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Das Erbe der MV Bukoba: Hannes Wabayes zweiter Fall
Das Erbe der MV Bukoba: Hannes Wabayes zweiter Fall
Das Erbe der MV Bukoba: Hannes Wabayes zweiter Fall
eBook306 Seiten3 Stunden

Das Erbe der MV Bukoba: Hannes Wabayes zweiter Fall

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Über dieses E-Book

Im Mai 1996 sank auf dem Viktoriasee vor der tanzanischen Hafenstadt Mwanza das Fährschiff Bukoba und riss mehr als 700 Hundert Menschen in den Tod. Es ist bis heute die größte Schiffskatastrophe Afrikas, ohne dass die Verantwortlichen, darunter eine belgische Schiffsbaufirma, je zur Rechenschaft gezogen wurden. Unter den Ertrunkenen befand sich zudem auch Osama bin Ladens Stellvertreter, der zwei Tage zuvor aus Khartoum ausgewiesen worden war - ein Umstand, der Verschwörungstheorien beförderte.
Um sicherzugehen, dass Osama bin Ladens Stellvertreter tatsächlich mit Bord der Fähre unterging, waren in den Tagen nach dem Untergang mehrere hochrangige Al-Kaida-Mitglieder in Mwanza, darunter Fazul Abdullah Muhammad, was durch zufällig entstandene Fotos bewiesen wurde. Muhammad wurde später von der CIA verantwortlich gemacht für den verheerenden Bombenanschlag auf die US-Botschaft in Nairobi 1998. Auf seinen Kopf waren 5 Mio. US-$ Belohnung ausgesetzt, "tot oder lebendig". Er wurde am 8.6.2011 mit einem südafrikanischen Pass in der Hose in Mogadishu erschossen.
15 Jahre nach dem Untergang des Schiffs begleitet Hannes Wabaye, Detektiv aus Moshi am Kilimanjaro, den Schatzjäger Jens Petermann an den Viktoriasee. Der Deutsche soll dort einen verschollenen Journalisten auftreiben, der an Bord der versunkenen Fähre brisante Dokumente vermutet und Diamanten – Blutdiamanten zur Bezahlung von Waffen verschiedenster Truppen in der Region. Wabayes und Petermanns Aktivitäten geraten rasch ins Visier von Söldnern, Geheimdiensten und des tanzanischen Staatsschutzes ...
Die Geschichte basiert auf Fakten, gleichwohl sind Namen und Daten mit Ausnahme der Ereignisse rund um den 21.5.1996 frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind purer Zufall.
Sämtliche Verwicklungen und Motivlagen der Geheimdienste in diesem Roman hingegen sind, so plausibel sie auch klingen mögen, selbstverständlich frei erfunden.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Feb. 2014
ISBN9783847673361
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    Buchvorschau

    Das Erbe der MV Bukoba - Fritz Gleiß

    Imprint

    Das Erbe der MV Bukoba - Hannes Wabayes zweiter Fall

    Copyright: © 2014 Fritz Gleiß, fritzgleiss@yahoo.com

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Rechteinhabers reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Titelgrafik © Fritz Gleiß – Das Foto zeigt das Mahnmal in Mwanza auf dem „Friedhof einiger der Opfer, die beim tragischen Unfall der MV Bukoba im Viktoriasee am 21. Mai 1996 ertranken".

    Die Geschichte basiert auf Fakten, gleichwohl sind Namen und Daten mit Ausnahme der Ereignisse rund um den 21.5.1996 fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind purer Zufall.

    Das mit einem * versehene Zitat im 1. Kapitel stammt nicht von einem Taucher am Wrack der MV Bukoba, sondern bezieht sich auf die Rettungsarbeiten in der Costa Concordia 2012. Die mit einem * gekennzeichneten Sätze im 14. Kapitel sind frei zitiert nach Cleophas Magoge, dem zum Zeitpunkt des Untergangs verantwortlichen Manager der Schiffseignerin TRC.

