auf. Die Artikel des Boulevardblatts überflog er mit schnellen Blicken. Nur an den BZ Girls blieb sein Blick ein paar Sekunden lang haften.

    Urlaubsschönheiten, halbnackt am Strand!

    3.

    Als Fatma zum ersten Mal im LKA Präsidium erschien, kicherten die Polizeikollegen hinter vorgehaltener Hand. Ein junger Beamter führte sie durch die Büroetage.

    „Junges Frollein! Lüften Sie als erstes in ihrem Büro! Ihr Vorgänger hat das Fenster nicht aufgekriegt."

    Ein älterer Beamter mit Backenbart hatte den Satz ungeniert quer durch das Büro gebrüllt.

    „Da lang!"

    Der junge Kollege war unter seinen glucksenden Lachlauten rot angelaufen. Niemals zuvor in ihrer jungen Karriere hatte Fatma eine komplette Einheit ehrwürdiger Polizeibeamte dermaßen kichernd erlebt. Was für ein seltsamer Einstand!

    Als Frau mit dem familiären Hintergrund von türkischen Einwanderern hatte sie sich um die öffentlich ausgeschriebene Kommissarstelle im Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm beworben. Nur so zum Spaß, an einem verregneten Sonntagnachmittag!

    Sie war überrascht, als sie die Stelle dann tatsächlich bekam.

    „Da ist es!"

    Er zeigte auf die Tür zu Fatmas neuem Büro. Die allgemeine Heiterkeit ebbte immer noch nicht ab. Zum Glück hatte das Büro eine Tür.

    „Kicherwasser getrunken?"

    Es fiel ihr schwer, ihr Verhalten nicht auf sich zu beziehen. Da vernahm sie ein sonores Brummen, eine Melodie. Auf einmal brüllte ein Chor von Polizeibeamten lauthals den Rest eines bis dahin nur zu ahnenden Refrains:

    „… Stinki, das Tier!"

    Einen Moment später war es atemlos still. Sie hörte nur noch das Umblättern von Papierseiten auf den Schreibtischen. Fatma meinte sogar, in den Gesichtern einiger Beamte eine entsetzte Betroffenheit über das eigene Verhalten entdeckt zu haben, aber dann stand ein junger Mann mit Igelschnitt und Pickel am Kinn von seinem Schreibtisch auf, kam auf sie zu und schüttelte ihr die Hand.

    „Lummer. Wie Heinrich Lummer hat ihr Vorgänger ausgesehen."

    Das verwirrte sie allerdings noch mehr. Der andere junge Kollege nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz.

    „Früher Innenminister von West Berlin. Alter Kauz."

    Fatma wusste nun, wer dieser Heinrich Lummer war. Welche Rolle er in Berlin gespielt hatte.

    „War auch vor meiner Zeit. Aber die Kollegen machen sich gern noch lustig über ihn. Nicht über Sie. Verstehen Sie das nicht falsch."

    Seinem Gesicht war nicht zu entnehmen, ob er meinte, was er sagte.

    „Karl Kaiser."

    „Fatima Dogan. Alle nennen mich Fatma."

    Er öffnete die Tür zu ihrem Büro und stieg sofort auf einen Stuhl, um das knapp unter der Zimmerdecke liegende Butzenfenster zum Innenhof zu öffnen.

    „Ältere Herren duften ja nicht immer nach Rosenwasser. Ein paar Wochen lang lüften, dann ist der Duft raus!"

    Er wünschte ihr noch ein dickes Fell für den Job und toi, toi, toi, viele Verhaftungen. Dann ließ er sie allein.

    „Lustige Truppe hier!"

    Ihr Büro sah aus wie eine Gefängniszelle. Hier brauchte sie wirklich ein dickes Fell, so viel war Fatma nach den ersten Minuten schon klar.

    Vor drei Jahren noch auf der Polizeiakademie, dann erfolgreich beim Berliner Drogendezernat als verdeckte Ermittlerin, und jetzt dieser Karrieresprung. Kommissarin in der Abteilung OK, organisierte Kriminalität. Wahrscheinlich war sie im Landeskriminalamt die jüngste Ermittlerin aller Zeiten.

    Sicherlich eine Seltenheit in dieser biederen Polizeibehörde. Fatma untersuchte ihren neuen Schreibtisch. Als sie die Schubladen aufzog, kroch noch mehr muffiger Geruch hervor.

    „Nicht zum Aushalten, puh!"

    Hier hatte jemand jahrelang ein Schweißproblem ausgesessen. Ihr Vorgänger wohl, etwa über unlösbaren Fällen?

    Zum Glück ahnte keiner der neuen Kollegen, wie sie ihre Fälle gelöst hatte. Sie wäre gewiss nicht so schnell die Karriereleiter hinaufgeklettert, hätte der Personalchef bei seiner Entscheidung gewusst, wie viel sie dabei ihrem älteren Bruder Mehmet verdankte.

    Egal, der neue Arbeitsvertrag lag hübsch unterschrieben zu Hause, die Tinte darauf noch fast flüssig.

    Von ihrem bald ansehnlichen Gehalt wollte sie in ein paar Jahren in der Türkei ein verfallendes Landgut in den Ausläufern des Taurus Gebirges erwerben. Mit Hilfe des Wertunterschieds zwischen Lira und Euro wäre es günstig wiederherzustellen, um irgendwann vielleicht eine Bienenfarm daraus zu machen.

    Beziehungsweise von Mehmet aufbauen zu lassen, denn sie war ja beruflich fest in Berlin. Ihr Leben insgesamt brauchte den inneren Ausgleich. Und dafür eignete sich besonders diese ferne, sonnige Perspektive!

    „Mein neuer Schreibtisch zeigte wohl mal eine helle Oberfläche."

    Fatma holte sich Reiniger und Wischtuch aus der Teeküche.

    „Um wenigstens keine Infektion zu kriegen!"

    Entgegnete sie den fragenden Blicken der Kollegen, als sie mit Eimer und Wischwasser durch das Großraumbüro ging. Der Spruch hatte gar nicht mal schlecht gesessen. Die meisten zogen die Köpfe ein.

    Solch ein Projekt aus der Distanz zu entwickeln barg einige Risiken. Aber mit ihrem älteren Bruder Mehmet verstand sie sich seit frühester Kindheit gut. Er würde in Zukunft die Bienenfarm leiten, sie nur von Saison zu Saison den Honig mit ernten. So war sein Plan.

    Für ihr Selbstbewusstsein galt es jedoch zuvorderst sich selbst zu beweisen, auch ohne Mehmets Hilfe bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens erfolgreich zu sein.

    Am Nachmittag ihres ersten Arbeitstages im LKA war sie in das eine Etage über ihrer Dienststelle liegende Büro ihres direkten Vorgesetzten bestellt. Sie kannte ihn vom Vorstellungsgespräch. Fatma nahm den Fahrstuhl, obwohl es nur drei Treppen waren.

    Peter Müllers Stimme schnarrte ein helles „Herein", als sie an seine Bürotür klopfte.

    Diesmal sah er aus wie ein Kapitän zur See auf Landgang. Er trug zwar keine Polizeiuniform, aber an seinem Anzug fehlten nur die Streifen auf den Schultern des gepolsterten Jacketts und die Kapitänsmütze, um nicht vollständig den Eindruck eines Uniformierten zu erwecken.

    „Fräulein

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