Segelfahrterinnerungen 1850-70 - Richard Wossidlo befragte ehemalige Seeleute: Band 91 in der maritimen gelben Reihe bei Jürgen Ruszkowski
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Aus Rezensionen: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Baende reissen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefuehl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Baende erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. - oder: Saemtliche von Juergen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Buecher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veroeffentlich hat. Alle Achtung!
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Buchvorschau
Segelfahrterinnerungen 1850-70 - Richard Wossidlo befragte ehemalige Seeleute - Richard Wossidlo - 1859-1939
Vorwort des Herausgebers
graphics1Zu den von mir bevorzugt gelesenen Büchern gehören Dokumentationen zur Geschichte, Zeitgeschichte und Biographien. Seit etwa zwei Jahrzehnten sammle ich Zeitzeugenberichte, zunächst von Seeleuten, mit denen ich über Jahrzehnte in meinem Beruf als Diakon und Dipl.-Sozialpädagoge in einem Seemannsheim täglichen Kontakt hatte. So kam es, dass ich seit 1992 in etlichen Bänden Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensleuten aufzeichnete und zusammenstellte.
graphics2Dieses Seemannsheim leitete der Herausgeber von 1970 bis 1997
Die positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, weitere Bände zu gestalten Die gelbe Buchreihe enthält jedoch auch etliche nicht maritime Bände.
Diese Rezension findet man bei amazon: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke, Herr Ruszkowski.
Seit Jahrtausenden fahren Menschen mit Schiffen über die Meere: Phönizier machten schon vor über 3.000 Jahren vom heutigen Libanon aus weite Reisen bis in den Atlantik hinein, Griechen und Römer ruderten mit Galeerensklaven über das Mittelmeer, die Wikinger brachen von Norden aus zu neuen Ufern auf, die Ägypter drangen früh bis zum Fernen Osten vor, später arabische Dhaus. Hansekaufleute schufen durch Handel und Seefahrt auf Koggen Reichtum in den Städten Mittel- und Nordeuropas, Portugiesen und Spanier suchten und fanden vor fünfhundert Jahren ihr Glück an neuen Küsten und Kontinenten. Auch die Briten eroberten ihr koloniales Imperium auf Schiffen. Die vielen Schiffsbesatzungen aller Zeiten und Völker setzten sich immer aus einzelnen Menschen zusammen. Mit Menschen und ihren Einzelschicksalen haben wir es zu tun, wenn wir die großen historischen und die alltäglichen Taten in der Geschichte und Gegenwart der Seefahrt betrachten. Die Seefahrt brachte in Jahrhunderten eine eigene Kultur hervor, die sich in der Zeit der Segelschifffahrt entwickelte.
Die alte Segelschiffepoche oder die Zeit der Kohlendampfer hatte aus unserer heutigen Sicht zwar auch ihre Reize und Faszination. Wir sehen sie gerne durch eine romantische Brille. Das Leben an Bord war aber für die dort tätigen Menschen oft sehr hart und entbehrungsreich (siehe auch Band 4 dieser gelben Buchreihe!). Die Devise hieß: Navigare necesse est – „Seefahrt ist not!" – Aber ebenso galt: Seefahrt ist Not!
In diesem Band 91 stelle ich das maritime Werk des 1939 verstorbenen Nestors der mecklenburgischen Volkskunde Richard Wossidlo neu vor, der Seefahrer aus Fischland, Warnemünde und Wismar über ihre Zeit auf Segelschiffen befragte hatte. Die Antworten der Fahrensleute wurden in ihrer niederdeutschen Mundart up Plattdütsch notiert. Die Texte waren als Buch 1940 – 1951 – 1980 bei Hinstorff in Rostock – und 2005 immer wieder neu aufgelegt – unter dem Titel Reise Quartier in Gottesnaam erschienen. Jürgen Coprian, Star-Autor in der maritimen gelben Buchreihe machte mich darauf aufmerksam.
