Mein Leben mit dem Tod: ...warum wir sind, wie wir sind
Von Tom Werde
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Über dieses E-Book
Ein Notarzt, der nur vom Sterben schreibt – darf er das? Warum nicht?
Viele "Retter", Ärzte, Krankenschwestern und –pfleger, kurz Menschen, die regelmäßig mit dem Tod anderer Menschen konfrontiert sind, pflegen einen eigenen Umgang mit dem Thema "Tod und Sterben". Während der Tod in der heutigen Gesellschaft häufig keinen Platz im Alltag finden darf, sind sie es gewohnt, offen darüber zu reden. Für "Unbeteiligte" wirkt das oft befremdlich, möglicherweise gar respekt- oder pietätlos.
Doch ist das so? Sind wir so?
Diese Frage ist das Grundmotiv von "Mein Leben mit dem Tod": Autobiographisch folgt dieses Buch dem Autor auf einer Reise durch seine Entwicklung, gewährt Einblick in seine Gefühlswelt und den stetigen Wandel seiner Einstellung zu Leben und Tod. Zwischen Analyse und eigener Verarbeitungsstrategie spricht Tom Werde die Einladung an den Leser aus, an seinem "Leben mit dem Tod" teilzunehmen und dabei sich selbst und die eigenen Normen und Werte zu hinterfragen.
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Buchvorschau
Mein Leben mit dem Tod - Tom Werde
Vorwort
Ich liebe meinen Beruf. Nach nunmehr elf Jahren ärztlicher Tätigkeit und etwas mehr als sechs Jahren unfallchirurgisch-orthopädischer Facharztweiterbildung arbeite ich seit fünf Jahren hauptberuflich als Notarzt und weiß, dass ich keinen anderen Job machen möchte. Neben der Tatsache, dass ich das große Glück genieße, in unserem Rettungsdienstbezirk meine Arbeit gemeinsam mit großartigen Menschen tun zu dürfen (die meisten machen ihren Job offenbar ähnlich gern tun wie ich und betreiben hochprofessionell Notfallmedizin auf einem hervorragenden Niveau) ist es das Wesen meiner Tätigkeit, das mich erfüllt.
Die Unmittelbarkeit des Geschehens, der direkte – und anders als in der Klinik im Allgemeinen auf den einen Patienten konzentrierte – Kontakt und der unplanbare Abwechslungsreichtum jedes Dienstes macht diesen Beruf unverwechselbar. Und wie kaum eine andere Tätigkeit eröffnet er mir die Gelegenheit, in eigenverantwortlicher Arbeit für meine Patienten da zu sein und oftmals sogar sehr rasch den Erfolg meines Handelns unmittelbar zu erleben.
Der direkte Umgang mit jedem Einzelnen gewährt mir (in unterschiedlichem Maße) immer auch Einblicke in die persönliche Lebenssituation und lässt mich teils gar teilhaben an den dahinter stehenden Geschichten und Schicksalen meiner Patienten.
Natürlich ist es nicht so, als würde ich mich mit jedem Menschen, dem ich begegne, identifizieren.
Selbstverständlich kann sich niemand jedes einzelnen Schicksals und Geschehens annehmen, das ihm während seiner Tätigkeit im Rettungs- oder Notarztdienst über den Weg läuft. Die weit meisten Fälle sind eben doch „Routine", die wir mit Erfahrung, guten Standards und dem notwendigen Engagement abarbeiten können, ohne zu sehr in das Leben der Menschen, die wir behandeln, eindringen zu müssen.
Und doch gibt es immer wieder Einsätze, Situationen und Geschehnisse, die uns näher kommen als die „übliche Alltagsarbeit". Schicksale, die uns beschäftigen, manchmal weit über den Einsatzverlauf hinaus. Erlebnisse und Situationen, die uns unser eigenes Leben und unsere Einstellung und Wahrnehmung hinterfragen lassen.
In besonderem Maße gilt dies für Begegnungen und den Umgang mit dem Tod und dem Sterben. Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung davon und findet seinen eigenen Weg, mit diesem Thema umzugehen. Der wohl meist verbreitete Weg ist, den Tod so weit wie möglich aus der eigenen Wahrnehmung zu verdrängen – einfach, weil es uns sonst zwingt, uns mit der eigenen Sterblichkeit auseinander zu setzen – kein bequemes Thema für einen gemütlichen Plausch an der sonntäglichen Kaffeetafel, so ist wohl eine häufige Ansicht.
Ich sehe das anders. Mein Beruf lässt mir nicht die Wahl, ob ich mich mit dem Tod befassen möchte oder nicht – er gehört einfach dazu.
Aus diesem Grund entwickelt jeder, der im Notarzt- oder Rettungsdienst tätig ist, mit der Zeit seine eigene Beziehung zum Tod.
Dass diese Beziehung nicht nur unseren gesellschaftlichen Umgang mit Tod und Sterben, sondern eigentlich die gesamte Wahrnehmung und Lebenseinstellung verändert, konnte ich an mir selbst beobachten.
Davon handelt dieses Buch.
Ich möchte Sie gerne an meiner Geschichte teilhaben lassen und biete Ihnen an, in gewisser Weise „den Spieß herum zu drehen".
Ich lade Sie ein, mich in meiner Entwicklung einer Einstellung zum Leben und zum Tod zu begleiten.
Aus Gründen der Pietät und zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte habe ich die Namen aller Beteiligten und Betroffenen sowie Ortsangaben verändert oder neutralisiert.
Einleitung
Immer wieder kreuzen sich unsere Wege – beruflich und privat – und nie habe ich vorher eine Ahnung, was er diesmal mit mir macht und wie er mich zurück lässt, der Tod.