    Dank

    Ohne die ständigen Anstöße meiner ersten Lektorin Susanne Hericks wäre dieses Buch genausowenig veröffentlicht worden wie Hannes Wabayes erster Fall, der „Schatz von Njinjo". Ohne Jörg L. und seine persönliche Schatz-Geschichte gäbe es die Figur Hannes Wabaye nicht.

    Für wertvolle Ratschläge zum Tauchen allgemein und insbesondere im Viktoriasee bedanke ich mich bei Chris Koller von den Peponi Divers in Mombasa.

    Bei Claudia Dal-Bianco und Johanna Emig habe ich mich vieler Swahili-Sprichwörter bedient, die sie in ihrer 2009 am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien vorgelegten Anthologie gesammelt haben und erläutern.

    Die wichtigsten Personen

    Hannes Wabaye – Detektiv aus Moshi am Kilimanjaro

    Honorata Rwebusoya – Hannes patente Tante, genannt Honni

    Jens Petermann – Hannes Auftraggeber, Architekt aus Rosengarten bei Hamburg

    Gerd Körner – Journalist aus Hamburg, vermisster Freund von Petermann

    Susannah & Charles McKune – Agenten des südafrikanischen Geheimdienstes SASS, Taucher

    Mohammed King – CIA-Agent, stationiert in Nairobi

    Sandhu Singh – Outdoor-Ausrüster in Mwanza

    Makaïdi – Superintendent, ehemals bei der Staatspolizei, jetzt beim tansanischen Geheimdienst TISS

    Joyce Mugozi – Verhörspezialistin des TISS

    David Ngalama Ole-Nangoro – Makaïdis Vorgesetzter

    Bob Bestbier – Chef der Söldnertruppe Executive Output (EO) in Prag

    Piet van Vegan – Söldner und Taucher von EO

    Eulalie Ntibagayimvo – Agentin des burundischen Geheimdienstes SNR

    Clément Nibizi – Ntibagayimvos Partner, angeblich Pastor

    Adrien Barbier – DGSE-Agent, angeblich Friseur

    Felista Bwire – Bekannte von Honorata, Wirtin in Mwanza

    Paulo Bwire – Felistas Drittgeborener, Fischer in Mwanza

    Ambi Maregesi – Journalistin in Mwanza

    Josbell Sikazwe – Taucher, Petermanns Buddy

    Wilfrem Fundikira – Makaïdis Ex-Assistent, Inspektor

    Nehemiah Baregu – Makaïdis zweitbester Ex-Assistent, Sergeant

    Dr. Maua Okurut – Regierungsdirektorin

    Daudi Mitigyakibira – TISS-Chef in Mwanza

    1. In der Tiefe

    Rücklings lässt sich der Mann von der Bootskante fallen. So­fort ist er umgeben von trübem Wasser, kann kaum noch einen Meter weit sehen. Orientierung gibt nur noch das Seil.

    Alle hatten sie gewarnt: So kurz nach dem großen Ge­witter sei das Wasser des Viktoriasees viel zu aufgewühlt und trüb, als dass sich ein Tauch­gang lohnen wür­de. Trotzdem hatten sie sich entschlos­sen, es heute noch einmal zu wagen. Denn bald dürfte es hier nur so wim­meln vor Konkurrenz. Sobald das Wasser aufklart, wür­den ihnen auch die örtlichen Freitaucher wieder in die Que­re kom­men, die seit Jahr und Tag immer wieder Kleinigkeiten aus der Tiefe bargen. Bestimmt hat es sich längst herumgesprochen, dass da Fremde am Wrack der Bukoba zugange sind, die jedem Besucher Schwei­ge­geld ver­spre­chen. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann jemand sie an die Behörden verraten wird.

