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TIC TAC TOT: Nils Johansens zweiter Fall
TIC TAC TOT: Nils Johansens zweiter Fall
TIC TAC TOT: Nils Johansens zweiter Fall
eBook485 Seiten6 Stunden

TIC TAC TOT: Nils Johansens zweiter Fall

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Über dieses E-Book

Angelika Behrendt, Krankenschwester und Dreifachmutter, wird tot in ihrem Bett aufgefunden. Auf ihrem Arm trägt sie ein Tattoo mit acht Ziffern - ihr Sterbedatum. Suizid oder Mord?
Spätestens als nach fünf Tagen das nächste Opfer auftaucht, ist klar, dass es sich hierbei um einen Serientäter handelt. Nils Johansen ermittelt zusammen mit dem Team der Emdener Mordkommission K11 in diesem Fall und stößt schnell an seine Grenzen. Neue Mordopfer tauchen auf, unschuldige Kinder verschwinden spurlos, und der Täter ist ihnen immer einen Schritt voraus. Der Ermittlungsfortschritt scheint stillzustehen und wird einzig und allein durch den Kontakt zum Mörder vorangetrieben. Er spielt ein Spiel, in dem Gewinn oder Niederlage über das Leben der vermissten Kinder entscheiden. Wie schnell findet die Polizei die Identität der Opfer heraus? Die Uhr tickt, bis zur nächsten Runde TIC TAC TOT.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum12. Sept. 2018
ISBN9783746901213
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    Buchvorschau

    TIC TAC TOT - Sarah Markowski

    EINS

    In Filmen sangen alle Kinder immer fröhlich im Chor, dabei klatschten sie im Takt, selbstverständlich synchron, und tanzten ausgelassen zur Musik, ebenfalls synchron. Der Busfahrer wippte lustig hin und her, während er gut gelaunt die Melodie mitpfiff und dabei mit einer Hand lockerflockig das Lenkrad drehte. Der Bus rollte gleichmäßig und natürlich als einziges Fahrzeug weit und breit über die Autobahn und nach einer erfrischenden Pause an einer blitzblank geputzten Raststätte ging es weiter in Richtung Heimat…

    Wunschdenken.

    In der Realität sah das nämlich ein wenig anders aus. Bei uns jedenfalls.

    Die Jungs in der letzten Reihe hatten direkt beim Losfahren ihre Ohren unter sündhaft teuren Kopfhören versteckt und den Kopf entspannt in den Nacken gelegt. Seitdem hörten sie so laut Musik, dass der ganze Bus mit einem Remix aus Sido, Cro und Kollegah beschallt wurde. Ganz vorne saßen die Lehrer, die sich über das Wetter, Ereignisse der vergangenen Kursfahrt und ihre Planung für das kommende Wochenende unterhielten. Außerdem schlossen sie eine Wette ab, wer wohl die Urlaubsvertretung für Herrn Heineke übernahm. Der Dirigent der Musikklasse war beim alljährlichen Schulfest vor ein paar Wochen nämlich rückwärts von der Bühne gefallen und hatte sich dabei das Steißbein gebrochen. Es gingen zwar einige Gerüchte über seinen Gesundheitszustand herum, die sich in den jeweiligen Details allerdings unterschieden. Fest stand jedenfalls, dass er vorerst arbeitsunfähig war und bis zur vollständigen Genesung nicht mehr unterrichten würde. Den Armen hatte es wohl doch ganz schön erwischt.

    Eine Reihe hinter Frau Caspar und Herrn Meiser saßen die Mädchen mit den Designerhandtaschen. Die Sorte, die morgens nicht aus dem Haus ging ohne den Kopf einmal durch die komplette Make-up Palette gewälzt zu haben, und deren Schultern wie immer von gefälschten Pelzkragen geziert wurden. Die Quoten-Zicken, wie sie mein Papa nennen würde, und diesem Namen machten die drei auch alle Ehre. Abwertende Blicke, das überdimensional große Smartphone in den Händen, stets perfekt manikürte Fingernägel, ständiges Geläster und übertrieben lautes, aufgesetztes Gekicher.

    „Mara?"

    Meine beste Freundin Leonie, die ich bereits seit der Krabbelgruppe kannte, tippte mich von der Seite an und hielt mir eine angebrochene Packung Doppelkekse entgegen.

    „Möchtest du noch einen?"

    Ich nickte, dankbar für die Ablenkung und drückte meine Hand in die enge Verpackung.

    „Dass die aber auch immer so mit dem Material sparen müssen. Wie soll man denn da einen Keks rausbekommen, ohne dass er direkt in fünftausend Einzelteile zerbricht?, schimpfte ich, drehte energisch meine Hand in alle möglichen Richtungen und fischte umständlich einen Keks heraus. „Danke, nuschelte ich mit vollem Mund und beobachtete interessiert, wie sich Torben und Julian eine Reihe vor uns beinahe die Köpfe einschlugen.