Hamburg, 2017 Jürgen Ruszkowski
graphics3Der Autor Richard Wossidlo
graphics4https://rezitante.files.wordpress.com/2011/01/wossilo-kopie.jpg
Richard Wossidlo wurde als viertes Kind des Rittergutsbesitzers Alfred (Ferdinand) Wossidlo (1830–1863) und dessen Ehefrau, der Gutsbesitzertochter Mathilde Dorothea Kohrt (1834–1916), in Friedrichshof bei Tessin geboren. Wossidlos Geburtsort ist seit 1971 Wüstung.
graphics5https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Wossidlo
Auf den Höfen seines Großvaters bei Waren (Müritz) und seines Onkels in Körkwitz bei Ribnitz wurde er schon früh mit der Mundart der arbeitenden Landbevölkerung (der Tagelöhner etc.) und den Traditionen der ausklingenden Vormoderne vertraut. Bei der Volkszählung in Mecklenburg-Schwerin im Jahr 1867 wurde er zusammen mit seiner bereits verwitweten Mutter Mathilde und seinen Geschwistern Emma und Carl als Einwohner der Stadt Bützow registriert.
graphics6Nach dem Abitur an der Großen Stadtschule in Rostock (1876), wo ihn Karl Ernst Hermann Krause für das Niederdeutsche gewann, studierte Wossidlo bis 1883 Klassische Philologie an der Universität Rostock, Leipzig und Berlin. Eine bei Richard Foerster begonnene Dissertation auf dem Gebiet der griechischen Sprache blieb unvollendet. 1883 erwarb er die Befähigung für Latein und Griechisch in der Oberstufe. Nach seiner Probanduszeit, dem Probejahr, in Wismar ging Wossidlo 1886 an das Gymnasium in Waren (Müritz), wo er zwar bis 1924 im Schuldienst blieb, jedoch schon seit 1922 für seine Forschungen freigestellt war und den Lehrerberuf nicht mehr ausübte.
1908 wurde er zum Gymnasialprofessor ernannt. In der Heimatbewegung Mecklenburgs wurde Wossidlo zur wichtigen Symbolfigur. Im Nationalsozialismus war er bestrebt, seine volkskundlichen Projekte weiterzuführen, stand jedoch rassistischem Ideengut und der NS-Partei fern.
Seine Leidenschaft, der er über 50 Jahre eifrig nachging, war allerdings das volkskundliche Sammeln und Forschen, für das er auch große Teile seines Vermögens opferte. Ab 1883 bereiste Wossidlo nahezu jeden Ort Mecklenburgs und hielt die kulturellen Traditionen, wie zum Beispiel Geschichten, Liedgut, Bräuche, Arbeitsweisen und Lebensformen schriftlich auf kleinen Zetteln fest. Er schrieb das, was ihm von seinen Landsleuten berichtet wurde, auf handtellergroße Notizzettel, die dann gut sortiert nach Sachgruppen und Orten in seinem „Zettelkastenarchiv" landeten. Daraus entstand eine weite Sammlung, die Grundlage für seinen Beitrag zum Mecklenburgischen Wörterbuch wurde.
Richard Wossidlo erhielt zahlreiche Preise. Darunter zweimal den John-Brinckman-Preis der Hansestadt Rostock, die Große Medaille für Kunst und Wissenschaft des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft der Regierung Mecklenburgs (1934) und die Leibniz-Medaille. Wossidlo war sowohl Ehrensenator als auch Ehrendoktor der Universität Rostock, sowie Ehrenbürger der Stadt Waren (Müritz).
graphics7http://images.google.de/imgres?imgurl=http://www.folklore-ribnitz.de/Folklore/Wossidlo.jpg&imgrefurl=http://www.folklore-ribnitz.de/Folklore/Wossidlo.htm&h=256&w=337&tbnid=nhMQq7lb7LnaWM:&vet=1&tbnh=93&tbnw=122&docid=8HCYIV9C8K7GvM&client=firefox-b&usg=__ax4cX0MbPqNyx-p_Nk_qNTmGbTA=&sa=X&ved=0ahUKEwjqwp_a__3QAhVQdVAKHSXjAv8Q9QEIdTAN
Vorwort des Autors
Um die Erinnerungen an eine für immer entschwundene Welt lebendig zu erhalten und der Heimatkunde und Sprachwissenschaft nutzbar zu machen, habe ich in den letzten Jahrzehnten an der mecklenburgischen Küste das niederdeutsche Seemannsleben eingehend erforscht, so schwer es auch der Landratte wurde, sich in die fremde Welt einzuleben.
