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Höhenangst
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eBook630 Seiten8 Stunden

Höhenangst

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Über dieses E-Book

Der Roman taucht in die archaische Welt des Sports ein. Darius hat sich mithilfe seiner überragenden Physis den Weg zum Ruhm und in die Welt des Großbürgertums erkämpft. Dort angekommen sind aufgrund diverser Irrungen und Wirrungen sein Status und seine Existenz jedoch bald ernsthaft gefährdet…
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Okt. 2020
ISBN9783752919547
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    Buchvorschau

    Höhenangst - Kurt Flatz

    PROLOG

    An einem Sommertag Anfang August erreichte kurz nach Mittag eine androgyn anmutende Gestalt völlig erschöpft den trostlosen Gebäudekomplex der malerischen Stadt Krems. Weit weniger malerisch freilich der zweifelhafte Ruf eines ihrer bekanntesten Stadtteile. Selbiger erlangte in der öffentlichen Wahrnehmung traurige Berühmtheit, die er jenem berüchtigten Gemäuer verdankte, welchem die Gestalt wohl oder übel einen Besuch abzustatten hatte. Obwohl sich die zierliche Person weiblichen Geschlechts aufgrund ihrer Übermüdung nach absoluter Stille sehnte, hätte sie gerne die nahe gelegene Wachau samt gleichnamigen Stift oder das seitens eines namhaften Architektenteams – befreundete Landsleute von ihr – errichtete Kulturzentrum mit den unterirdisch verbundenen Museen erkundet. Aber sie konnte weder für den ersehnten Schlaf noch derlei Vergnügungen an schönen Donauauen Zeit erübrigen, denn es harrte eine wenig erfreuliche Angelegenheit ihrer Erledigung!

    Nachdem sie die obligatorische „Sicherheitsschleuse passiert hatte, sowie das aufwändige Procedere zum Erhalt der zwingend benötigten „Sprecherlaubnis mitsamt Stempel und Ausweiskontrolle hinter sich brachte, bewegte sich dieselbe zielstrebig hocherhobenen Haupt auf ihr eigentliches Ziel – einer abgesicherten Metalltüre hinter dickem Panzerglas – zu. Sowohl das Sicherheitspersonal am Hauptportal, als auch die Vertragsbedienstete in der tristen Anstaltsdirektion blickten der ungewöhnlich eleganten Erscheinung von einiger Bekanntheit mit unverhohlener Neugierde nach. Die umwerfend schöne Fremde mit der beängstigend ernsten Ausstrahlung – welche in dem Gebäude jeder zu kennen glaubte – vermeinte, deren neidvoll bewundernden Blicke förmlich im Rücken zu spüren und erhöhte merklich das Tempo ihrer leichtfüßigen Schritte. Sie bewegte sich in anschmiegsamen „Mokassins" aus weichem Schaftleder nahezu lautlos durch die mittels Neonröhren grell ausgeleuchteten Gänge des grauen Gebäudes, die eine deprimierende Wirkung entfalteten und sie bei jedem Besuch erneut traurig werden ließ. Man konnte ihrer Haltung und dem Gesichtsausdruck entnehmen, wie schwer ihr der anstehende Besuch fiel und wie oft sie selbigen schon hinter sich gebracht hatte. Während sie sich der durchsichtigen Trennwand näherte, griff sie mit ihren feingliedrigen Fingern zitternd in den an schmalen Schultern baumelnden cognacfarbenen Rucksack aus hochwertigen Materialien und entnahm ihm hastig eine Besuchserlaubnis, datiert auf den 2. August 2018:

    Soll ich es ihm heute sagen, ihn endlich vor vollendete Tatsachen stellen?", fragte sie sich und machte dabei einen angespannten Eindruck, ganz so als sei sie auf der Hut. Man konnte ihrer Miene – einem Gemengelage aus Blasiertheit und Scham – entnehmen, wie entwürdigend sie diesen Umstand empfand. Sie musste ihre persönlichen Sachen bis hin zum sündhaft teuren Ohrgehänge in einem schlichten Spind deponieren und den Schlüssel während ihrer Aufenthaltsdauer notgedrungen fremden Menschen aushändigen. Je näher sie der Sicherheitszone kam, umso mehr hellten sich die strengen Gesichtszüge hinter dem leicht gebräunten Teint auf. Sie trug so gut wie kein Make-up, was ihrem Gesichtsausdruck zwangsläufig eine kritische Distanz verlieh. Ein angedeutetes Lächeln erschien auf ihrem dünnlippigen Mund, welchen ein farbloser „Lipgloss" als einzige Kosmetika zierte. Die verschwommenen Gedanken unter ihren aschblonden Haaren arbeiteten angestrengt, der Zwiespalt löste sich allmählich auf und die Gedanken wurden klarer:

    Alles Unsinn", sagte sie sich, „es besteht kein Grund verbittert und verzagt zu sein! Alles nur menschliche Schwäche" und ihre Mundwinkel umspielte ein sarkastisches Lächeln. Als sie entschlossen den Knopf der Gegensprechanlage drückte, heiterte sich das edle Antlitz endgültig auf. Eine krächzende Stimme meldete sich undeutlich auf der anderen Seite und die Glastür glitt geräuschlos zur Seite. Kurze Zeit später vernahm sie vom durchsichtigen Zwischenraum aus schwere Schritte sowie einen ins Schloss gleitenden Schlüssel. Die dickwandige Metalltüre öffnete sich und ihr Blick erfasste die Besucherräume mit mehreren halboffenen oder angelehnten Türen. Von den zahlreichen Besuchen wusste sie das hinter jeder einzelnen Tür eine karge Einrichtung – bestehend aus einem Tisch, mehreren Stühlen, vor allem aber vergitterte Fenster – auf sie wartete. Als sich beim Betreten des Ganges der Blick ihrer blauen Augen mit jenen des Uniformierten kreuzte, der ihr eilfertig die massive Türe öffnete, erntete das Geschöpf von zierlicher Statur und respekteinflößender Aura vom gut aussehenden Wärter ein wohlwollendes Lächeln. Die an sich harmlose Geste schien ihr nach all den Strapazen ihres moralischen Dilemmas zu bekommen und sie lächelte zurück. Erschrocken musste die noble Erscheinung bei dieser Gelegenheit feststellen, wie rasch selbst tief gehende Lieben dem Vergessen anheimfallen können.