    Das Wasser um ihn herum, in gut zwanzig Meter Tiefe, ist inzwischen eine einzige milchige Brühe. Er muss darauf vertrauen, dass sie ihren Liegeort exakt vermessen haben. Zwar hat er sich diesmal ra­send schnell am Führungsseil herabgelassen, das tatsächlich am Schiffsrumpf landete, aber mehr als eine Viertelstunde bleibt ihm trotzdem nicht. Sobald er den Tauch­scheinwerfer einschaltet, wird er gelbweiß geblendet wie im dich­ten Nebel. Kein Lichtstrahl dringt weiter als bis zur Hand. In einer solchen Umgebung einen Safe zu suchen, ist schlicht Wahnsinn.

    Als Rettungstaucher vor fünfzehn Jahren hier unten in der gesunkenen Fähre Ertrunkene bargen, mussten sie sich zwischen herum ­schwim­menden Ge­päckstücken, Bananen­stau­den und aus dem Nichts auftauchen­den, zerquetschten Lei­chen zurechtfinden. Auch heute darf er sich zwischen dem verbogenen Stahl nur in Zeitlupe bewegen, alle paar Se­kun­den stupsen Schultern, Flossen, Hände oder Knie an ir­gend­welche unsichtbaren Ge­gen­stände, mal hart, mal weich, beina­he schwabbelig, dann wieder gefährlich scharfkantig. Vier Tauch­gänge hatten sie ge­braucht, um einen Weg in die Kajüte des Kapitäns zu finden. Aber wo, zum Teufel, soll hier bloß ein Tresor sein?

    Einige der damals beim Kentern des Schiffs eingeschlosse­nen Passa­gie­re überlebten noch zwei dunkle Nächte in ihrer zunehmend stickiger werdenden Kabine. Wrack-Spe­zia­listen der südafrikani­schen Navy hätten sie retten können. Sie verfügten über Erfah­rung und Gerät. Doch sie kamen einen Tag zu spät. Aufgequollene, verwesende Leichen zu ber­gen, hatten die Taucher dann nach wenigen Tagen wieder aufgegeben. „Zu trauma­ti­sie­rend, zu gefährlich" hieß es, zu oft waren sie zwi­­schen die er­trun­kenen Körper geraten, die sich im Todes­kampf inein­ander verhakt und verknotet hatten. „Du siehst da unten die Hand nicht vor den Augen. Das Wasser ist so schmutzig, voller Stofffetzen, Fla­schen, Gegenstände treiben herum. Die Leichen kom­men aus der totalen Dunkelheit, du siehst sie erst, wenn du sie be­rührst"*, so einer der Taucher. Ein Geflecht aus ungezählten To­ten verblieb im Bauch der ge­sunkenen Fäh­re. Hunderte Opfer, fast alles Passagiere aus der vollbesetzten 3. Klasse unter Deck, wurden nie bestattet. Das Wrack wurde zum Friedhof erklärt, je­des Tau­chen verboten.

    Seitdem besetzt die Tragödie, der Unter­gang der MV Bukoba auf dem Viktoriasee am Dienstag, dem 21. Mai 1996, wenige Kilometer vor Tansanias zweitgrößter Stadt Mwanza einen zentralen Platz im Trauergedächtnis der Nation. Eine Bergung des Schiffs stand nie zur Debatte, dafür fehlen in dieser Ecke der Welt noch auf Jahrzehnte hinaus alle Mittel.

    Bald würde er aufgeben müssen, fehlende Sicht und Zeit machen die weitere Suche unmöglich. Plötzlich aber verfängt sich sein linker Knöchel an irgendetwas Weichem. Ein Kabel? Der Fuß zuckt zurück, verheddert sich, dann spürt er einen schmerz­­haften Schlag auf der Wade. Reflexartig greift er nach dem vermeintlichen Angreifer und reißt sich an einem Blech Arm und Tau­cheranzug auf. Sofort färbt sich das Wasser im Licht der Lampe dunkel mit Blut. Panik steigt in ihm auf: In der Hand hält er einen Fetzen Stoff, in dem ein kräftiger Knochen steckt. Instink­tiv schwenkt er wild seine Hände, reißt die Lampe auf und ab, signalisiert „Ab­bruch!". Doch in dieser Brühe sind Tauchzeichen überflüssig. Sein Buddy bekommt von alledem nichts mit. Mit verzerrtem Gesicht schreit er in die Maske, zieht panisch am Sicherungs­seil.

