Na? Gestempelt?: Kurzgeschichten mit heiterem Tiefgang
Von Ulrich Wenzel
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Über dieses E-Book
Wenn Ulrich Wenzel in seinen meist heiteren, manchmal auch skurrilen Kurzgeschichten die Welt zu verstehen versucht, tut er dies mit seinem von italienisch-japanischer Selbstironie geprägtem Humor. Er wundert sich - ob im Paradies, beim Erdmittelpunktlurch oder beim Stempelkurs in Rom.
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Buchvorschau
Na? Gestempelt? - Ulrich Wenzel
1. Nichts wie weg hier!
„Also, ich hau bald ab und dann sieht mich hier keiner mehr", sagte mir neulich der Typ mit dem kahl rasierten Kopf und fixierte mich mit seinen stahlblauen Augen.
„Verstehe", sagte ich und nickte bedächtig, während meine Hände zu kribbeln begannen. Irgendetwas stimmte nicht.
Der Typ fixierte mich noch immer: „Wenn die Leute blöd sind, kann ich auch nichts machen."
„Klar, sagte ich und nickte, wieder bedächtig, denn ich gehörte natürlich zu den Blöden. Aber offensichtlich genügte ihm meine Reaktion nicht. Er wandte sich einer jungen Frau mit bräunlichen, gelockten Haaren zu: „Nichts wie weg hier!
„Stimmt, sagte sie. „So schnell wie möglich! Andorra, oder so.
„Richtig. Andorra oder so, sagte der Typ. „Da hast du noch ’ne reale Chance. Hier kannst du nur noch vom Handel leben – oder als Manager.
„Genau das ist der Punkt", sagte die Frau mit den bräunlichen, gelockten Haaren und zündete sich eine Zigarette an, die sie nachsinnend in das Licht der Nachmittagssonne hielt.
Die beiden schienen mich zu vergessen. Noch immer kribbelten meine Hände.
Am Abend wurde das Kribbeln stärker. Meine Hände wurden immer nervöser und fingen richtig an zu zittern, bis die linke Hand plötzlich zu reden begann: „Der Typ hat recht. Wir gehören zu den Blöden. Hier gibt’s nichts mehr zu tun. Ich will weg hier."
„Pscht", sagte ich, denn ich wollte nicht, dass meine linke Hand schlechte Stimmung verbreitete. Ich winkte mit der rechten Hand ab.
Was ein Fehler war, denn nun begann auch sie zu schimpfen: „Alle gehen weg. Nur du bist ein Langweiler. Mir reicht’s, ich pack’s!"
Ich konnte gar nicht so schnell schauen, da hatte die rechte Hand die linke Hand an der Hand genommen und Hand in Hand liefen sie aus dem Zimmer. Ich musste ohne Hände schlafen.
Am nächsten Morgen kribbelten meine Füße. Ich wusste natürlich schon, wie der Hase läuft, und rollte schnell die Bettdecke um mich. Doch ehe ich mich versah, standen meine Füße schon neben mir. „Halt wartet!", riefen die Beine und stellten sich gleich auf die Füße. Im nächsten Augenblick waren sie verschwunden.
Ein paar Wochen später kam eine Postkarte aus China: „Hier kann man viel besser arbeiten. Hier gibt’s keine Köpfe, die uns bei der Arbeit stören. Viele Grüße, Deine Hände."
Und meine Beine schickten mir eine Karte von der australischen Wüste: „Hier kann man wenigstens laufen, ohne darüber nachzudenken. Viel Spaß zu Hause. Ps.: Wie geht’s denn den Händen?"
Mir kam eine Idee. Mein Bauch war in Italien wegen der Nudeln, mein Kopf in Korea wegen der Hightech, und der Rest war irgendwo in der Welt zerstreut.
Macht nichts, dachte ich mir und holte zuerst meine Stimme zurück, die mich ständig aus den USA anrief und mir penetrant gut gelaunt ins Ohr säuselte.
„Soll sie doch die anderen Körperteile damit belästigen", dachte ich und versorgte Hände, Füße, Kopf und Bauch mit Handys. Danach machte ich einen Kurs zur Führungskraft. Seitdem habe ich zwar nichts mehr, bin auch nichts mehr, aber endlich arbeite ich als Manager.
