Das Erbe der MV Bukoba: Hannes Wabayes zweiter Fall
Von Fritz Gleiß
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Über dieses E-Book
Um sicherzugehen, dass Osama bin Ladens Stellvertreter tatsächlich mit Bord der Fähre unterging, waren in den Tagen nach dem Untergang mehrere hochrangige Al-Kaida-Mitglieder in Mwanza, darunter Fazul Abdullah Muhammad, was durch zufällig entstandene Fotos bewiesen wurde. Muhammad wurde später von der CIA verantwortlich gemacht für den verheerenden Bombenanschlag auf die US-Botschaft in Nairobi 1998. Auf seinen Kopf waren 5 Mio. US-$ Belohnung ausgesetzt, "tot oder lebendig". Er wurde am 8.6.2011 mit einem südafrikanischen Pass in der Hose in Mogadishu erschossen.
15 Jahre nach dem Untergang des Schiffs begleitet Hannes Wabaye, Detektiv aus Moshi am Kilimanjaro, den Schatzjäger Jens Petermann an den Viktoriasee. Der Deutsche soll dort einen verschollenen Journalisten auftreiben, der an Bord der versunkenen Fähre brisante Dokumente vermutet und Diamanten – Blutdiamanten zur Bezahlung von Waffen verschiedenster Truppen in der Region. Wabayes und Petermanns Aktivitäten geraten rasch ins Visier von Söldnern, Geheimdiensten und des tanzanischen Staatsschutzes ...
Die Geschichte basiert auf Fakten, gleichwohl sind Namen und Daten mit Ausnahme der Ereignisse rund um den 21.5.1996 frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind purer Zufall.
Sämtliche Verwicklungen und Motivlagen der Geheimdienste in diesem Roman hingegen sind, so plausibel sie auch klingen mögen, selbstverständlich frei erfunden.
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Buchvorschau
Das Erbe der MV Bukoba - Fritz Gleiß
Imprint
Das Erbe der MV Bukoba - Hannes Wabayes zweiter Fall
Copyright: © 2014 Fritz Gleiß, fritzgleiss@yahoo.com
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Rechteinhabers reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Titelgrafik © Fritz Gleiß – Das Foto zeigt das Mahnmal in Mwanza auf dem „Friedhof einiger der Opfer, die beim tragischen Unfall der MV Bukoba im Viktoriasee am 21. Mai 1996 ertranken".
Die Geschichte basiert auf Fakten, gleichwohl sind Namen und Daten mit Ausnahme der Ereignisse rund um den 21.5.1996 fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind purer Zufall.
Das mit einem * versehene Zitat im 1. Kapitel stammt nicht von einem Taucher am Wrack der MV Bukoba, sondern bezieht sich auf die Rettungsarbeiten in der Costa Concordia 2012. Die mit einem * gekennzeichneten Sätze im 14. Kapitel sind frei zitiert nach Cleophas Magoge, dem zum Zeitpunkt des Untergangs verantwortlichen Manager der Schiffseignerin TRC.
Dank
Ohne die ständigen Anstöße meiner ersten Lektorin Susanne Hericks wäre dieses Buch genausowenig veröffentlicht worden wie Hannes Wabayes erster Fall, der „Schatz von Njinjo". Ohne Jörg L. und seine persönliche Schatz-Geschichte gäbe es die Figur Hannes Wabaye nicht.
Für wertvolle Ratschläge zum Tauchen allgemein und insbesondere im Viktoriasee bedanke ich mich bei Chris Koller von den Peponi Divers in Mombasa.
Bei Claudia Dal-Bianco und Johanna Emig habe ich mich vieler Swahili-Sprichwörter bedient, die sie in ihrer 2009 am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien vorgelegten Anthologie gesammelt haben und erläutern.