    „Hey, Jungs", rief ich empört, als einer der beiden aufstand und sein Ellenbogen gefährlich weit über die Rückenlehne schoss. Ich drückte mich etwas fester gegen die Sitzlehne, um so viel Sicherheitsabstand wie möglich zu halten und wartete, bis wenigstens einer der beiden Streithähne reagierte.

    „Könnt ihr vielleicht ein bisschen aufpassen? Andere Leute wollen ihre Nase behalten."

    Torben schaute mich verwirrt an und kassierte in diesem Moment der Unachtsamkeit prompt einen Schlag auf den Hinterkopf.

    „Ach ja, und ein bisschen leiser fluchen wäre auch ganz schön. Wir wollen uns nämlich unterhalten und eure unnötigen Zankereien sind ja kaum zu übertönen."

    Ich lehnte mich betont entspannt zurück und grinste ihm frech ins Gesicht. Torben schaute mich an, als hätte ich soeben die Bibel auswendig aufgesagt – vorwärts und rückwärts, Psalmen und Briefe inbegriffen. Er schüttelte stumm den Kopf, schaute zu Julian, dann zurück zu mir und schließlich zu den Lehrern, die immer noch in ihr Gespräch vertieft waren und scheinbar nichts um sich herum wahrnahmen. Schließlich ließ er sich zurück auf seinen Platz fallen und schaute demonstrativ aus dem Fenster.

    „Danke", murmelte ich triumphierend während ich zufrieden den Keks entgegennahm, den mir Leonie vor die Nase hielt.

    „Denen hast du es aber gezeigt."

    „Irgendeiner muss es doch tun."

    Ich zuckte grinsend mit den Schultern und fegte mit einer gekonnten Bewegung die Kekskrümel von meinem Schoß. Zurück blieben ein paar Schokoladenspuren, die auf der hellen Hose natürlich nicht zu übersehen waren.

    „Noch einen?"

    Leonie hielt mir die geöffnete Brotdose entgegen, doch ich schüttelte den Kopf.

    „Nein, danke. Ich brauche jetzt erst mal etwas Richtiges zu essen. Irgendwo müsste doch noch das Brötchen sein…"

    Ich bückte mich nach unten und durchsuchte meinen Rucksack nach dem Reiseproviant, den ich mir, wie alle anderen auch, vor Verlassen des Schiffes mitgenommen hatte. Ein Körnerbrötchen wahlweise mit Wurst oder Käse, ein Apfel und ein Müsliriegel, da konnte man nicht meckern. Hungrig biss ich in das halb zerdrückte Brötchen und fragte mich, wann wir wohl endlich ankommen würden. Mittlerweile waren wir schon fast sieben Stunden unterwegs und langsam konnte ich wirklich nicht mehr stillsitzen. Von Texel nach Greetsiel dauerte es laut Aussage des Busfahrers viereinhalb bis fünf Stunden. Dazu musste man allerdings die Fähre übers Ijselmeer rechnen und vermutlich noch Toiletten- und Essenspausen dazuzählen. Außerdem schien heute jeder Mensch in Richtung Ostfriesland fahren zu wollen… zumindest sah die momentane Autobahnsituation ganz danach aus. Der Bus bewegte sich ruckelnd vorwärts, hielt immer wieder an und fuhr dann ein paar Meter weiter, bis er schließlich wieder zum Stehen kam.

    Ich rückte mein dickes Kissen zurecht und lehnte den Kopf ans Fenster. Mittlerweile war ungewohnte Stille eingekehrt und sogar Torben und Julian hatten aufgehört sich wegen jeder Kleinigkeit in die Haare zu kriegen. Allgemeine Unlust machte sich breit und auch der Busfahrer trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen aufs Lenkrad. Er rieb sich die Augen, streckte seinen Rücken und fluchte leise vor sich hin.

    Winschoten, stand auf einem Ortsschild am Straßenrand. Wir waren also immer noch in den Niederlanden.

    „Weck mich, wenn wir da sind", murmelte ich und schloss die Augen.

    Eins, zwei, drei, … kleine weiße Schäfchen hüpften nacheinander über ein Gatter aus Holz. Vier, fünf, sechs, … doch es wollte nicht funktionieren. Frustriert hob ich den Kopf und seufzte.

    „Kann ich bitte doch noch einen Keks haben?"

    ZWEI

    Es war halb fünf, als der Reisebus auf den Parkplatz des Johannes-Althusius-Gymnasiums fuhr, langsam ausrollte und schließlich zum Stehen kam.

    Draußen stand schon eine Horde Eltern bereit, die sehnsüchtig darauf warteten, ihre Kinder nach zehn Tagen Segelfreizeit auf dem Ijselmeer endlich wieder in die Arme schließen zu können. Ich reckte meinen Hals und suchte vergeblich nach meiner Familie, auch Leonies Eltern waren noch nicht zu sehen. Ungeduldig stand ich auf und drückte mich auf den Gang hinaus, um endlich diesen stickigen Bus verlassen zu können. Meine Beine waren eingeschlafen und fühlten sich nach der langen Fahrt an wie Wackelpudding. Ich zog meine beste Freundin hinter mir her, und wir kämpften uns gemeinsam in Richtung Ausgang. Die Lehrer riefen genervt durcheinander, doch niemand schenkte ihnen auch nur einen Funken Aufmerksamkeit.

