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IM REICH DER SCHAFE: -Wetter und Leben in Anatolien-
IM REICH DER SCHAFE: -Wetter und Leben in Anatolien-
IM REICH DER SCHAFE: -Wetter und Leben in Anatolien-
eBook208 Seiten3 Stunden

IM REICH DER SCHAFE: -Wetter und Leben in Anatolien-

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Über dieses E-Book

Erzählband mit 31 Geschichten, er handelt in schlichter Erlebnisform von Soziokultur, Glauben, Aberglauben, Wildnis und Wetter in Anatolien. Als zentrales Thema stellt er ein Dorf aus der Kornkammer der Türkei weit östlich von Ankara vor, wo Bauern hoch oben auf den Bergen ackern und beten. Er läßt den Leser in die islamische Vorstellungswelt der Dorfbewohner eintauchen und ihn an einem ungewohnten Lebensstil teilhaben. Die Geschichten streifen aber auch alte Kulturen, die in Anatolien ihre Spuren hinterlassen haben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Dez. 2014
ISBN9783847619864
IM REICH DER SCHAFE: -Wetter und Leben in Anatolien-

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    Buchvorschau

    IM REICH DER SCHAFE - Ursula Özdemir

    Bauernweisheit

    Hat das heute herrlich geschneit…..! Ich habe mich in die Wärme unter der schweren Schafwollbettdecke gekuschelt und zugesehen, wie hinter den Fensterscheiben unablässig Schneelappen herunter segelten. Zwei Stunden lang schaute ich in das Schneetreiben. Heute muß ich wohl wieder die Winterpullover aus dem Schrank holen. Gestern noch hatte die April-Sonne warm ins Dorf geschienen. Auf allen Wegen quirlte unter azurblauem Himmel das Leben. Frauen in kunterbunten Pluderhosen schmückten gleich Blumen die erdigen Gassen und Hänge. Junge Mädchen schrubbten mit Geklapper große Kupferkessel und Töpfe unter dem Wasserstrahl am Quellstein blank. Die Perlenborte ihrer Kopftücher funkelte und glitzerte in der Sonne. Gänse wackelten schnatternd über den Platz vor der Moschee. Über die Mauern von manchem Gehöft hingen frisch gewaschene Kelims zum Trocknen, ließen ihre bunten Streifen farbenfroh in den Tag leuchten. Hier und da wurde mit einem Reisigbesen der Hof gekehrt und anschließend aus einem Henkelkrug mit Wasser besprengt. Der schwerhörige Schafhirt saß auf seiner Bank vor dem Stall, ließ sich von der Sonne bescheinen und palaberte weithin hörbar mit seiner fast blinden Frau. Hier karrte ein Junge seine kleine Schwester in einer Schubkarre den Hang hinauf. Dort flitzten ein paar Halbwüchsige auf dem Haupttrampelpfad des Dorfes einem Hund hinterher und bewarfen ihn mit Steinen. Das Leben war aus den Berghütten hinaus ins Freie gequollen, hinaus in Licht, Luft und Sonne.

    Doch heute ist das Dorf still geworden. Scheinbar reglos liegt es unter einem weißen Glitzerteppich. Der Frühling ist in hüfthohem Schnee verschwunden. Oberhalb des Dorfes ist der Gebirgspaß nicht mehr passierbar. Schneewehen haben das kleine Bergdorf von der übrigen Welt abgeschnitten. Da kommt kein Bus mehr ins Dorf herein, da fährt auch kein Bus mehr hinaus. Es ist bitter kalt geworden. Deshalb wurde der Kanonenofen mit seinem langen Ofenrohr wieder aus dem Schuppen geholt und auf einem Holzpodest in der Mitte der Stube aufgebaut. Heute wird Holz von einer Pappel verheizt, die im vergangenen Jahr gefällt worden war. Ihren Stamm konnten damals gerade Mal vier Männerhände umfassen. Zwei dicke Holzscheite brennen im Ofen etwa 20 Minuten lang, dann muß wieder Holz auf die Glut nachgelegt werden. Eine anatolische Bauernweisheit sagt:

    „Kannst du im März vor die Tür dich trauen, dann verheizt du bald Stumpf und Stiel von Hacke und Spaten."

