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ASIA B-C
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eBook656 Seiten8 Stunden

ASIA B-C

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Über dieses E-Book

"Ich laufe den New York Marathon" ist der erste Gedanke, nachdem Walter Wosp aus der Narkose aufwacht. "Ich bleibe niemals im Rollstuhl sitzen", ist sein Mantra drei Monate nach der Operation.
An seinem 25sten Hochzeitstag – Tatsache, am 25sten Hochzeitstag, berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass gerade an diesem Tag so ein Unglück geschieht – knallt Walter Wosp mit seinem Fahrrad gegen ein Auto. In einem Sekundenbruchteil ändern sich sein Leben und das seiner Frau.
In ›ASIA B-C‹, (die Bezeichnung für den Grad der Behinderung bei einer Querschnittlähmung) beschreibt Wosp emotionslos, aber mit viel Ironie und schwarzem Humor seinen Leidensweg und den Wahnsinn, den er in den ersten zwei Jahren nach dem Unfall erlebt.
In ›ASIA B-C‹ schildert Walter Wosp wie er beginnt das Wort ›Geduld‹ zu hassen, wie er das erste Mal nach vier Wochen aufrecht steht, wie er nach Monaten seinen ersten Schritt ohne fremde Hilfe macht, wie er mit Messer und Gabel essen lernt, kurz, wie er mühsam ganz ›normale‹ Fähigkeiten erwirbt und nach sieben Monaten Aufenthalt in einem Rehabilitations-Zentrum, gestützt auf zwei Stöcken, wieder nachhause kommt. Der Alltag hat ihn wieder, mit allen durch den Unfall bedingten Problemen.
Seit dem Unfall besteht sein Körper nur aus Schmerz, er sitzt zwar nicht im Rollstuhl, kann aber maximal 300 Meter gehen, für ihn und seine Frau, die, seit sie sich kennen, gemeinsam Ausdauersport betrieben haben, eine Katastrophe. Und noch eine Gemeinsamkeit leidet unter seiner Verletzung: Schonungslos ehrlich und tabulos schildert Wosp sein Sexualleben, das sich durch den Unfall radikal geändert.
Wosp versucht alles, um eine Verbesserung seines Zustandes herbeizuführen. Er besucht einen Wunderheiler, eine Spezialklinik in Zürich, lässt sich einen elektronischen Stimulator einoperieren, setzt seine letzte Hoffnung auf Stammzellentherapie. Es ist alles vergebens.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. Feb. 2014
ISBN9783847661917
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    Buchvorschau

    ASIA B-C - Walter Wosp

    PROLOG

       ›Das Blut ist viel dunkler als im Kino.‹ Das ist mein erster Gedanke. Ich sehe unscharf meinen Nasenrücken, davor etwas Nasses. Im Nassen, überdeutlich zu sehen, in Großaufnahme, einen kleinen Stein. Der Stein ist schwarz, um den Stein ist eine dunkelrote Flüssigkeit. Ich habe keinen Zweifel, dass es Blut ist, keine Ahnung, warum ich so sicher bin. Undeutlich erkenne ich, dass sich auf meinem Nasenrücken etwas bewegt, etwas Rotes kriecht langsam in Richtung Stein. ›Meine Nase blutet‹, grüble ich, langsam, wie in Zeitlupe. ›Nein, das Blut rinnt nicht aus der Nase, es rinnt über die Nase‹, denke ich überrascht ein paar Sekunden später. ›Irgendetwas stimmt nicht‹, sinniere ich und mache die Augen zu, ich bin so müde.

    »Nau, servas, des wor a Klescha«, höre ich im breitesten Ottakringer Dialekt.

    »Lebt er?« fragt eine zweite Stimme.

    »Ka Aunung, bewegen tuat er sie net.«

    Ich realisiere, dass die Beiden über mich sprechen. Mühsam öffne ich wieder die Augen.

    »Jetzt hot ah die Augn aufgmocht.«

    »Gott sei Dank.«

    Der Fleck vor meiner Nasenspitze ist noch immer da. ›Warum ist das Blut so dunkel?‹ geht es mir durch den Kopf. ›Asphalt‹, schießt es mir ein. ›Ich liege auf der Straße. Nur warum? Was mach ich mit dem Gesicht auf einer Straße?‹ überlege ich schwerfällig. Die ersten Gedanken, völlig ruhig, ohne Panik. Ich liege auf dem Bauch, auf rauem, dunkelgrauen Asphalt und vor mir ist eine Blutlache, langsam wird sie größer, interessant, aber was soll´s. Ich liege eben auf der Straße, was kümmert es mich.

    Ich versuche, mir mit der Hand das Blut von der Nase zu wischen. Ich merke, dass ich meinen Arm nicht bewegen kann, sehe aber nicht, was mich hindert, ihn zu bewegen. ›Ist auch nicht sooo wichtig‹, denke ich, ›so viel Blut ist es auch nicht.‹ Plötzlich, eine Idee. Ich mache das linke Auge zu, gut, wenigstens das funktioniert. Linkes Auge wieder auf, rechtes Auge zu. Die Nase springt auf dem Asphalt herum, der linke Nasenflügel hat einen tiefen Kratzer, von dem eine rote Spur zur Nasenspitze führt. Rechtes Auge auf, linkes zu. Die Nase hüpft einen Sprung nach links, der rechte Nasenflügel ist unverletzt, kein Blut auf dieser Seite der Nase. Der kleine Stein vor der Nasenspitze hüpft mit. Das ist lustig, rechtes Auge zu, Blut, linkes Auge zu, kein Blut, ein Stein. Ich lasse die Nase ein paar Mal hin und her springen. Nur langsam realisiere ich, dass ich den Nasenbügel meiner Brille nicht sehe. Ich sehe so weit wie möglich nach unten. Ich kann den Rand der Brille nicht sehen, ich bewege meine Augäpfel nach oben, wieder ist kein Rand zu sehen. ›Meine Brille ist weg. MEINE BRILLE IST WEG!‹ Das macht mir jetzt wirklich Kopfzerbrechen, ohne die Augengläser bin ich halb blind. Ich suche die Brille, versuche, den Kopf zu drehen. Es geht nicht, ich habe keine Kraft. ›Was soll´s, ist die Brille eben weg, wird schon irgendwo auftauchen. Ich bin so müde.‹ Ich will nur noch liegen und mich erholen, schlafen.

    »Wir müssen ihn da wegziehen.«

    »Na, los eam liegn, waun er wos mitm Kreiz hot, moch mas nur schlimma.«

    »Wir können ihn da nicht liegen lassen.«

    »Oida, greif eam net au. I hob an erste Hülfe Kurs gmocht, I sog, los eam liegn.«

    Eine dritte Stimme: »Ich habe schon angerufen, sie kommen jeden Moment.«

    ›Wer kommt? Wen hat er angerufen? Was soll das Ganze? Ich gehe jetzt nach Hause, warum liege ich da überhaupt? Wenn das mein Blut wäre, müsste ich ja Schmerzen haben, habe ich aber nicht. Es tut nichts weh, ich spüre nichts, na also, wo ist das Problem? Ich spüre nichts. ICH SPÜRE NICHTS, ich spüre überhaupt nichts. Irgendetwas stimmt nicht‹, schießt mir ein.

    Alles ist angenehm warm. Das Stimmengewirr wird leiser, blendet weg, auch die Geräusche der Autos werden leiser, es wird still.