    Draußen angekommen streckte ich meinen Rücken, schüttelte Arme und Beine und atmete ein paar Mal tief durch. Die kühle Nordseeluft füllte meine Lungen und das Dröhnen in meinem Kopf wurde sofort ein wenig leiser. Ich schulterte meinen Rucksack und lief einmal um den Bus herum, um auf der anderen Seite meinen Koffer abzuholen. Der mürrische und wenig gesprächige Busfahrer zog ein Gepäckstück nach dem anderen heraus, warf es neben sich auf den Boden und ignorierte die Rangeleien um Koffer und Taschen, die er mittlerweile gewohnt war.

    Ich entdeckte meinen roten Rollkoffer an der Spitze des Stapels und zog in blitzschnell herunter, bevor er von einem anderen Gepäckstück begraben werden konnte.

    „Mara", hörte ich ein paar Stimmen hinter mir rufen.

    „Mara, hier sind wir!"

    Ich drehte mich herum und suchte die Menschenmenge nach bekannten Gesichtern ab. Auf einmal erkannte ich das blau-rot-karierte Holzfällerhemd meines Vaters und seine unverkennbaren Locken, die mal wieder in alle Richtungen vom Kopf abstanden. Er winkte mir zu und traf dabei prompt die Mutter eines Mitschülers am Kopf, die sich soeben auf Zehenspitzen gestellt hatte um ihren Sohn auf sich aufmerksam zu machen. Natürlich entschuldigte er sich sofort für den kleinen Unfall und redete so lange auf sie ein, bis ihn die Frau lächelnd beruhigte und ihm zum zehnten Mal versicherte, dass sie sich auch wirklich nichts getan hatte.

    Inzwischen hatte es auch meine Mama geschafft, sich mit den Zwillingen durch das Gedränge zu kämpfen.

    „Mara!"

    Die beiden kamen freudestrahlend auf mich zu gerannt und umarmten mich so schwungvoll, dass ich beinahe das Gleichgewicht verlor und nach hinten umkippte.

    „Wir haben dich vermisst", stellte Emilia fest und blickte mich mit ihren wunderschönen, großen, smaragdgrünen Augen an.

    „Ist das so?"

    Ich lachte und fuhr liebevoll durch ihre strohblonden Löckchen. Meine Schwester nickte und klammerte sich an meinen Arm, als befürchtete sie, ich würde nicht mit nach Hause kommen. Malte untersuchte derweil mein Gepäck und stellte enttäuscht fest, dass die Fanta-Flasche im Außenfach meines Rucksacks bereits leer war.

    „Pass auf, ich habe sogar etwas viel Besseres für euch gefunden", sagte ich zwinkernd und kniete mich auf seine Augenhöhe hinunter.

    „Echt?"

    Seine Augen strahlten vor Neugier. „Was denn?"

    „Später", antwortete ich geheimnisvoll und begrüßte nun endlich meine Eltern, die schon wieder in ein Gespräch mit Leonies Mutter Christiane verwickelt waren. Ihr Vater war Geschäftsmann und mal wieder auf Reisen. Er verbrachte viel Zeit im Ausland, und wenn er einmal zu Hause war, dann saß er die meiste Zeit im Büro in der Firma oder machte Homeoffice.

    „Na du Landratte, bist du auch nicht seekrank geworden?"

    Ich verdrehte lachend die Augen und boxte meinen Vater spielerisch gegen die breite Schulter. Er mimte wie immer den Schwerverletzten, umarmte mich, und griff dann nach meinem schweren Gepäck.

    Als wir uns endlich von Leonie und Christiane losreißen konnten war der Parkplatz wie leergefegt. Nur noch vereinzelt standen Schüler und Eltern herum, die entweder auf jemanden warteten oder ebenfalls in ein Gespräch vertieft waren. Mittlerweile war es halb sechs und schon fast dunkel. Ich vergrub das Gesicht in meinem großen Schal und steckte die Hände in die Jackentaschen. Der für Ostfriesland charakteristische Wind pfiff mir unangenehm um die Ohren, und ich zitterte nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Müdigkeit. Die Nächte auf dem Schiff waren deutlich kürzer als zu Hause gewesen und wer erst nachts um drei ins Bett ging, konnte am Morgen nun mal nicht erwarten, ausgeschlafen und voller Tatendrang in den Tag zu starten.

    „Mara, kommst du?"

    Erst als mich die Stimme meiner Mutter in die Realität zurückholte, merkte ich, dass ich mal wieder geträumt hatte.

    „Zum Auto geht es da lang."

    Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm nach rechts und zog mich sanft hinter sich her. „Zu wenig Schlaf, was?", fragte sie zwinkernd, und ich nickte mit halb geschlossenen Augen. Meine Lider waren schwer wie Blei, und am liebsten hätte ich mich auf der Stelle hingesetzt und ein kleines Nickerchen eingelegt.