2. Na? Gestempelt?
Da waren viele Menschen auf dem römischen Bahnhof, die mir vor die Füße liefen, sehr viele, Familien mit Kindern, die schrien, Mütter die noch lauter schrien, und Väter, die jetzt wirklich keine Lust mehr hatten; Zuganzeigen, die nicht funktionierten, Zuganzeigen, die keine Abfahrten, sondern, als wollte ich nur ankommen, nur die Ankünfte kundgaben, Lautsprecherdurchsagen, Bahnsteig- und Gleisänderungen, von 17 nach 4 und wieder zurück zu 17, die Lautsprecher sagten 18, ein Mann rammte mich mit seinem speckigen Baumwollpullibauch und rief: „Taxi! Taxi!, und ein anderer übertönte ihn mit „Hotel, Hotel
.
Am Ende saß ich schließlich im Zug und hatte vergessen zu stempeln. War da wirklich einer dieser kleinen Stempelautomaten? Dort hinter der riesigen Marmorsäule?
Es war nun schon das dritte Mal, dass ich nicht gestempelt hatte. Ich musste also eine Schulung besuchen, einen Kurs mit dem Titel „Vorbereitung auf die Benutzung von Zügen der Italienischen Eisenbahn".
Ich hatte eigentlich ein modernes, klimatisiertes Glasgebäude erwartet mit Lounge und freundlicher Empfangsdame, so wie heute bei Schulungen allgemein üblich. Stattdessen befand ich mich in einem staubigen, baufälligen Altbau in der Nähe des Bahnhofs. Es war stickig heiß, die Farbe blätterte von den Wänden und überall klebte Kaugummi. Als ich den Schulungsraum betreten wollte, war die Tür blockiert. Ein muskulöser, nach Schweiß riechender Koloss stand davor und hatte mir den Rücken zugewandt. Sein Kopf war kahl geschoren und mehr noch als Schultern hatte er Tätowierungen, die grünlich blau schimmerten. Ich traute mich nicht, ihn anzutippen, sondern sagte mehrmals: „Entschuldigung", jedes Mal ein bisschen lauter, bis er sich endlich umdrehte, mich sah und zur Seite trat.
Ein paar Leute saßen schon auf ihren Stühlen. Irgendjemand machte gerade einen Witz, woraufhin alle lachten. Er hieß Giorgio und war aus Neapel.
Dann kam die Lehrerin herein, eine nette Lehrerin mit dunklen Locken und sommerfrisch glänzender Haut. Sie hatte einen Stempelautomaten unter dem Arm: „Das ist natürlich nur eine Attrappe", sagte sie und grinste verschmitzt in die Runde. Ihre kleinen, weißen Zähne leuchteten dabei aus ihrem sonnengebräunten Gesicht heraus.
Die Lehrerin schraubte den Stempelautomaten auf ein Stativ und wir mussten alle einmal stempeln.
„Sehr gut!, sagte die Lehrerin, „sehr gut!
, als ein Mann aus Turin die Fahrkarte in den Automaten führte. Er war schlank, hochgewachsen und hatte eine nasale Stimme.
Ein älterer Mann aus den Abruzzen stopfte die Karte so in den Schlitz, dass der Automat nicht mehr aufhörte zu klicken. „Nein, so doch nicht, schimpfte die Lehrerin. „Da ist doch schon die Körperhaltung vollkommen falsch.
Danach kam das Rollenspiel: Jeder musste einmal vorbeigehen, ohne zu stempeln. Er wurde anschließend gleich von der Gruppe zur Rede gestellt, wie er sich denn dabei fühle. Wir mussten uns möglichst realistisch verhalten: „Sagen Sie mal, Sie sind doch da jetzt ohne zu stempeln durch."
„Ja, und ich fühl mich auch richtig schlecht", sollten wir sagen. Der Mann aus Turin verdrehte sogar die Augen, als würde ihm schwindlig. Nur Giorgio aus Neapel sagte, es ginge ihm richtig gut.
Dann wurde das Rollenspiel wiederholt. Diesmal stand der kahlrasierte Koloss aus Rom mit