    ›ICH MUSS MUNTERBLEIBEN. In jedem Buch, in jedem Film heißt es: Schlaf nicht ein, bleib wach, rede mit mir!‹ Nur, da ist niemand mit dem ich reden kann. Ich bin so unendlich müde. ›Ich muss MUNTERBLEIBEN!!! Mach irgendetwas, schlaf nicht ein. Die Stimmen! Konzentriere dich auf die Stimmen!‹

    Langsam blenden sie wieder ein. Ich kann sie hören, aber nicht unterscheiden, ich höre nur Gebrabbel.

    ›Warum redet keiner mit mir? Die reden über mich, nicht mit mir. Bitte redet mit mir, ich muss wach bleiben, bitte!‹

    Ich warte, ich hoffe, nichts. Ich versuche mich zu zwicken, irgendetwas zu tun, um wach zu bleiben. Ich kann mich nicht zwicken, ich spüre meine Finger nicht, ich kann sie nicht bewegen. Ich werde immer ruhiger, eigentlich sollte ich ja in Panik kommen. Nur, da ist keine Panik, keine Aufregung, kein erhöhter Puls, da ist nichts. Ich spüre, wie ich immer müder werde, langsam ist es mir egal, ob ich mich bewegen kann oder nicht, ich will nur schlafen.

    ›NEIN, bleib wach, bewege irgendetwas, du kannst doch die Augen bewegen, such die verdammte Brille.‹

    Ich sehe keine Brille, ich sehe nur das Blut, im Blut, jetzt wo ich die Augen etwas mehr bewege, mehrere kleine Steine. Ich sehe nicht, ob die Lache größer wird, in meinem Blickfeld ist nur Blut, ich kann nur die Lacke sehen, ihren Rand nicht. Die Stimmen werden wieder leiser. Ich bin so müde.

    ›Bleib wach! BLEIB WACH!!! Ich brauche etwas auf das ich mich konzentrieren kann. Jetzt weiß ich, was ich tue. Ich müsste längst sagen wo bin ich? Das sagen doch alle.‹ Ich sage also: »Wo bin ich?« Ich höre mich nicht einmal selbst, ich räuspere mich. »Wo bin ich?« Jetzt höre mich ganz leise, aber niemand reagiert. ›Sind die nur zu weit weg, ist der Verkehr zu laut oder war ich wieder zu leise, die müssen doch auch die Filme gesehen haben.‹ Nächster Versuch, ich schreie: »WO BIN ICH?«

    Endlich eine Reaktion: »Bleiben Sie ganz ruhig liegen, es kommt gleich die Rettung.«

    ›Welche Rettung? Wovon redet der, ich will wissen, wo ich bin. Aber eigentlich ist es mir egal, wo ich bin, ich liege da vor all den Leuten blöd auf dem Bauch, ich muss endlich aufstehen. Warum liege ich überhaupt da, warum bin ich noch nicht längst aufgestanden, und wo zur Hölle ist meine Brille? Ich muss jetzt aufstehen.‹ Ich versuche mich aufzurichten, kann mich aber keinen Zentimeter bewegen. Ich kann mich nicht aufstützen, ich spüre meine Hände nicht. ›Ich spüre überhaupt nichts und wie liege ich da eigentlich? Hmmm ... Völlig flach, nur die Beine stehen in die Höhe. Ich liege auf dem Bauch und die Beine sind bei den Knien angewinkelt. Die Unterschenkel stehen im rechten Winkel nach oben. Das muss ja ziemlich blöd ausschauen, streck die Beine aus, dann liegst du wenigstens flach … Nur, warum soll ich mich flach legen? Ich MUSS endlich aufstehen und meine Brille suchen.‹

    Ich versuche mich zu bewegen, die Beine anzuziehen, irgendwo anzuhalten, irgendwo abzustützen, irgendetwas zu tun. Nichts! Ich liege da, kann nicht einmal einen Finger bewegen.

    ›Das gibt´s doch nicht, alles noch einmal von vorne.‹

    Ich versuche nochmal, irgendeinen Körperteil zu bewegen. Linker Arm, keine Reaktion, rechter Arm, nichts. Rechter Fuß, die Zehen nach unten, nichts bewegt sich, linker Fuß, wieder nichts, jeder Fuß ist und bleibt beim Knie abgebogen, der Unterschenkel steht im rechten Winkel nach oben. Heute weiß ich, dass das ein Fehlimpuls der Nerven war, in Wirklichkeit liege ich völlig flach auf der Straße.

    ›ICH MUSS MUNTERBLEIBEN!!!‹

    Dann kommt plötzlich ein Gedanke, oft in der Vergangenheit aus Spass gesagt, niemals ernst gemeint: ›Ich sollte langsam in aller Ruhe in Panik kommen.‹ Fast muss ich lachen, der Satz ist in der jetzigen Situation zu absurd, aber völlig richtig. ›Sicher nicht, keine Panik, es tut ja nichts weh, ich bin eben nur so müde, dass ich mich nicht bewegen kann. Also nochmal von vorne, mit Ruhe und analytisch, wie mein Steuerberater immer sagt: Ich denke, also bin ich. Ha, der war gut, mein berühmter schlechter Humor funktioniert noch. Also mit Ruhe und analytisch noch einmal von vorne. Ich sehe mein Leben nicht vor mir vorbeiziehen, bin also nicht kurz vorm Sterben. Gut. Ich sehe Blut über meine Nase auf den Asphalt rinnen und den Asphalt direkt vor mir. Ich liege also auf dem Bauch. Nicht so gut. Es tut nichts weh. Gut. Ich spüre meine Hände nicht. Nicht so gut. Ich spüre meine Beine. Gut. Ich liege auf dem Bauch und beide Beine sind bei den Knien angewinkelt und stehen nach oben. Das muss ziemlich blöd ausschauen, ich muss jetzt wirklich aufstehen. Das kann ja nicht so schwer sein. Ich muss sie ausstrecken, dann kann ich die Knie anziehen und aufstehen. Und meine Brille brauche ich auch noch.‹

    »Er bewegt sich nicht, wir ziehen ihn da jetzt raus.«

    Eine sehr laute Stimme: »Oida, du mochst mi fertig. Zum letztn moi. Los eam liegn.«

    Wer immer das auch gewesen ist, heute weiß ich, ich muss ihm mein Leben lang dankbar sein.

    »Dann gib wenigstens das Rad weg.«

    »Lassen Sie alles liegen, so wie es ist, lassen Sie das die Rettung machen.«

    Sirenen.

    ›Welches Rad? Bin ich mit einem Rad gefahren? Egal, wichtiger ist, dass ich endlich aufstehe. Also noch einmal, das kann ja jedes Kleinkind. Beine ausstrecken. Streck sie aus! Sie stehen in die Höhe. Na und, streck sie aus! ICH KANN SIE NICHT AUSSTRECKEN! ICH SPÜR SIE, ABER ICH KANN SIE NICHT BEWEGEN!‹

    »Können Sie mich hören?« Eine neue Stimme, eine weibliche. »Können Sie mich hören?«

    Ich realisiere, sie meint mich.