    Das Auto stand zum Glück nur zwei Seitenstraßen entfernt, und der normalerweise eher unbequeme Ledersitz fühlte sich für mich heute an wie eine samtweiche, dreifach gepolsterte Wolke.

    „Spielen wir ein Spiel?", fragte Malte aufgeregt und rutschte aufgeregt auf seinem Kindersitz herum, als Papa den Motor startete.

    „Au ja, ich sehe was, was du nicht siehst!"

    Emilia war sofort einverstanden. Sie nickte begeistert und stupste mich von der Seite an.

    „Mara, aufwachen!"

    „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist dunkel", murmelte ich mit geschlossenen Augen und hörte mir die wild durcheinander gerufenen Vermutungen meiner fünfjährigen Geschwister an.

    „Das ist ein blödes Ding, maulte sie, als ich zum fünfzehnten Mal den Kopf geschüttelt hatte. „Jetzt bin ich dran.

    Emilia schaute neugierig aus dem Fenster und entdeckte einen Mann, der mit seinem kleinen Hund spazieren ging und das kleine Tier, das augenscheinlich viel lieber jedes Blatt und jeden Stein gründlich unter die Lupe nehmen würde, ungeduldig an der Leine hinter sich herzog.

    „Schau mal, ein Baby-Hund!"

    „Das heißt Welpe."

    „Woher weißt du das?

    „Was?"

    „Na, dass der Baby-Hund Welpe heißt."

    Ich seufzte und gab die Unterhaltung auf, da sie ja doch nur zu einer Diskussion ohne absehbares oder gar zufriedenstellendes Ende führen würde.

    „Mara? Mara, schau doch mal!"

    Sie zupfte an meinem Ärmel herum und zwang mich dazu, noch einmal die Augen zu öffnen. Ich seufzte, schaute mir den Mann mit Hund an und nickte dann mit fehlender Begeisterung. Doch das schien meine Schwester nicht zu stören, sie hatte bereits etwas Neues, viel Spannenderes entdeckt.

    „Ist das deine Schule, Mara?, fragte sie mit offenem Mund, als wir an dem riesigen Gebäude mit den vielen Fenstern und dem großen Sportplatz vorbeifuhren. „Wenn ich groß bin, darf ich dann auch hier in die Schule gehen?

    „Erstmal kommst du in die Grundschule und dann sehen wir weiter", antwortete ich und drehte eine ihrer blonden Löckchen um meinen Zeigefinger. Eine pinkfarbene Haarspange hing lose an einer einzelnen Strähne und baumelte bei jeder Bewegung hin und her.

    Wir bogen rechts ab, fuhren am Haupteingang vorbei und erreichten schließlich den Parkplatz, auf dem der Bus vor etwa einer Stunde gehalten hatte. Inzwischen waren alle Schüler abgeholt worden, und nichts erinnerte mehr an das turbulente Treiben, das dort vor nicht einmal sechzig Minuten geherrscht hatte. Ich schaute gedankenverloren aus dem Fenster, bis auf einmal eine dunkle Gestalt mit einem großen Koffer meine Aufmerksamkeit erregte. Mein Vater musste sie auch gesehen haben, da er kurz nach dem Parkplatz das Tempo drosselte und rechts an den Straßenrand fuhr.

    „Steht da noch jemand aus deiner Klasse?", fragte er, als er sich zu mir herumgedreht hatte. Ich zuckte mit den Schultern und schaute hinten zur Heckscheibe hinaus, konnte aber nichts erkennen.

    „Soll ich mal nachschauen?"

    Ich hatte mich schon abgeschnallt und war gerade dabei die Tür zu öffnen, als mein Vater mich zurückhielt.

    „Aber nicht alleine!"

    Ich verdrehte die Augen, doch er meinte es ernst.

    „Als ob mir hier an der Schule etwas passiert", flüsterte ich, beließ es aber dabei. Ich wollte jetzt wirklich keine Diskussion anfangen. Papa stellte den Motor ab und stieg aus dem Auto. Wir liefen zusammen die paar Meter zurück, bis ich die Gestalt wieder entdeckte. Erst als wir näherkamen erkannte ich Larissa, ein Mädchen aus meinem Stammkurs. Sie war ruhig, zurückhaltend und eher unscheinbar. Ich hatte bisher kaum ein Wort mit ihr gewechselt.

    „Larissa?, rief ich und lief ihr entgegen. Sie drehte sich zu mir herum und stolperte beinahe über den Rucksack der zwischen ihren Füßen stand. „Was machst du noch hier?

    „Meine Mama holt mich gleich ab. Sie hat sich bestimmt nur ein bisschen verspätet."

    „Sollen wir dich mitnehmen?", fragte ich mit einem Blick zu meinem Vater, der sofort nickte und mit dem Kinn aufs Auto deutete.

    „Nein, danke, sie schüttelte freundlich lächelnd den Kopf und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Sie müsste gleich da sein.

    Ich blickte fragend zu meinem Papa, der ihrer Aussage scheinbar genauso wenig Glauben schenkte wie ich.

    „Es ist wirklich kein Umweg. Du könntest deine Mama anrufen und ihr sagen, dass wir dich nach Hause bringen."