Auf den folgenden Blättern gebe ich von der Ausbeute eine kleine Probe. Mein Ziel war, das Seemannsleben aus der Zeit der mecklenburgischen Segelschifffahrt, soweit sie noch in der Erinnerung der Alten lebendig ist oder war, zu schildern (also aus der Zeit um 1850 bis 1870). Nichts ist aus Büchern entlehnt, Marine und Dampfer scheiden aus. Die frühere Ausdehnung und den Niedergang der Segelschifffahrt, das Reeder- und Partenwesen und ebenso die allmählichen Veränderungen im Bau der Schiffe und in der Anordnung der Schiffsräume konnte ich nur streifen. Das Lotsenwesen, die Navigation, die Einteilung in Klassen musste ich beiseite lassen.
Die ganze Seemannssprache kann ich auf dem beschränkten Raum, der mir zur Verfügung steht, natürlich nicht darstellen – so erwünscht das auch wäre. Das ja meist aus Büchern geschöpfte Werk von Kluge („Seemannssprache") gibt nicht im Entferntesten ein Bild von dem reichen Leben, das sich hier auftut. Die Ausdrücke für Wind, Welle, Wetter, Mond usw. hat Kluge wenig herangezogen. Sogar von den Namen der einzelnen Schiffsteile fehlt vieles. Der seemännische Aberglaube und die Seemannssagen sind, soweit ich weiß, in Deutschland bisher überhaupt nicht in größerem Umfang gesammelt worden.
Die Äußerungen meiner Gewährsmänner –- alter Matrosen, Steuerleute und Kapitäne, die mir aus ihren Erinnerungen heraus die früheren Zustände schilderten – ließ ich unverändert, um dem ganzen Bilde den Charakter der Echtheit zu bewahren.
Dass viele der von mir dargestellten Bräuche nicht auf allen Schiffen geübt wurden, ist selbstverständlich. Die Ortsangaben habe ich fortgelassen, weil eine solche Quellenangabe ermüdend wirken würde und Unterschiede der einzelnen Gegenden nicht erkennbar sind. Das meiste stammt aus Warnemünde und Wustrow, einiges auch aus Wismar, Dändorf, Dierhagen und anderen Orten der mecklenburgischen Ostseeküste.
Beschränkung auf Mecklenburg war notwendig, sonst wäre die Arbeit uferlos geworden. Aber bei dem ständigen Wechsel der Mannschaft, die aus allen Gebieten der deutschen Küste stammte, wird im großen und ganzen das für die mecklenburgische Seefahrt gezeichnete Bild auch für die andern Küstengebiete zutreffen.
Ich wage zu hoffen, dass das Buch in den Kreisen der Seeleute eine gute Aufnahme finden und dass auch darüber hinaus das bunt bewegte Bild aus alter Zeit allen Freunden niederdeutschen Volkstums Freude machen werde.
Wenn unner de Lesers oll Lüd mank sien süllen, dee vör viertig bet föfftig Johr sülben as Kaptain oder Madroos up een von de mäkelborger Schäpen fohrt hebben – viellicht gor weck von mien Frünn’ in Warnmünd, in de Wismer, in Wustrow, dee mien Lihrmeisters wäst sünd –, denn roop ik dee den ollen mäkelborger Seemannsgruß to, as he früher up 't Fischland Mod wier: Woll to seihn!
Waren (Müritz), 1929/1939
Richard Wossidlo
graphics8Rückblick
Als schon viele Jahre hindurch Dampfschiffe die Weltmeere überquerten, erlebte die Segelschifffahrt der deutschen Ostseeküste eine Spätblüte.
graphics9Das bürgerliche Zeitalter hatte zu einem kräftigen Aufschwung von Handel, Gewerbe und Industrie geführt. Die Beförderung der Waren stand als Gewinn versprechende Aufgabe vor dem Transportgewerbe zu Wasser und zu Lande. Da sich die Dampfschifffahrt zunächst zögernd und ungleichmäßig entwickelte, hatten vorerst andere der Forderung des Tages zu genügen: das Segelschiff und sein Besatz. Es war dies das letzte Mal in einer langen und bewegten Schifffahrtsgeschichte, die in den Tagen der Hanse einen Höhepunkt erreicht hatte und auch während der folgenden Jahrhunderte immer ein Stolz der Küstenländer gewesen war. Die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts beschrieb das letzte Blatt des Logbuchs der Segler mit kräftigen Zügen.