    »Ja, klar.«

    »Können Sie mich hören? Reden Sie mit mir.«

    »Ich habe ja gerade gesagt, dass ich Sie hören kann.«

    »Bitte reden Sie mit mir.«

    Ich räuspere mich, schreie: »ICH KANN SIE HÖREN!!!«

    »Gut, ich höre Sie ganz leise. Wie geht es Ihnen, haben Sie Schmerzen?«

    ›Soll ich oder soll ich nicht?‹ Es liegt mir auf der Zunge: nur wenn ich lache. Dann traue ich mich doch nicht, ich sage: »Keine Ahnung, ich spüre nichts.«

    »Ich bin die Notärztin.«

    ›Eine Notärztin? Oh, mein Gott, ich habe ich einen Unfall gehabt! Gott sei Dank habe ich mich vor dem Wegfahren geduscht. Die Unterwäsche ist auch frisch, Mutter sei Dank, jahrelang habe ich als Kind gehört, zieh jeden Tag eine neue Unterhose an, wenn dir einmal was passiert, was sollen die Leute sagen.‹

    «Können Sie mich sehen?«

    ›Warum denke ich gerade jetzt an meine Mutter? Das macht man doch normalerweise, wenn man Angst vorm Sterben hat. Scheiße! Die Blutlache. Muss ich doch sterben?‹

    «Hallo. Können Sie mich sehen?«

    »Bitte?«

    »Können Sie mich sehen?«

    Ich versuche den Kopf etwas zur Seite zu drehen, nein, ich drehe ihn nicht, ich kann ihn nicht drehen, kann nur die Augen etwas nach hinten bewegen. Langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun.

    ›Was ist da los? Ich spüre meine Hände nicht, ich liege auf dem Bauch und meine Beine stehen in die Luft. Schlimm genug. Und jetzt kann ich den Kopf auch nicht mehr bewegen?‹

    »Nein, ich habe meine Augengläser verloren. Sie müssen schon etwas näher kommen.«

    Die Stimme kommt näher, ist direkt neben meinem Kopf.

    »Sehen Sie mich jetzt?«

    »Ja, blonde Haare und ein Rossschwanz und hübsch sind Sie auch, glaube ich.«

    ›Pfau, was bin ich für ein cooler Typ, liege da auf dem Bauch und blödle trotzdem.‹

    »Rossschwanz stimmt, bleiben Sie ganz ruhig liegen. Wissen Sie, wie sie heißen?«

    Ich sage ihr meinen Namen und dann: »Sehen Sie hier irgendwo meine Brille?«

    »Wir werden sie schon finden, ich suche sie gleich, vorher müssen wir noch ein paar andere Sachen klären. Haben Sie Angehörige? Können wir jemanden erreichen, haben Sie eine Frau?«

    »Ja, ich habe eine Frau, Julia, heute ist mein fünundzwanzigster Hochzeitstag.«

    ›Oh, Scheiße, HEUTE IST MEIN FÜNFUNDZWANZIGSTER HOCHZEITSTAG!‹

    »Wie können wir Ihre Frau erreichen?«

    ›Warum will sie meine Frau erreichen, ich habe ja nichts, ich kann nur nicht aufstehen.‹

    Die Stimme wird drängend: »Telefon, hat Sie ein Handy?«

    Ich sage ihr die Handynummer.

    »Adresse?«

    Ich sage ihr die Adresse.

    »Spüren Sie das?«

    »Was soll ich spüren, ich spüre nichts.«

    »Spüren Sie das?«

    »Nein, was machen Sie, ich spüre nichts! Ich brauche meine Augengläser.«

    »Keine Sorge, wir finden sie sicher. Versuchen Sie ruhig zu bleiben und bewegen Sie sich nicht.«

    Fast muss ich lachen, ich kann mich nicht bewegen, nicht den Kopf, nicht die Arme, nicht die Beine, nur die Augen drehe ich wieder Richtung Blutlache. Beruhigend redet die Ärztin weiter auf mich ein, ich höre zwar die Stimme, kann aber nicht begreifen, was sie sagt.

    ›Konzentrier dich, sie redet über dich, hör zu!‹

    Dann höre ich, wie sie sagt: »Ruft die Rettung. Zuerst ins Wilheminen und dann weiter ins UKH mit dem Hubschrauber, Verdacht auf Querschnitt.«

    ›Meine Brille, sie sollen meine Augengläser suchen‹, kann ich noch denken, dann wird es schwarz.

    INTENSIVSTATION

    «Flapp, Flapp, Flapp«, ich sehe das Geräusch wie in einem Comic vor mir stehen. ›Ein Hubschrauber, ich liege in einem Hubschrauber. Aber warum sehe ich nicht raus?‹

    Plötzlich werde ich zornig. Ich bin immer für mein Leben gern Hubschrauber geflogen, jetzt fliege ich endlich wieder einmal und ich kann nicht aus dem Fenster sehen. Ich versuche mich aufzusetzen, versuche mich mit der rechten Hand aufzustützen. Die Hand bewegt sich nicht, ich versuche die Finger zu bewegen, keine Reaktion. Ich versuche mit dem Piloten zu reden, bring aber keinen Ton raus, nur ein Krächzen. Was ist los? Ich kann mich nicht bewegen und nicht mehr reden. Vorbei ist es mit der Ruhe, es gibt nur noch Panik, nur ohne die Möglichkeit, wild um sich zu schlagen oder davon zu laufen. Das Geräusch der Rotoren wird immer leiser, der graue Himmel über mir, das Dach des Helikopters immer verschwommener. Es wird wieder schwarz.

    »Stationäre Aufnahme am Unfalltag um 16.32 Uhr

    Erste Diagnose:

    Prellung des Rückenmarkes in Höhe der Halswirbelsäule

    Knöcherne Enge der Halswirbelsäule

    Teillähmung beider oberen Extremitäten

    Komplette Lähmung beider unteren Extremitäten

    Kopfprellung

    Rissquetschwunden im Gesichtsbereich

    Mehrfache Hautabschürfungen«

    »Guten Morgen, ich bin Dr. Schneyder.«

    »Freut mich, Wosp.«

    Ich kann wieder reden! Ich sehe einen Kopf schräg über mir, ein sympathisches Gesicht, ungefähr 45 Jahre, rasiert.

    »Können Sie bitte etwas näher kommen. Ich kann den Kopf nicht drehen.«

    Das Gesicht bewegt sich nach vorne. Ist jetzt in einem Abstand von ungefähr einem Meter genau über mir.

    ›Aha, ich habe meine Brille wieder auf. Na also, so schlimm kann es nicht sein, es ist alles wieder da.‹

    »Sie hatten einen schweren Unfall, können Sie sich an etwas erinnern?«

    Ich denke nach. »Nein, keine Ahnung, ich kann mich nur an eine blonde Notärztin erinnern.«

    Das Gesicht schmunzelt.

    »Na, jetzt müssen Sie mit Männern vorlieb nehmen, Sie sind aber trotzdem in guten Händen.«

    »Und wo bin ich?« ›Ha, jetzt hat es funktioniert, die Standardfrage, wie aus der Pistole geschossen.‹

    »Sie sind in einem Unfallkrankenhaus, wir sind gerade mit der ersten Untersuchung fertig.«

    »Warum, was habe ich?«

    »Wie ich schon sagte. Sie hatten einen schweren Unfall mit ihrem Rad, Sie hatten einen Zusammenstoß mit einem Auto.«

    Plötzlich fällt mir auf, dass sich die Decke des Raums bewegt, ich reime mir zusammen, dass ich auf dem Rücken liege und mich bewege, nein, ich werde bewegt, über mir zieht das Muster des Plafonds vorbei. Die Decke wechselt von grau auf metallisch glänzend, wir rollen in eine Aufzugkabine. Ich sehe mich wie in einem leicht verschwommenen Spiegel, der Körper ist zugedeckt mit einem grünen Tuch, nur der Kopf und die Hände schauen heraus. In der Spiegelung sehe ich eine leichte Abschürfung auf dem Nasenrücken, etwas Blut auf der Lippe und eine Abschürfung auf dem Mittelfingerknöchel der rechten Hand.