    Larissa antwortete nicht, doch ich ließ nicht locker. „Außerdem haben wir sowieso noch einen Platz frei, da wäre es doch unsinnig, Sprit zu verschwenden", sagte ich zwinkernd und damit hatte ich sie endlich überzeugt.

    „Also gut, aber nur wenn es wirklich keine Umstände macht."

    Sie stierte unsicher auf ihre Fußspitzen und ich hatte Mühe, ihre leise Stimme zu verstehen.

    „Auf keinen Fall, antwortete ich und griff nach ihrem Koffer. „Aber jetzt komm‘ endlich, hier draußen frieren einem ja die Finger ab.

    Tatsächlich hatte es seit Sonnenuntergang um einiges abgekühlt. Der Wind pfiff uns um die Ohren, und ich zog frierend die Schultern nach oben. Obwohl es erst Mitte Oktober war, fühlte es sich an, als hätten wir bereits Minusgrade, und ich fragte mich ernsthaft, wann es wohl zum ersten Mal schneien würde.

    Zusammen hievten wir Larissas Gepäck in den Kofferraum, verstauten es zwischen meinem Koffer und meinem Rucksack und kletterten dann nebeneinander in den VW-Bus. Der Motor knatterte, und das Licht im Autoinnenraum erlosch. Ich lehnte meinen Kopf gegen das beschlagene, eiskalte Fenster und gähnte. Obwohl ich so müde war, dass ich auf der Stelle hätte einschlafen können, hielt mich das aufgedrehte Geschnatter und Gekicher meiner kleinen Geschwister wach. Ich seufzte, schloss die Augen und versuchte vergeblich, die Hintergrundgeräusche auszublenden. Das Auto holperte über die Landstraße zwischen Emden und Greetsiel. Wir waren das einzige Fahrzeug weit und breit, die einzigen Lichter in der Umgebung.

    Manchmal stellte ich mir die Frage, wo ich wohl wohnen würde, hätten meine Eltern den alten Bauernhof an der Nordsee nicht gekauft. Hätte meine Mama die Stelle als Tierärztin nicht angenommen, wären wir vielleicht an das andere Ende von Deutschland gezogen? Hätte mein Papa dort ebenfalls eine eigene Schreinerei gehabt? Hätten wir dort unsere Tiere und das große Grundstück, auf dem sogar Oma und Opa ein eigenes Haus hatten? Oder säßen wir vielleicht zu sechst in einer Zweizimmerwohnung, dicht aufeinander, weil wir uns die hohe Miete für eine größere Immobilie nicht leisten konnten?

    Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Ich liebte Ostfriesland, liebte meine Freunde, die ich hier hatte und liebte den kleinen Fischerort, in dem wir wohnten. Ich konnte mir kein anderes, besseres Leben vorstellen als das, welches ich hier auf dem Bauernhof führte, den wir so mühevoll renoviert hatten. Bald würde auch der alte Stall fertig sein, an dem mein Vater zusammen mit seinem Papa in jeder freien Minute arbeitete. Im nächsten Sommer sollten aus dem alten Gebäude fünf Ferienwohnungen entstehen, die Eltern und ihren Kindern das Leben auf dem Bauernhof ein wenig näherbringen sollten. Anderen Menschen den Umgang mit und gegenüber Tieren beizubringen war seit vielen Jahren der Traum meiner Eltern und ich gönnte ihnen von ganzem Herzen, dass sie diesem Wusch schon so viel nähergekommen waren. Der Bauernhof am Rande Greetsiels war nun seit fast sechs Jahren unser Zuhause, doch es fühlte sich so an, als hätte ich in meinem Leben noch nie woanders gelebt.

    DREI

    Larissa saß auf der Rückbank des VW-Busses und schaute angespannt zur beschlagenen Scheibe hinaus. Mara lehnte auf der anderen Seite am Fenster und hatte die Augen geschlossen. Sie atmete in gleichmäßigen Zügen ein und aus und schien bereits friedlich zu schlafen.

    Larissa zog ihr Handy aus der Hosentasche und drückte mit dem Zeigefinger auf den kleinen Knopf an der Seite. Das Display leuchtete auf und gab den Blick auf das Hintergrundbild frei. Es war Sommer, der Geburtstag ihrer Oma. Larissa und ihre Geschwister saßen zu dritt auf der blau-weiß gestreiften Hollywoodschaukel und grinsten fröhlich in die Kamera. In der Hand hielt jedes der Kinder einen Stock mit zwei gebräunten Marshmallows, die sie gerade über dem Grill geröstet hatten. Der Bildschirm wurde wieder schwarz und beim Gedanken an Leni und Luis, ihre beiden Geschwister, die vermutlich zu Hause schon sehnsüchtig auf ihre Rückkehr warteten, wurde ihr ganz warm ums Herz. Sie ließ den Bildschirm erneut aufleuchten und versicherte sich zum zehnten Mal, dass das Handy auch wirklich Empfang hatte. Sie hatte ihrer Mutter eine Nachricht geschrieben, dass sie von einer Klassenkameradin mitgenommen wurde und sie sich nicht die Mühe machen müsse, Larissa vom Bus abzuholen. Sie solle mit den anderen zu Hause bleiben und dort auf sie warten. Dennoch beschlich Larissa ein mulmiges Gefühl, da es normalerweise gar nicht die Art ihrer Mutter war, zu spät zu kommen. Angelika Behrend war üblicherweise immer die Erste und lieber eine halbe Stunde zu früh als zu spät am vereinbarten Treffpunkt.