Fünfzig Jahre später – die alte Herrlichkeit war längst dahin – mochte es dem einstigen Segelschiffer so scheinen, als habe der Seemannsberuf nicht für alle Zeit gleiche Bedeutung: De Seemann hadd ’n groten Wiert früher. Tatsächlich musste einem Rückblick aus der Zeit um 1930 die Blütezeit des Seehandels der 1850er bis 1870er Jahre als schlechtweg unvergleichlich erscheinen. Da schwärmten alte mecklenburgische Kapitäne von ihren Fahrten ins Schwarze Meer, wo man aus Odessa, Rostow, Tanganrog Weizen nach England brachte: Kort vör un ’n bäten na den französischen Krieg hebben de lütten Briggschäpen swores Geld verdeent mit de Swartsee-Fohrt. Doormals hett ’n’ Schipp, wat in de Fohrt wäst is, oft so väl verdeent, dat dat halwe Schipp betahlt wäst is.
graphics10Augenfällig war besonders der Aufschwung, den die Rostocker Handelsflotte nahm. Noch lange lebte die Erinnerung daran: Früher legen hier in Warnmünd in’n Frühjohr dree Schäpen een an ’n anner langssiet – so vull wier de Strom. Wenn all de Schäp frühjohrs in Warnmünd liggen deden, dat sehg grad so ut, als wenn ’n in ’n Ellerbrook kiekt. Rostock wier gor nich to sehn vör luter Masten. – Rostock hadd vierhunnert Schäpen, meist grote Barken un Briggen. – Rostock hett in de höchste Tiet vierhunnertachtuntwintig Schäpen hatt. Und schließlich: Rostock hadd fiefhunnert Schäpen.
So spricht die Erinnerung, und sie hat nur wenig übertrieben, denn Rostock hat als Höchstzahl tatsächlich dreihundertachtundsiebzig Schiffe mit 105.554 Netto-Register-Tons gehabt; es kam der Schiffszahl nach unter den deutschen Seestädten gleich nach Hamburg.
graphics11Hansestadt Rostock
Nicht ganz so bedeutend wie Rostock war Wismar. Immerhin herrschte auch hier ein lebhaftes Treiben im Hafen: In mien jungen Johren hadd Wismar dreeunföfftig Schäpen, meist mit Kahlen, de Holtfohrt wier weniger. – So ’ne Fohrt wier früher up Wismar.
Hoch bedeutend war die Seefahrt auf dem Fischland, wo doch erst im 18. Jahrhundert der Drang zur See eingesetzt hatte. Zuvor waren Landwirtschaft und etwas Fischfang auf dem Bodden die einzigen Erwerbszweige gewesen.
Schon 1832 aber meldete das „Freimüthige Abendblatt": sechsundneunzig Schiffe besitze das Fischland jetzt, vor siebzig Jahren sei noch kein einziges dort gewesen. Und was sagt der Seemann? Hunnertfief Schäpen hett Wustrow hatt in de beste Tiet.
In de 1870er Johren hebben Wustrower Schippers Schääp in England köfft.
graphics12Wustrow
Nicht anders war es im benachbarten Dierhagen. Hier in Dierhagen sünd achtuntwintig Schippers wäst, berichtet der eine, und ein anderer stellt sogar fest: 1857 wieren in Dierhagen soebenunviertig Schäpen, dee in Fohrt wieren.
Aus Dändorf liegen folgende Berichte vor: In Dändorf waren in meiner Jugend zweiundfünfzig Häuser, davon besaßen sechs Bauern, ein Müller, ein Schmied, drei Arbeiter je ein Haus, alle übrigen gehörten Seeleuten. – Dändörp wier de riekste Uurt up ’n Fischland, so bi viertigdusend Mark rüm hadd jeder Schipper, oft ok mihr.