Wie geht er mit mir um?
Und wie gehe ich mit ihm um?
Jedenfalls ganz offenbar anders als die Meisten –
aber warum?
Warum bin ich wie ich bin?
Das ist der Ansatz, aus dem die Idee zu diesem Buch geboren wurde. Um die folgenden Schilderungen vielleicht ein wenig leichter nachvollziehen zu können, mögen Sie mich zunächst auf einen kleinen biographischen Exkurs begleiten. Denn wie bei jedem von Ihnen begann auch meine Wahrnehmung von Leben und Sterben nicht erst mit dem Eintritt ins „Erwachsenenalter" und wenngleich mein Beruf sicher einer der stärksten Einflüsse ist, so ist er doch nicht der einzige, der mich in meiner Entwicklung und meinen Ansichten prägte.
Die ersten Erlebnisse, die ich rückblickend als wegweisend empfinde, finden sich bereits in meiner Kindheit, die ich als allgemein „normal verlaufend" beschreiben würde.
In weitestgehend intakten Verhältnissen wuchs ich als jüngstes Kind einer fünfköpfigen Familie in einer Mietwohnung am Stadtrand einer deutschen Großstadt auf und absolvierte meine reguläre Schullaufbahn ohne größere Auffälligkeiten.
Erwähnenswert ist allenfalls die Tatsache, dass ich seit meinem 13. Lebensjahr in der örtlichen Jugendfeuerwehr aktiv war und in konsequenter Folge seit dem Alter von 17 Jahren Mitglied der freiwilligen Feuerwehr bin. Ich erwähne dies nicht etwa wegen des dahinter stehenden, vermeintlich herausragenden sozialen Engagements im Ehrenamt, denn dies zeigen erfreulicherweise auch heute immer noch sehr viele Menschen in Deutschland.
All diesen Menschen gebührt große Anerkennung.
Vielmehr hatte dieser Weg aber allgemein einen großen Anteil an meiner Lebenseinstellung und hielt, wie sich im Weiteren zeigen wird, die ein oder andere Begebenheit für mich bereit, die mich fordern, berühren und teils bis an meine Grenzen führen sollte.
Weiterhin eröffneten mir meine pflegerische Aushilfstätigkeit in der Notaufnahme eines Krankenhauses während des Studiums und unterschiedliche, für das Medizinstudium notwendige Praktika ebenfalls noch vor dem Eintritt in das eigentliche notärztliche „Arbeitsleben" Einblicke, die in dieser Form Otto Normalbürger verwehrt oder eben erspart bleiben.
Die so entstandene Mischung unterschiedlichster Einflüsse macht mein heutiges Ich und vor allem mein Bild von Leben und Tod aus. Aber folgen Sie mir doch gerne von Anfang an auf meinem Weg.
Meine ersten Erfahrungen mit dem Tod machte ich – wie wohl die Allermeisten von uns – in der Familie.
Meine Großeltern
Opa
Wie wohl beinahe jedes Kind habe ich meine Großeltern geliebt, zumindest die, die ich kennen lernen durfte. Mein Großvater väterlicherseits starb bereits vor meiner Geburt, was ich in meiner Kindheit nie hinterfragte. Insgesamt war ohnehin die familiäre Bindung an meine Großeltern mütterlicherseits deutlich enger als das Verhältnis zu meiner Großmutter väterlicherseits, das von gewissen zwischenmenschlichen Spannungen zwischen meinen Eltern und ihr geprägt war. Viele schöne Sommerurlaube verbrachte ich mit meinen Eltern auf dem gepachteten Bauernhof von Opa und Oma. Mein Opa und der benachbarte Landwirt brachten mir das Landleben, die Landwirtschaft und den Umgang mit den Tieren näher und ließen mich gar eine ganze Weile lang das Berufsbild „Bauer" als meinen Zukunftstraum erleben.
Leider war mein Großvater der Erste in der Familie, an dessen Beispiel ich das Thema Tod erfahren musste. Er starb an Darmkrebs als ich sieben oder acht Jahre alt war.
Altersbedingt hatte ich weder seine Krankheit noch den Verlauf derselben bewusst wahrgenommen und so erlebte ich seinen Tod schlichtweg als „Nicht-mehr-da-sein, härter gesprochen als „Nie-wieder-da-sein
.
Ein Absolutum, das mir in diesem Alter nicht so recht begreiflich und schon gar nicht akzeptabel war.
Ich erinnere mich, dass in relativ nahem zeitlichen Zusammenhang dann auf dem Hof meiner Großeltern mein Lieblingspony „Meike", auf der ich dank meiner Tante reiten gelernt hatte, ebenfalls verstarb.
So makaber und unpassend diese gedankliche Verbindung erscheinen mag, so führte mich doch am ehesten dieses Zusammentreffen der Ereignisse zum ersten Mal zur bewussten Wahrnehmung der Endlichkeit des Seins. Sehr klar habe ich noch meine Reaktion darauf vor Augen. Weinend angesichts der unausweichlichen Tatsachen lag ich auf meinem Bett in meinem Kinderzimmer als meine Mutter zu mir kam, um zu erfahren, was los war und um mich zu trösten. Ich erklärte es ihr mit den Worten und der Sichtweise eines Grundschulkindes: „ Das ist so gemein, dass wir alle sterben müssen!"
Beherrschend war vor allem die Unbeeinflussbarkeit des Todes, die ich total unfair fand, denn eines war mir schon damals klar: Weder Opa noch Meike hatten sich ausgesucht, dass sie sterben wollten.
Die Tatsache, dass für ihren siebenjährigen Sohn nicht etwa der Verlust des Großvaters im Vordergrund stand, sondern die hieraus bereits resultierte Angst