Die wichtigsten Personen
Hannes Wabaye – Detektiv aus Moshi am Kilimanjaro
Honorata Rwebusoya – Hannes patente Tante, genannt Honni
Jens Petermann – Hannes Auftraggeber, Architekt aus Rosengarten bei Hamburg
Gerd Körner – Journalist aus Hamburg, vermisster Freund von Petermann
Susannah & Charles McKune – Agenten des südafrikanischen Geheimdienstes SASS, Taucher
Mohammed King – CIA-Agent, stationiert in Nairobi
Sandhu Singh – Outdoor-Ausrüster in Mwanza
Makaïdi – Superintendent, ehemals bei der Staatspolizei, jetzt beim tansanischen Geheimdienst TISS
Joyce Mugozi – Verhörspezialistin des TISS
David Ngalama Ole-Nangoro – Makaïdis Vorgesetzter
Bob Bestbier – Chef der Söldnertruppe Executive Output (EO) in Prag
Piet van Vegan – Söldner und Taucher von EO
Eulalie Ntibagayimvo – Agentin des burundischen Geheimdienstes SNR
Clément Nibizi – Ntibagayimvos Partner, angeblich Pastor
Adrien Barbier – DGSE-Agent, angeblich Friseur
Felista Bwire – Bekannte von Honorata, Wirtin in Mwanza
Paulo Bwire – Felistas Drittgeborener, Fischer in Mwanza
Ambi Maregesi – Journalistin in Mwanza
Josbell Sikazwe – Taucher, Petermanns Buddy
Wilfrem Fundikira – Makaïdis Ex-Assistent, Inspektor
Nehemiah Baregu – Makaïdis zweitbester Ex-Assistent, Sergeant
Dr. Maua Okurut – Regierungsdirektorin
Daudi Mitigyakibira – TISS-Chef in Mwanza
1. In der Tiefe
Rücklings lässt sich der Mann von der Bootskante fallen. Sofort ist er umgeben von trübem Wasser, kann kaum noch einen Meter weit sehen. Orientierung gibt nur noch das Seil.
Alle hatten sie gewarnt: So kurz nach dem großen Gewitter sei das Wasser des Viktoriasees viel zu aufgewühlt und trüb, als dass sich ein Tauchgang lohnen würde. Trotzdem hatten sie sich entschlossen, es heute noch einmal zu wagen. Denn bald dürfte es hier nur so wimmeln vor Konkurrenz. Sobald das Wasser aufklart, würden ihnen auch die örtlichen Freitaucher wieder in die Quere kommen, die seit Jahr und Tag immer wieder Kleinigkeiten aus der Tiefe bargen. Bestimmt hat es sich längst herumgesprochen, dass da Fremde am Wrack der Bukoba zugange sind, die jedem Besucher Schweigegeld versprechen. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann jemand sie an die Behörden verraten wird.
Das Wasser um ihn herum, in gut zwanzig Meter Tiefe, ist inzwischen eine einzige milchige Brühe. Er muss darauf vertrauen, dass sie ihren Liegeort exakt vermessen haben. Zwar hat er sich diesmal rasend schnell am Führungsseil herabgelassen, das tatsächlich am Schiffsrumpf landete, aber mehr als eine Viertelstunde bleibt ihm trotzdem nicht. Sobald er den Tauchscheinwerfer einschaltet, wird er gelbweiß geblendet wie im dichten Nebel. Kein Lichtstrahl dringt weiter als bis zur Hand. In einer solchen Umgebung einen Safe zu suchen, ist schlicht Wahnsinn.
Als Rettungstaucher vor fünfzehn Jahren hier unten in der gesunkenen Fähre Ertrunkene bargen, mussten sie sich zwischen herum schwimmenden Gepäckstücken, Bananenstauden und aus dem Nichts auftauchenden, zerquetschten Leichen zurechtfinden. Auch heute darf er sich zwischen dem verbogenen Stahl nur in Zeitlupe bewegen, alle paar Sekunden stupsen Schultern, Flossen, Hände oder Knie an irgendwelche unsichtbaren Gegenstände, mal hart, mal weich, beinahe schwabbelig, dann wieder gefährlich scharfkantig. Vier Tauchgänge hatten sie gebraucht, um einen Weg in die Kajüte des Kapitäns zu finden. Aber wo, zum Teufel, soll hier bloß ein Tresor sein?