    Wenn er sich nicht sofort beruhigt, kann ihn niemand mehr retten.

    2. Im kalten Norden

    Das Thermometer auf der Terrasse zeigt fünf Grad über Null. Eigentlich ist Frühling, aber wirklich spüren lässt sich das noch nicht. Der Blick hinaus auf die weiten Felder vor den Har­bur­ger Bergen, gerade erst befreit von morgendlichen Ne­bel­s­chwaden, wandert über kahle Flächen. Noch ziert nur zar­tes Grün die Büsche und Bäu­me der Um­gebung. Hier oben in Rosen­gar­ten sei es immer zwei Grad kälter als in Hamburg, sagen die hier Geborenen.

    Jens Petermann beugt sich über seinen konferenztischgroßen Schreibtisch, sinniert über der riesigen Konstruktionszeichnung eines Schulzentrums und schüttelt zweifelnd den Kopf. „Das wird so nichts!", murmelt der hoch aufgeschossene Mann vor sich hin. Zum Glück ist er diesmal nur Zweitgut­achter, das mindert die Verantwortung. Gerade, als er sich einen Kaffee ho­len und erste Eindrücke in den Lap­top diktieren will, klingelt es. Zu früh für freundliche Besu­che, und die Post war schon da. Beim Blick durch die ver­glaste Haustür schwant Petermann nichts Gutes. Vor der Tür steht seine stets leicht überdrehte Nachbarin.

    „Silke! Schön, dich zu sehen! Was treibt dich so früh ..." Wei­ter kommt er nicht. Stattdessen drängt sich Silke durch die Tür und überschüttet ihn sofort mit hysterisch aufgeladenen Fragen.

    „Weißt du’s schon? Hat es euch niemand erzählt? Wo steckt denn Frieda? Die wird das doch bestimmt längst wissen!" Aufgelöst schaut sich die Frau im Hausflur um.

    Jens und Frieda Petermann leben seit Menschengedenken in ihrem Dorf am Südrand Hamburgs. Fest verwurzelte Sandkas­ten­freunde, die die Liebe nach dem Studium zurück in die Hei­mat trieb. Das Haus ist Friedas Elternhaus. Nur mit dem Kin­der­­kriegen wollte es nie etwas werden, und jetzt, mitten in den Vierzigern, ist das auch nicht mehr geplant.

    „Silke, komm doch mal zur Ruhe. Wovon redest du? Was ..." Erneut wird Jens Petermann unterbrochen. In seinen gelösten Zügen zeigen sich nun doch erste Falten.

    „Gerd ist weg! Verschwunden!"

    „Aber das weiß doch jeder. Der ist in Tansania, arbeiten."

    „Nee, eben nicht. Zumindest ist er dort nicht mehr erreich­bar." Fahrig streckt Silke beide Hände anklagend gen Decke. „Eben hat es Wal­traud, seine verhuschte Mutter, beim Bäcker nicht mehr aus­ge­halten und ist damit rausgerückt: Seit Wochen hat die schon keinen Kontakt mehr zu ihm! Der ist weg, ver­schollen im schwär­zes­ten Schwarzafrika! Ruft nicht an, nie­mand weiß was, auch seine Redaktion hat keine Ahnung. Spä­testens ges­tern hätte er sich bei denen melden müssen, das war der letzte von vier vereinbar­ten Terminen. Hat er aber nicht! Nichts, nada, seit Wo­chen!"

