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Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim: Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensleuten aus
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Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim: Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensleuten aus
eBook415 Seiten4 Stunden

Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim: Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensleuten aus

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Über dieses E-Book

Was wäre die Seefahrt ohne Seeleute? Der zwiespältige Ruf des Seemannes in unserer Gesellschaft gibt oft zu Fehleinschätzungen Anlass. Christliche Seefahrt und die Menschen an Bord in den 1950er bis 90er Jahren, darüber weiß Jürgen Ruszkowski zu berichten, der 27 Jahre lang als Diakon und Dipl.-Sozialpädagoge das größte deutsche Seemannsheim in Hamburg am Krayenkamp leitete und dort Tausenden Seeleuten aus aller Welt begegnet ist. Einige dieser Menschen portraitiert er in diesem Buch nach Interviews in authentischen Lebensberichten. Woher stammen sie? Wie kamen sie zur Seefahrt? Was erlebten sie an Bord und auf ihren Reisen? Band 1 in der inzwischen umfangreichen maritimen gelben Buchreihe von über 60 Bänden.
Ein Schifffahrtsjournalist urteilt: "In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und enga-giert. Storys von der Backschaftskiste voll Lebenslust, Leid und Tragik. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs."
Ein Leser: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! - Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Apr. 2014
ISBN9783847682202
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    Buchvorschau

    Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim - Jürgen Ruszkowski

    Vorwort

    des Herausgebers

    Seit Jahrtausenden fahren Menschen mit Schiffen über die Meere: Phönizier machten schon vor über 3.000 Jahren vom heutigen Libanon aus weite Reisen bis in den Atlantik hinein, Griechen und Römer ruderten mit Galeerensklaven über das Mittelmeer, die Wikinger brachen von Norden aus zu neuen Ufern auf, die Ägypter drangen früh bis zum Fernen Osten vor, später arabische Dhaus. Hansekaufleute schufen durch Handel und Seefahrt auf Koggen Reichtum in den Städten Mittel- und Nordeuropas, Portugiesen und Spanier suchten und fanden vor fünfhundert Jahren ihr Glück an neuen Küsten und Kontinenten. Auch die Briten eroberten ihr koloniales Imperium auf Schiffen. Die vielen Schiffsbesatzungen aller Zeiten und Völker setzten sich immer aus einzelnen Menschen zusammen. Mit Menschen und ihren Einzelschicksalen haben wir es zu tun, wenn wir die großen historischen und die alltäglichen Taten in der Geschichte und Gegenwart der Seefahrt betrachten.

    Die alte Segelschiffepoche oder die Zeit der Kohlendampfer hatte aus unserer heutigen Sicht zwar auch ihre Reize und Faszination. Wir sehen sie gerne durch eine romantische Brille. Das Leben an Bord war aber für die dort tätigen Menschen oft sehr hart und entbehrungsreich (siehe Band 4 dieser gelben Buchreihe!). Die Devise hieß: Navigare necesse est – „Seefahrt ist not!" – Aber ebenso galt: Seefahrt ist Not!

    Der bedeutende Hamburger Theologe, Diakonie-Praktiker und Sozialpolitiker Johann Hinrich Wichern forderte schon vor über 150 Jahren in seiner Stegreifrede auf dem Kirchentag in Wittenberg im Jahre 1848 und später immer wieder, die Kirche und ihre Diakonie dürfe die Seeleute in ihrer seelischen und sozialen Not nicht vergessen. Vor über 100 Jahren entwickelte sich daraus, englischen und amerikanischen Vorbildern folgend, die Deutsche Seemannsmission, die sich seither weltweit in vielen Seemannsheimen und Seemannsclubs um deutsche und Seeleute aus aller Welt kümmert.

    Der Mensch an Bord und der Mensch im fremden Hafen, in der unbekannten großen Stadt, dieser Mensch stand immer im Mittelpunkt der Hilfsangebote der Seemannsmission, die sich um Seeleute kümmerte, die in der Fremde heimatlos in soziale und seelische Nöte gerieten.

    In der deutschen Seefahrt waren in ihrer Blütezeit und der der Seemannsmission vor Ausbruch des ersten Weltkrieges etwa 100.000 Menschen beschäftigt. Weitere 20.000 deutsche Seeleute arbeiteten unter fremden Flaggen. Auf einem Überseepassagierlinienschiff fuhren 1913 etwa 1.000 Mann Besatzung.