Einige der damals beim Kentern des Schiffs eingeschlossenen Passagiere überlebten noch zwei dunkle Nächte in ihrer zunehmend stickiger werdenden Kabine. Wrack-Spezialisten der südafrikanischen Navy hätten sie retten können. Sie verfügten über Erfahrung und Gerät. Doch sie kamen einen Tag zu spät. Aufgequollene, verwesende Leichen zu bergen, hatten die Taucher dann nach wenigen Tagen wieder aufgegeben. „Zu traumatisierend, zu gefährlich" hieß es, zu oft waren sie zwischen die ertrunkenen Körper geraten, die sich im Todeskampf ineinander verhakt und verknotet hatten. „Du siehst da unten die Hand nicht vor den Augen. Das Wasser ist so schmutzig, voller Stofffetzen, Flaschen, Gegenstände treiben herum. Die Leichen kommen aus der totalen Dunkelheit, du siehst sie erst, wenn du sie berührst"*, so einer der Taucher. Ein Geflecht aus ungezählten Toten verblieb im Bauch der gesunkenen Fähre. Hunderte Opfer, fast alles Passagiere aus der vollbesetzten 3. Klasse unter Deck, wurden nie bestattet. Das Wrack wurde zum Friedhof erklärt, jedes Tauchen verboten.
Seitdem besetzt die Tragödie, der Untergang der MV Bukoba auf dem Viktoriasee am Dienstag, dem 21. Mai 1996, wenige Kilometer vor Tansanias zweitgrößter Stadt Mwanza einen zentralen Platz im Trauergedächtnis der Nation. Eine Bergung des Schiffs stand nie zur Debatte, dafür fehlen in dieser Ecke der Welt noch auf Jahrzehnte hinaus alle Mittel.
Bald würde er aufgeben müssen, fehlende Sicht und Zeit machen die weitere Suche unmöglich. Plötzlich aber verfängt sich sein linker Knöchel an irgendetwas Weichem. Ein Kabel? Der Fuß zuckt zurück, verheddert sich, dann spürt er einen schmerzhaften Schlag auf der Wade. Reflexartig greift er nach dem vermeintlichen Angreifer und reißt sich an einem Blech Arm und Taucheranzug auf. Sofort färbt sich das Wasser im Licht der Lampe dunkel mit Blut. Panik steigt in ihm auf: In der Hand hält er einen Fetzen Stoff, in dem ein kräftiger Knochen steckt. Instinktiv schwenkt er wild seine Hände, reißt die Lampe auf und ab, signalisiert „Abbruch!". Doch in dieser Brühe sind Tauchzeichen überflüssig. Sein Buddy bekommt von alledem nichts mit. Mit verzerrtem Gesicht schreit er in die Maske, zieht panisch am Sicherungsseil.
Wenn er sich nicht sofort beruhigt, kann ihn niemand mehr retten.
2. Im kalten Norden
Das Thermometer auf der Terrasse zeigt fünf Grad über Null. Eigentlich ist Frühling, aber wirklich spüren lässt sich das noch nicht. Der Blick hinaus auf die weiten Felder vor den Harburger Bergen, gerade erst befreit von morgendlichen Nebelschwaden, wandert über kahle Flächen. Noch ziert nur zartes Grün die Büsche und Bäume der Umgebung. Hier oben in Rosengarten sei es immer zwei Grad kälter als in Hamburg, sagen die hier Geborenen.
Jens Petermann beugt sich über seinen konferenztischgroßen Schreibtisch, sinniert über der riesigen Konstruktionszeichnung eines Schulzentrums und schüttelt zweifelnd den Kopf. „Das wird so nichts!", murmelt der hoch aufgeschossene Mann vor sich hin. Zum Glück ist er diesmal nur Zweitgutachter, das mindert die Verantwortung. Gerade, als er sich einen Kaffee holen und erste Eindrücke in den Laptop diktieren will, klingelt es. Zu früh für freundliche Besuche, und die Post war schon da. Beim Blick durch die verglaste Haustür schwant Petermann nichts Gutes. Vor der Tür steht seine stets leicht überdrehte Nachbarin.
„Silke! Schön, dich zu sehen! Was treibt dich so früh ..." Weiter kommt er nicht. Stattdessen drängt sich Silke durch die Tür und überschüttet ihn sofort mit hysterisch aufgeladenen Fragen.