Soweit die Blütezeit der Segelschifffahrt in der Erinnerung. Dem großen Geschäft (Soebenteihn bet twintig Prozent hebben de Schäpen bröcht) folgte die Krise. Und dies sind erinnernde Berichte über den beginnenden Verfall: Utgangs von de achtziger Johren güng de Sägelschippfohrt daal. Bi 1890 rüm sünd de Schäpen all verköfft na Sweden un Nuurwägen. Wat wi in Düütschland nich mihr bruken künnen, dat kreegde Skantehuw (so säden wi to den Sweden); dat wier so von 1885 bet 95. De Memeler un Danziger köfften ok Mäkelbörger Schäpen up, oewer am meisten de Sweden. –
graphics13links das Fischland um 1761 – Grenzlinie zwischen Mecklenburg und Pommern
Nienhagen, Wustrow, Ribnitz gehörte zu Mecklenburg – Dammgarten, Prerow, Zingst und Barth zu Schwedisch- bzw. Preußisch-Pommern
graphics14Türverglasung – Prerow – Foto von Jürgen Ruszkowski
De Schippshändler Paul Gramp in Rostock up ’n Borgwall hett donntomal väl Schäpen köfft un verköfft. He köffte de ollen Schäpen un verköffte se an de Sweden. Se würden ’n bäten upfient, alle Löcker tostoppt un oewersmeert.
Manchmal erkannten in späteren Jahren die ausgedienten Seeleute, die ihr täglicher Gang in den Hafen führte, ihr altes Schiff voller Stolz und Trauer wieder: Den Haifischswanz heff ik noch sülben an ’t Boogspriet annagelt. Und die Geschäftsleute klagten: Wat is de Welt retour gahn, wat bröcht so ’n Schipper Nohrung in de Stadt!
Die alten Seeleute empfanden auch schmerzlich den Rückgang der alten Bräuche auf den Schiffen. Früher wier dat all in den Gang mit den ollen Seemannsbruuk, nu hett sik de Welt dreiht. – De ollen Seemannsbrüke hadden sik oewerläwt – dat wier vör dissen. Vielen Jüngeren standen die Bräuche so fern, dass auf meine Frage ein Seemann meinte: Dee Moden sünd woll vör Christi Geburt wäst. Andere sagten: To mien Tiet – so bi 1900 rüm – wier dat all mihr utstorben. Dat wier all all in ’n Vergäten, as ik jung wier.
graphics15Der Raddampfer SIRIUS überquerte als erster den Atlantik
Mit Geringschätzung schaut so ein alter Segelschiffer auf den Dampferbetrieb herab: Nu kann jo jeder Buerknecht to See fohren. Nu is dat jo bloot noch Winnschendriben un Farwwaschen un an ’t Roder stahn. Hüüt up ’n Damper lihrt so ’n Jung jo wider nicks as ’n Bessen anfaten un mit ’n Pinsel ümgahn.
graphics16Kalenderblatt der Seeberufsgenossenschaft
So ’n Madrosen as früher gifft dat jo nich mihr. Hüüt kann ’n oll Wiew ’n Schipp roewerbringen. Und krass ausgedrückt: Früher geew dat höltern Schäpen un isern Madrosen, nu gifft dat isern Schäpen und höltern Madrosen. – Bi ’n Damper heit dat: Vullkraft voraus! Oewer ik müsst dat Schipp – nach dem Tod des Kapitäns – mit Sägel roewerbringen, erzählte stolz ein früherer Steuermann.
Klingt aus solchen Worten die Hochschätzung der gewiss schweren, aber doch vielseitigen Arbeit auf den Segelschiffen, so tadelte man an der Dampfschifffahrt auch die Eintönigkeit und Hetze bei der Arbeit. Man wier mihr Minsch up ’n Sägelschipp. Nu heit dat: Rin in ’n Haben un wedder rut. Bi de Sägelschippfohrt künn man sik doch mal verpusten, nu geiht dat jo all mit de Klabatsch.