    Wenn auch nicht mehr jeder deutsche Knabe einen Matrosenanzug trägt, wie einstmals, so ist doch seit der wilhelminischen Zeit her in unserer Gesellschaft trotz des Niederganges und der gewaltigen Strukturveränderungen der deutschen Seeschifffahrt in den letzten Jahrzehnten bei vielen Menschen immer noch ein romantisch verklärtes Interesse an der Seefahrt vorhanden, was seinen Niederschlag an der Langlebigkeit der Hafenkonzert-Rundfunksendungen, der Hans-Albers- und Freddy-Romantik findet.

    Als Diakon und Diplom-Sozialpädagoge leitete ich 27 Jahre lang von 1970 bis 1997 das große deutsche Seemannsheim der Seemannsmission in Hamburg am Krayenkamp neben dem Michel – ein berufsspezifisches 140-Betten-Hotel für Fahrensleute – und hatte in dieser Zeit Kontakte mit Tausenden Seeleuten aus aller Welt. Dabei bestätigte sich mir immer wieder, dass es kein einheitliches Bild „des Seemannes gibt. Sehr verschiedenartige Menschentypen, die unterschiedlichsten Charaktere, Menschen mit gänzlich anderen Vorgeschichten treffen auf dem Arbeitsplatz Schiff aufeinander. Schon immer kamen an Bord eines Schiffes Besatzungen verschiedenster Nationalität oder Rasse zusammen. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt, so dass auf manchen Schiffen oder in den Seemannsheimen in den Hafenstädten heute oft eine babylonische Sprachenvielfalt und ein multikulturelles Miteinander herrschen. Eine Umkehr dieser Tendenz ist wohl auch nicht mehr zu erwarten. Unsere Welt wird immer kleiner. Die fortschreitende Mobilität unserer Gesellschaft, die Großraumflugzeuge, die ganze Schiffsbesatzungen innerhalb von Stunden um die halbe Welt fliegen, macht es möglich, Menschen, die etwa auf den Philippinen oder auf einer Kiribati-Insel im Pazifik zu Hause sind, nach gründlicher Fachausbildung von ihrer Heimatinsel als „kostengünstige Arbeitskräfte in fast jedem Hafen der Welt an Bord zu holen. Oft werden diese Menschen aus noch ungestörten gänzlich, anderen Kulturen gerissen und in unsere europäische Denk- und Arbeitswelt versetzt.

    Die Technik hat die Welt an Bord der Schiffe in den letzten Jahrzehnten revolutioniert. Durch den Container und die Mikroelektronik wurden an Bord mindestens so große Veränderungen und Umwälzungen hervorgerufen, wie beim Übergang vom Segel- zum Dampfschiff. Die Hafenliegezeiten reduzierten sich drastisch. Landgang in fremden Häfen wird immer kürzer und seltener möglich. Die Zahl der Besatzungsmitglieder eines großen Überseefrachters sank in den letzten Jahrzehnten von 40 über 20 auf 12 Mann. Das ferngesteuerte unbemannte Überseeschiff ist nicht nur denkbar, sondern wurde bereits getestet. Dennoch ist es kaum vorstellbar, dass in Zukunft unbemannte Schiffe den Seemann völlig überflüssig machen.

    Obwohl im letzten Vierteljahrhundert Zehntausende deutscher Seeleute freigesetzt wurden und in Landberufe abwandern mussten, ist die Seefahrt ohne die Menschen an Bord nicht zu denken. Langlebige Vorurteile in der Gesellschaft gegenüber den Seeleuten treffen heute nach meinen jahrzehntelangen Erfahrungen nur noch sehr eingeschränkt zu. Wer in unserer Zeit in der Seefahrt beruflich bestehen will, muss fachlich qualifiziert, aus bestem Edelholz geschnitzt und sehr anpassungs- und widerstandsfähig sein.

    Die Seefahrt brachte in Jahrhunderten eine eigene Kultur hervor, die auszusterben droht mit dem Einzug der Hochtechnologie und des Containers an Bord und dem dramatischen Sterben des Seemannsberufes in Europa. Träger dieser Kultur sind Menschen. Menschen, die in den letzten Jahrzehnten in der Seefahrt arbeiteten, die vereinzelt noch heute an Bord tätig sind, die mir im Seemannsheim begegneten, möchte ich in diesem Buch in kurzen, aber aufschlussreichen Portraits und Lebensläufen vorstellen: Wie kamen sie zur Seefahrt? Was haben sie an Bord und in den Häfen der Welt erlebt? Wie geht es ihnen heute? Welche Perspektiven sehen sie für sich und für den Beruf des Seemanns? Das Schicksal dieser Menschen solle nicht in Vergessenheit geraten.