„Weißt du’s schon? Hat es euch niemand erzählt? Wo steckt denn Frieda? Die wird das doch bestimmt längst wissen!" Aufgelöst schaut sich die Frau im Hausflur um.
Jens und Frieda Petermann leben seit Menschengedenken in ihrem Dorf am Südrand Hamburgs. Fest verwurzelte Sandkastenfreunde, die die Liebe nach dem Studium zurück in die Heimat trieb. Das Haus ist Friedas Elternhaus. Nur mit dem Kinderkriegen wollte es nie etwas werden, und jetzt, mitten in den Vierzigern, ist das auch nicht mehr geplant.
„Silke, komm doch mal zur Ruhe. Wovon redest du? Was ..." Erneut wird Jens Petermann unterbrochen. In seinen gelösten Zügen zeigen sich nun doch erste Falten.
„Gerd ist weg! Verschwunden!"
„Aber das weiß doch jeder. Der ist in Tansania, arbeiten."
„Nee, eben nicht. Zumindest ist er dort nicht mehr erreichbar." Fahrig streckt Silke beide Hände anklagend gen Decke. „Eben hat es Waltraud, seine verhuschte Mutter, beim Bäcker nicht mehr ausgehalten und ist damit rausgerückt: Seit Wochen hat die schon keinen Kontakt mehr zu ihm! Der ist weg, verschollen im schwärzesten Schwarzafrika! Ruft nicht an, niemand weiß was, auch seine Redaktion hat keine Ahnung. Spätestens gestern hätte er sich bei denen melden müssen, das war der letzte von vier vereinbarten Terminen. Hat er aber nicht! Nichts, nada, seit Wochen!"
„Und Waltraud erzählt erst heute davon? Petermann, dessen hübsche Augenbrauen über den tiefbraunen Augen sich zunehmend kräuseln, klingt nun ernsthaft besorgt. Gerds Mutter, die Witwe des wohlhabendsten Landwirts weit und breit, kennt er schon ewig. „War sie denn schon bei der Polizei?
„Weiß nicht. Kannst du nicht mal mit ihr reden? Du kennst dich doch aus da unten." Endlich ist Silke ihr Anliegen los und beginnt sich zu entspannen.
Tatsächlich war Petermann schon einmal in Tansania. Vor Jahren hatte er eine alte Dorfgeschichte aufgegriffen und mit tatkräftiger Hilfe eines Tansaniers den Familienschatz eines Freundes aus der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika geborgen. Eine Geschichte, die Rosengarten bis in die „Süddeutsche
brachte: Fast 200.000 Euro hatte das Erbe, Münzen und Elfenbein, auf einer Auktion erbracht – ein Vermögen, erworben von einem verarmten Kürschner, der sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts als ahnungsloser Bauer einige Jahre in Tanganyika verdingte und seinen Besitz auf der Flucht vor den Engländern dort im 1. Weltkrieg verbuddelt hatte. Hundert Jahre später dann floss dessen beachtlicher Wert dank Petermanns erfolgreicher Schatzsuche zurück in den Norden: Ein gefundenes Fressen für Kritiker nachkolonialer Verhältnisse. Alle anderen fanden das völlig okay. So auch Silke.
„Klar rede ich mit Waltraud, auch wenn ich mich da nicht gerade als Experte sehe." Einige freundliche Gesten noch, dann hat Petermann seine aufgeregte Nachbarin vor die Tür gebracht.
Mit Gerd Körner, dem Sohn der Nachbarin, ist Jens Petermann seit der Schulzeit befreundet. Als Studenten – er Architektur, Gerd Journalistik – hatten sie ihre Lust aufs Tauchen entdeckt und gemeinsam einige Touren im nahen Plöner See unternommen. Zwar war das Tauchen dort wegen Blindgängern aus dem 2. Weltkrieg nahe der Marineunteroffiziersschule der Nazis und der NS-Eliteschule im Plöner Schloss verboten. Die vermeintliche Gefahr aus der braunen Vorzeit aber hatte Petermann und Körner nicht abschrecken können.