    Immer noch keine Nachricht. Larissa wurde langsam unruhig. Sie hatte fast eine ganze Stunde gewartet, bis Maras Familie sie aufgegabelt und mit nach Greetsiel genommen hatte. Mittlerweile fuhr das Auto bereits von der Schnellstraße ab, sie waren also fast zu Hause, doch ihre Mutter hatte sich noch immer nicht gemeldet. Larissas Telefon hatte vollen Empfang, und die beiden grauen Häkchen rechts neben der Nachricht verrieten ihr, dass sie bereits versandt und zugestellt worden war. Je weiter sie sich Greetsiel näherten, desto nervöser wurde das Mädchen. Sie nestelte nervös am Reißverschluss ihrer neuen Windjacke herum, während beide Beine unruhig auf und ab wippten.

    Maras Papa schaute in den Rückspiegel und suchte Larissas Blickkontakt. Sie riss sich zusammen, versuchte soweit wie möglich normal zu wirken, und lächelte ihm freundlich zu.

    „Sagst du mir, wo ich hinfahren muss?"

    „Kapitänsring 24", antwortete sie und leitete ihn bis ans Ende des kleinen Fischerortes. Das Haus der Familie Behrend stand ganz hinten, direkt an den angrenzenden Feldern. Schon Larissas Papa war hier groß geworden und mächtig stolz darauf, das Haus nach fast vierzig Jahren nun mit seiner eigenen Familie bewohnen zu können.

    Jürgen Kleefeld hielt am Straßenrand und stellte den Motor ab. Mara zeigte immer noch keine Regung, sie schien wirklich tief und fest zu schlafen. Larissa stieg vorsichtig über sie hinweg, bei jeder Bewegung darauf bedacht, das Mädchen nicht zu wecken.

    Draußen schlug ihr die kalte Meeresluft ins Gesicht und Larissa zog automatisch den Reißverschluss bis unters Kinn. Sie bedankte sich bei Maras Papa und versicherte ihm, dass sie den Weg bis zur Haustür alleine finden würde. Er gab nicht nach und bestand darauf, das Gepäck zumindest bis ans Gartentor zu tragen, wo sie ihn dann zum Glück doch überreden konnte, zurück ins Auto zu steigen. Larissa winkte ihnen nach, wartete bis der graue VW-Bus um die Ecke gebogen war und stand regungslos auf dem Kiesweg zwischen den Rhododendron-Büschen, bis das quietschende Gartentor hinter ihr ins Schloss fiel. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie, als sie mit schweren Schritten die Treppenstufen zur Haustür erklomm. Die Rollläden waren oben, die Vorhänge nicht zugezogen. Mittlerweile war es halb sieben und stockdunkel, doch im Haus brannte kein Licht. Larissa drückte auf den Klingelknopf und wartete eine gefühlte Ewigkeit, bis sie es erneut versuchte. Nichts tat sich. Sie lief ein paar Schritte nach rechts, stellte sich auf Zehenspitzen und spähte durchs Fenster in die Küche hinein. Der Raum war dunkel, doch sie konnte trotzdem die benutzte Teetasse erkennen, die neben der aufgeschlagenen Zeitung auf dem Tisch stand.

    Sie stieß sich von der Wand ab, lief wieder zurück zur Haustür und klopfte diesmal an die schwere Holztür. Obwohl sie keinerlei Hoffnung mehr hatte, redete sie sich ein, dass vielleicht nur die Klingel defekt war. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass die Elektronik in dem alten Haus versagte.

    Gerade als Larissa das Telefon aus der Hosentasche holen wollte, wurde die Tür auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgerissen und Helga Berger stürzte heraus. Sie winkte das Mädchen fröhlich zu sich herüber und empfing sie mit einer warmen Umarmung.

    „Larissa-Kind, wir haben uns solche Sorgen gemacht!"

    Sie musterte das Mädchen von oben bis unten und schüttelte besorgt den Kopf. „Wo bist du nur so lange gewesen?"

    Seit Larissa denken konnte gab es die nette Nachbarin, die mit ihrem Mann Walter und dem verschmusten Rauhaardackel Willy im Backsteinhaus gegenüber wohnte. Helga Berger war die Mutter von Papas bestem Freund, der mittlerweile jedoch mit seiner Frau in der Nähe von Mainz wohnte und nur noch selten zu Besuch kam. Seit sie in Rente war, passte sie öfter auf Larissas jüngere Geschwister auf, wenn beide Eltern arbeiteten und erst spät abends nach Hause kamen. Sie freute sich immer über Gesellschaft, backte den weltbesten Hefezopf und liebte es, die Nachbarskinder nach Strich und Faden zu verwöhnen.