    ›Warum der ganze Aufwand wegen der paar Hautabschürfungen?‹ Ich drehe den Kopf wieder Richtung Dr. Schneyder. »Wo bringen Sie mich hin?«

    »Wir bringen Sie in den Schockraum.«

    »Warum, wegen der paar Abschürfungen, ist das nicht ein bisschen übertrieben? Was ist überhaupt ein Schockraum?«

    »In einen Schockraum kommen üblicherweise Schwerverletzte zur Erstuntersuchung.«

    »Ich bin doch mit den paar Abschürfungen nicht schwer verletzt.«

    »Sie haben leider auch andere Verletzungen, die etwas schwerer sind.«

    »Ja und, was habe ich?«

    Eine kleine, fast unmerkliche Pause, dann: »Sie haben eine Rückenmarkquetschung, wir können aber noch nichts Genaues sagen.«

    »Was bedeutet Rückenmarkquetschung?«

    Wieder eine Pause, dann: »Durch den Zusammenprall wurden ihre Rückenwirbel zusammengestaucht und dadurch ihr Rückenmark gequetscht. Jetzt hat sich im Rückenmark ein Ödem gebildet, das eventuell größer wird.«

    »Ich verstehe Sie, aber was bedeutet das?«

    »Das bedeutet, dass, wenn das Ödem größer wird, es von innen gegen die Halswirbel drückt und die Quetschung des Rückenmarks stärker wird.«

    »Bitte, Herr Doktor. Stellen Sie sich vor, ich bin ein Sechsjähriger und erklären Sie es mir so, dass ich es dann verstehe. Was bedeutet: Die Quetschung kann stärker werden?«

    Er denkt ein paar Sekunden nach, dann höre ich: »Wenn Sie Glück haben, passiert nichts, wenn Sie Pech haben, können Lähmungserscheinungen auftreten, wenn Sie großes Pech haben, sterben Sie.«

    Jetzt habe ich ihn verstanden, ich schlucke. »Wie sind die Wahrscheinlichkeiten?«

    »Seriös kann man derzeit gar nichts sagen, wir müssen warten, wie sich die Sache entwickelt. Haben Sie Platzangst?«

    »Wieso Platzangst?«

    »Wir müssen eine Computertomographie machen, dann wissen wir wahrscheinlich mehr. Wir stecken Sie in eine Röhre, das ist für manche Patienten etwas unangenehm.«

    »Mir ist das egal, ich habe keine Platzangst, tun Sie nur.«

    Eine neue Stimme, männlich: »Wir müssen Ihnen vorher die Ringe runter nehmen.«

    Ich habe auf dem rechten Ringfinger einen Ehering, den ich seit 25 Jahren nicht runter genommen habe, auf dem linken Ringfinger einen Ring aus Titan, der seit ungefähr 20 Jahren angesteckt ist. »Ich fürchte, Sie werden die Ringe runter schneiden müssen, die sitzen ziemlich streng.«

    »Keine Angst, es wird ihnen nichts passieren, wir bekommen sie auch so runter, wir haben so unsere Tricks.«

    Ich kann ihm keine Antwort geben, es wird wieder schwarz.

    »Die neurologische Untersuchung am Unfalltag um 16:40 zeigt einen wachen und orientierten Patienten mit unauffälligen Hirnnerven. Im Rumpfbereich wird ein vermindertes Hautgefühl ab dem Niveau TH 4 festgestellt und im Bauchbereich ein herabgesetztes bzw. fehlendes Berührungsempfinden angegeben. Die linke obere Extremität durch eine beidseitige Fixierung nur eingeschränkt beurteilbar. Es zeigt sich bis auf eine schmerzbedingte Verminderung des Faustschlusses eine unauffällige Kraft der rechten Hand.

    Im Bereich der unteren Extremitäten wird keine aktive Beweglichkeit festgestellt, wobei das Babinski-Zeichen beidseits positiv ist und die Patellasehnenreflexe beidseits schwach bis fehlend sind. Das Berührungsempfinden an der rechten unteren Extremität fehlend, an der linken unteren Extremität wird inkonstant ein Berührungsempfinden angegeben. Somit wird bei der neurologischen Untersuchung ein Hinweis auf die Querschnittsläsion Höhe Th 4 festgestellt.

    Das Polytrauma CT zeigt im Gehirn keine Hinweise auf ein rezentes knöchernes Trauma noch auf ein Trauma der Gehirnanteile. Das CT der HWS zeigt kein rezentes knöchernes Trauma, bei einer Osteochondrose C4 bis C7 und relativer Vertebrostenose C4 bis C6. Das CT des Thorax und des Abdomen ergeben keine Hinweise für eine Verletzung dieser Organe.

    Das am gleichen Tag durchgeführte MRT der Halswirbelsäule zeigt in Höhe von C4 bis C7 eine Signalanhebung mit einer Längsausdehnung von 18 mm zwischen C4 und C7, welches einem Rückenmarksödem bzw. einer Blutungszone entspricht.«

    »Können Sie mich hören? Herr Wosp, können Sie mich hören? Ihre Frau ist da!«

    Ich mache die Augen auf, aus den Augenwinkeln sehe ich das Gesicht von Julia.

    »Hi, schön, dass du da bist, du musst dich weiter zu mir runter beugen, ich kann den Kopf nicht bewegen.«

    »Was machst du denn, ich komme nach Hause und es steht ein Polizeiauto vor der Tür. Der Polizist sagt mir, du hast einen Unfall gehabt und es wäre ganz gut, wenn ich zu dir ins Spital komme. Es hat nur ein bisschen länger gedauert, bis ich da war, weil er mir ein falsches Spital gesagt hat. Das war ein Durcheinander, bis ich dich endlich gefunden habe«, sprudelt es aus ihr heraus. »Was hast du überhaupt?«

    »Ich weiß auch nichts Genaues, ich sehe nur ein paar Kratzer, aber die sind ziemlich aufgeregt hier, angeblich ist etwas mit dem Rückenmark.«

    Julia küsst mich auf die Wange, ich spüre ihre Lippen.

    »Ich spüre dich, ich glaube nicht, dass das alles wirklich heikel ist.«

    Sie richtet sich wieder auf, ich glaube, ihre Augen sind etwas feucht, aber die Stimme ist ruhig. »Mir hat der Doktor gesagt, sie können noch nichts Genaues sagen, man muss noch warten, es kann länger werden, bis sie etwas Konkretes sagen können.«

    »Das ist blöd. Ruf die AUA an, den Taxidienst für morgen und das Hotel in Kopenhagen, vielleicht müssen wir keine Stornogebühren zahlen, wenn Du ihnen sagst, dass ich nach einem Unfall im Spital liege.«

    Die männliche Stimme von vorher: »Wollten Sie morgen wegfliegen?«

    »Wir haben heute unseren fünfundzwanzigsten Hochzeitstag und wollten morgen nach Kopenhagen fliegen«, sagt Julia.

    »Das, fürchte ich, werden Sie nicht können«, mischt sich die Stimme wieder ein.