Gemeinsam hatten sie sich beim Tauchen immer tiefer hinab gewagt und waren dem Gewässer und seiner bis in die Steinzeit zurückreichenden Siedlungsgeschichte auf den Grund gegangen. Dessen tiefste Stelle, mit rund 60 Metern so tief wie der Plöner Kirchturm hoch, erreichten sie zwar nie, aber die 20-Meter-Marke hatten sie oft geknackt. Nur einmal jedoch hatten sie im See etwas Wertvolleres entdeckt als einen verrosteten Fotoapparat. Als ein örtlicher Kneipier mit seiner protzigen Yacht mitten in der Stadtbucht gekentert war, hatte der sie beauftragt, seine dabei koppheister gegangene Geldbörse mit „mehreren 1.000 Mark wiederzufinden. Jung und unerschrocken, wie sie waren, taten sie das vermisste Portemonnaie tatsächlich in knapp zehn Meter Tiefe wieder auf. Der Kneipier aber zählte zum Establishment, seine teuren Scheine blieben deshalb „leider verschwunden
. Diese einträgliche Gaunerei aus frühen Jahren verbindet beide bis heute.
Wenige Stunden nach Silkes Besuch steht Petermann im Wintermantel vor der Tür der Mutter seines Freundes. „Waltraud, darf ich reinkommen?"
„Klar doch, Jens. Ich hab schon fast auf dich gewartet. Wäre später sonst selbst rübergekommen ..." Frau Körner, topfit für ihre einundsiebzig, ist sichtlich erleichtert.
„Silke hat’s mir erzählt ..."
„Ja, heute Morgen hab ich’s nicht mehr ausgehalten. Gerd ist ja oft verreist, auch nach Afrika, aber das hat er sich noch nie geleistet. Seit Wochen keine Nachricht, nicht das kleinste Lebenszeichen ..." Nachdem Petermann abgelegt hat, gehen sie durch den Flur ins großzügig geschnittene Wohnzimmer, dem Mittelpunkt des Körnerschen Hauses. Dort macht Petermann es sich auf dem Sofa bequem.
„Wann habt ihr denn zum letzten Mal Kontakt gehabt?"
Waltraud Körner, deren an sich gepflegtes graues Haar heute nach allen Seiten absteht, wandert immer noch unruhig im Zimmer auf und ab. „Ist fast drei Wochen her. Ich werd langsam verrückt. Kurz vor Ostern hat er sich zuletzt gemeldet, klang ganz euphorisch. Aus Mwanza am Viktoriasee. ‚Darwins Albtraum’, den Film kennst du? Preisgekrönt! Wahrscheinlich wegen der vielen obdachlosen Kinder drin. Da konnte ich noch was mit anfangen, mit dem Ort, an den sie ihn geschickt haben. Immer gesprächiger, droht sich die ältere Frau jetzt zu verlieren. „Großer Umschlaghafen im Süden dieses völlig verdreckten Binnenmeers, das Abermillionen Menschen tränkt und ernährt. Statt früher Hunderte schwimmen da heute noch ganze drei Fischarten drin rum, die es sich zu fangen lohnt. Tolle Ecke!
„Und? Was wollte Gerd da?", unterbricht Petermann sie, dessen Lippen vor Ungeduld zunehmend schmaler werden.
„Sollte recherchieren. Wenn ich’s richtig mitgekriegt hab’, wollte er eine Geschichte schreiben über den Untergang irgendeiner Fähre vor fünfzehn Jahren."
„Die ‚Bukoba’, 1996, ja, das kommt hin. Sind Freunde von mir selbst mal drauf gefahren. Die einzige verlässliche Verbindung zwischen Ruanda, Uganda und Tansania. Das Unglück war eine der größten Schiffskatastrophen im letzten Jahrhundert, ganz ohne Krieg, hunderte, manche sprechen von über tausend Toten! War damals ´ne ganz große Geschichte! Mit etwas weniger Leichen passiert so eine Tragödie da unten ja alle paar Monate."
„Ja, aber Gerd ist nicht untergegangen!"
„Gab’s möglicherweise noch irgendwas anderes, um das er sich kümmern wollte?"