    Eine Rezension: Ich bin immer wieder begeistert von der Gelben Buchreihe. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke Herr Ruszkowski.

    Allen, die an der Erstellung dieser Portraitsammlung mitgewirkt haben, die mir aus Ihrem Leben erzählten und von ihren Fahrten berichteten, die sich mit der Veröffentlichung einverstanden erklärten, sei herzlich gedankt, ebenso Herrn Egbert Kaschner (†) aus Ganderkesee für die Korrekturlesung dieser Neuauflage.

    Hamburg, 2006 / 2014 Jürgen Ruszkowski

    Niedergang der deutschen Seemannschaft

    Hochkonjunktur in der Seefahrt

    Die deutsche Seefahrt ist 1970 auf dem Höchststand ihrer Nachkriegskonjunktur angelangt: Unter deutscher Flagge fahren laut Statistik der Seeberufsgenossenschaft 56.441 Seeleute. Die Reedereien müssen „die Leute an der Küste mit dem Lasso einfangen, damit genügend Seefahrtbücher an Bord sind und die Wasserschutzpolizei die Dampfer auslaufen lässt. Die Heuern sind noch niedrig. Ist das Geld versoffen, findet Hein Seemann sofort wieder ein Schiff - und zwar im Fahrtgebiet seiner Wahl. Es ist die Zeit der stärksten Expansion nach dem 2. Weltkrieg, die schönste Zeit, die Seeleute je erlebt haben. Die Liegezeiten in den Häfen der Welt machen noch Landgang möglich. - Der Container ist zwar schon erfunden, hat sich 1970 aber noch nicht durchgesetzt. Ein Stückgutfrachter in der großen Fahrt braucht noch etwa 40 Besatzungsmitglieder. 20 Jahre später wird ein Containerschiff vier herkömmliche Frachter ersetzen und nur noch 12 bis 18 Mann Besatzung benötigen. Der Begriff „Mehrzweckeinsatz ist noch unbekannt. Die traditionellen drei Berufsklassen an Bord sind Decksdienst, Maschinendienst und Bedienung. Neben dem Kapitän gibt es noch Berufe an Bord, wie 1., 2., 3. nautischer Offizier, Steuermann, Zahlmeister, Funker, Elektriker, Bootsmann, Zimmermann, Deckschlosser, Matrose, Leichtmatrose, Decksmann, Jungmann, Schiffsjunge, Leitender Ingenieur, 1., 2., 3. Ingenieur, Maschinist, Ing.-Assistent, Lagerhalter, Schmierer, Reiniger, Leitender Steward, 1., 2., 3. Steward, Messesteward, Aufklarer, Koch, Bäcker-Kochsmaat, Schlachter-Kochsmaat, Küchenjunge. Auf Fischereifahrzeugen gibt es noch den Bestmann und den Netzmacher, auf Tankern Pumpmänner, auf „Musikdampfern Schiffsärzte, Konditoren und Musiker. Alle diese Berufe finden sich im Seemannsheim ein. Das Alter reicht vom 15. bis zum 75. Lebensjahr. 1970 gibt es in Hamburg vier Seemannsheime. Neben unserem am Krayenkamp noch das evangelische in Altona an der Großen Elbstraße, das katholische „Stella Maris in der Reimarusstraße und das der Stadt Hamburg gehörende Hamburger Seemannshaus (heute „Hotel Hafen Hamburg) in der Seewartenstraße. Unser Heim gilt damals unter den Seeleuten als das modernste, sauberste und billigste. Der Andrang nach den 120, zeitweilig sogar 140 Betten ist so stark, dass wir täglich Nachfragende abweisen müssen und die Verweildauer in der Regel auf vier Wochen beschränkt ist. Nur Seefahrtsschüler und Kranke dürfen länger bleiben. Das Seemannsheim am Krayenkamp ist 1970 noch fest in deutscher Hand, fast! Nein, wir haben bereits 13% Ausländer: Die allermeisten dieser Ausländer, nämlich 12%, kommen aus der benachbarten Bundesrepublik Österreich. Denen hatte man nach dem 1. Weltkrieg ihr Triest abgenommen und so wurde Hamburg ihr Lieblingshafen. Ab und an ist mal ein Türke dazwischen oder ein Grieche, Niederländer, Spanier, Norweger oder Jugoslawe. Viele deutsche Seeleute denken damals noch recht faschistoid und nehmen es mir übel, dass auch ich „Kanaker aufnehme und später sogar „Bimbos".