    „Wir kamen ein bisschen später an als gedacht. Sie löste sich sanft aus der festen Umarmung und blickte vom schlechten Gewissen geplagt zu Boden. „Ich hätte mich melden sollen.

    „Das hätte uns ein paar besorgte Stunden und einen verbrannten Apfelkuchen erspart."

    Sie schüttelte den Kopf und versuchte, einen ernsten Tonfall zu halten, doch das verkniffene Lachen, das die Grübchen der älteren Dame noch stärker betonte, verriet eindeutig, dass sie viel mehr erleichtert als sauer war. „Aber du glaubst gar nicht, was sich alles mit ein paar Streuseln und einem guten Berg Sahne kaschieren lässt."

    Schmunzelnd fuhr sie durch Larissas lange dunkelbraune, fast schwarze Haare und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Ich nehme an, du hast nichts gegen ein gutes Stück Kuchen und einen heißen Kakao?"

    Larissa schüttelte voller Vorfreude den Kopf. Sie stellte ihre Stiefel neben die breite hölzerne Garderobe und hängte den Mantel an einen der wenigen freien Kleiderhaken. Aus der Küche drang der Duft von Äpfeln und Zimt in ihre Nase, und sofort fühlte sie sich ein bisschen entspannter. Wahrscheinlich hatten ihre Eltern im Krankenhaus mal wieder so viel zu tun, dass sie schlicht und einfach die Zeit vergessen hatten. Als OP-Ärzte kam es nicht selten vor, dass sie ein paar Überstunden einlegten, um sich um Notfallpatienten und längst überfällige Operationen zu kümmern. Die beiden waren jede Stunde, die sie im Krankenhaus verbrachten, mit Leib und Seele bei der Arbeit, und Larissa konnte ihnen nicht einmal verübeln, dass sie so wenig Zeit für ihre Kinder hatten.

    Wenn sie selbst die Möglichkeit gehabt hätte, Menschenleben zu retten, dann hätte sie diese bestimmt auch ergriffen.

    „Larissa!"

    Leni saß mit weit ausgebreiteten Armen auf der Eckbank in der Küche und empfing ihre Schwester mit einer freudigen Umarmung. Vor ihr auf dem Tisch lagen ein Stapel Papier, drei tropfende Pinsel und ein bunt verschmierter Wasserfarbkasten. Larissa setzte sich neben sie auf die Bank und betrachtete interessiert die vielen Kunstwerke, die zum Trocknen auf der Fensterbank lagen.

    „Das ist für dich!"

    Leni drehte sich herum und zog ein noch nasses Blatt herunter, das sich aus physikalischen Gründen natürlich sofort nach unten bog. Die Farbe lief in bunten Strömen an Lenis Hose hinunter und hatte sich keine zwei Sekunden später bereits in die helle Jeans gesaugt.

    „Ups", war alles, was das Mädchen zu sagen hatte, als ihre Schwester ihr reflexartig das Papier entriss und sie so vor noch mehr Schäden bewahrte. Larissa brachte das Gemälde vorsichtshalber außer Reichweite der Fünfjährigen in Sicherheit und verdonnerte sie zum Händewaschen. Als die Schwestern das Gröbste entfernt hatten, setzten sie sich nebeneinander an den nun wieder sauberen Küchentisch und warteten zusammen auf den himmlisch duftenden Apfelkuchen, den Helga Berger versprochen hatte.

    „Ich hatte eigentlich schon ein Stück, sagte Leni und blickte verschwörerisch zu Frau Berger hinüber, die ihren Blick genauso erwiderte, als hätten die beiden in ihrer Abwesenheit einen geheimen Pakt geschlossen. „Aber weißt du was? Weil ich die Streusel verteilt habe und sogar die Sahne gehauen habe, darf ich noch eins haben!

    Sahne geschlagen, nicht gehauen, dachte Larissa schmunzelnd und beobachtete, wie ihre kleine Schwester mit leuchtenden Augen die Sahne vom Kuchen löffelte, anschließend die Streuselschicht abpulte und jeden Krümel einzeln genoss.

    „Hallo, Erde an Larissa, Leni hatte sich auf die Bank gekniet, weit nach vorne gelehnt und wedelte nun mit der Gabel vor Larissas Gesicht herum. „Willst du den nicht mehr?

    Sie zeigte auf den Kuchen, der immer noch vor ihr auf dem Tisch stand und dem mittlerweile schon die Spitze fehlte.

    „Doch, den möchte ich noch, antwortete Larissa und schob sich ein großes Stück Apfelkuchen in den Mund. „Außerdem hattest du heute schon mehr als genug.

    „Man redet nicht mit vollem Mund", antwortete die Kleine frech und hüpfte mit einem Satz von der Eckbank.

    „Recht hat sie trotzdem, warf nun auch Frau Berger ein, die gerade die Spülmaschine mit dreckigem Geschirr belud. „Ich möchte ja nicht, dass deine Mama nachher mit mir schimpft, weil du mit schlimmen Bauchschmerzen im Bett liegst.