    Aber noch haben wir im Schuppen einen ansehnlichen Stapel mit Holzscheiten von der zersägten und zerhackten Pappel. Das war übrigens eine unserer Pappeln, die wir selbst oben auf dem Berg gesetzt und jahrein jahraus bewässert haben. Ich fülle einen zehn Liter fassenden Blechkrug mit Wasser und stelle ihn auf die Herdplatte des inzwischen bullernden Kanonenofens.

    Im Reich der Schafe

    Der Regenguß vor ein paar Tagen hatte das Ackerland oben in den Bergen gründlich aufgeweicht. Warmer Wind aus dem Süden aber hat den Boden über’s Wochenende wieder ausgetrocknet. Die Mai-Sonne scheint warm ins Dorf. Der Traktor wird aus der Scheune geholt. Ein Sitzkissen kommt auf das Schutzblech des rechten Hinterrads, das mit einer Rücken- bzw. Seitenlehne aus Eisenstangen versehen ist. Mein Mann schwingt sich in den Fahrersitz des Traktors, ich nehme auf der Sitzfläche über dem Riesenhinterrad Platz und halte mich im Eisengestänge fest. Wir knattern über die unbefestigten Trampelpfade des dörflichen Wegenetzes zur Brücke unterhalb der Moschee, hier über den Bach und dann weiter den Schotterweg zum Stausee hinauf. Schon bald liegen das Tausendseelendorf und der Stausee hinter uns. Eine atemberaubende Geländefahrt beginnt, eine Fahrt über Abgründe, durch Schluchten, über die rissigen Erdschollen einer Salzsohle, querfeldein über brach liegendes Land, hinauf auf die Alm. Ein Debiler aus dem Dorf kommt uns auf der Alm mit Riesenschritten entgegen. Er schwenkt bedrohlich einen Stock gegen unseren Traktor, läßt uns aber unbeschadet vorbeifahren und zieht forsch weiter seines Weges. Wir sind unterwegs zu unserem Feld an der Grenze zum Nachbardorf Samankaya. Die Kontrolle des Getreidestands auf diesem Feld am äußersten Rand unseres Landkreises steht an. Unterhalb des violetten Samankaya-Bergzugs sprudelt in einer Senke eine Quelle aus der Felswand. Wir legen einen Stop ein und laben uns an dem Quell. Ein Kanister wird mit dem köstlichen Wasser gefüllt, und weiter geht die Fahrt.

    In der Hochebene Schafe über Schafe. Schafe, so weit das Auge reicht. Ihre Wollrücken wogen gleich einem Meer über die Alm. Die saftigen Wiesen verschwinden unter dem grauen Wollwusel der Schafe. Sie kräuseln sich über die Alm und fressen sich am Grün satt. Unten am Rand der Salzsohle liegt ein totes Schaf. Ob der Hirte es bemerkt hat? Liegt er vielleicht irgendwo hinter der Herde im Gras und läßt sich die Sonne auf den Bauch scheinen? Ein Geier kreist am Himmel. Die sich schier endlos aneinander reihenden Wollrücken der Schafe lassen den Gedanken an eine wohl jahrtausendealte Schafkultur Kleinasiens aufkommen. Eine Kultur mit Schafwolle in den Matratzen, in den Bettdecken, in den Kopfkeilkissen, den Sitzkissen.

    Und wir sind ja gerade aus solch einem Dorf mit Schafwollkultur in die Berge aufgebrochen. In dieses Dorf kam ich das erste Mal in den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ein kleines Bergdorf in der Kornkammer der Türkei mit an den Berghängen klebenden Lehmhütten. Damals gab es im Dorf noch keinen Strom. Also auch keine Straßenlaternen. Da saß man nach Einbruch der Dunkelheit im Schein der Petroleum-Lampe beisammen, ließ den Teekessel kreisen und hat sich über Gott, die Welt und die Nachbarn unterhalten. Draußen vor dem Haus war es nachts stockfinster, nur bei wolkenfreiem Himmel funkelten blitzmunter die Sterne im Schwarz der Nacht. Nach Mitternacht bellten da die Hunde vom einen Ende des Dorfes hinüber zum anderen Ende. Mindestens eine Stunde lang durchschnitt ihr Gebell die Nacht über den Flachdächern der Hütten, als wollten sie sich alles über den gerade gelaufenen Tag erzählen.