    »Mach dir keine Sorgen, es wird schon nicht so schlimm sein, wir holen das in einem Monat nach.«

    »Wie ist das überhaupt passiert?« fragt Julia.

    »Keine Ahnung, angeblich bin ich mit dem Rad gegen ein Auto gefahren, ich kann mich aber an nichts erinnern.«

    »Die Polizisten haben auch nichts gewusst, ist aber auch egal, Hauptsache du kommst wieder in Ordnung.«

    »Das wird schon, sie machen jetzt eine Computertomographie, dann wissen Sie mehr.«

    »Mir hat der Doktor gesagt, sie haben schon eine gemacht, müssen aber trotzdem warten, wir sollen hoffen.«

    »Okay, dann hoffen wir.«

    Eine neue Stimme, diesmal weiblich. »Frau Wosp, bitte verabschieden Sie sich langsam von Ihrem Mann, wir müssen noch eine Tomographie machen.«

    »Küss mich noch einmal und mach dir keine Sorgen, es wird schon wieder. Versuch Kopenhagen zu erledigen.«

    Julia beugt sich noch einmal über mich. »Ich rede noch einmal mit dem Doktor, das ist ein ganz netter. Brauchst du noch etwas?«

    »Wahrscheinlich ein neues Rückenmark.«

    Sie lacht.

    »Na bitte, ich bring dich immer noch zum Lachen.«

    »Aber du warst schon lustiger, ich verlass mich drauf, dass wir in einem Monat in Kopenhagen sind, gib dir Mühe.«

    Ich sehe, wie sie sich wieder zu mir runter beugt, spüre ihre Lippen auf meinen, dann nichts mehr, es wird wieder schwarz.

    »Eine neuerliche neurologische Kontrolle am Unfalltag um 20:00 zeigt eine Befundverschlechterung mit Anstieg des sensiblen Niveaus rechts Th 2 und links Th3 sowie motorisch bei C8.

    Auf Grund der bestehenden Querschnittsymptomatik wird eine Cortisonstosstherapie mit 2,5 g Urbason über 15 Minuten mit anschließend 10 g Urbason über 23 Stunden durchgeführt.«

    »Sind Sie wach?«

    Ich mache die Augen auf, sehe nur die Decke eines unbekannten Raumes. Dann beugt sich ein Gesicht über mich, ich kenne es, weiß aber momentan nicht, wo ich es einordnen soll. Das Gesicht erkennt meine Verwirrung, es sagt: »Ich bin Dr. Schneyder, ich bin der leitende Chirurg.«

    »Ja, ich kann mich wieder an Sie erinnern, wie geht es mir?«

    »Nicht sehr gut, das Ödem im Rückenmark hat sich nicht rückgebildet, es ist im Gegenteil größer geworden.«

    »Was bedeutet das?«

    »Wir sollten operieren.«

    »Und was bedeutet das?«

    »Wir sollten die entsprechenden Wirbel aufschneiden und auseinander spreizen. Dann hat das Ödem Platz um sich auszudehnen und mit etwas Glück bildet es sich dann wieder auf eine normale Größe zurück.«

    Ich denke einen Moment nach. »Sie sagen, wir sollten operieren, warum haben Sie noch nicht operiert, wenn es Ihrer Meinung nach notwendig ist?«

    »Ich muss fragen, ob Sie mit der Operation einverstanden sind.«

    Ich schaue ihn an. »Wie soll ich das entscheiden, Sie sind der Arzt. Sie müssen wissen, was richtig ist.«

    »Ich muss Sie, wenn Sie bei Bewusstsein und handlungsfähig sind, aus rechtlichen Gründen fragen ob Sie Ihre Zustimmung zur Operation geben.«

    »Wie soll ich das, ich muss mich doch darauf verlassen können, dass sie das Richtige machen.«

    »Ja, die Situation ist aber trotzdem so, dass ich Sie fragen muss.«

    »Und was würden Sie machen, wenn ich die Operation ablehne?«

    Er schaut mich nachdenklich an, runzelt die Stirn und sagt schließlich leise: »Dann wäre ich der Meinung, dass Sie nicht klar bei Bewusstsein sind und würde selbst entscheiden müssen und würde Sie operieren.«

    Jetzt schlucke ich. »Wenn ich Sie richtig verstehe, ist also die einzige Möglichkeit eine Operation?«

    »Nach dem derzeitigen Stand, ja.«

    »Sie sagen, derzeitiger Stand, es gibt also doch eine andere Alternative?«

    Er schaut mich lange an, dann: »Ich fürchte, nur wenn wir an ein Wunder glauben. Realistisch ist, dass sich das Ödem weiter vergrößert und immer stärker gegen die Knochen drückt.«

    »Und was bedeutet das?«

    »Wenn wir nicht operieren und Sie viel Glück haben, und sich das Ödem nur noch ein bisschen vergrößert, bleiben Sie für immer gelähmt, wenn Sie Pech haben, bzw. wenn sich das Ödem so weiter vergrößert, wie wir glauben, dann sterben Sie.«

    ›Wenigstens sagt er es gerade heraus‹, denke ich. ›Scheiße, Scheiße, Scheiße.‹ Nur eines verstehe ich nicht. »Warum haben Sie dann nicht gleich operiert, wie ich noch bewusstlos war?«

    »Wir haben so lange wie möglich gewartet, um zu schauen, wie sich die Sache entwickelt, außerdem ist natürlich auch die Operation nicht ganz ungefährlich.«

    ›Nicht ganz ungefährlich, hmmm ...‹. »Was kann passieren?«

    »Ich will und muss ganz ehrlich sein. Jede Operation am Rückenmark ist gefährlich. Wenn etwas schief geht, bleiben Sie gelähmt, wenn etwas sehr schief geht, können Sie auch sterben.«

    Ich schaue ihn erschrocken an, momentan hat es mir die Sprache verschlagen.

    »Ich kann Sie aber etwas beruhigen, mir ist bei dieser Operation noch kein Patient gestorben.«

    »Das beruhigt mich ungemein«, sage ich und versuche ein Lächeln, das grandios missglückt.

    »Ich will Sie nicht drängen, aber wir müssen jetzt zu einer Entscheidung kommen.«

    »Kann ich noch meine Frau verständigen?«

    »Ja, aber es wird keine Zeit sein, dass Sie noch herkommt, wir sollten so schnell wie möglich operieren.«

    »Es ist also wirklich ernst?«

    Er nickt.

    »Sie sind der Meinung, wir müssen unbedingt operieren?«

    »Ja.«

    »Sie glauben, ich überlebe die Operation?«

    »Das glaube ich ganz fest.«

    »Sind Sie ein guter Chirurg?«

    Er denkt einige Sekunden nach.

    »Ja.«

    »Wie lange sind Sie schon im Dienst?«

    »Seit 14:00 Uhr.«

    »Sind Sie ausgeschlafen?«

    »Ja.«

    »Haben Sie gestern etwas getrunken?«

    Er schmunzelt. »Nein.«

    Ich schlucke noch einmal und hole tief Luft. »Dann operieren Sie.«

    »Es erfolgte eine ausführliche Aufklärung des Untersuchten über den Unfallmechanismus und über die Querschnittsymptomatik sowie die sich daraus ergebende Notwendigkeit einer raschen Dekompressionsoperation.