    „Und Waltraud erzählt erst heute davon? Petermann, dessen hübsche Augenbrauen über den tiefbraunen Augen sich zunehmend kräuseln, klingt nun ernsthaft besorgt. Gerds Mutter, die Witwe des wohlhabendsten Land­wirts weit und breit, kennt er schon ewig. „War sie denn schon bei der Polizei?

    „Weiß nicht. Kannst du nicht mal mit ihr reden? Du kennst dich doch aus da unten." Endlich ist Silke ihr Anliegen los und beginnt sich zu entspannen.

    Tatsächlich war Petermann schon einmal in Tansania. Vor Jahren hatte er eine alte Dorfgeschichte aufgegriffen und mit tatkräftiger Hilfe eines Tansaniers den Familienschatz eines Freundes aus der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Ostafri­ka geborgen. Eine Geschichte, die Rosengarten bis in die „Süddeutsche brachte: Fast 200.000 Euro hatte das Erbe, Münzen und Elfenbein, auf einer Auktion er­bracht – ein Vermögen, erworben von ei­nem verarmten Kürsch­­ner, der sich zu Beginn des letzten Jahr­hunderts als ah­nungs­loser Bauer einige Jahre in Tanga­nyika verdingte und sei­nen Besitz auf der Flucht vor den Englän­dern dort im 1. Weltkrieg verbud­delt hatte. Hundert Jah­re später dann floss dessen beachtlicher Wert dank Peter­manns erfolg­reicher Schatzsuche zurück in den Norden: Ein gefun­denes Fressen für Kritiker nachkolonialer Verhältnis­se. Alle anderen fanden das völlig okay. So auch Silke.

    „Klar rede ich mit Waltraud, auch wenn ich mich da nicht gerade als Experte sehe." Einige freundliche Gesten noch, dann hat Petermann seine aufgeregte Nachbarin vor die Tür gebracht.

    Mit Gerd Körner, dem Sohn der Nachbarin, ist Jens Peter­mann seit der Schulzeit befreundet. Als Studenten – er Archi­tektur, Gerd Journalistik – hatten sie ihre Lust aufs Tau­chen ent­deckt und gemeinsam einige Touren im nahen Plöner See unternommen. Zwar war das Tauchen dort wegen Blindgängern aus dem 2. Weltkrieg nahe der Mari­ne­unteroffiziers­schule der Nazis und der NS-Eliteschule im Plöner Schloss verboten. Die vermeintliche Gefahr aus der braunen Vorzeit aber hatte Petermann und Körner nicht abschrecken können.

    Gemeinsam hatten sie sich beim Tauchen im­mer tiefer hinab gewagt und waren dem Ge­wässer und seiner bis in die Steinzeit zurückrei­chen­den Siedlungs­ge­schich­te auf den Grund gegangen. Des­sen tiefste Stelle, mit rund 60 Metern so tief wie der Plöner Kirch­turm hoch, erreichten sie zwar nie, aber die 20-Meter-Marke hatten sie oft geknackt. Nur einmal jedoch hatten sie im See etwas Wert­volleres entdeckt als einen verrosteten Fotoap­pa­rat. Als ein örtlicher Kneipier mit seiner protzigen Yacht mitten in der Stadtbucht gekentert war, hatte der sie beauftragt, seine dabei koppheister gegangene Geld­börse mit „mehreren 1.000 Mark wie­der­zufin­den. Jung und unerschrocken, wie sie wa­ren, taten sie das vermisste Porte­mon­naie tatsächlich in knapp zehn Meter Tiefe wie­der auf. Der Kneipier aber zählte zum Estab­­lish­ment, seine teuren Schei­ne blie­ben deshalb „lei­der verschwunden. Diese einträgliche Gaunerei aus frühen Jahren verbindet beide bis heute.

    Wenige Stunden nach Silkes Besuch steht Petermann im Wintermantel vor der Tür der Mutter seines Freundes. „Waltraud, darf ich rein­kom­men?"