    Es gab in diesem Dorf auf den Bergen mitten zwischen Ankara und dem Iran nicht nur keinen Strom, es gab in den Hütten auch kein fließendes Wasser. Neben einigen Häusern im Dorf gab es Wasserstellen. Dort sprudelte aus einem Stein von den Bergen heran geleitetes Quellwasser.

    Es gab in den 70-er Jahren in diesem Dorf zwar noch keinen Strom und kein fließendes Wasser in den Hütten, aber eines gab es im Dorf in Hülle und Fülle: Schafe! Schafe, Schafe, Schafe…..

    Schafe geben Milch, daraus macht die Hausfrau Schafsbutter, Käse und Joghurt – richtig einmalig sauren Schafsjoghurt. Das Fleisch der Schafe landet irgendwann im Kochtopf. Der Nutzwert der Schafe erschöpft sich aber nicht in Milch und Fleisch. Schafe liefern vor allem auch Wolle.

    So basiert das Interieur einer zentralanatolischen Berghütte hauptsächlich auf Schafwolle. Dort hinter den sieben Bergen in Kleinasien lebt man nicht gut möbliert, dort lebt man gut gepolstert. Die geschorene Wolle der Schafe wird von den Frauen im Dorf am Bach im fließenden Wasser gewaschen und anschließend zum Trocknen über Dornengestrüpp gehängt. Dann wird die Wolle entweder mit einem dünnen langen Eisenstab watteweich geschlagen, gestochert und gefetzt für die Füllung von Matratzen und Kissen, oder sie wird auf einer Spindel zu Garn versponnen. Aus der versponnenen Wolle weben Frauen im Dorf mit ihren Töchtern Kelims, die in meist leuchtenden Rot-Tönen auf dem gestampften Lehmboden im Eingangsraum der Lehmhütte liegen. Auf dem Schafwoll-Teppich im Gästezimmer liegen an den Wänden entlang mit weichgeklopfter Schafwolle prall gefüllte Sitzkissen, etwa 70 x 70 cm in ihrer Ausdehnung und circa 15 cm dick - die Alternative zu mitteleuropäischen Sitzmöbeln. Auch im Eingangsraum der Hütten liegen solche bequemen Sitzkissen. Hätten sie da oben in den Bergen nicht so viele Schafe – vielleicht hätten sie ja Stühle erfunden? Auf den Sitzkissen stehen zum Anlehnen für den Rücken je zwei kleinere, hübsch bestickte Kissen übereinander, gestopft mit Schafwolle. Hinter den Sitzkissen zieht sich an den Wänden entlang ein durchgehender Sims aus aneinandergereihten quaderförmigen Keilkissen. Die Keilkissen dienen als Rückenlehne und für das Auflegen der Unterarme. Sie sind mit Stroh gefüllt und bezogen mit kelimartigem Gewebe aus Schafwolle. Über dem Keilkissensims hängen in manchen Hütten exotische Wandteppiche aus Schafwolle an der Wand. In der Schlafstube stapeln sich in einer Ecke bis fast an die Zimmerdecke dicke schwere Matratzen, Steppdecken und Keilkopfkissen – alle prall gefüllt mit Schafwolle. Der Bettenstapel ist abgedeckt mit einer großen schweren Schafwolldecke. Drei solche Matratzen auf dem Teppich übereinander ausgebreitet und dann mit einem Bettlaken überzogen – eine Schlafstatt wie im Märchen „Die Prinzessin auf der Erbse".

    Die Säcke für Mehl und Weizengrütze in der Vorratskammer sind aus Schafwolle gewebt. Aus der Wolle strickt man natürlich auch Socken, Pullover und anderes mehr.

    Selbst Schafsmist findet Verwendung. Mit Hammelkacke gedüngte Tomaten sind ein Gaumenschmaus. Der Stallmist aus dem Schafsstall wird in der Sonne getrocknet, dazu wird er an der Hofmauer entlang batzenweise gestapelt. In der kalten Jahreszeit wird er dann als Heizmaterial für den Kanonenofen verwendet, aber auch für das Beheizen des Tandir genannten Lehmlochs, in dem Brot gebacken wird. Der Schafstall selbst ist an die Lehmhütte angebaut und gibt im Winter seine Wärme über die Wand an die angrenzenden Wohnräume ab.