Der wirtschaftliche Rückgang am Jahrhundertende wird aus der Sicht von 1930 auf die Maschine zurückgeführt. Früher wier Handel un Wandel un Arbeit, de Maschinenkraft verdarwt uns. Dor hett sik dat sammelt mit de Fracht, dat se wat to doon hadden. Hüüt ward Winter un Sommer fohrt – dat is jo grad de Verdarw. Ob hier nicht ein früherer Segelschiffreeder seine qualmende Konkurrenz doch ein wenig verkannt hat? Überlassen wir die Entscheidung über Wert und Schönheit der Segelschifffahrt dem Urteil der Fahrensleute!
graphics17Die Fahrensleute - Anmustern und Heuer
Um als Matrose oder Steuermann auf ein Schiff zu kommen, eine Schanz zu erhalten, bedurfte es vor hundert Jahren keines besonderen Arbeitsvertrages: Up goot Wuurt würden se anmustert früher. Auch die Arbeitsvermittlung selbst will uns heute merkwürdig erscheinen: De Madrosen hadden in Rostock ehren Gang von de Blootstrateneck an ’n Rathuus roewer, dor würden se denn anspraken. De Madrosen güngen dor, wo de Botterwagens hölen, up un daal – de Stüerlüd uppe anner Siet, wo de Laden von Schomann is. Denn kemen de Schippers un hüerten sik dor de Lüd. Wenn se man ierst eenen hadden, dee besorgte denn de annern. – Wenn Seelüd in Rostock in ’n Winter to Huus wieren, güngen se morgens von Klock nägen bet teihn up ’n Markt spazieren un vertellten sik wat. Se güngen in de Midd von ’n Markt von ’n Schoren na de Blootstraat hen. Denn keem de Hüerbaas. Denn frögen em de Madrosen: Hest du ’ne Schanz? Ja, up dat un dat Schipp. Dee em goot spicken deden, würden vörtreckt. Kröpelin, Feihstel un Stahl wieren de dree Hüerbaase in Rostock. Einen solchen Stellenvermittler für Seeleute hat es offenbar nicht immer gegeben. Hier in Wismar würd früher uppe „Schippergesellschaft" in de Hog’straat mustert un afmustert. Naher ded sik hier ok ’n Hüerbaas up.
Man begann schon sehr früh im Jahr mit dem Anmustern der Mannschaft. Wenn ’t Fastelabendsmarkt wier hier in Wismar, würden de Seelüd mustert. In Warnmünd söchte sik de Schipper enen ölleren Madrosen, dee den Besatz tosamen sammeln ded.
Auf dem Fischland, wo sich Schiffer und Matrosen in den Dörfern im Winter täglich trafen, ging das Anheuern natürlich besonders zwanglos vor sich, und ein Vermittler war lange unnötig. Ik heff nie ’n Hüerbaas bruukt, von jung an nich. Ik heff mi ümmer sülben meld’t. – As de Wustrower Schäpen verköfft würden, müssten wi na ’n Hüerbaas in Rostock. Vörher verhüerten wi Olthäger uns sülben in Wustrow.– De Oewerwaterschen (de Fischlänner) kemen mit ’t Fährboot oder mit ’n Buern sinen Gootwagen hierher na Ribnitz.
graphics18Im benachbarten pommerschen Wustrow gibt es viele alte Kapitäns-Häuser mit wunderschön behalten Haustüren – Foto von Jürgen Ruszkowski
Im Gegensatz zum Fischland gab es auf dem Darß wenig Schiffer; deshalb kamen Darßer jedes Jahr in großer Zahl nach Wustrow, was damals besonders auffiel, weil sie aus dem „Ausland" über die Grenze kamen. Wi hadden ümmer preußsche Lüd an Buurd von’n Darß. Dee kemen Winters oewer Ies un verhüerten sik hier in Wustrow bi de Schippers. De Darßer sünd schowenwies na Wustrow gahn un hebben sik dor verhüert. Een hett mal to minen Vadder seggt: In ganz Mäkelborg is keen Schanz to krigen as bi Daniel Dade mit de groten Toppsägel (dee sünd nich fasttokrigen wäst, dorüm hebben se up dat Schipp nich up fohren wullt). – De Darßer kemen oft all bi Harwstdag un möken sik hier fast. Es wird aber auch berichtet: De Darßer kemen in ’n Frühjohr, as de Seelüd üppig wieren, in blaugaschen Ünnerjacken un verhüerten sik hier in Wustrow as Madrosen. Denn säden wi: De Darßer hungert.