    Fallhöhe

    Er war der Auserkorene und dessen Reaktion vorhersehbar:

    „Wie bitte?" empörte sich der nobel gekleidete Herr. Sein gestrenger Blick schien jeden zu warnen, der es wagen sollte, seine Integrität anzuzweifeln und erwiderte mit gebieterischer Stimme, die keinerlei Widerspruch zu dulden schien:

    „Was erlauben Sie sich! Ich habe stets meinem Vaterland gedient, erst als Offizier, später als Beamter in verantwortungsvoller Position. So eine abscheuliche Tat käme mir nicht mal im Traum in den Sinn" beteuerte der rüstige Senior mit unverhohlenem Abscheu im Blick. Seine Stimme überschlug sich beinahe als er den jungen Mann mit den unerbittlichen Augen mit herablassender Miene anfauchte. Die furchterregende Gestalt war plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht und hatte der eleganten Erscheinung sogleich ein ungutes Gefühl eingeflößt. Aber der Alte gehörte nicht zu der Sorte ängstlicher Zeitgenossen, ganz im Gegenteil:

    „So eine Impertinenz, Unglaublich!" stieß er – die grotesken Ausmaße des ungewöhnlichen Körpers entgeistert anstarrend – entrüstet hervor. Ganz so, als wäre derselbe verrückt, weil er ihm den nahenden Weltuntergang verkündet hätte. Doch durch den kalten Blick der bernsteinfarbenen Augen verunsichert und des Alters ungewöhnlichen Autorität in der Stimme irritiert, fuhr der hochgewachsene Rentner schließlich eingeschüchtert fort:

    „Noch nicht mal in ihrem Alter, wurde ich als blutjunger Kerl im 2. Weltkrieg schwer verletzt, fror und litt Hunger. Das Wenige, dass ich damals hatte, habe ich immer redlich mit meinen Kameraden geteilt, denn nur so konnten wir in der eiskalten Hölle Sibiriens überleben. Unsere Existenz und damit das nackte Überleben aller ruhte seinerzeit auf drei Säulen: Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Gottvertrauen! Genau diese Tugenden genossen deshalb auch in meinem späteren Leben absolute Priorität und ich bin Zeit meines Lebens immer bestens damit gefahren!"

    Als er den zweifelnden Blick des jugendlichen Kolosses gewärtigte, bekam seine Stimme einen leicht schrillen Unterton, trompetete aber nichts desto trotz anklagend weiter:

    „In der von mir ausgeübten Tätigkeit wurde von meinem ehemaligen Dienstgeber – der Republik Österreich, deren Staatsbürgerschaft ich bei Ihnen hoffentlich voraussetzen darf – absolute Vertrauenswürdigkeit vorausgesetzt. Diese Maxime gilt im Staatsdienst sowohl für den Zeitraum der aktiven Berufsausübung, als auch danach im Ruhestand. Staatsdiener bleibt man gleich einem Priester bis zu seinem Tode. Also eine lebenslange Verpflichtung junger Mann, auf die ich schließlich einen unverbrüchlichen Diensteid an höchster Stelle abgelegt habe schloss dieser seine langatmigen Ausführungen in belehrender Tonlage. Da der betagte Herr von dem jungen Kerl mit dem militärischen Bürstenhaarschnitt, welche diesem zusätzliche Autorität verlieh, lediglich mit beharrlichem Schweigen bedacht wurde, fuhr derselbe unbeirrt mit unverminderter Heftigkeit fort. „Verstehen Sie überhaupt, was der ihrerseits gegen mich erhobene Vorwurf in seiner gesamten Tragweite bedeutet? fragte er drohend und es schwang unverhohlene Aggression in seiner Stimme. „Dies hätte meiner beruflichen Maxime geradezu diametral widersprochen, ließe sich im Übrigen auch mit meinem privaten Wertekanon in keiner Weise vereinbaren" erfrechte sich der Weißhaarige zu allem Überfluss mit todernster Miene und ohne jegliche Spur von Scham. Ganz im Gegenteil dozierte derselbe in altertümlich geschraubter Sprache unverdrossen weiter:

    „Ehrlichkeit ist eine Tugend, welche gerade in Zeiten sich verknappender Ressourcen einen unverzichtbaren Bestandteil unseres funktionierenden Gesellschaftsgefüges darstellt kam es in oberlehrerhaften Manier von den schmalen Lippen. „Und darf, nein muss gerade von der heutigen Jugend mit allem Nachdruck eingefordert werden ergänzte er unverfroren. Abschließend verkündete der alte Heuchler mit gönnerhafter Miene – ganz so, als habe er heute seinen guten Tag und gewähre seinem Gegenüber eine besondere Wohltat – „dass es der junge Mann einzig seiner Unerfahrenheit zu verdanken habe, dass er angesichts dieser haltlosen Beschuldigung „Gnade vor Recht ergehen lasse. Freundlich lächelnd ließ er den jungen Ladendetektiv wissen, dass er ausnahmsweise von einer Benachrichtigung von dessen Vorgesetzten in dieser ungeheuerlichen Anschuldigung seiner Person absehe. Seine wässrig hellblauen Augen blieben bei Verkündigung der „Wohltat jedoch kalt und reserviert. Des Alten Blick lag schon jenseits jeder Verachtung und dessen Stimme klang abweisend. Wie oft hatte er sich solche und ähnlich dummdreiste Ausflüchte in seiner noch jungen Berufslaufbahn anhören müssen. Wie sich diese billigen Lügen unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht doch immer wieder auf frappierende Weise ähneln, dachte sich der junge Hüne gelangweilt. Nun war es endlich an der Zeit die Ernte einzufahren, denn er hatte alle nötigen Beobachtungen abgeschlossen und war sich seiner Sache absolut sicher.