    Das Interieur der zentralanatolischen Berghütte erschöpft sich allerdings nicht nur in Schafwolle. Die Alternative zum mitteleuropäischen Tisch ist ein großes rundes Silbertablett auf einem Holzbock. Solch ein Riesentablett kann selbst von kleinen Mädchen ruck-zuck in die Mitte der Stube auf den Teppich gerollt werden. Ein großes Tuch wird inmitten der Sitzkissen auf dem Teppich ausgebreitet, darauf ein vierbeiniger, auseinanderklappbarer Holzbock gestellt, etwa 30 cm hoch, und dann das herein gerollte Tablett darauf gekippt. Fertig ist der Tisch. Das Tuch unter dem Tablett dient als Krümeltuch. Jeder, der mit oder ohne Sitzkissen zum Essen an das gedeckte Tablett heran rückt, zieht sich das Tuch über die Knie. So wird nicht auf den Teppich, sondern in das Tuch gekrümelt, das nach dem Wegräumen von Tablett und Holzbock dann mit zwei Handgriffen zusammengerafft und nach draußen zum Ausschütteln gebracht wird. Ein Krümeltuch unter dem Tisch also die Alternative zur mitteleuropäischen Tischdecke auf dem Tisch.

    In einer Stubenecke stehen ineinander geschoben leicht größenunterschiedliche Beistelltischchen, die für die Gäste neben die Sitzkissen gestellt werden, wenn der Teekessel rund geht.

    In die dicken Lehmmauern der Hütten sind nur kleine, mit Eisenstäben vergitterte Fenster eingelassen. Als ich zum ersten Mal in solch einer schafwollenen Stube saß, direkt neben mir solch ein vergittertes Fenster, denn ich saß als Einzige in der Stube erhöht, also mit einem Ellenbogen in die Fensternische gestützt auf einem potthäßlichen europäischen Stuhl, den man irgendwoher wunderbarerweise für mich hervorgezaubert hatte, um meiner abendländischen Sitzgewohnheit zu hofieren, und man hatte mir ein weißes Handtuch über die Knie gelegt, damit mir die an den Wänden entlang weiter unten auf Sitzkissen thronenden Gäste nicht unter den Rock gucken können, und mir war verklickert worden, daß ich hier ein Kopftuch tragen muß und nicht ohne Begleitperson nach draußen auf die Gasse darf, weil mich in meinem noch jugendlichen Alter da ja ein kecker Dorfbursche anbaggern könnte, und das wäre schlimm für meinen Mann, denn wer die Ehre seiner Frau und seiner Töchter nicht im Griff hat bzw. über sie weniger weiß, als die tratschende Dorfgemeinschaft, der wird von den Machos östlich des Bosporus zum Weichei degradiert und hat in der Folge in der Dorfgemeinschaft nichts mehr zu sagen, befindet sich außerhalb jedweder Entscheidungsbefugnis in der Öffentlichkeit - als ich also neben einem der vergitterten Fenster saß, im Hinterkopf die ortsübliche Bewegungseinschränkung, die der Gewalt der Ehre geschuldet ist, hätte ich am liebsten die Flucht ergriffen. Aber wohin in diesem fremden Dorf am anderen Ende der Welt? Da war kein Flughafen vor der Haustür. Ruhig bleiben, habe ich mir gesagt, das hältst Du jetzt einfach erst Mal aus. Und ich hielt aus. Mein Mann hatte seinerzeit zu mir in Berlin ja gesagt: „Ich nehm‘ dich mit in die Türkei, setz‘ dich auf ein Sofa und laß dich erzählen."

