Krötenwanderung: Eine optimistische Erzählung - nicht nur für Kinder
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Krötenwanderung - Nikolaus Starkmeth
Kapitel 1
© 2013 Nikolaus Starkmeth
Umschlaggestaltung: Nikolaus Starkmeth
Lektorat, Korrektorat: Heike Starkmeth
ISBN: 978-3-8495-0313-0
Printed in Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung
Kapitel 2
Freitag nachmittags sind die meisten Menschen gut gelaunt, weil die Arbeitswoche zu Ende geht und ein freies Wochenende bevorsteht. Viele sind aber auch sehr hektisch, weil sie ganz schnell ganz viel erledigen müssen, was sonst die wertvolle Zeit am Wochenende kosten würde. So ist das auch in Bergbach, der kleinen Gemeinde im hügeligen Voralpenland, die weit genug von der Großstadt weg ist, um noch eine richtige Dorfgemeinde zu sein, auch, wenn viele ihrer Bewohner dort in der Stadt arbeiteten.
In den Geschäften ist immer viel los am Freitagnachmittag, weil viele Leute früher von der Arbeit nach Hause kommen und fürs Wochenende einkaufen. Deswegen sind auch die Geschäftsleute gut gelaunt, weil ihre Läden dann besonders voll sind und sie manchmal mehrere Kunden zugleich bedienen müssen. Fonsi, der Getränkehändler, ist immer gut gelaunt, das ist einfach so. Er hat keine Lust auf schlechte Laune. Und weil freitags auch bei ihm besonders viel los ist, helfen ihm an diesem Tag sein Bruder, seine Frau und sein Vater, und sogar sein Opa, der schon über achtzig Jahre alt ist, steht dann im Laden. Er spricht mit den Kunden, fragt, wie es allen geht, was die Ernte macht, wie es im Stall steht, und ob die Familie gesund ist. Der Opa hat schon immer in Bergbach gelebt, war dort sein ganzes Leben lang Bauer, und Bauer ist für ihn die einzig richtige Arbeit. Aber sein Bauernhof war nur noch klein, viel von dem Land ist inzwischen mit Häusern voll gebaut worden, und so hat sein Enkel zu den paar Kühen und Feldern, die er noch hat, einen Getränkeladen aufgemacht.
Fonsi mag die Freitage besonders. Während seine Frau und sein Vater bedienen und kassieren und sein Bruder hilft, die schweren Kisten in die Autos zu laden, schenkt er den Kunden zum Probieren Säfte, Limonaden oder eine neue Biersorte ein, und deswegen sind die Kunden bei ihm freitags auch immer gut gelaunt. Heute gab es ein Frühlingsbier aus einer kleinen Brauerei in der Nähe, und wer sich einen Kasten davon kauft, bekommt noch ein schönes Glas dieser Brauerei dazu. Gerade probierte er mit Schertner, dem Zweiten Bürgermeister, von dem Bier. Also ich find´ es gut.
meinte er, Schmeckt so richtig frisch. Kriegt man gleich Lust auf Biergarten und Brotzeit.
Und was heißt jetzt naturtrüb?
fragte der Schertner. Ist das vielleicht ein Bio-Bier?
mischte sich ein anderer Kunde ein, der Herr Breitmeier. Er lebt seit über zehn Jahren in Bergbach, und seine beiden Kinder sind hier geboren. Opa Grabner würde sagen A Zug´roaster
, aber die Bergbacher betrachteten ihn schon als Einheimischen. Bio-Bier, so an Schmarrn
schimpfte Schertner gleich. Was soll denn an einem Bier Bio sein? Mir ham doch das Reinheitsgebot!
Naja, aber die Rohstoffe, vor allem der Hopfen, der wird doch gespritzt, mit allen möglichen Mitteln, da wär‘s doch gut, wenn man den biologisch anbauen würde.