    Multikulturelle Gesellschaft

    Im Laufe der fast drei Jahrzehnte meines Wirkens in der Seemannsmission wandelt sich einiges: In den 1990er Jahren ist das Klima in unserem Hause wesentlich toleranter. Nach und nach kommen immer mehr Ausländer, zunächst jahrelang als Gastarbeiter wegen Personalmangels zu deutschen Heuerbedingungen. In den 80er Jahren haben wir im Jahresschnitt Seeleute aus 60 Nationen im Hause zu Gast. Türken, Filipinos, Indonesier, Cabo Verden, Spanier, Südamerikaner und Afrikaner aus Ghana und Burkina Faso bilden die größten Gruppen im Heim. Inzwischen hat sich das Verhältnis der deutschen zu den ausländischen Seeleuten im Seemannsheim gegenüber 1970 fast umgekehrt. Wir zählen 1994 noch etwa 22 % Deutsche.

    Aufgliederung der Gäste im Seemannsheim nach Nationalitäten:

    Nation_____1990

    Ausländeranteil 1990: 65%

    Deutschland 468 35%

    Türkei 109 8%

    Spanien 96 7%

    Philippinen 76 6%

    Portugal 62 5%

    Indonesien 52 4%

    Ghana 40 3%

    Österreich 35 3%

    Polen 31 2%

    Chile 30 2%

    Burkina Faso 28 2%

    Cabo Verde 25 2%

    Indien 24 2%

    Ecuador 23 2%

    Großbritannien 19 2%

    Jugoslawien 18 1%

    Nigeria 13

    Ägypten 13

    Kiribati 10

    Benin 9

    Cri Lanca 9

    Columbien 9

    Togo 8

    Marokko 7

    Honduras 6

    Camerun 6

    Griechenland 6

    Niederlande 6

    Elfenbeinküste 5

    Frankreich 5

    Peru 5

    Brasilien 5

    Schweiz 5

    Sowjetunion 5

    Bolivien 4

    Norwegen 4

    USAmerika 4

    Äthiopien 3

    Irland 3

    Uruguay 3

    Pakistan 3

    Burma 3

    Niger 3

    Italien 2

    Tuvalu 2

    CSFR 2

    Costa Rica 2

    Kenia 2

    Bulgarien 2

    Schweden 2

    Hongkong 1

    Rumänien 1

    Jordanien 1

    Algerien 1

    Libanon 1

    Bangladesh 1

    Argentinien 1

    Südafrika 1

    Malediven 1

    Angola 1

    Panama 1

    Finnland 1

    Tansania 1

    Dänemark 1

    Taiwan 1

    Australien 1

    Die Verhältnisse in der deutschen Schifffahrt ändern sich im Laufe der Jahre gewaltig. Anfang bis Mitte der 1970er Jahre erobert der Container und in den 80er Jahren die Elektronik die Schifffahrt. Die Gewerkschaften erstreiken nie geahnte Errungenschaften für die Seeleute. Wurden diese „Fortschritte für die Seeleute bald zum Fluch? Ölkrisen, Flaggenprotektionismus und Dollarturbulenzen bringen die maritime Wirtschaft aus dem Tritt und die folgenden Ausflaggungen die alte europäische Seefahrtromantik ins Rutschen. Aus den Schmierern werden eines Tages Motorenwärter, aus den Ingenieuren Technische Offiziere. Der Mehrzweckeinsatz verschmilzt die historischen Gegensätze von Deck und Maschine. Matrosen und Motorenwärter gibt es nicht mehr, sondern Schiffsmechaniker. Bootsmänner und Lagerhalter werden zu Schiffsbetriebsmeistern. Aber sie alle sind auf die Dauer „zu teuer. Ab 1972 beginnt die Zahl der deutschen Seeleute rapide zu schrumpfen. Ende der 90er Jahre gibt es je nach Zählart noch etwa 10.000 bis 16.000 deutsche Seeleute. Vor dem ersten Weltkrieg, zur Blütezeit der Seemannsmission unter unserem marinebegeisterten Kaiser Wilhelm II, hatten wir in Deutschland sogar einmal über 100.000 Seeleute. Daneben fuhren noch Zigtausende unter fremden Flaggen. Die alte Segelschiffszeit oder die Zeit der Kohlendampfer hatte zwar auch ihre Reize. Das Leben an Bord war aber sehr hart und entbehrungsreich.