    „Ich muss Sie trotzdem bitten mir nach hinten ins angrenzende Büro zu folgen, um diesen bedauerlichen Irrtum zur Zufriedenheit aller aufzuklären ließ er den erbosten Mann im weit fortgeschrittenen Alter mit fester Stimme wissen, der ihn wie ein ekliges Insekt musterte. Auch diese taxierenden Blicke mit dem stets gleichbleibenden Anflug von Hochmut musste er schon unzählige Male, insbesondere von Angehörigen der gehobenen Mittelschicht über sich ergehen lassen. Sie schmerzten jedoch stets aufs Neue, da diese Demütigungen ihm eindrücklich vor Augen führten, welch geringes Ansehen sein Beruf in der Öffentlichkeit genoss. Das eigentlich Schlimme an dieser Geringschätzung war, dass er nicht mal von den Auftraggebern die Achtung erfuhr, welche die verantwortungsvolle Tätigkeit eigentlich verdiente. Diesen Ignoranten war nicht bewusst, welch herausragende Eigenschaften sein Beruf in Wirklichkeit erforderte: Mut, Zivilcourage, psychologisches Einfühlungsvermögen und vieles andere mehr. Vor allem aber, welche Menge Geld sich diese Halsabschneider durch Profis wie ihn ersparten. Die Schäden durch Ladendiebstähle gingen allein für das kleine Österreich im Jahre 1991 in die Hunderte Millionen Schilling und wären ohne seine und seiner Kollegen verantwortungsvolle Tätigkeit mit Sicherheit noch um ein Vielfaches höher. Aber diese allgemeine Ächtung teilte er mit den meisten Berufen, welche für einen geordneten Ablauf des sozialen Miteinanders zuständig waren, deren Schattentätigkeit von der Gemeinschaft als „Drecksarbeit angesehen, und entsprechend entlohnt wurde. Gerade kürzlich hatte ihn eine Dokumentation über illegale mexikanische Einwanderer zutiefst empört, welche intuitiv Mitleid sowie eine spontane Verbundenheit mit diesen armen Teufeln bei ihm hervorgerufen hatte. Neben der obligaten Kriminalität waren auch viele aufrechte Existenzen darunter. Beschämend wie diese, wenn sie denn nach vielen Entbehrungen die vermutlich bewusst fehlerhaften Grenzzäune zur USA endlich überwunden hatten, von der wohlgenährten Bevölkerung zu niederen „Sklavendiensten herangezogen wurden. Und der Strebsame in ihm hasste Fettleibigkeit, welche nicht aus Krankheit, sondern Wohlstand und Trägheit resultierte! Wenn nicht als illegale Einwanderer massenhaft unter großem „Tam-Tam abgeschoben, wurden sie zum Wohle der amerikanischen Wirtschaft unter heimlicher Billigung der Regierung skrupellos ausgenutzt. Wenn die Amerikaner die 3100 km lange Grenze zu Mexiko wirklich dicht machen wollten, hätte dieser imperialistische Staat lediglich eine feste Mauer – gleich den kommunistischen Regimen – aufziehen müssen. Bekanntlich gab es in diesen für keinen ihrer Staatsbürger ein Durchkommen, wie die vor knapp drei Jahren bombastisch gefeierte Wiedervereinigung eindrücklich bewiesen hatte. Zugegeben der Vergleich hinkte ein wenig: Bei den Angehörigen des Ostblocks ging es in erster Linie ums Raus-, bei den Latinos ums Reinkommen. Aber Grenzzäune bleiben Grenzzäune, deren Zweck in erster Linie der Freiheitsbeschränkung von Menschen durch Aus- oder Eingrenzung dient. Egal in welcher Richtung, was in seinem Falle durchaus gleichnishaft zu verstehen war. Seine Betroffenheit rührte wohl auch daher, dass er sich nur allzu oft auf seinen Beobachtungs- und Erkundungsgängen selbst wie einer dieser armen Tagelöhner auf der Mattscheibe fühlte, mit denen er es in veränderter Form auch in seinem Berufsalltag tagtäglich zu tun hatte. Ebenso trug seine miese Bezahlung ihren Teil zu dieser seltsamen Allianz mit „seinen Verbündeten – denen vom „anderen Ufer – bei, denn jene sicherten ihm auf paradoxe Weise sein karges Einkommen. Kein Wunder, dass einer Studie zufolge gerade bei Angehörigen seiner Berufsgruppe, zu denen er auch Polizisten, Erzieher, Krankenpfleger, ebenso aber Huren und dergleichen Dienstleister mehr zählte, der Anteil an depressiven Erkrankungen besonders hoch, zudem in besorgniserregendem Maße stetig im Steigen begriffen war. Dies hatte er kürzlich einem Artikel des „Playboy – seiner Lieblingszeitschrift – entnommen. Man brauchte sie, mochte sie aber nicht wirklich und daher deckte die Öffentlichkeit nur allzu gerne den Mantel des Schweigens über sie. Wanderer zwischen den Welten eben! Eine totale Verkehrung der Wirklichkeit und wurde ihm diese Einschätzung durch den „feinen Herrn vor ihm, der sicher nicht zu den üblichen Verdächtigen zählte, und den er sich deshalb mit größtem Vergnügen vorknöpfen würde, auch postwendend bestätigt.

    „Haben Sie mir überhaupt zugehört? vernahm er den Alten auch schon mit penetranter Stimme nachfragen. „Habe ich etwa meine kostbare Zeit umsonst an Sie verschwendet? Wissen Sie nicht, mit wem Sie es hier eigentlich zu tun haben? schnarrte selbiger mit unüberhörbarer Schärfe in der Stimme, um dann in Befehlston barsch fortzufahren. „Wer oder was sind Sie denn überhaupt, Polizist oder Rechtsanwalt? Weisen Sie sich erst einmal aus, bevor Sie mich auf derart respektlose Weise vor all den Leuten hier aufs Unflätigste behelligen!"

    Auch diese unverhohlene Drohung war Tibor nicht gänzlich unbekannt. Während er seine Dienstmarke zückte, erwiderte er demselben freundlich, aber bestimmt. „Weder noch, aber mit Polizei kann ich dienen, mit Rechtsanwalt können Sie sich dann selber bedienen. Wir können aber gerne gleich hier an Ort und Stelle auf das Eintreffen der Polizei warten und griff zugleich nach einem dieser neuartigen Geräte, welche seit kurzer Zeit käuflich zu erwerben waren. Es handelte sich hierbei um ein klobiges Gerät, welches ihm seine Arbeit nicht zuletzt seiner militärischen Optik wegen ungemein erleichterte. Der Grund war wohl, dass es den Funkgeräten, wie sie Ordnungskräfte bei ihren Einsätzen mit wichtiger Miene verwendeten, ähnelte. Das aufzubringende „Kleingeld musste er allerdings aus eigener Tasche berappen, da sein Arbeitgeber der Meinung war, dass seine Angestellten so ein „neumodisches Zeugs bei der Ausübung ihres Berufes nicht benötigten und er „diesen Firlefanz – der ohnehin nur der Wichtigtuerei diene – keinesfalls zu finanzieren gedenke. Als er begann, bei dem offiziös anmutenden Gerät die Antenne auszufahren, änderte sich erwartungsgemäß das Verhalten des seriösen Herrn schlagartig. Nach einem hektischen Blick in eine imaginäre Runde, ob etwa jemand – womöglich noch ein Bekannter – etwas von dieser ominösen Unterredung mitbekommen habe, ging dessen herrische Stimme in einen liebenswert verbindlichen Tonfall über.

    „Können wir diese lächerliche Angelegenheit nicht an Ort und Stelle klären meinte der Edelpensionist jovial und griff gleichzeitig in die Innentasche seines sicher nicht billigen Mantels. Auch sein Blick war bei Weitem nicht mehr so hochmütig wie noch zuvor, sondern vermeinte Tibor sogar ein vertrautes Blinzeln in den wässrigen Augen des selbsternannten Sittenzensors wahrzunehmen. Er überhörte das großzügige Angebot dieses „korrekten Beamten, welches während dessen aktiver Zeit als lupenreine Bestechung interpretiert und von selbigen gnadenlos sanktioniert worden wäre. Dies aus dem einfachen Grund, da dieser Menschentyp natürlich stets in hoheitlicher Mission unterwegs ist. Stattdessen erwiderte er mit allem Nachdruck:

    „Wollen Sie mir bitte ins Büro folgen, damit wir dieses offensichtliche Missverständnis zur Zufriedenheit aller aufklären können und ging in dem Bewusstsein seiner physischen Überlegenheit, welche aufgrund ihrer stämmigen Athletik und Körpersprache eine deutliche Dominanz ausstrahlte, voraus. Der Weißhaarige folgte ihm mit sichtlichem Widerwillen, was von ihm mit Genugtuung registriert wurde, da dessen Aufbegehren dem Jüngling ein Gefühl konkreter Macht vermittelte. Ein allfälliger Fluchtversuch des diebischen Alten hätte ihn im Übrigen nicht weiter gestört, im Gegenteil sogar mit Freude erfüllt. Dies begründete sich einerseits in seinem wohl schon angeborenen Jagdinstinkt, andererseits dem ihm vom Gesetz eingeräumten Anhalterecht. Allerdings ohne wie der theresianische Günstling in der Hoheitsverwaltung tätig und somit mit Bescheidqualität ausgestattet zu sein. Dieses ihm bei seiner Tätigkeit eingeräumte Privileg bedeutete, dass sich bei einem allfälligen Widerstand seines Opfers die Strafbarkeitspalette nur noch zu dessen Ungunsten erweiterte um im Ergebnis zu einer höheren Strafe des Delinquenten zu führen. Die an sich banale Handlung könnte in diesem Falle unter Umständen von Justitia vom einfachen Diebstahl bis hin zum Raub qualifiziert werden. Aber die von ihm geschätzten Ausreißversuche kamen leider allzu selten vor, da seine körperliche Präsenz für Jedermann allzu deutlich in Erscheinung trat. Er hatte sich deshalb eigens eine dieser Feldjacken, welche durch den bekanntesten deutschsprachigen Fernsehkommissar zu einigen Ehren gelangte, angeschafft. Zu seinem und zum Leidwesen unzähliger Fans derber Krimis hatte dieser aber letztes Jahr seine überweite Jacke – welche mittlerweile Kultstatus besaß – für immer an den Nagel gehängt. Schimansky, dieses Bild von einem Mannsbild sowie dessen ansehnliche Statur war im Verhältnis zu seiner allerdings eher als schmächtig zu bezeichnen. Der Körper des jugendlichen Riese hatte durch jahrelanges schweißtreibendes Hanteltraining geradezu monströse Dimensionen angenommen und sorgte überall wo er auftauchte für mächtiges Aufsehen. Zu viel für seine Tätigkeit, wie seine Kollegen des Öfteren hämisch anmerkten. Um dies zu kaschieren – ihn lediglich wie einen normalen, allerdings etwas zu groß und breit geratenen jungen Mann erscheinen zu lassen – hatte er sich eben diesen „Parker zu einem überhöhten Preis angeschafft. Das Ergebnis dieser körperlichen Qualen, welche ihn in seiner Freizeit – vorzugsweise im Schwimmbad – über alle Maßen mit Stolz erfüllte, war ihm bei seiner konspirativen Tätigkeit allerdings eher hinderlich. Dies deshalb, da seine imposante Erscheinung bereits im Vorfeld zu stark die Aufmerksamkeit seiner zweifelhaften Kundschaft auf sich zog und die Verkleidung nur leidlich gelang. Die Schinderei mit den Gewichten war ihm mittlerweile in einem Maße zur Sucht geworden, dass er ohne dieselbe nicht mehr einzuschlafen vermochte und die täglich eingeworfenen Muskelpräparate auch einiges seiner sauer verdienten Kohle verschlangen. Aber das grandiose Gefühl dieser unbändigen Kraft, die er bei jeder noch so kleinen Bewegung der Gliedmaßen aufgrund der permanent unter Spannung stehenden Muskelmasse intensiv verspürte, wie auch die bewundernden Blicke seiner Mitmenschen wogen ihm die Nachteile seines zeit- und kostenaufwändigen Hobbys auf. So kostete er die Fluchtversuche seiner Laufkundschaft stets in vollen Zügen aus. Diese boten ihm die seltene Möglichkeit seine körperliche Überlegenheit eindrucksvoll in Szene zu setzen und er der Aufmerksamkeit aller Umstehenden gewiss sein konnte. Er hatte sich öfters überlegt, bei welchem Broterwerb er seine körperlichen Vorzüge besser einsetzen und spektakulärer zur Geltung bringen könnte. Aber bis dato war ihm noch nichts Adäquates eingefallen! Leider wurde seine Art des Einschreitens von den Auftraggebern weit weniger geschätzt. Ganz im Gegenteil wurde ihm von diesen gierigen Geschäftemachern, aber auch seinen unmittelbaren Vorgesetzten in der Art der Vorgehensweise höchste Diskretion abverlangt. Diesen – in seinen Augen unsinnigen Anordnungen – widersetzte er sich ebenso diskret wie hartnäckig mit größtem Vergnügen, da er die seinerseits durchgeführten Maßnahmen stets als notwendig und angemessen erachtete. Schließlich wusste er die einschlägigen Gesetzesstellen, welche er während seiner Ausbildung penibel studiert hatte, auf seiner Seite! In vorliegendem Fall war sein zügiges Voranschreiten und die damit für den Übeltäter verbundene Ignoranz nichts weiter als reine Gewohnheit. Er hatte aufgrund seiner Berufserfahrung auch gar nichts anderes denn stummes rapportieren dieses alten Feiglings erwartet. Dessen vordergründig selbstsichere Fassade begann bereits zu bröckeln, denn in der aufgeregten Körpersprache waren erste Anzeichen beginnender Panik für den ehrgeizigen Spürhund auszumachen. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis er auch diesen „falschen Fünfziger" von überflüssigem Putz befreit, seiner Vornehmheit entkleidet hatte. Und diese Zeitspanne kostete er in jedem einzelnen Fall in vollen Zügen aus. Ganz besonders bei diesem feinen Herrn hier, der in seinem bisherigen Leben nur selten einer vergleichbar beschämenden Situation ausgesetzt sein dürfte, wie der Sadist in ihm konstatierte. Das winzige Büro, welches aufgrund seiner Schäbigkeit einen eklatanten Gegensatz zu den glitzernden Verkaufsräumen bildete und diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdiente, war ebenfalls nicht dazu angetan die Stimmung des verdienten Ruheständlers zu heben. Die Blässe in seinem Gesicht vertiefte sich, denn die in Wirklichkeit nicht existente Einrichtung stand in krassem Widerspruch zu seiner eigenen Erscheinung. Der Ertappte musste im Halbdunkel der muffig düsteren Umgebung für Unbeteiligte – wie fallweise vorbeihuschenden Lagergehilfen – wie der personifizierte Fremdkörper in surrealer Kulisse wirken. Von den anonymen Gestalten, welche er aufgrund der diffusen Lichtverhältnisse nur schemenhaft wahrnehmen konnte, wurde er auch mit missbilligenden Blicken bedacht, in denen blankes Unverständnis und Vorwurf mitschwang. Vorwurf, wie jemand der zweifellos zu den Bevorzugten dieser Gesellschaft gehörte und im Gegensatz zu ihren eigenen ungünstigen Arbeits- und Lebensbedingungen offenbar alle Privilegien genoss, ohne erkennbare Not zu solch einer hanebüchenen Handlung fähig war, was von Tibor nicht ohne Schadenfreude registriert wurde. Auch er war sich der grotesken Situation, in welcher sich der Dieb befand, bewusst. Aufgrund dieses Szenarios drängte sich ihm automatisch ein Vergleich mit den ausgestellten Artikeln im Schauraum auf, die zwar schön anzusehen, aber zur beliebigen Verfügung für jedermann bereit zu stehen hatten. Eine zutiefst unwürdige Situation! Der Jäger mit den gnadenlos sezierenden Augen registrierte mit Genugtuung, wie dessen Blick durch den Raum glitt und sich, sobald er einer dieser Hilfskräfte zumeist südländischer Herkunft ansichtig wurde, peinlich berührt mit schuldbewusstem Gesicht abwandte.