    Noch am Unfalltag um 23:28 erfolgt die Dekompressionsoperation im Sinne einer Laminektomie zwischen C4 bis C7. Die Operationsdauer ist bis 3:00 des nachfolgenden Tages dokumentiert.«

    »New York Marathon. Ich laufe den New York Marathon.«

    »Schön, dass Sie wieder wach sind, ich bin Schwester Manuela.«

    Ich drehe den Kopf ein paar Zentimeter Richtung Stimme, sehe eine freundlich lächelnde blonde Frau mit kurzen, wild in alle Richtungen stehenden Haaren.

    »Ich laufe den New York Marathon.«

    Sie schaut mich fragend, und wie mir scheint, etwas verblüfft an.

    »Was meinen Sie mit New York Marathon?«

    »Am 6. November ist der New York Marathon. Ich habe jetzt schon vier Mal bei der Lotterie mitgespielt. Die Regel ist, wenn man vier Mal mitgespielt hat und nicht gezogen wurde, hat man beim fünften Mal automatisch die Startberechtigung. Ich habe mich schon angemeldet.«

    Sie sieht mich etwas mitleidig an. »Ich drücke Ihnen die Daumen, aber vielleicht sollten Sie vorher mit dem Arzt reden, ich hole ihn einmal.«

    Ich drehe den Kopf wieder zur Decke. ›Moment mal, ich drehe den Kopf?!?‹ Ich bewege den Kopf vorsichtig etwas wieder nach links, in die Richtung in der Manuela gestanden ist, ich drehe ihn vorsichtig zurück Richtung Zimmerdecke und dann weiter nach rechts. Aus dem Augenwinkel sehe ein Fenster, einen Sessel, ein paar Geräte.

    »ICH KANN MEINEN KOPF WIEDER DREHEN!!!« rufe ich.

    »Wie geht es Ihnen?«

    Ich drehe den Kopf nach links, in einer flüssigen, aber sehr kleinen Bewegung.

    »Hallo, Dr. Schneyder. Mir geht es gut, ich kann den Kopf wieder drehen.«

    »Ja, aber bitte nicht zu viel und gaaaanz langsam, sie dürfen es nicht gleich übertreiben. Ihre Operation ist sehr gut verlaufen, zu Ihrer Information: Wir haben einen Teil des Wirbelkanals aufgeschnitten, Sie haben jetzt zwei Schienen aus Titan, die Ihre Wirbel stabilisieren. Die werden für immer in Ihnen bleiben, werden Sie aber nicht behindern.«

    ›Titan Ring runter, Titan Schienen rein. Wirbel stabilisieren? Sie werden mich nicht behindern? Für immer? Hmmm ...‹

    Dr. Schneyder geht ans untere Ende des Bettes.

    »Ich würde gerne einige Tests machen.«

    »Gern.«

    »Heben Sie Ihren linken Arm.«

    Ich hebe den linken Arm, es geht gefühlte zehn Zentimeter, dann wird er zu schwer, er fällt wieder nach unten.

    »Das war ja schon ganz gut, probieren wir den rechten.«

    Ich versuche den rechten Arm zu heben, wieder zehn Zentimeter, dann geht nichts mehr.

    »Heben Sie bitte den rechten Arm.«

    »Noch einmal? Ich hab ihn doch gerade gehoben, weiter geht es nicht.«

    »Er hat sich aber nicht bewegt.«

    »Das gibt es nicht, ich habe es doch gespürt.«

    »Das ist ganz normal, Sie werden noch sehr häufig Fehlinformationen bekommen. Machen Sie einmal eine Faust.«

    Ich versuche mit der linken Hand eine Faust zu machen, dann mit der rechten. Ich bin nicht sicher, ob sich die Finger auch wirklich gekrümmt haben, sehen kann ich meine Hände nicht.

    »War das jetzt eine Faust?«

    Dr. Schneyder schüttelt den Kopf. »Nein, da war nichts, das mit der Faust geht nicht.«

    »Noch nicht«, sage ich.

    Weitere Tests ergeben, dass ich das linke Bein und den linken Fuß etwas bewegen kann, rechts bewegt sich gar nichts.

    »Wir müssen noch etwas warten, bis wir sehen, was mit der rechten Körperseite wirklich geschieht, momentan können wir nur hoffen. Sie haben ein starkes Schmerzmittel bekommen, wenn die Wirkung nachlässt, werden Sie wahrscheinlich heftige Schmerzen bekommen, sagen Sie das bitte sofort einer Schwester.«

    Dr. Schneyder verabschiedet sich, Schwester Manuela kommt wieder.

    Sie fragt mich, ob sie das Gitter an den Seiten des Bettes hochziehen darf. Ich frage, warum.

    »Ich glaube zwar nicht, dass Sie sich so stark bewegen können, dass Sie aus dem Bett fallen, aber sicher ist sicher.«

    »Nein, ich meine, warum fragen Sie.«

    »Wir müssen fragen, es haben sich schon Patienten beschwert, dass sie durch das Gitter in ihrer Freiheit eingeschränkt werden.«

    Ich würde gerne den Kopf schütteln, erinnere mich aber noch rechtzeitig an die Warnung von Dr. Schneyder und sage nur, dass ich das nicht glaube. Sie erwidert, dass sie mir hunderte Sachen erzählen könnte, die ich wahrscheinlich nicht glaube. Sie fragt mich, ob ich einen Priester sprechen will.

    »Nein, warum? Es ist ja schon alles überstanden, Dr. Schneyder hat gesagt, die Operation ist gut verlaufen.«

    Sie blickt mich an, sagt aber nichts dazu.

    »Wie schaut es mit ihrem Schamgefühl aus?«

    »Ich schlafe zuhause nackt ohne Pyjama, warum fragen Sie?«

    »Na ja, wir hatten schon Patienten, die sich nicht von Frauen berühren oder reinigen lassen wollten.«

    Ich sage, dass das für mich kein Problem wäre. Sie antwortet, dass sie sich das eh gedacht hätte.

    »Ich gebe Ihnen eine Glocke, Sie können uns jederzeit holen.«

    Sie hält mir einen kleinen Taster an einem Kabel hin, ich versuche mit dem linken Daumen zu drücken, es geht nicht.

    »Versuchen Sie es mit der Handfläche«, sagt sie und legt den Taster neben meine linke Hand auf das Bett.

    Ich hebe die linke Hand, bewege sie etwas zur Seite und lasse sie auf den Knopf fallen. Der Taster kippt zur Seite, der Knopf steht noch immer nach außen.

    »Hmmm … So geht das nicht«, sagt Manuela nachdenklich.

    »Noch nicht. Lassen Sie mich noch einmal probieren, das gibt es doch nicht.«

    Ein zweiter Versuch, es geht wieder nicht, der Taster kippt wieder um, er ist zu klein und ich kann die Hand nicht gezielt senkrecht nach unten fallen zu lassen.

    »Ich glaube, ich habe eine Idee«, sagt Manuela, »ich bastle Ihnen eine Halterung, wir montieren den Taster an den Bettrand, dann können Sie mit dem Unterarm auf den Knopf drücken.«

    Gesagt, getan, zehn Minuten später klebt der Taster am Gitter des Bettes, ich kann ihn schließlich auch betätigen. Die Anstrengung ist so groß, dass ich sofort einschlafe.

    Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, ich weiß nur, dass ich vor Schmerzen stöhnend aufgewacht bin. Ich stöhne so laut, dass ich den Schalter gar nicht drücken muss, eine neue Schwester, sie stellt sich später als Maria vor, stürzt ins Zimmer.