    Die Containerisierung, die teilweise durch Streiks erzwungenen starken Heuererhöhungen und der Computer setzen Zehntausende deutsche Seeleute frei. Die Schiffe werden nach amerikanischem Vorbild ausgeflaggt. Lange, bevor das Wort Globalisierung in aller Munde ist, macht die Schifffahrt vor, was zwei Jahrzehnte später im Fernkraftverkehr und auf den deutschen Baustellen abgeschaut wird. Am Heck ehemals deutscher Schiffe hängt nicht mehr schwarz-rot-gold, sondern eine Flagge von Panama, Liberia oder Zypern. Gefragt ist jetzt der Decksmann, der gleichzeitig kochen kann und nicht mehr nach dem deutschen Heuertarif bezahlt werden muss. Ein zweites Schiffsregister wird geschaffen. Auf den dort registrierten Schiffen erhalten nur die Führungskräfte Heuern nach deutschem Tarif, alle übrigen Heimatlandheuern. Die ersten Billig-Seeleute werden schon Ende der 70er Jahre von deutschen Nautikern auf den Kiribati-Inseln im Pazifik gedrillt und eingeflogen. Die Ausflaggungen gehen weiter. Filipinos und Burmesen verdrängen immer mehr deutsche Seeleute. Nach der politischen Wende im Ostblock folgen Polen, Balten und Russen, die noch billiger sind als die Kiribatis. Wer sich als deutscher Seemann noch behaupten kann, muss fachlich hoch qualifiziert und zu großen Opfern an Anpassung, Stress und Vereinsamung an Bord bereit sein. Nur aus Edelholz geschnitzte Charaktere halten das noch durch. Hinzu kommt eine gehörige Portion Glück.

    Anfang der 90er Jahre erleben wir im Seemannsheim zum ersten Mal freibleibende Betten. Um den Seeleuten das Haus durch Stärkung der Kasse erhalten zu können, nehme ich 1996 die ersten Touristen zu erhöhten Mietpreisen auf.

    Marc braucht immer heiße Action

    Marc Schlesinger hat ein offenes, freundliches, kontaktfreudiges und mitteilsames Wesen. Er wurde am 6.1.1965 in Berlin geboren. Bis zu seinem 14. Lebensjahr wuchs er ohne Geschwister bei seinen Eltern in Berlin auf. Am Schulbesuch hatte er nicht viel Freude. Die Fächer Religion und Sport waren ihm die liebsten, weil die Lehrer da nicht so viel forderten, aber für Mathe hatte er gar nichts übrig. So kam es dann, dass er immer häufiger die Schule schwänzte. Darum brachte man ihn mit 14 Jahren im Christlichen Jugenddorfzentrum Wolfsburg unter. „Von dort aus bin ich fast jeden Monat einmal weggelaufen und über die Interzonenautobahn zu meiner Oma nach Berlin getrampt. Die hat mich dann jedes Mal mit Schokolade, Geld und einer Stange Zigaretten versorgt. Ich hatte immer Verlangen nach abenteuerlichen Erlebnissen und brauchte viel „action. Was ich nie kannte, war Heimweh. Als er 16 war, ging er ohne geregelten Schulabschluss aus der 9. Klasse ab.

    Am 28. Mai 1983 fing er bei der Reederei Peter Döhle in Hamburg auf dem Kümo „MARIANNA" als Deckshelfer an. Nach knapp drei Monaten riet man ihm, abzumustern und erst einmal einen Sicherheitslehrgang zu machen, den er dann bei der ÖTV-Schifffahrtsschule in Bremen absolvierte.

    1983 unternahm er noch eine dreiwöchige Kreuzfahrtreise als Aufklarer bei der HADAG auf der „ASTOR, einmal nach Spitzbergen und zurück. Er musste Räume ausfegen, Spiegel wienern und Toiletten putzen. „Eines Abends warf ich mich in Schale und Lackschuhe und begab mich in eine Tanzbar im Passagierbereich. Das war uns Besatzungsmitgliedern strengstens verboten. Da habe ich so richtig einen los gemacht, mich mit Passagieren unterhalten, getanzt und einige Drinks genommen. Ich wusste jedoch nicht, dass die Passagiere dem Bedienungssteward wegen der Abrechnung der Zeche ihre Kabinennummer nennen mussten. Als der mich nach meiner Kabine fragte und ich meine Nummer nannte, kam natürlich raus, dass ich Mitglied der Besatzung war. So war die erste Reise auf der ASTOR auch meine letzte.