Geh!
wehrte der Schertner ab, is vielleicht unser Bier unbiologisch? Da is fei nix Verkehrtes drin, des steht im Reinheitsgebot, und unbiologisch wächst überhaupt kein Hopfen nicht!
Schertner nahm einen großen Schluck. Er war zufrieden, dass er dem Breitmeier Bescheid gesagt hat. Der ist nämlich im Gemeinderat, aber für eine andere Partei. Früher hat es diese Partei in Bergbach gar nicht gegeben, aber der Ort ist größer geworden, jetzt wohnen nicht mehr nur Bauern hier, und damit sind dann auch diese Partei und sogar Bürgerinitiativen nach Bergbach gekommen. Am Anfang hat Schertner sich schwergetan, mit diesen Andersdenkenden überhaupt zu reden, wo seine Partei doch die klare Mehrheit hatte, aber dann hat er sich überzeugen lassen, dass ein Zweiter Bürgermeister auch mit einer Opposition zurechtkommen muss, und Zweiter Bürgermeister wollte er schon bleiben.
Breitmeier wusste, dass die Sache mit dem Bier nicht so einfach lag, aber er wollte keinen Streit mit Schertner, bei dem ja doch nichts herauskommen würde. Stattdessen las er das Etikett von diesem naturtrüben Frühlingsbier und sagte dann zu Fonsi: Das probier ich mal. Gibst mir ein Tragl. Aber schau doch mal, ob du nicht doch ein Bio-Bier auftreibst. Ich würde gerne eins haben.
Mach ich.
meint Fonsi gutgelaunt. Da hat so eine kleine Brauerei aufgemacht, drüben, im alten Kloster. Ich hab das Bier schon probiert, is gar net schlecht. Und des is ein Bio-Bier. Aber wer weiß, was des wieder kost´.
An der Kasse, wo er darauf wartete, an die Reihe zu kommen, wurde Breitmeier vom Förster Zeidler angeredet: Das ist nicht so einfach, den Leuten klar zu machen, dass es notwendig ist, mehr Bio-Sachen anzubauen und zu kaufen. Das ist mit dem Wald genauso.
So ham wir das immer schon gemacht sagen sie,
und jetzt kommen da so ein paar Träumer daher und wollen uns was von Bio erzählen! Dabei geht´s dem Wald gar nicht mehr gut, und bis das jeder selbst sieht, ist es längst zu spät.
Breitmeier und Zeidler kennen sich aus dem Gemeinderat, in dem Zeidler eine Freie Wählervereinigung vertritt. Er gehört dort auch zur Opposition, und schon manchmal haben er und Breitmeier zusammen versucht, den Bürgermeister umzustimmen. Aber meistens ohne Erfolg.
Ich bin ja froh, dass ich mich nicht mit diesen engstirnigen Bauern herumschlagen muss!
Frau Föging, die vor ihnen an der Kasse stand, hat sich zu den beiden Männern umgedreht, nachdem sie gezahlt hat. Da geht es bei uns schon weltoffener zu. Schönes Wochenende!
Sie schob ihren Wagen zum Parkplatz. Frau Föging gehörte zu den wenigen Menschen, die in der Stadt wohnten und in Bergbach arbeiteten. Sie war Lehrerin und gab an der Bergbacher Hauptschule Biologie und Englisch. Hier auf dem Land waren die Klassen zwar größer, aber die Kinder ruhiger und interessierter am Unterricht. Die Stadt mag zwar weltoffener sein, aber sie bietet den Kindern so viel Ablenkung, zu viel Unterhaltung. Dort sind die Kinder in der Schule viel unruhiger, streitsüchtiger, und manchmal sogar gewalttätig. Breitmeier allerdings liebte das Leben hier draußen. Er hatte keine Probleme mit den engstirnigen
Bauern, mit denen man auch eine Menge Spaß haben konnte.