    „Klar doch, Jens. Ich hab schon fast auf dich gewartet. Wäre später sonst selbst rübergekommen ..." Frau Körner, topfit für ihre einundsiebzig, ist sichtlich erleichtert.

    „Silke hat’s mir erzählt ..."

    „Ja, heute Morgen hab ich’s nicht mehr ausgehalten. Gerd ist ja oft verreist, auch nach Afrika, aber das hat er sich noch nie ge­leistet. Seit Wochen keine Nachricht, nicht das kleinste Le­bens­­­zeichen ..." Nachdem Petermann abgelegt hat, gehen sie durch den Flur ins groß­zügig geschnittene Wohnzimmer, dem Mittel­punkt des Kör­ner­schen Hauses. Dort macht Petermann es sich auf dem Sofa bequem.

    „Wann habt ihr denn zum letzten Mal Kontakt gehabt?"

    Waltraud Körner, deren an sich gepflegtes graues Haar heute nach allen Seiten absteht, wandert immer noch unruhig im Zimmer auf und ab. „Ist fast drei Wochen her. Ich werd langsam verrückt. Kurz vor Ostern hat er sich zuletzt gemeldet, klang ganz euphorisch. Aus Mwanza am Viktoriasee. ‚Darwins Alb­traum’, den Film kennst du? Preisgekrönt! Wahrscheinlich wegen der vielen obdachlosen Kinder drin. Da konnte ich noch was mit anfan­gen, mit dem Ort, an den sie ihn geschickt haben. Immer gesprächiger, droht sich die ältere Frau jetzt zu verlieren. „Großer Umschlaghafen im Süden dieses völlig verdreckten Binnenmeers, das Abermillionen Menschen tränkt und ernährt. Statt früher Hunderte schwimmen da heute noch ganze drei Fischarten drin rum, die es sich zu fangen lohnt. Tolle Ecke!

    „Und? Was wollte Gerd da?", unterbricht Petermann sie, dessen Lippen vor Ungeduld zunehmend schmaler werden.

    „Sollte recherchieren. Wenn ich’s richtig mitgekriegt hab’, wollte er eine Geschichte schreiben über den Untergang irgend­einer Fähre vor fünfzehn Jahren."

    „Die ‚Bukoba’, 1996, ja, das kommt hin. Sind Freunde von mir selbst mal drauf gefahren. Die einzige verläss­­liche Verbindung zwischen Ruanda, Uganda und Tansa­nia. Das Unglück war eine der größten Schiffskatastrophen im letzten Jahr­hundert, ganz ohne Krieg, hunderte, manche sprechen von über tausend Toten! War damals ´ne ganz große Geschichte! Mit etwas weniger Leichen passiert so eine Tragödie da unten ja alle paar Monate."

    „Ja, aber Gerd ist nicht untergegangen!"

    „Gab’s möglicherweise noch irgendwas anderes, um das er sich kümmern wollte?"

    „Kümmern? Blödsinn. Gerd hat sich noch nie besonders um irgendwas ‚gekümmert’, weder um mich noch irgendwen sonst, der folgt immer nur seinen eigenen Interessen. Hat sich höchstens irgendwo verrannt. Aber wieso meldet er sich dann nicht wenigstens mal kurz? Es wird doch wohl auch in Tansania irgendwo ein Telefon geben!" Petermanns Nachbarin spricht wieder schneller und unterdrückt die Tränen.

    „Nicht überall, Waltraud. Keineswegs. Ihr Besucher will sie beruhigen, weiß aber natürlich, dass es in einer Großstadt wie Mwanza – einer der am schnellsten wachsenden Städte des afrikanischen Kontinents – kein Problem sein dürfte, in den Nor­den der Erde durchzukommen. „Noch einmal: Welchen Grund könnte es denn geben, der ihn vom Telefonieren abhält, in Gefahr brachte, vielleicht auch einfach nur aus der Stadt aufs Land getrieben hat? Draußen vor den großen Wohnzimmerfenstern türmen sich graue Wolken auf, bald wird es regnen.