    Der eigentliche Antrieb, der ihn zur Seefahrt brachte, war eine Wette, die er mit 12 Jahren mit seinem Vater schloss: „Paps, ich bin der erste aus der Familie, der mal nach Übersee kommt! Als er 19 war, sagte er stolz zu seinem Vater: „Schau mal, was ich hier habe! - und präsentierte ihm ein Flugticket der SAS von Hamburg über Kopenhagen nach New-York. „Ich bin eine Kämpfernatur. Schließlich bin ich Steinbock! Was ich mir einmal in den Kopf gesetzt habe, das führe ich auch durch! Wenn ich so höre, wie die Landratten mit ihren Auslandsreisen protzen: Polen, Dänemark. Für mich fängt das Ausland erst in 2 bis 3.000 Meilen Entfernung an!"

    Er hatte einen Job als Decksmann auf der „PROJECT EUROPA bei der Reederei Project Carriers gefunden. So flog er also nach Amerika. Im Flugzeug traf er einen anderen jungen Mann, der gleich ihm auf der PROJECT EUROPA einsteigen sollte. Sie wurden unzertrennliche Freunde. „Der brachte mir an Bord alle Handgriffe und Kniffe seemännischer Praxis bei. Im leeren Laderaum fuhren wir heiße Rallyes mit den Gabelstaplern. Leider ist der schon sehr jung unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Der erste Flug war noch etwas Besonderes. „Heute fliege ich gar nicht mehr gerne: Stundenlang so eingepfercht sitzen und vor dem Landen über New-York noch etliche Warteschleifen mit Ohrensausen und Nasenbluten, das ist kein Spaß!"

    Mit der PROJECT EUROPA erlebte er eines seiner größten Abenteuer: In New Orleans segelte er achtern raus. Das Schiff lag auf Außenreede und hatte crew-change. Marc standen sechs Stunden für einen Landgang zur Verfügung. Der Alte hatte ihn schon gewarnt, als er sich 200 $ „Schuss auszahlen ließ. Mit dem shoreboat fuhr er an Land. Bis Mitternacht hätte er wieder an Bord sein sollen. „Ich bin voll versumpft und in der Kneipe eingepennt. In New Orleans gehen die Uhren anders als bei uns. Da hat mich keiner rausgeschmissen, sondern am nächsten Morgen erst weckte mich die Putzfrau. Ich bin zum Hafen gerannt wie um mein Leben, aber das Schiff war schon weg in Richtung Japan! Der Agent hatte, Gott sei Dank, mein Seefahrtbuch und 1.000 $ vom Kapitän bekommen. „Mit dem Alten konnte ich gut und der war sehr fair zu mir. Er bot mir über den Agenten die Alternative an: entweder Heimreise nach Deutschland oder nachfliegen nach Yokosuka / Japan, beides zur Hälfte auf meine, zur anderen Hälfte auf Reedereikosten. Ich entschied mich für den Flug nach Japan und hatte die 3.000 $ für Flug, Bahnfahrt, Taxi und Hotel nach einigen Monaten wieder abgearbeitet. Vor die Wahl gestellt, nach Japan zu fliegen und dort auf das Schiff zu warten oder noch einige Tage in New Orleans zu bleiben, entschied er sich für letzteres. „Da habe ich in der Kneipe so eine molligdicke Afrikamama mit sieben Kindern kennen gelernt. Die meinte, ich könnte die Hotelkosten sparen und bei ihr schlafen. Ich bin da dann auch geblieben. Das war richtig interessant und abenteuerlich. Dann flog er einige Tage später nach Tokio und fuhr von dort mit dem Zug nach Yokosuka, wo er sein Schiff noch gerade rechtzeitig wieder einholte. Bei Project-Carrier blieb er über zwei Jahre und fuhr anschließend noch auf der „TITAN-SCAN und der „NESTOR. „Es war die beste Reederei, die ich je hatte. Die haben mir sogar Heuervorschuss angeboten."