„Kümmern? Blödsinn. Gerd hat sich noch nie besonders um irgendwas ‚gekümmert’, weder um mich noch irgendwen sonst, der folgt immer nur seinen eigenen Interessen. Hat sich höchstens irgendwo verrannt. Aber wieso meldet er sich dann nicht wenigstens mal kurz? Es wird doch wohl auch in Tansania irgendwo ein Telefon geben!" Petermanns Nachbarin spricht wieder schneller und unterdrückt die Tränen.
„Nicht überall, Waltraud. Keineswegs. Ihr Besucher will sie beruhigen, weiß aber natürlich, dass es in einer Großstadt wie Mwanza – einer der am schnellsten wachsenden Städte des afrikanischen Kontinents – kein Problem sein dürfte, in den Norden der Erde durchzukommen. „Noch einmal: Welchen Grund könnte es denn geben, der ihn vom Telefonieren abhält, in Gefahr brachte, vielleicht auch einfach nur aus der Stadt aufs Land getrieben hat?
Draußen vor den großen Wohnzimmerfenstern türmen sich graue Wolken auf, bald wird es regnen.
Waltraud Körner zieht die Stirn zusammen. Nach einigen Sekunden des Nachdenkens meint sie: „Er erzählte, bei diesem fürchterlichen Untergang hätten eine ganze Menge Leute ihre eigenen Süppchen gekocht. Keine massenhaft abgetauchten Überlebenden wie beim Tsunami, so nicht. Aber das passierte ja mitten zwischen Völkermördern, Aufständen, Friedensverhandlungen und UN-Prozessen. Bestimmt waren da genügend Leute an Bord, die was zu verbergen hatten. Wer weiß, was mein Sohn alles aufdeckt."
„Möglicherweise hat das ja gar nichts mit seinem Verschwinden zu tun. – Hast du denn eigentlich schon die Polizei eingeschaltet?"
„Ja, die Vermisstenanzeige haben die in meinem Beisein direkt ins Auswärtige Amt nach Berlin geschickt."
„Klingt, als könnten wir nicht mehr machen, richtig? Lass mich ein bisschen nachdenken, vielleicht fällt mir noch was ein, okay?"
3. Körners Auftrag
Gerds Verschwinden lässt Petermann keine Ruhe mehr. Als er wieder zuhause ist, ruft er direkt in der Redaktion der Zeitschrift an, für die sein Freund arbeitet. Eine Kollegin bestätigt, was Waltraud schon vermutet hatte: Gerd recherchierte anlässlich des fünfzehnten Jahrestags des Fährunglücks über dessen Hintergründe und sollte spätestens gestern seine erste Story abgeliefert haben.
„Arbeitete er undercover?"
„Nee, war offiziell akkreditiert." Sein Freund habe sich im März ordnungsgemäß beim Direktor des Tanzania Information Service in Dar es Salaam angemeldet und 400 Dollar dafür bezahlt. Er sollte nicht nur alten Gerüchten nachgehen, nach denen der Untergang auf massive Versäumnisse europäischer Schiffsbauer zurückzuführen sei, die gerade wieder mit der tansanischen Regierung ins Geschäft zu kommen suchten. An Bord hätten sich angeblich auch Söldner des berüchtigten südafrikanischen Rassistenvereins Executive Output, Waffenhändler und Agenten verschiedenster Geheimdienste befunden. Auch mit Überlebenden habe er sprechen sollen, ob sie je entschädigt wurden, und nachhaken, welche Folgen das Unglück für den Seeverkehr bis heute habe. Daraus würden sich leicht zwei oder drei Geschichten ergeben. Sollte er gar einen direkten Zusammenhang zwischen dem Untergang der Fähre und den Machenschaften der Paramilitärs von Executive Output belegen können, die gerade wieder weltweit Schlagzeilen machten, wäre sogar eine Titelstory drin.