    Waltraud Körner zieht die Stirn zusammen. Nach einigen Sekunden des Nachdenkens meint sie: „Er erzählte, bei diesem fürch­ter­li­chen Untergang hätten eine ganze Menge Leute ihre eigenen Süppchen gekocht. Keine massenhaft abgetauchten Überleben­den wie beim Tsuna­mi, so nicht. Aber das passierte ja mitten zwischen Völkermördern, Aufständen, Friedensver­hand­lungen und UN-Pro­zes­sen. Be­stimmt wa­ren da genü­gend Leu­te an Bord, die was zu verbergen hatten. Wer weiß, was mein Sohn alles aufdeckt."

    „Möglicherweise hat das ja gar nichts mit seinem Verschwin­den zu tun. – Hast du denn eigentlich schon die Polizei einge­schal­tet?"

    „Ja, die Vermisstenanzeige haben die in meinem Beisein direkt ins Auswärtige Amt nach Berlin geschickt."

    „Klingt, als könnten wir nicht mehr machen, richtig? Lass mich ein bisschen nachdenken, vielleicht fällt mir noch was ein, okay?"

    3. Körners Auftrag

    Gerds Verschwinden lässt Petermann keine Ruhe mehr. Als er wieder zuhause ist, ruft er direkt in der Redaktion der Zeitschrift an, für die sein Freund arbeitet. Eine Kollegin bestätigt, was Waltraud schon vermutet hatte: Gerd recher­chierte anlässlich des fünfzehnten Jahrestags des Fährunglücks über dessen Hintergründe und sollte spätestens ges­tern seine erste Story abgeliefert haben.

    „Arbeitete er undercover?"

    „Nee, war offiziell akkreditiert." Sein Freund habe sich im März ordnungs­gemäß beim Direktor des Tanzania Information Ser­vice in Dar es Salaam angemeldet und 400 Dollar dafür bezahlt. Er sollte nicht nur alten Gerüchten nach­gehen, nach denen der Untergang auf massive Versäum­nis­se europäischer Schiffs­bau­er zurückzuführen sei, die gerade wieder mit der tansani­schen Regierung ins Geschäft zu kommen suchten. An Bord hätten sich angeblich auch Söldner des berüchtigten südafrikani­schen Rassistenvereins Exe­cu­tive Output, Waffenhändler und Agen­ten verschie­denster Ge­­heim­dienste befunden. Auch mit Überleben­den habe er spre­chen sollen, ob sie je entschädigt wurden, und nachhaken, welche Fol­gen das Unglück für den Seeverkehr bis heute habe. Daraus würden sich leicht zwei oder drei Ge­schichten ergeben. Sollte er gar einen direkten Zusammen­hang zwischen dem Untergang der Fähre und den Machenschaften der Paramilitärs von Executive Output belegen können, die gerade wieder weltweit Schlag­zei­len mach­ten, wä­re sogar eine Titelstory drin.

    Zwar kenne sie keine Einzelheiten, könne selbstredend auch keine Kontaktpersonen geschweige denn Informanten nennen, aber insgesamt sei das schon eine recht „heikle Gemengelage verschiedenster Interessen" für einen ausländischen Journalis­ten. Besorgnis sei durchaus angebracht. Sie selbst habe mal vor Jahrzehnten ganz in der Nähe für einen Reise­buch­­verlag gearbeitet und sei festgenommen worden, nur weil sie unter freiem Himmel einen banalen Lageplan gezeich­net hatte. Da­mals seien die Behörden Tansanias höllisch nervös gewesen wegen vermuteter Spione des Apartheid-Regimes. Tansania war Frontstaat, Rückzugsgebiet für alle Freiheitskämpfer der Region, aus Zimbabwe, Mosambik, Namibia, Angola und Südafrika. Heu­te seien es die Ver­tre­ter der verschiedenen Rebellengrup­pen und Nachrichten­diens­te, Islamisten, Waffen- und Rohstoff­händler, Gold- und Diamanten­schmuggler, die sich die Regierung bemühe, im Auge zu behalten.