    Das Sofa war jetzt halt der Stuhl. Und die da unten auf den Sitzkissen hatten tausend Fragen an mich. Hauptsächlich Männer saßen da an den Wänden entlang. Und ich habe gesagt, wenn ich mir eine Zigarette anzünden darf, dann kann ich besser erzählen. Ich erhielt die Erlaubnis, ich durfte rauchen. Das war eigentlich eine Sensation. Denn in der Türkei darf eine Frau nicht in der Gegenwart eines Mannes rauchen. Nicht einmal der Sohn darf in Gegenwart seines Vaters rauchen. Das geziemt sich einfach nicht. Aber mir wurde betreffs Nikotin von der Männerwelt des Dorfes Narrenfreiheit zugebilligt. Dafür fragten sie mir Löcher in den Bauch. Und sie waren baß erstaunt, daß ich den frisch gebrühten heißen Tee aus dem Teeglas trinken konnte, ohne vernehmlich laut zu schlürfen. Als ich eines Tages mitten in der Runde zwischen lauter Männern auf einem Sitzkissen saß, steckte der Älteste im Raum, ein ehrwürdiger weißbärtiger Gast aus einem Nachbardorf, neben dem ich sitzen durfte, seinen Kopf fast in mein Teeglas, als ich einen Schluck nahm, und verkündete dann begeistert: „Sie trinkt tatsächlich lautlos!"

    Auch das war etwas Besonderes, daß ich neben dem ältesten Gast sitzen durfte, also neben dem, dem vom Alter her die meiste Ehre gebührte, denn es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, daß der Älteste im Zimmer immer in der Zimmerecke diagonal zur Eingangstür Platz nimmt, die Jüngeren nehmen dem Alter nach absteigend neben ihm an den Wänden Platz. Kommt ein älterer Gast hinzu, beginnt auf den Sitzkissen das Platzrücken, damit die Rangordnung wieder ihre Richtigkeit bekommt.

    Die Hausfrau im Dorf ist übrigens immer vollbeschäftigt. Neben der Versorgung von Kindern und Vieh arbeitet sie im Sommer auf dem Feld mit. Sie fertigt Grundnahrungsmittel wie Joghurt, Butter, Sahne, Käse, Nudeln und Weizengrütze selbst. Das für die Essenzubereitung notwendige Salz kauft sie von einem Hänger herunter, der ein Mal im Jahr auf den Dreschplatz des Dorfes kommt. Brot backt sie in einem Lehmloch. Dieses in ein Lehmpodest eingelassene Backloch nennt sich Tandir und ist etwas breiter und tiefer als ein normaler Wassereimer. Auch ich habe mit bloßer Hand solche Teigfladen für Fladenbrote in Blitzgeschwindigkeit über der heißen Glut an die Wand solch eines Lehmlochs gestrichen. Und ich bin stolz darauf, daß die Teigfladen tatsächlich an der Wand hängen blieben und nicht hinunter in die glühende Asche des Lehmlochs plumpsten.

    Inzwischen stehen im Dorf neben Lehmhütten auch Häuser aus Hohlblock- und Backsteinen mit schrägen Ziegeldächern. Mein Mann hatte Ende der 60-er Jahre aus vielen Familien Männer in Arbeit und Brot nach Frankreich gebracht. Die kamen nach Jahren zurück in ihr Heimatdorf und bauten Häuser. Im Dorf gibt es inzwischen eine Kanalisation. In den Häusern gibt es jetzt zwar fließendes Wasser, aber das benutzt man nur zum Geschirrspülen, Duschen und dergleichen mehr. Das Wasser aber für die Essenzubereitung oder für den Teekessel holt man sich generell draußen an der Wasserstelle, wo Quellwasser von den Bergen aus einem Rohr sprudelt. Ein Minarett wurde gebaut. Eine zweite Moschee wurde gebaut. Demirel schickte damals seine Wahlhelfer ins Dorf und versprach, einen Stausee für das Dorf bauen zu lassen, wenn er vom Dorf alle Stimmen zur Wahl bekäme und die Wahl gewinne. Er hat aus dem Dorf alle Stimmen bekommen. Er hat die Wahl gewonnen. Das Dorf hat den versprochenen Stausee bekommen. Einen Stausee mit vielen Wasserschleusen, die die Bauern gegen Bezahlung stundenweise zur Bewässerung ihrer Felder öffnen lassen können. Die Elektrifizierung kam in unser Dorf. Kühlschränke und Elektro-Wasserkochtöpfe zogen in die Haushalte ein, vereinzelt auch Waschmaschinen. Auf den Dächern der Lehmhütten mehren sich die Satelliten-Schüsseln und Sonnen-Kollektoren.

    Aber weht Mal ein lautloser Wind über die Berge, der an den feinen Staubwehen über den Feldern in der Ferne zu erkennen

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