    »Es tut so weh», sage, nein, schreie ich.

    »Ich gebe Ihnen sofort ein Mittel, wir haben nur gewartet, bis Sie wieder wach sind.»

    Ein paar Minuten später sind die Schmerzen auf ein erträgliches Maß zurückgegangen. Ein neuer Arzt, Dr. Hafler kommt, fragt mich, wie es mir geht.

    »Ich habe ziemliche Schmerzen an beiden Händen, vom Ellbogen bis zum kleinen Finger, am meisten schmerzen die Handkanten.«

    »Haben Sie schon ein Schmerzmittel bekommen?«

    Ich bejahe, er sagt: »Ich fürchte, Sie werden in Zukunft immer Schmerzen haben, ich hoffe, sie gehen so weit zurück, dass Sie ohne Schmerzmittel leben können. Sind Sie sehr schmerzempfindlich?«

    »An und für sich nicht, ich halte schon was aus, aber der Schmerz in den Händen ist wirklich unerträglich.«

    »Das wird sicher weniger, was tut Ihnen sonst noch weh?«

    »Momentan geht es, wann lässt die Wirkung des Schmerzmittels nach?«

    »Das kann man nicht so genau sagen, Sie werden es aber merken.«

    Einige Zeit später merke ich es tatsächlich, zuerst beginnen die Außenseiten der Hände zu schmerzen, dann kommt ein neuer Impuls. Ich habe um den Bauch einen Gürtel, der höllisch heiß ist. Er fühlt sich an, als ob er unter den Rippen sitzen würde, ungefähr 20 Zentimeter hoch ist und zehn bis zwölf Zentimeter dick, aus Kunststoff. Wenn ich die Augen schließe, kann ich ihn sehen. Ich glaube, er ist rot, ein Gürtel, wie ihn die Sumoringer tragen. Ich sage es Maria, bitte Sie, den Gürtel wegzunehmen.

    »Das ist kein Gürtel, das sind die Nerven, die Ihnen das vorgaukeln. Sie werden in den nächsten Monaten alle möglichen Impulse bekommen, die nicht stimmen, Sie müssen lernen zu unterscheiden, nur Geduld.«

    Manuela hält mir, ich glaube sie will mich trösten, einen Spiegel vors Gesicht und zeigt mir, dass die Wunde auf meiner Nase kaum zu sehen ist, es ist nur ein kleiner Kratzer. Was ich bei der Gelegenheit auch sehe, ist, dass ich eine Halskrause trage.

    »Was ist das?«

    »Eine Schanzkrawatte. Sie soll den Hals beziehungsweise Ihr Rückgrat vor falschen oder zu starken Bewegungen schützen.«

    Ich versuche, die Halskrause mit den Fingern zu erreichen, will spüren, wie sich das Ding anfühlt, kann aber die Hände nicht so hoch heben.

    »Sie ist aus ziemlich hartem Schaumgummi«, informiert mich Manuela.

    »Wie lange muss ich das tragen?«

    »Das kommt darauf an, wie schnell der Heilungsprozess verläuft, nur Geduld.«

    Julia kommt, wir plaudern über Gott und die Welt, wie es mir geht, wie es ihr geht, nicht über den Unfall und die möglichen Folgen. Sie fragt mich, was ich für eine neckische Halskrause trage, ich erkläre ihr, wofür sie gut ist. Sie sagt, wenn sie Rüschen hätte, würde ich wie ein mittelalterlicher Adeliger aussehen. Wir lachen, ich habe das Gefühl, es wirkt etwas gequält.

    Dann erzählt sie, dass Sie mit dem operierenden Chirurgen gesprochen hat, er sagte, dass alles gut verlaufen ist und man jetzt warten muss, wie sich alles entwickelt. Ich sage, dass ich das mittlerweile von vielen Leuten gehört habe, und schlafe wieder ein. Ich werde wach, statt meiner Frau sitzt eine ältere Dame neben mir, sie stellt sich als Mitarbeiterin der AUVA, der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, vor und fragt mich, ob ich mich an den Unfall erinnern kann. Ich sage, dass ich keine Ahnung habe, nur weiß, wo es passiert ist. »Warum?«

    »Wir müssen wissen, ob es ein Arbeits- oder ein Freizeitunfall ist.«

    »Was ist der Unterschied?« frage ich verwirrt.

    »Wenn es ein Arbeitsunfall ist, haben Sie verschiedene Vorteile. Ihre Sozialversicherung, zum Beispiel, erstattet Ihnen nur einen Teil der Medikamentenkosten. Bei einem Arbeitsunfall bekommen Sie dann die Differenz von der AUVA ersetzt. Sie können theoretisch einmal im Jahr ein Wiederholungstraining in einem Rehabilitationszentrum machen, und so weiter.«

    ›Wiederholungstraining? Rehabilitationszentrum? Wovon redet die?‹

    »Der wirkliche Unterschied, um es mit einem Wort zu sagen, ist viel Geld«, setzt sie fort. »Es kommen ziemliche Ausgaben auf Sie zu. Pflegedienste, Umbauten in der Wohnung, damit sie barrierefrei wird. Ist sie ja derzeit nicht, nehme ich an.«

    Ich verneine.

    »Eben. Was noch? Berufliche Wiedereingliederung, medizinische Gerätschaften. Diese Kosten können leicht in die Hunderttausende gehen.«

    Ich schaue sie ungläubig und fassungslos an.

    ›Wovon redet die? Ich brauche das alles nicht. Die Operation ist gut verlaufen, ich werde wieder gesund. Barrierefrei? Blödsinn.‹

    »Sie sollten sich wirklich darum kümmern.«

    »Ich habe keine Ahnung, wie ein Arbeitsunfall definiert ist, wie er sich von einem normalen Unfall unterscheidet.«

    »Ein Arbeitsunfall ist es dann, wenn der Unfall während der Arbeit passiert ist, oder auf dem direkten Weg zu oder von der Arbeit.«

    »Was heißt direkter Weg?«

    »Wenn Sie zum Beispiel einen Umweg gemacht haben, um Zigaretten zu kaufen ...«

    »Ich rauche nicht«, unterbreche ich.

    »... oder um irgendwo etwas zu trinken ...«

    »... war ich sicher auch nicht.«

    »... dann könnten Sie ein Problem bekommen.«

    »Da habe ich sicher keines, ich bin wirklich schnurstracks von der Firma zu mir nach Hause gefahren.«

    »Was haben Sie in der Firma gemacht?«

    »Ich habe etwas abgegeben, dann bin ich wieder nach Hause gefahren.«

    »Dann sollte es ein Arbeitsunfall sein, schauen Sie nur, dass Sie das so schnell wie möglich belegen können.«

    Ich wache auf, klingle mit dem Unterarm, bin fast ein bisschen stolz, wie gut das geht. Ein Pfleger kommt, 1,90, schlank, sportlich, er stellt sich als Mario vor und fragt mich, ob ich Hunger habe. Ich sage ja, wenig später kommt er mit einem Tablett.

    »Ich werde Sie jetzt füttern, dann versuchen wir, ob Sie selbst trinken können.«

    Ich muss fast lachen, 56 Jahre und muss gefüttert werden, wie ein Baby. Das Essen schmeckt gar nicht schlecht, dann frage ich ihn, wie das mit dem Gegenteil von Essen ausschaut. Er gibt mir eine Trinkflasche.

    »Nein, ich habe eher gemeint, wie gehe ich aufs Klosett?«

    Er lacht.