    Geheimdienste? Söldner? Konterbanden? Hatte Gerd ihm nicht schon vor Jahren etwas von Diamanten an Bord der MV Bukoba erzählt? Blutdiaman­ten! Unter übelsten Bedingungen geschürfte Steine, illegal ausgeführt zur Bezahlung der verschiedensten Dienstleistungen und Waffenhändler, na, vielen Dank. Das hatte er damals so aufregend gefunden, dass er es sofort seinem Bekannten Hannes Wabaye in Moshi berichtete, dem er noch etwas schuldig war.

    Beim Googeln stößt Petermann im Netz auf einen weiteren Zusammenhang, der seine Sorge um den Freund verstärkt. An Frieda gewandt, ruft er:

    „Das hatte ich doch glatt vergessen! Hast du das gewusst? An Bord der Fähre, die damals unter­ging, war auch die Nummer Zwei von Al-Kaida! Das war gera­de mal zwei Tage, nachdem der Sudan Osama bin Laden aus Khartoum ausgewiesen hatte und der nach Afghanistan abhauen musste!" Bin Laden selbst, Al-Kaidas vermeintlich so grausamer Chef, war dieser Tage in aller Munde. Nach jahrelanger Jagd hatten ihn die Amerikaner gerade in Pakistan erschossen und im Meer versenkt.

    „Wir werden Gerd finden müssen! Das kann man nicht den Schnarchnasen von der Botschaft überlassen." Einmal ausge­spro­chen, lässt sich der Gedanke nicht mehr einfangen.

    Noch am gleichen Abend besucht Jens Petermann erneut Gerds Mutter. Erleichtert über die Initiative, die der langjährige Freund ihres Sohnes entfaltet, bietet Waltraud Körner ungefragt an, Petermann Flugticket und Aufenthalt zu bezahlen. Als es dunkel wird, hat ihr Nachbar seine Termine geregelt und sich zwei Wochen freigeschaufelt. Für Donnerstagnacht hat er einen Flug von Frankfurt direkt zum Kili­ma­njaro gebucht. Rasch versendet er noch eine E-Mail an seinen Bekann­ten Hannes Wabaye in Moshi. Wär’ doch ge­lacht, wenn der nicht ein zweites Mal als Fremdenfüh­rer zu gewinnen wäre.

    4. Hannes wird gebraucht

    Der Anruf kam erwartet. Trotzdem riss mich das Scheppern des alten Wählscheibentelefons von der Matratze. Eben noch träumte ich von einem süßen chai, plötz­lich bin ich gefragt. Verschlafen greife ich nach dem Hörer.

    „Hannes? Hier spricht Jens Petermann!"

    In der Leitung knackt es fürchterlich, aber es ist unverkennbar die Stimme des mzungu, die ich zuletzt vor gut zwei Jahren hörte. Hinter der Grundstückmauer geht gerade die Sonne auf, Null Uhr meiner Zeit.

    „Hannes! Sind Sie da?"

    „Ja, ja, Jens, bin ich. Miese Verbindung, das ist alles. Von wo rufen Sie an?"

    „Bin gerade gelandet, auf dem Kilimanjaro Airport. Direkt aus Frankfurt! Bin noch ganz weg vom Blick auf ihren Berg im Morgengrauen ..."

    Diese wazungu sind wirklich schnell. Vorgestern erst hatte mir der lange Deutsche eine E-Mail geschickt, die erste seit einem Jahr. Gestern hatte ich sie im Dot Café gelesen, wo ich möglichst täglich einmal bin.

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