Nachdem er allen ein schönes Wochenende gewünscht und seinen Einkauf hinten im Wagen verstaut hatte, stieg Breitmeier ein und fuhr los, immer noch gut gelaunt. Er war bald am Ortsrand, wo die Straße eine lange Kurve durch den Wald macht, immer bergauf. Im Winter war dies eine kritische Stelle, weil dort oft Eis in der Kurve ist, und bei Schnee bleiben hier viele Autos hängen. Aber heute war es warm, trocken, und er konnte den Heimweg flott antreten.
Er kontrollierte noch einmal seine Einkaufsliste auf dem Beifahrersitz, ob er auch alles erledigt hat, und als er wieder nach vorn auf die Straße schaut, steht da plötzlich jemand! Breitmeier musste scharf bremsen, und es war ein Glück, dass die Straße trocken war. So konnte er gerade noch rechtzeitig anhalten. Da stand doch tatsächlich ein Mädchen auf der Straße! Nachdem Breitmeier sich etwas von seinem Schreck erholt hat, bemerkte er, dass das Mädchen kein bisschen erschrocken war. Es schaute ihn nicht einmal an! Es mochte zwölf oder vierzehn Jahre alt sein, nach der Größe zu urteilen eher zwölf. Aber nach dem Gesichtsausdruck, mit dem es ernst und konzentriert auf die Straße schaute, hätte es auch viel älter sein können. Es hielt immer noch den Arm ausgestreckt, mit der Handfläche zu dem Auto hin, wie ein Verkehrspolizist, der das jeden Tag tut. Breitmeier sprang aus dem Wagen. Ja bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Was stehst du denn hier mitten auf der Straße, und dann noch in der Kurve? Hast du nicht gemerkt, dass ich dich beinahe überfahren hätte? Was machst du da?
Das Mädchen schaute nicht einmal zu ihm her. Immer noch schaute es auf den Boden und verfolgte etwas mit den Augen. Das Mädchen machte jetzt einen Schritt Richtung linken Straßenrand, und da sah Herr Breitmeier, worauf das Mädchen die ganze Zeit schaute: zwei Kröten, jede eine andere Kröte auf dem Rücken, überquerten die Straße. Mühsam und erschöpft erreichten sie gerade den Grasstreifen.
Er schaute sich das Mädchen genauer an. Es trug Jeans, Turnschuhe, einen weiten dunkelblauen Pullover, darüber eine hellgraue Windjacke, die nicht geschlossen war. Das Gesicht war oval, ein bisschen länglich. Die langen blonden Haare waren in einem merkwürdigen Knoten am Hinterkopf aufgerollt. Gehalten wurden sie von einem einfachen Ästchen, das in die Haarrolle hineingesteckt war. Oder war das eine raffinierte modische Designer-Haarnadel?
Plötzlich quietschen Reifen hinter ihnen. Breitmeier und das Mädchen zogen die Köpfe ein und warteten auf den Krach, der gleich folgen musste - aber es kam keiner. Knapp zwanzig Zentimeter hinter Breitmeiers Auto stand ein zweiter Wagen, aus dem Schertner heraus kletterte und lauthals schimpfte. Ja seid‘s denn jetzt narrisch wor‘n!
plärrte er. Mitten in derer Kurven auf der Straßn umanand stehn und ratschn. Ja, wenn i ned so schnell reagiert hätt, dann wär hier jetzt die Hölle los!
Aber zuerst sind Sie ja wohl zu schnell gefahren
stellte das Mädchen sachlich fest. Auch wenn das stimmte - oder gerade deswegen? - wurde Schertner jetzt noch lauter. Ja, wer bist denn du? Ist des eana Tochter?
fragte er Breitmeier. Jetzt glaub ich´s aber! Des Mädl gehört amal gscheit übers Knie glegt!
Er ging ein paar Schritte entschlossen auf das Mädchen zu, wurde aber unsicher, als er sah, wie ruhig es blieb. Breitmeier wollte ihn beruhigen. Das ist nicht meine Tochter. Das Mädchen wollte ein paar Kröten schützen, die die Straße überquert haben. Es ist ja nichts passiert.