    „Wäre es möglich eine andere Räumlichkeit aufzusuchen, um die unschöne Angelegenheit ein wenig diskreter abzuwickeln? kam es zaghaft über dessen Lippen um mit gesenkter Stimme „...mich diese düstere Umgebung doch zu sehr an eine dem Durchzug ausgesetzte Rumpelkammer erinnert zu ergänzen. Zudem empfinde ich dies hier als diskriminierend."

    Dessen berechtigtem Ansinnen wurde seitens des Vollstreckers keinerlei Verständnis entgegengebracht und lediglich mit einem knappen „Nein" beantwortet. Die abstoßende Wirkung war aus dessen Sicht gewollt, da selbige sowohl seinem destruktiven Charakter, als auch pädagogischen Verständnis entsprach. Die schäbige Umgebung sollte seiner Beute das Kriminelle der Tat vor Augen führen, dessen Widerstand mindern, im Idealfall gänzlich brechen. Einen vorzeitigen Zusammenbruch hatte er in vorliegendem Fall allerdings von diesem eleganten Veteranen, der aus Hartholz geschnitzt schien, nicht zu befürchten und war von ihm auch keineswegs gewollt. Schließlich besaß er eine Berufsehre! Seiner höflichen Aufforderung doch auf dem wackligen Stuhl – auf dem noch eine Kiste fast verwelkten Gemüses stand – Platz zu nehmen, bedeutete für denselben wahrscheinlich eine gefährliche Drohung und wurde prompt mit belegter Stimme abgelehnt, die bei weitem nicht mehr so forsch wie vordem klang. Als er den mutmaßlichen Dieb aufforderte, den Inhalt der Aktentasche – die dieser mitsamt der Beute bei sich trug – auf dem Bürotisch auszubreiten, wurde seinem Ansinnen jedoch wenig überraschend nicht entsprochen. Da es einer Privatperson aufgrund fehlender Hoheitsgewalt nicht erlaubt war eine Personen- und Taschendurchsuchung vorzunehmen, drohte er zum wiederholten Male mit Verständigung der Polizei, woraufhin die Augen der diebischen Elster sich weiteten und er der anstehenden Durchsuchung zustimmte.

    Um einer allfälligen Falschbeschuldigung vorzubeugen, lies er selbigen den Inhalt der hochwertigen Tasche selbst auf dem kleinen wackligen Tisch ausbreiten, was dieser bedächtig und leicht zitternd vornahm. Nachdem er die Tasche völlig entleert und nichts Auffälliges zum Vorschein gekommen war, knurrte der Alte „Na endlich zufrieden!"

    „Ja! Herzlichen Dank für ihre Bemühungen spöttelte Tibor mit einem mokanten Lächeln um seine Mundwinkel. Höflich und scheinbar betreten entschuldigte er sich für die Belästigung. Als der Alte „seine sieben Sachen – allesamt legal erstandene Artikel – verstaut hatte, um sich erleichtert, aber auffällig hastig von der bedrohlichen Gestalt zu verabschieden, entwich diesem ganz beiläufig – als wäre es ihm erst im letzten Moment aufgefallen – mit einer leichten Kopfbewegung auf eine bestimmte Stelle der Tasche deutend:

    „Haben wir da nicht noch eine Kleinigkeit, nämlich das hier an der Außenseite angebrachte Schubfach übersehen, um dann sein „harmloses Anliegen anzubringen. „Da schauen wir der Form halber auch noch kurz rein, nur um ganz sicher zu gehen, dass sich der Aufwand – für den ich mich noch einmal in aller Form entschuldige – insofern lohnte, dass sich diese beiderseitig peinliche Angelegenheit endgültig in Wohlgefallen auflösen kann!"

    Er hatte während der gesamten Durchsuchung mit geschultem Blick und an Sadismus grenzender Freude beobachtet, wie der alte Fuchs für einen Laien gar nicht ungeschickt fieberhaft versuchte, mit seinem Körper das ominöse Geheimfach mitsamt vernichtenden Inhalt zu verbergen. Als die alles entscheidenden Worte ausgesprochen waren, entgleisten die Gesichtszüge des Überraschten. Er zuckte so heftig zusammen, dass er sich den Arm mit dessen Hand er die Tasche krampfhaft umklammert hielt, am Tisch stieß und einen vernehmbaren Schmerzenslaut von sich gab. Diese Unachtsamkeit war für den Jäger ein sicherer Hinweis, den Widerstand des respektablen Mitbürgers nun endgültig ins Wanken gebracht zu haben. Als der begann mit zittrigen Fingern ungelenk an dem unscheinbaren Schubfach herum zu nesteln, erkundigte er sich in gespielter Hilfsbereitschaft und auffallender Nachahmung dessen altertümlich gestelzten Sprache.

    „Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie dienlich sein, eventuell mit einem Glas Wasser?"

    Während dieser Idiot in der irrigen Annahme das Diebesgut während seiner Abwesenheit noch schnell verschwinden lassen zu können, erwartungsvoll mit dem Kopf nickte, jubilierte der Vollstrecker in ihm. Jetzt war der ersehnte Zeitpunkt gekommen diesem durch und durch verlogenen Ehrenmann die Hosen auszuziehen. Erbarmungslos wie ein Raubvogel, der ein verletztes Kaninchen wittert, stieß er zu. Ganz selbstverständlich hatte er einen der Lakaien unter dem Vorwand nach Wasser – in Wirklichkeit als Zeuge – herbeigerufen und dabei fasziniert beobachtet, wie des Diebes naiv anmutende Hoffnung durch das plötzliche Auftauchen des Lagergehilfen zunichte gemacht, die Zuversicht des Alten weggewischt wurde. Gleichzeitig fasste Tibor mit geübten Griff in das Fach und zog das corpus delicti – einen kleinen Schraubenzieher von geringfügigem Wert – aufreizend langsam aus selbigen heraus, um scheinbar überrascht, für den Lageristen gut vernehmbar auszuposaunen:

    „Oh, was haben wir denn da? Diesen schönen kleinen Schraubenzieher! Sieht der, obwohl nagelneu und mit Preisschild versehen, etwa so traurig drein, weil er im Gegensatz zu den anderen Artikeln nicht auf dem Kassabon zu finden ist?"

    Völlig irritiert, als ob er gleich einem Kleinkind von Mutter in flagranti beim Naschen von Weihnachtskeksen ertappt worden wäre, konterte der nunmehr des Diebstahls Überführte nach der obligaten Schrecksekunde sowie einem kräftigen Schluck aus dem Wasserglas erstaunlich schlagfertig.