    „Mein schlimmstes Erlebnis war ein erzwungener Warteaufenthalt von sechs Wochen im Winter in Solina / Rumänien. Wir sollten Ladung von Donau-Flussschiffen übernehmen, die wegen Eisgangs erhebliche Verspätung hatten. Solina - das ist das verlassenste und ärmste Nest der Welt. Kein Auto, auch der Agent kam mit dem Pferdewagen zum Schiff. Unser Proviant ging durch das unplanmäßige Warten zur Neige. In dem Nest konnte man nichts zukaufen. Die hatten dort selber nichts zu beißen. Es gab täglich Kartoffelpuffer. Der Koch hatte nichts anderes mehr zu bieten. Die 18 Mann Besatzung nagten an den Fingernägeln. Der Zigarettenvorrat war aufgebraucht. Das Schiff war eingefroren. Wir konnten von Bord aus über das Eis spazieren gehen. Die Wasserversorgung an Bord funktionierte nicht mehr. Keiner konnte mehr duschen. Die Toiletten wurden mit zerhacktem Eis notdürftig „gespült. Es stank bestialisch an Bord. In einem Laden, der sich „Diskoteca nannte, stand in der Mitte ein Kanonenofen, an dem man sich etwas wärmen konnte und es gab nur so richtigen Blindmacher-Wodka. Wir waren alle mit den Nerven fertig, als die Binnenschiffe endlich eintrafen. Denen kauften wir dann zu Wucherpreisen Zigaretten und Proviant ab. Als wir die Ladung übernommen hatten und die Leinen losmachten, gab es ein Freudengeheul an Bord. Leinen los in Solina! Wir waren alle außer Rand und Band und haben wie kleine Kinder an Bord getanzt, als uns zwei verrostete Schlepper halfen, uns aus dem Hafeneis zu befreien. In Istanbul habe ich dann sofort abgemustert. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll!"

    Hingegen schwärmt er von Liegezeiten in Rio de Janeiro, wo er drei Wochen lang mit seinem Schiff lag oder von Westafrika. „Da kamen die Einheimischen mit ihren schmalen Booten außenbords längsseits zum Handeln. Wir haben dann mit Leinen Buddeln mit Whisky hinabgelassen und dafür wunderschöne Mangos oder Holzmasken eingehandelt. Einmal habe ich erlebt, dass Piraten - ebenfalls auf Holzbooten - einem Händler blitzschnell die Flasche Whisky entrissen und davonruderten. In Abidjan haben mich halbwüchsige, mit Messern bewaffnete Burschen beim Landgang ausgeraubt: Geld, Armbanduhr, Hemd, Hose, Schuhe und sogar mein Seefahrtbuch, das ich beim Landgang als Ausweis brauchte, alles weg. Ich stand nackt in der Unterhose vor der Passkontrolle und hatte ohne Seefahrtbuch größte Schwierigkeiten, wieder an Bord zu kommen. Wegen Beamtenbeleidigung wollte man mich einsperren, und der Alte musste mich mit einer Geldbuße auslösen. - Wenn wir nach Polen fuhren, haben wir vorher immer en gros Damenstrumpfhosen gekauft. Dafür bekam man in Polen alles."

    „Das Verzeichnis der ICMA (International Christian Maritime Association) mit den Adressen der Seemannsheime in aller Welt ist für mich so wichtig wie für andere Leute die Bibel! In Lomé war ich im deutschen Seemannsheim. Das ist ganz herrlich, mit Swimmingpool unter Palmen, aber die Moskitos stachen wie die Weltmeister!" Seit 1984 verkehrt Marc regelmäßig im Seemannsheim am Krayenkamp in Hamburg.

    Im August 1991 stieg er in Cuxhaven auf einem alten unter Antigua-Flagge fahrenden, wie er sagt, Schrott-Kümo namens „SUND ein, das nur noch 3.Wahl-Ladung fand. Als man den Hafen in Richtung Bilbao verließ, war die Lademarke schon zwei Handbreit unter Wasser. Die Besatzung ahnte nichts Gutes, weil der Alte immer einen seltsam abwesenden Eindruck machte. Als man in den Hafen von Bilbao einlief, wurde Marc durch lautes Rufen eines Kollegen aus dem Schlaf gerissen: „Quickly outside! The Captain kill us! Die heimischen Fischerboote gaben bereits Warnsignale. Einen Lotsen hatte der Kapitän abgelehnt. Das Schiff raste auf eine Steinschütte im Hafen zu, die der Alte offenbar übersehen hatte. Ein Besatzungsmitglied konnte das Ruder noch im letzten Moment herumreißen, bevor das Schiff gegen die Steinbarriere gerammt wäre. „Auf den Schreck mussten wir uns erst einen trinken! Später stellte sich heraus, dass der Alte in Mengen Beruhigungsmittel schluckte und diese mit Alkohol kombinierte. Als ich abgemustert hatte, musste ich mir selber die Heuerabrechnung schreiben und dem Eigner drohen: Erst wenn ich mein Geld habe, kriegt Ihr meine Zeugenaussage über die Vorfälle in Bilbao für das Seeamt!"