Die Erinnerung an Zeiten der Arbeitslosigkeit kehrt in den Erzählungen der Alten immer wieder. Een Tiet lang wier slecht weggtokamen na buten, väl künnen keen Schanz krigen. Dor wieren tietwies mihr Katten as Graden (mihr Adeboors as Poggen), das heißt, mehr Matrosen als Stellen auf den Schiffen. Stüerlüd geew dat ’ne Tietlang so väl – dee hebben twee un dree Mond umsüss führt. So hebben se den Hüerbaas smeren müsst. Ik hadd mien Stüermanns-Examen maakt, oewer ik künn keen Schanz krigen as Stüermann; dor heff ik as Madroos fohren.
Glücklichere Zeiten, wo „de Seelüd nich üppig" waren, gestatteten es den Matrosen, vorsichtig in der Wahl ihres Schiffes zu sein. De Schipper säd woll, wenn he hüern wull: Mien Schipp hett ’ne nie Kombüüs krägen, Äten und Drinken is goot. De Hüerbaas Lübke in Ribnitz säd oft to de Madrosen: Witten Kohl un Hamelfleesch, is dat nich 'n goot Äten? Ja, hebben de Madrosen denn seggt, wie krigen ’t man nich!
Eine zweite Hauptbedingung – typisch für den Fahrensmann, dass es erst die zweite nach gutem Essen war– bestand darin, ein tüchtiges, seefestes Schiff zu finden, keinen „Seelenverkäufer". De Hüerbaas säden oft ut Spaß, wenn se ’n Schipp laben wullen: Dee is kopperfast bet an de Brammsaling oder bet an ’n Flaggenknoop. – De Hüerbaas Lübke in Ribnitz säd to de Madrosen, dee he anhüern wull: Kopper bet an de Brammsaling, Schipp stüert mit ’n Rad.
Der Heuerbaas hatte allerdings Interesse daran, das Schiff zu loben, denn: De Hüerbaas kreeg von ’t Schipp betahlt. So hatten die Heuerbaase, um zu Geld zu kommen, in der Anwendung der Mittel oft ein sehr weites Gewissen, und die Seeleute bedachten sie mit entsprechenden Beinamen: „Rundbrot würd de Hüerbaas Feihstel nennt – dat wier so ’n lütten Dicken. „Haifisch
wier Kröpelin, dee läwt noch – dat wier so ’n Groten. Een Hüerbaas würd ok „Seelenverköper" schullen.
Häufig geschah es, dass ein Schiff, das mit vollständiger Besatzung ausgelaufen war, unterwegs Leute verlor. Es war dann schwierig, Ersatz zu bekommen, und was sich meldete, wurde angenommen. Wenn n Schipp ut de Dock keem un hadd nich noog Lüd – wenn von den Besatz weck utbimmst wieren –, denn stünnen dor uppe Dockpier Seelüd mit ’n Bünzel unnern Arm un frögen, ob se an Buurd künnen. Dat nennten wi up engelsch „Pierhettjumpers (pier head jumpers). Dee würden denn in ’n nächsten Haben mustert, wenn se an Buurd bliben wullen. Dabei dürfte es sich häufig um „Abgelaufene
gehandelt haben.
Durch das Neuanmustern in fremden Häfen kam es natürlich zu einer internationalen Mischung, was auch im Sprachlichen seinen Niederschlag fand: Wenn väl aflopen wieren un anner Lüd in de Habens anmustert wieren, denn wier ja alles een mank "n anner - denn würd engelsch spraken.
Es kam in jener Zeit Wohl ziemlich selten vor, dass mecklenburgische Seeleute desertierten: Aflopen, an Land stiegen, utstiegen, oewer de Reeling gahn - das waren die seemännischen Ausdrücke hierfür. Es fanden sich jedoch immer einzelne, die heimlich vom Schiff gingen: Dat gifft jo ümmer
weck, dee na de Welt rin willen, dee lopen af.
Wenn een leddig un los wier, wier dat Aflopen jo nich gefährlich, oewer wenn een Fru un Kinner hadd, wier dat bäter, wenn he nich aflopen ded (von wegen „Treckschien). – Dee ’n bäten perrt wieren an Buurd, wiel se nich väl verstünnen, dee sägelten gliek oewer Buurd, wenn wi in ’n Haben ankemen. Bi ’t Schippfastmaken lepen öfter all weck wegg. Solche Flüchtlinge wurden von den anderen Matrosen gering geachtet. Man vermisste bei ihnen den rechten „Murr
: Een Johr kann ’k uthollen, un wenn ’k