    „Um Gottes willen! Jetzt habe ich den doch tatsächlich in der verflixten Seitentasche an der Kasse völlig vergessen. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa! Tut mir leid, was bin ich doch mit meinen über 80 Jahren nur für ein seniler Esel präzisierte der Lateiner für den offenbar Bildungsfernen. „Der Grund liegt sicher in den vorhandenen Schmerzen in meinem rechten Bein. Habe kürzlich einen Fahrradunfall erlitten und ein solcher ist in meinem Alter nicht mehr ungefährlich. Wäre vermutlich nicht der Erste, der im fortgeschrittenen Alter von einem simplen Knochenbruch dahingerafft würde seufzte er mit zusammengekniffenen Augen gottergeben. Der Ladendetektiv war angesichts dessen Kaltschnäuzigkeit baff, nicht mehr in der Lage zu erwidern, sondern sah den Alten nur noch abwartend an. Unbeirrt fuhr der dreiste Dieb beschwichtigend fort: „Und alles nur wegen dieses schwachsinnigen Landwirts. Bleibt doch der mit seinem Güllewagen tatsächlich einfach unvermittelt auf der Fahrbahn stehen und setzt, als ob dessen abruptes Abbremsen noch nicht genug gewesen wäre, seine Fuhre mit den riesigen Ballonrädern zusätzlich rückwärts in Bewegung. Das müssen Sie sich einmal bildlich vorstellen. Reversiert einfach, ohne sich nach hinten zu versichern schwadronierte er mit hilfesuchendem Blick. „Mir ist vor Schreck fast das Herz stehen geblieben versicherte er glaubhaft, dabei den Detektiv mit milchig trüben Augen fixierend, um sogleich bestürzt hinzuzufügen: „Nach der Kollision habe ich auf dem Rücken liegend lediglich den tiefblauen Himmel und die grelle Sonne über mir wahrgenommen. Beim Überfahren meines Rades erwischte mich dieser Bauerntölpel noch am Knöchel, was höllisch wehtat. Nachdem er sich endlich zu mir nach hinten bequemte, besaß dieser noch die Frechheit mir das Alleinverschulden an der Kollision zuzuschieben, ohne sich auch nur im Geringsten nach meinem körperlichen Befinden zu erkunden erläuterte er, theatralisch mit den Armen gestikulierend. „Diese staatlich subventionierten Landschaftspfleger glauben doch in ihrer unsäglichen Borniertheit – nur weil auf ihrem ehemaligen Grund errichtet – die Straße gehöre ihnen alleine. Diese bornierten Esel, die nicht mal die Grundbegriffe der StVO zu kennen scheinen dozierte er grimmig. Als Tibor ein wenig zögerlich erwiderte, „er sehe – obwohl kein Arzt – keinerlei Verletzungen und hätte auch keine wie immer gearteten Einschränkungen beim Gehen feststellen können unterbrach ihn die wandelnde StVO erbost und fügte gereizt hinzu: „Natürlich habe ich permanent Schmerzen und habe daher unverzüglich einen Anwalt meines Vertrauens hinzugezogen. Die Gegenseite hat sich geweigert für den entstandenen Schaden aufzukommen und so hat der auf Verkehrsrecht Spezialisierte den Auftrag Schmerzensgeld in meinem Namen einzufordern gleichzeitig einen bekannten, nicht billigen Advokaten benennend. „Die gegnerische Versicherung hätte – wie bei den Gaunern gewohnt – ungeachtet der eindeutigen Sach- und Rechtslage das Alleinverschulden ihres sturen Versicherungsnehmers bestritten. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit sowie die permanenten Schmerzen beschäftige ihn so sehr, dass er doch glatt diesen blöden Schraubenzieher, den er gedankenverloren ins leicht zugängliche Fach seiner Aktentasche steckte, schlicht vergessen habe" schloss er sichtlich aufgelöst seine Ausführungen. Als er zur altbekannten Leier des jungen Mannes in Stalingrad zurückkehren wollte, fiel ihm Tibor jäh ins Wort, da ihn schon als Kind die sich ständig wiederholenden Schilderungen der Kriegserlebnisse seines Großvaters grauenhaft gelangweilt hatten.

    „Kommen Sie mir ja nicht mit so melodramatischen Lügengeschichten fuhr er den Alten unbeherrscht an, insbesondere er von Erzählungen seines Opas wusste, dass die dort befindlichen Soldaten – wenn nicht in grausamen Straßenkämpfen getötet oder in sibirische Gefangenschaft geraten – in einem Flugzeug der Wehrmacht relativ sicher aus diesem Kessel ausgeflogen wurden. Auch hatte ihm sein Großvater in einer schwachen Stunde gestanden, dass die Soldaten, welche aus dieser Hölle zurückkehrten, partout nicht bereit waren über das Erlebte zu berichten. „Entweder man hat sie aus Stalingrad ausgeflogen oder sie befanden sich in Sibirien im Gefangenenlager. Beides zugleich ist schwerlich möglich und machte dabei eine abfällige Handbewegung. Unverdrossen konterte der Alte mit zusammengebissenen Zähnen „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich angesichts der heute in ihrem Geschäft ausgegebenen Geldsumme dieses billige kleine Ding, dass ich von meinen Versicherungsvertreter alljährlich zum Jahreswechsel als Werbegeschenk erhalte, hätte entwenden wollen" und hielt ihm die stattliche Rechnung seines Einkaufs unter die Nase. Tatsächlich lag ein arges Missverhältnis zwischen dem Kassenausdruck und dem Wert des Schraubenziehers vor.

    „Warum haben Sie ihn überhaupt eingesteckt?" erkundigte er sich angesichts der Chuzpe des Herrn empört, welche er in dieser dummdreisten Art von pubertierenden Jugendlichen gewohnt war, um schließlich wutentbrannt herauszuplatzen:

    „Im Verkaufsraum erworbene Artikel gehören vor dem Bezahlen, wie Ihnen sicherlich nicht gänzlich unbekannt, in den Einkaufswagen und nicht in ihre Aktentasche! Umso schlimmer ihre grenzenlose Gier, die in einer solchen Dummheit mündet um wieder beherrscht, aber in scharfer Tonlage fortzufahren. „Schon seltsam, dass jemand, welcher die angeblich so schrecklichen Erlebnisse im 2. Weltkrieg erlitten und glücklicherweise überlebt hat, so ein Theater um einen glimpflich verlaufenen Fahrradunfall macht. So eine Lappalie dürfte einen Stalingrad erprobten Kämpfer nicht wirklich erschüttern. Mir persönlich erscheint ihre Stalingradgeschichte und der Fahrradunfall als eine der schwachsinnigsten Ausreden, die ich mir in meinem noch jungen Berufsleben habe anhören müssen fauchte er aufgebracht. „Ein selbst ernannter Bildungsbürger wie Sie sollte eigentlich wissen, dass man Opfer und Täter zugleich sein kann und genau dies scheint bei Ihnen zuzutreffen. Es mag schon sein, dass Sie Opfer einer fahrlässigen Körperverletzung geworden sind, klar ist für mich jedoch, dass Sie Täter eines vorsätzlichen Diebstahles, begangen im „Messepark am Donnerstag den 5.11.1991 um 11.26, sind fuhr der geradezu groteske Muskelberg den Alten grimmig an. „Offenbar sind Sie dem Kessel von Stalingrad mit viel Glück entronnen, aber der Diebstahlsanzeige entkommen Sie jedenfalls nicht! um mit Nachdruck zu wiederholen „Gerade Sie nicht werter Herr! Der Grund liegt in einem für ihr Alter unwürdigen Verhalten, welches ich – garniert mit ihren hirnverbrannten Ausreden – geradezu als Verhöhnung meines Berufsstandes sowie meiner Person empfinden muss stieß der Bursche ärgerlich hervor. „Bei allem Respekt, den ich gewöhnlich betagten, verdienten Mitbürgern wie ihnen entgegenbringe, muss ich mich allerdings bei dieser „Verarsche geradezu für dumm verkauft fühlen! Um diese Schmierenkomödie zu beenden, werde ich jetzt unverzüglich die Polizei informieren bellte er aufgebracht. „Sie können ja denen ihre unsäglich dumme Geschichte auftischen, wovon ich aber in ihrem ureigenen Interesse abrate. Sie werden sich mit der Mär bei den vernehmenden Beamten nur unnötig ihr eigenes Grab schaufeln. Die warten nämlich den lieben langen Tag bei der Abfassung der Protokolle nur auf solch haarsträubende Räuberpistolen schloss er höhnisch seine Ausführungen. Nach dieser Strafpredigt gab der Alte nunmehr ohne Umschweife weinerlich den begangenen Diebstahl zu und bot mit brüchiger Stimme an „den Kaufpreis sowie sämtliche mit dem Diebstahl verbundenen Unkosten unverzüglich zu begleichen. Auf die einfache Frage nach dem „Warum? folgte lediglich betretenes Schweigen. Als äußeres Zeichen seiner Reue wurde sein Kopf unter den schlohweißen Haaren noch röter, als er ohnehin schon war. Vor lauter Scham mied er jeden Blickkontakt mit dem Ladendetektiv, insbesondere er spürte, wie ihn der kalte Blick des Burschen förmlich durchbohrte. Bei seinem Anblick hätte nicht nur der unbarmherzige Jäger, sondern selbst Marx und Engels ihre helle Freude an der Karikatur dieses vom Sockel gestoßenen Kapitalisten gehabt. Als Tibor mit ernster Miene verkündete, „dass jeder begangene Diebstahl aufgrund der zwingenden Vorgaben des Auftraggebers obligatorisch mit einer Anzeige verbunden sei, wechselte der als Folge seiner persönlichen Weltrevolution die Farbe von tiefrot auf kreideweiß, seine Lippen begannen zu zittern und die Gesichtszüge erstarrten. Aufgeregt stotternd wies er mit weit aufgerissenen Augen – deren Äpfel vor Entsetzen fast aus dem Kopf zu quellen schienen – auf seine gehobene gesellschaftliche Stellung hin. Nach dem gleichgültig hingeworfenen Hinweis Tibors, „dass er sich dies halt hätte früher überlegen sollen" folgte ein unerwartet heftiger Redeschwall, der den jungen Hünen aufhorchen, gleichsam die Ohren spitzen lies. Die diebische Elster offenbarte, seit er ihrer habhaft geworden war, erstmalig intellektuelle Schwächen, die er in dieser Form nicht erwartet, sich aber zunutze zu machen gedachte:

    „Ich befinde mich zwar schon seit vielen Jahren im Ruhestand, wurde aber aufgrund meiner fachlichen Qualifikation in ein Kontrollorgan der örtlichen Raiffeisenbank gewählt, was mir in der Pension viel Freude und Erfüllung bereitet stammelte der Alte beinahe schluchzend. „Meine Frau – eine pensionierte Grundschullehrerin – engagiert sich in der Gemeindearbeit und bekleidet als Vorsitzende des Kirchengemeinderates ein in unserem Gemeinwesen wichtiges Ehrenamt. Nicht auszudenken, wenn sie von dieser Sache erfährt! sprudelte es verzweifelt aus dessen Mund. „Diese Blamage, das darf doch nicht wahr sein rief er den Tränen nahe. Ohne den Vollstrecker eines Blickes zu würdigen, erkundigte er sich entsetzt nach dem weiteren Procedere. Als ihm Tibor erläuterte, „dass die Anzeige der Polizei beim für ihn zuständigen Bezirksgericht landen würde stöhnte dieser wie ein waidwundes Tier gequält auf und erwiderte ächzend. „Ich treffe einen dort tätigen Richter allwöchentlich in der Sauna und überziehe diesen zur allgemeinen Erbauung aller anwesenden Kollegen regelmäßig mit Kritik am Justizapparat. Ich wiederum muss von diesem Richter Kritik an der Finanzverwaltung über mich ergehen lassen, da nach dessen Ansicht der Rechtsschutz für den Bürger bei dieser nur unzureichend ausgestaltet sei befand er trotzig. Dieses Spiel wiederholt sich allwöchentlich und stellen Sie sich nur dessen Schadenfreude vor, wenn ausgerechnet der Richter die betreffende Anzeige bearbeitet! Tibor erwiderte mit besorgter Miene und nahezu diabolischer Freude, „dass derselbe, auch wenn er die Anzeige nicht bearbeite, davon erfahre, da zwischen den Richtern seines Wissens stets ein reger Erfahrungsaustausch stattfände. Besonders wenn es sich um einen verdienten Beamten, wie bei ihnen handelt betonte Tibor süffisant. Daraufhin bot ihm der alte Despot geradezu flehentlich eine stattliche Summe Bargeldes an, um diese Angelegenheit unter ihnen privat zu regeln, „da er das Geld in seinem Alter sicher gut gebrauchen könne wie er mit einem vielsagenden Zwinkern seiner blass blauen Augen betonte. Für den jungen Jäger nicht weiter verwunderlich, da er dessen beschämendes Verhalten aufgrund seiner persönlichen Einschätzung seit Anbeginn der Amtshandlung erwartet hatte. Angesichts der Verlockung des enormen Bargeldbetrages, für den er gerade zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich beste Verwendung hätte, zögerte er kurz. Dieser Moment genügte dem Verzweifelten, dessen Perspektive sich mittlerweile vor lauter Aufregung verengt hatte und der sich krampfhaft an jeden noch so dünnen Strohhalm klammerte, die Situation falsch einzuschätzen. Der fatale Irrtum – seitens des Jägers jedoch unabsichtlich herbeigeführt – lies den Detektiv in ihm jubeln. Sollte die unerwartete Täuschung gelingen, hieß es jetzt blitzschnell nachhaken und so erkundigte er sich – wenngleich dazu gar nicht befugt – ganz beiläufig nach dessen Personalien. Wider Erwarten gab dieser misstrauische Alte die vom Jäger so heiß ersehnte Information unter erkennbarer Schockeinwirkung preis. Aber Tibor hatte dieselbe! War ihm der mit allen Wassern gewaschene Kriegsveteran dank seines unerwarteten Versprechers doch tatsächlich auf den Leim gegangen. Ein wahrer Glücksfall: Den Wohnsitz an bester Adresse in unmittelbarer Nachbarschaft honoriger Mitbürger. Allesamt Einfamilienhäuser in prominenter Lage. Jedes einzelne klar zuordenbar, jedwede Verwechslung ihrer Bewohner ausschließend, wie der gnadenlose Jäger aus seiner einschlägigen Kenntnis der Örtlichkeit wusste. Eine Wohngegend wo die Leute gerne unter sich bleiben, sich aber andererseits nicht ausstehen können. Befriedigt über das erzielte Ergebnis versicherte er jen

    em ironisch: „Ich persönlich würde ihr großzügiges Angebot nur allzu gerne annehmen, bin aber leider – wie Sie richtig erkannt haben – weder Angehöriger der Polizei noch der Rechtspflege."