    »In der nächsten Zeit gar nicht, das werden wir machen.«

    »Sie gehen statt mir?«

    Der Witz ist schlecht, aber immerhin, es ist einer, ich bin wieder halbwegs wach.

    Er lacht trotzdem.

    »Nein, Sie bekommen eine Leibschüssel.«

    Ich schaue ihn ungläubig an.

    »Das ist ja nicht Ihr Ernst?«

    »Wenn Sie rechtzeitig spüren, dass der Stuhl kommt, können Sie uns ja rufen, ich fürchte aber, dass Sie es nicht spüren werden.«

    Ich habe mich wieder in ein Baby verwandelt, muss gefüttert werden und mache ins Bett, unfassbar, das kann nicht sein. Wie auf Kommando geht es los, ich merke nur am Gestank, dass ich geschissen habe, spüre gar nichts.

    »Haben Sie etwas gespürt?« fragt Mario emotionslos.

    »Nein, ich rieche es nur.«

    »Das ist gut, dann ist der Geruchssinn in Ordnung. Ich wasche Sie jetzt und dann machen wir das Bett neu, dann kann ich Sie auch gleich wenden. Auf welche Seite wollen Sie.«

    Ich bin viel zu verblüfft und schockiert um ihm eine Antwort zu geben. Reinigen und Bettzeug wechseln geht routiniert und schnell.

    »Schon erledigt«, sagt Mario keine fünf Minuten später.

    Ich frage ihn, wie lange das dauern wird, er weicht aus, sagt, dass man das nicht so genau sagen kann, das hängt von der individuellen Entwicklung jedes Patienten ab. Er sagt, ich soll das nicht so ernst nehmen, es sind gerade zwei Tage nach dem Unfall, man kann noch nichts Genaues sagen, ich muss Geduld haben.

    »Haben Sie eine empfindliche Haut?« fragt er plötzlich.

    Ich schaue ihn verblüfft an.

    »Nein, warum?«

    »Wollen Sie einen Polster zwischen den Beinen, wenn Sie auf der Seite liegen?«

    »Warum einen Polster?«

    »Wenn Ihre Haut empfindlich ist, wird es unangenehm, wenn der Druck zu lange dauert. Deswegen kann ich Ihnen einen Polster zwischen die Beine stecken.«

    Ich überlege.

    »Na ja, sicher ist sicher. Probieren wir es einmal mit einem Polster.«

    »Gut. Wie oft soll ich Sie in der Nacht umdrehen?«

    »Warum wollen Sie mich umdrehen? Das kann ich doch selbst.«

    Er schaut mich nachdenklich an.

    »Das können Sie nicht.«

    »Noch nicht«, sage ich.

    »Ich schlage vor, wir versuchen es einmal mit einem Dreistunden Rhythmus«, sagt er nach ein paar Sekunden Schweigen.

    »Okay. Mir ist es recht.«

    »Am Nachmittag kommt übrigens eine Psychologin, mit der können Sie dann Ihre Probleme besprechen.«

    Ich sage, ich habe keine Probleme, ich will wieder aufstehen und nach Hause gehen, was brauche ich eine Psychologin?

    »Sprechen Sie mit ihr, es wird Ihnen gut tun.«

    Dann kommen wir ins Reden, ich erzähle ihm was ich gemacht habe, er sagt, dass er nebenbei viel mit Computern arbeitet, in seinem Haus einen Server für alle Bewohner eingerichtet hat und so weiter. Wir haben eine gemeinsame Basis. Ich schlafe wieder ein.

    Am Nachmittag wecken mich Stimmen, Schwester Maria kommt mit einer älteren Dame, Typ Wirbelwind, schlank. Sie stellt sich vor, ich kann ihren Namen nicht verstehen. Sie fragt, wie es mir geht, ich sage gut, sie fragt, ob ich Schmerzen habe, ich sage ja, ich bekomme aber Medikamente. Sie deckt mich ab, fährt in zirka fünf Zentimeter Entfernung mit der rechten Hand über meinen linken Arm, dann über das linke Bein, geht ums Bett und wiederholt alles auf der rechten Seite.

    »Sie haben überall Energie, links etwas mehr als rechts, aber auch auf der rechten Seite und im rechten Bein ist Energie vorhanden.«

    Ich frage sie, was das bedeutet.

    »Es fließt Energie, nicht nur durch Ihre linke Seite, sondern auch rechts. Wenn Sie noch etwas von mir brauchen, sagen Sie es bitte den Pflegern, ich komme regelmäßig auf der Intensivstation vorbei. «

    »Aber, bitte, was heißt, ich habe Energie?« versuche ich es noch einmal.

    »Auf Wiedersehen«, sagt die Dame und wirbelwindet aus dem Zimmer.

    Etwas verblüfft frage ich Maria.

    »Wer oder was war das?«

    Sie sagt, dass das die Psychologin war, ich glaube der Auftritt war Maria etwas peinlich.

    »Und was heißt jetzt, dass ich Energie in den Beinen habe?« versuche ich es bei ihr.

    »Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen«, antwortet Maria unbestimmt.

    Ich sage, dass mir heiß ist und dass ich etwas Durst habe. Maria schlägt die Decke zurück dann drückt sie auf einen Knopf an einer Fernbedienung, die an der Seite des Bettes befestigt ist. Der Kopfbereich des Bettes hebt sich. Zusätzlich stützt sie meinen Oberkörper etwas hoch und hält mir eine Flasche mit einem Trinkhalm zum Mund. Ich sauge. Über die Flasche sehe ich nach unten und sehe einen Schlauch aus meinem Bauch ragen. Ich muss Husten, mir ist Wasser in die falsche Kehle gekommen.

    »Was ist das?«

    Ich deute mit einer Hand nach unten, ein Fehler, ich schlage ihr die Flasche aus der Hand. Egal, viel wichtiger ist: »WAS IST DAS???«

    »Sie haben einen Katheter in der Blase.«

    »Und?«

    »Durch den Katheter rinnt der Harn ab.«

    Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

    Der nächste Tag, ein neues Gesicht.

    »Ich bin die Gisela, ich bin Ihre Physiotherapeutin, ich werde Ihnen ziemlich bald tierisch auf die Nerven gehen.«

    Ein cooler Einstieg, sie ist mir sofort sympathisch, sie ist auch wirklich ein einnehmender Typ. Sie lächelt immer, wenn sie nicht lächelt, lacht sie, Typ Sportlerin, drahtig, quirlig, schlank mit brauner Pagenfrisur. Ich frage, warum sie mir auf die Nerven gehen wird, sie sagt, sie wird mich ab jetzt täglich quälen, ich sage, von einer hübschen Frau lasse ich mich gerne quälen, sie lacht, wir verstehen uns auf Anhieb.

    Sie fragt mich, ob ich glaube, dass ich mich aufsetzen kann.

    »Warum soll ich mich nicht aufsetzen können, natürlich kann ich es.«

    »Versuchen Sie es.«

    Ich ziehe die Unterarme nach oben, versuche mich auf ihnen aufzustützen, komme aber keinen Zentimeter hoch. Ich probiere mich zur rechten Seite zu drehen, um mich mit der linken Hand abstützen zu können, bleibe aber, wie eine Schildkröte auf dem Rücken liegen.

    »Ich kann mich wirklich nicht drehen«, sage ich, mehr verblüfft als frustriert zu Mario, der neben meinem Bett steht und

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