    „Aber ich verrate es ihr doch nicht", versuchte es Leni erneut. Doch auch der gut geübte Dackelblick mit den großen haselnussbraunen Augen konnte heute nicht überzeugen. Schmollend zog sie sich in die Ecke zurück und betrachtete staunend die vielen Magnete aus aller Welt, die in einem bunten Durcheinander am Kühlschrank hafteten.

    „Wann kommt Mama endlich und holt uns ab?"

    „Leni, das ist nicht fair", mischte sich Larissa ein, doch Frau Berger winkte grinsend ab. Sie wusste genau, dass die Kleine nur nach ihrer Mama fragte, weil sie ihren Willen nicht durchsetzen konnte und nun Eine gegen die Andere ausspielen wollte.

    „Ich bin mir sicher, dass sie bald Feierabend hat. Du weißt doch, dass Notfall-Operationen nicht einfach auf morgen früh verschoben werden können."

    „Bin ich kein Notfall?"

    „Nein, zum Glück nicht."

    Frau Berger beugte sich zu Leni hinunter und strich ihr den widerspenstigen, vor einiger Zeit selbst geschnittenen Pony aus dem Gesicht. Sie fixierte ihn mit einer pinkfarbenen Haarspange, die lose an einer Haarsträhne baumelte und strich ihr dann liebevoll über den Kopf. „Aber du bist ihre Tochter und deshalb bin ich mir ganz sicher, dass sie alles dafür gibt, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen."

    „Bist du dir da ganz sicher?"

    „Ganz sicher. Indianerehrenwort."

    Leni nickte zufrieden und setzte sich wieder neben ihre Schwester auf die Bank.

    „Ich glaube, wir sollten uns auch langsam auf den Weg machen und zu Hause auf Mama und Papa warten. Es ist schon fast acht, ihr solltet eigentlich gerade auf dem Weg ins Bett sein."

    Leni maulte nur kurz, als sie von Larissa sanft aus der Küche geschoben wurde, gab dann aber nach und bot sogar an, ihren Bruder aus dem Keller zu holen. Seit etwa drei Wochen nutzten er und Helgas Mann Walter jede freie Minute, die sie zusammen verbrachten, um die alte Märklin-Eisenbahn und das gesamte zugehörige Modelldorf auf Vordermann zu bringen.

    „Luis!", rief Leni und rannte dann die Kellertreppe hinunter.

    „Vorsicht!, rief Frau Berger, doch Leni war schon außer Hörweite. Sie schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und schüttelte den Kopf. „Irgendwann bricht sich dieser kleine Wirbelwind noch alle Knochen.

    „Solange ich sie heute heil ins Bett bekomme…"

    Larissa lachte und nahm ihre Windjacke vom Kleiderhaken. „Ich befürchte, der Zuckerschock reicht noch bis morgen Abend."

    Sie schulterte ihren Rucksack und beugte sich dann leicht genervt über das Geländer der Kellertreppe. „Leni, Luis? Wo bleibt ihr? Wir wollen heute noch zu Hause ankommen!

    Ungeduldig lief sie zur Tür und wartete darauf, dass sich der Junge endlich von der Eisenbahn trennte. Eine gefühlte halbe Stunde später standen sie tatsächlich draußen in der Kälte und verabschiedeten sich von Helga und Walter.

    „Danke, dass ihr auf Leni und Luis aufgepasst habt."

    „Aufgepasst? Nein, die beiden leisten uns doch nur Gesellschaft, nicht wahr?"

    Luis nickte und erzählte voller Stolz von der Eisenbahnbrücke, die er heute fast ganz alleine aufgebaut hatte.

    „Ach ja, und danke für den Kuchen!"

    Larissa drehte sich noch einmal um, als ihr Blick auf den mit Alufolie bedeckten Teller fiel, den sie hoch konzentriert auf der rechten Handfläche balancierte.

    „Vergiss nicht, kurz aufgewärmt schmeckt er am besten."

    „Das weiß ich doch", antwortete Larissa mit einem Zwinkern, bevor sie sich erneut verabschiedete. Der Kies unter ihren Füßen knirschte, als sie den schmalen Weg entlangliefen, der sich zwischen den gepflegten Beeten hindurchschlängelte. Jedes Mal, wenn der Koffer wieder an einem kleinen Steinchen hängen blieb und umzufallen drohte, fluchte sie leise, erntete dafür einen vernichtenden Blick ihrer fünfjährigen Schwester und entschuldigte sich sofort für die bösen Wörter, die im Hause Behrend strengstens verboten waren.

    Als sie es endlich geschafft hatte, mitsamt Gepäck auf der gegenüberliegenden Straßenseite anzukommen, wartete Luis bereits ungeduldig an der Haustür auf seine beiden Schwestern.

    „Da seid ihr ja endlich, ihr lahmen Enten! Ich warte schon seit Stunden und erfriere fast."

    Gespielt empört verschränkte er die Arme vor der Brust.

    „Du kannst mir jetzt entweder

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