Zwar kenne sie keine Einzelheiten, könne selbstredend auch keine Kontaktpersonen geschweige denn Informanten nennen, aber insgesamt sei das schon eine recht „heikle Gemengelage verschiedenster Interessen" für einen ausländischen Journalisten. Besorgnis sei durchaus angebracht. Sie selbst habe mal vor Jahrzehnten ganz in der Nähe für einen Reisebuchverlag gearbeitet und sei festgenommen worden, nur weil sie unter freiem Himmel einen banalen Lageplan gezeichnet hatte. Damals seien die Behörden Tansanias höllisch nervös gewesen wegen vermuteter Spione des Apartheid-Regimes. Tansania war Frontstaat, Rückzugsgebiet für alle Freiheitskämpfer der Region, aus Zimbabwe, Mosambik, Namibia, Angola und Südafrika. Heute seien es die Vertreter der verschiedenen Rebellengruppen und Nachrichtendienste, Islamisten, Waffen- und Rohstoffhändler, Gold- und Diamantenschmuggler, die sich die Regierung bemühe, im Auge zu behalten.
Geheimdienste? Söldner? Konterbanden? Hatte Gerd ihm nicht schon vor Jahren etwas von Diamanten an Bord der MV Bukoba erzählt? Blutdiamanten! Unter übelsten Bedingungen geschürfte Steine, illegal ausgeführt zur Bezahlung der verschiedensten Dienstleistungen und Waffenhändler, na, vielen Dank. Das hatte er damals so aufregend gefunden, dass er es sofort seinem Bekannten Hannes Wabaye in Moshi berichtete, dem er noch etwas schuldig war.
Beim Googeln stößt Petermann im Netz auf einen weiteren Zusammenhang, der seine Sorge um den Freund verstärkt. An Frieda gewandt, ruft er:
„Das hatte ich doch glatt vergessen! Hast du das gewusst? An Bord der Fähre, die damals unterging, war auch die Nummer Zwei von Al-Kaida! Das war gerade mal zwei Tage, nachdem der Sudan Osama bin Laden aus Khartoum ausgewiesen hatte und der nach Afghanistan abhauen musste!" Bin Laden selbst, Al-Kaidas vermeintlich so grausamer Chef, war dieser Tage in aller Munde. Nach jahrelanger Jagd hatten ihn die Amerikaner gerade in Pakistan erschossen und im Meer versenkt.
„Wir werden Gerd finden müssen! Das kann man nicht den Schnarchnasen von der Botschaft überlassen." Einmal ausgesprochen, lässt sich der Gedanke nicht mehr einfangen.
Noch am gleichen Abend besucht Jens Petermann erneut Gerds Mutter. Erleichtert über die Initiative, die der langjährige Freund ihres Sohnes entfaltet, bietet Waltraud Körner ungefragt an, Petermann Flugticket und Aufenthalt zu bezahlen. Als es dunkel wird, hat ihr Nachbar seine Termine geregelt und sich zwei Wochen freigeschaufelt. Für Donnerstagnacht hat er einen Flug von Frankfurt direkt zum Kilimanjaro gebucht. Rasch versendet er noch eine E-Mail an seinen Bekannten Hannes Wabaye in Moshi. Wär’ doch gelacht, wenn der nicht ein zweites Mal als Fremdenführer zu gewinnen wäre.
4. Hannes wird gebraucht
Der Anruf kam erwartet. Trotzdem riss mich das Scheppern des alten Wählscheibentelefons von der Matratze. Eben noch träumte ich von einem süßen chai, plötzlich bin ich gefragt. Verschlafen greife ich nach dem Hörer.
„Hannes? Hier spricht Jens Petermann!"
In der Leitung knackt es fürchterlich, aber es ist unverkennbar die Stimme des mzungu, die ich zuletzt vor gut zwei Jahren hörte. Hinter der Grundstückmauer geht gerade die Sonne auf, Null Uhr meiner Zeit.
„Hannes! Sind Sie da?"
„Ja, ja, Jens, bin ich. Miese Verbindung, das ist alles. Von wo rufen Sie an?"
„Bin gerade gelandet, auf dem Kilimanjaro Airport. Direkt aus Frankfurt! Bin noch ganz weg vom Blick auf ihren Berg im Morgengrauen ..."
Diese wazungu sind wirklich schnell. Vorgestern erst hatte mir der lange Deutsche eine E-Mail geschickt, die erste seit einem Jahr. Gestern hatte ich sie im Dot Café gelesen, wo ich möglichst täglich einmal bin.