Nix passiert?
Schertner wurde wieder aufgeregter, jetzt wo er wusste, dass das nicht Breitmeiers Tochter ist. Nix passiert? Aber nur, weil ich so schnell reagiert habe. Und jetzt schaust zu, dass d’ da von der Straße verschwindst. Und zwar glei!
Schertner ging stürmisch auf das Mädchen zu, wollte es am Arm packen und - sah den Hund, der da plötzlich neben dem Mädchen stand. Ein großer, schwarz-weißer Hund, mit langen zotteligen Haaren, von unbestimmbarer Rasse. Er sah eigentlich ganz friedlich aus, ja, sogar lustig. Aber die Augen, mit denen er jede Bewegung von Schertner verfolgte, waren nicht lustig. Schertner ging etwas langsamer, aber doch weiter auf das Mädchen zu. Der Hund machte einen kleinen Schritt zwischen Schertner und das Mädchen und bellte einmal kurz. Halt!
, so klang das. Schertner blieb stehen und überlegte kurz. Auf keinen Fall wollte er hier wie ein Angsthase aussehen. Aber andererseits war das ein großer Hund, und wenn der ernst macht... Schertner war nicht mehr so gut in Form wie früher, bestimmt einige Kilo über seinem Idealgewicht, und er hätte sicherlich keine Chance, vor dem Hund wegzulaufen. Und kämpfen, mit einem Hund... Sie fahren jetzt erst mal Ihren Wagen an den Rand.
befahl er Breitmeier. Und machen’s gefälligst die Warnblinkanlage an. Das ist ja gefährlich, wie Sie da mitten auf der Straße parken.
Mit diesen Worten war Schertner bei seinem Wagen, schaltete ebenfalls die Warnblinkanlage an und grabschte sich sein Handy aus der Halterung. Jetzt konnte er endlich mal richtig davon Gebrauch machen. Seine Freunde haben ihn schon oft damit aufgezogen, dass er sich ein Mobiltelefon zugelegt hat. Und das hier in Bergbach. Da brauchst dich doch bloß aufn Markt stellen und an Schrei ´nauslassn. Des hört do a jeder!
Aber er war der Meinung, dass ein Zweiter Bürgermeister in Notfällen immer erreichbar sein und immer telefonieren können muss. Das war jetzt so ein Fall. Sie, Breitmeier, ich ruf jetzt die Polizei, die kümmert sich dann um Sie, um Ihr Madl und vor allem den Hund da. Ohne Leine, ohne Halsband, so geht des fei net.
Während er das sagte, stieß er ein paar Mal mit dem Telefon in Breitmeiers Richtung, dann fing er an zu wählen. Ich hab´s Ihnen schon gesagt, Schertner, das ist nicht meine Tochter. Ich kenne das Mädchen nicht, und den Hund schon gar nicht. Ich bin hier herauf gefahren, und da stand es, mitten auf der Straße, und hat mich gestoppt. Genau hier.
Er ging zu der Stelle, wo das Mädchen gerade noch gestanden hatte, schaute dann links und rechts. Sie ist weg.
stellte er fest. Tatsächlich. Kein Mädchen, kein Hund. Sie hat die Kröten schützen wollen, die hier über die Straße gehüpft sind.
Weit und breit keine Kröten. Das Mädchen, der Hund, der so plötzlich aufgetaucht war, die Kröten, die, mit einem Artgenossen auf dem Rücken, so große Anstrengung unternommen hatten, um die Straße zu überqueren - alle waren spurlos verschwunden. Das kam Breitmeier plötzlich so unwirklich vor, und er zweifelte, dass das alles wirklich eben passiert ist.
Schertner war inzwischen mit Wählen fertig und wartete, dass sich die Polizeiinspektion melden würde. Er sah Breitmeiers ratlosen Blick und stellte ebenfalls fest, dass von Mädchen