    Sein letztes Schiff war ein kleiner Tanker. Marc war als Ersatzmann für einen an Bord tödlich Verunglückten angemustert worden. Der hatte trotz strengen Verbots vorne am Kabelgat „einen Smok gemacht und war dabei in den Tanker-Abgasen verbrannt. „Als wir in der Elbe auf Grund liefen, habe ich das auf meine Kappe genommen, damit der Offizier keine Scherereien mit seinem Patent kriegen sollte. Als Dank hat man mir die Kündigung präsentiert, als ich wegen eines Hexenschusses vorübergehend von Bord musste.

    „Ich wollte ja schon längst wieder einsteigen, aber der Wirt vom „Taifun hat mich kürzlich zusammengeschlagen: Zähne raus, blaues Auge! Ich hatte 2,6 %o und war somit nicht zurechnungsfähig. Es mag sein, dass ich Scheiße gebaut hab. Der hätte mich auch gerne vor die Tür setzen können. Ich hätte mich dann am nächsten Tag bei ihm entschuldigt, aber mich in dem Zustand dermaßen zusammenzuschlagen! Das lasse ich nicht mit mir machen. Er kann mir 2.000 Mark bieten, die werde ich ausschlagen. Der soll mir das büßen! Ich habe Anzeige erstattet und mir einen Rechtsanwalt genommen.

    Kürzlich hatte Marc Gelegenheit, auf einer privaten Segelyacht anzuheuern, die von Hamburg für kurzzeitige Vercharterungen in die Karibik segeln sollte. „Dort verdiene ich zwar nicht so viel und muss mit drei anderen eine Kammer teilen, aber so einen Abenteuerjob habe ich immer schon gesucht. Da fühle ich mich auf Störtebeckers Spuren." Als sich aber herausstellte, dass für Wochen mit einer Heuerzahlung nicht zu rechnen war, gab er diesen abenteuerlichen Job schnell wieder auf.

    Er versuchte sich noch als Straßenkehrer bei der Stadtreinigung auf dem Altonaer Fischmarkt und als Versicherungsvertreter. Dann verloren wir ihn aus den Augen.

    Das Nordlicht im Maschinenraum

    Herbert Heins (†) wurde 1933 in Apensen im Kreis Stade geboren. Sein Vater war dort Bahnagent, dass heißt, er betreute einen Einmannbahnhof an einer Kleinbahnstrecke, auf der täglich vier bis fünf Züge verkehrten. Nebenher führte er eine Kunstdüngerhandlung mit einer Fahrzeugwaage. In diesem Dorf verbrachte Herbert die frühe Kindheit und die ersten beiden Schuljahre. Dann zog die Familie nach Hollenstedt im Kreis Harburg um. Nach Abschluss der achtjährigen Volksschule durchlief er von 1948 bis 1951 eine dreijährige Lehre als Maschinenschlosser in einem Betrieb, der Landmaschinen, Traktoren und auch Sägewerk-Dampfmaschinen reparierte. Danach arbeitete er gut drei Jahre lang von 1951 bis 1954 in einem Reparaturbetrieb der Britischen Rheinarmee in Finkenwerder, wo Lastkraftwagen, Panzer und Kanonen grundüberholt wurden. Finkenwerder liegt bekanntlich am Elbstrom, und er konnte die vorbeifahrenden Schiffe beobachten. Einige seiner Kollegen waren früher einmal zur See gefahren und berichteten ihm, welche Fahrgebiete die Schornsteinfarben dieser Schiffe verrieten. So reifte in ihm der Wunsch, selber einmal zur See fahren zu wollen. Seine Erfahrungen mit Dampfmaschinen während seiner Lehrzeit trugen erheblich dazu bei, dass ihm von der Ingenieurschule sofort ein Assischein ausgestellt wurde. Um zur Schule gehen zu können, musste er zwölf Monate Fahrzeit auf einem Motorschiff und 12 Monate auf einem Dampfer als Maschinenassistent nachweisen. „Ich habe dann die Reedereien abgeklappert, aber es war sehr schwierig, bei namhaften Reedereien als unbefahrener Assi einen Job zu bekommen. Über das Arbeitsamt in der Admiralitätsstraße gelang es mir dann, eine Stelle auf einem Schiff der Reederei Becker, Thode & Ahrens zu finden." Im August

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