    In plötzlicher Erkenntnis seines begangenen Fehlers und der verbundenen folgenschweren Konsequenz erstarrte dieser, blieb sichtlich nach Luft ringend wie angewurzelt stehen, um alsbald wie ein gefangenes Raubtier um den schmutzigen Tisch herumzutigern. Nach Sicherstellung des Diebesgutes im Wert von neunzehn Schilling und neunundneunzig Groschen griff der Koloss zum abgetakelten Hörer des schwarzen Wählscheibentelefons und benachrichtigte mit geschäftsmäßig klingender Stimme die zuständige Wachstube.

    „Die Beamten werden in Kürze eintreffen informierte er anschließend den aus seiner Sicht Überprivilegierten mit scheinbarer Empathie, um sarkastisch „Sie werden also nicht mehr lange in der für Sie so demütigenden Umgebung ausharren müssen zu beenden.

    Mit dem Unausweichlichen konfrontiert, lehnte sich der Gebrandmarkte – dem die Beine wegzukippen drohten – mit hängenden Schultern und gesenktem Blick an dem wackligen Tisch an. Dabei fiel dem lauernden Blick des aufstrebenden Detektivs, der den vom hoch- zum demütigen Sünder gewandelten bei dessen Tun mit heimtückischen Glitzern in den Augen beobachtete, die edlen Materialien der auf dem Tisch stehenden Aktentasche aus feinstem Kalbsleder auf. Diese hochwertig verarbeitete Tasche wurde sicher nicht in einem Kaufhaus erworben, in der er seinen Dienst verrichtete. Sie kostete wahrscheinlich mehr, als er in einem ganzen Monat ins Verdienen brachte. Sicher in einer sündteuren Boutique in Zürich, Mailand oder irgendeiner anderen ausländischen Metropole erworben. Eigentlich viel zu teuer für jemanden, der sein Gehalt von der öffentlichen Hand bezog. Solcherart neugierig geworden, beschloss der Spürhund zu eruieren, welche Funktion der alte Halunke bei der Finanzbehörde konkret bekleidet hatte. Als er tatsächlich die richtige Behörde benannte, zuckte der merklich zusammen, was Tibor dahingehend interpretierte, dass er hier keinen einfachen Verwaltungsbeamten, sondern einen des gehobenen Dienstes „abgeschossen hatte, wie er stolz registrierte. Als er indes zu insistieren begann, fertigte ihn der Alte zu seinem grenzenlosen Erstaunen mit vagen Antworten und verächtlichen Blicken ab, kehrte ihm gar kaltschnäuzig den Rücken zu. Verärgert musste er sein perfides Vorhaben abbrechen, lies das nachfolgende Schweigen auf den Ertappten einwirken, denn schließlich stand nicht er, sondern der Beamte der höheren Verwendung unter Zugzwang. Nach fünf Minuten Schweigens konnte er seinen Ärger über dessen Widerspenstigkeit nicht mehr unterdrücken und sah die Zeit gekommen diesem angesichts seiner misslichen Lage nach wie vor arroganten Schnösel den „Marsch zu blasen bevor die Polizei eintraf.

    „Jetzt hören Sie mir mal ganz genau zu... und beugte seinen gewaltigen Oberkörper, der mehr als das ganze Häufchen Elend vor ihm auf die Waage brachte, drohend über den Tisch. „...was ich absolut nicht verstehen kann? Warum macht ein integrer Mann wie Sie so etwas Lächerliches? Klauen in ihrem fortgeschrittenen Alter einen Schraubenzieher, für den Sie doch ohnehin keinerlei Verwendung finden. Das haben Sie angesichts ihrer stattlichen Pension doch nicht nötig! Egal welche Tätigkeit Sie auch in der Hoheitsverwaltung konkret bekleideten, so musste die Achtung fremden Eigentums doch absolute Priorität genießen mutmaßte er in Nachahmung von dessen Worthülsen wütend. „Wertschätzung fremden Eigentums ist offenkundig ein Fremdwort, besitzt für Sie wohl absolut keine Gültigkeit ergänzte er lakonisch. „Sie wissen sicher, wie gering die Handelsspannen aufgrund des harten Konkurrenzkampfes im Handel sind. Mit jedem begangenen Diebstahl werden die Preise zwangsläufig angehoben, müssen die Preiserhöhungen von allen Kunden bezahlt werden. Das ist zutiefst unsozial, insbesondere von Leuten in ihrer Position, die für junge Leute wie mich ja eine moralische Vorbildwirkung haben sollten schnauzte der Hüter des Sortiments mit verhärteter Miene gebieterisch. „Umgekehrt sind Behörden bei Erteilung diverser Auflagen an Personen und Firmen bekanntlich oft äußerst kleinlich. Beginnend bei Gewerbeerteilungen bis hin zu Betriebsanlagengenehmigungen. Von der Finanz, welche ja ihr Spezialgebiet zu sein schien, ganz zu schweigen. Selbst bei der kleinsten Übertretung von Fristen werden sofort alle möglichen Strafen und Zuschläge seitens ihres Amtes eingehoben."

    Die Moralpredigt wurde von dem jugendlichen Jäger nicht aus echter Entrüstung oder gar Informationsbedürfnis, sondern einzig aus dem Grund gehalten, sich an der Scham dieses stolzen alten Mannes zu weiden. Er war ohnehin bereits im Besitz aller erwünschten Daten.

    Herr Hoeneß, der ihn zu spät durchschaut hatte, hob in einer hilflosen Geste beide Hände. Er, im Amt berüchtigter Alleswisser war in die Falle eines Berufsanfängers getappt! Müde und niedergeschlagen ließ sich der Bedauernswerte auf dem abgenutzten Bürohocker nieder. Gesenkten Hauptes und in Stein gemeißelter Miene starrte er gedankenverloren auf den grauen Betonboden. Der Erschöpfungszustand des betagten Mannes wurde jedoch seitens des psychologisch Ungeschulten als Ignoranz gegenüber seiner Person gewertet. Dies stand in seinem Rollenverständnis mit dem Anspruch einer Respektsperson – die eine wichtige Vernehmung vorzunehmen hatte – keineswegs in Einklang. Despektierlich wurde daher ohne jede Rücksicht weiter insistiert:

    „…habe ja Verständnis für ihre missliche Lage und kann gut nachvollziehen, dass Sie nicht mehr von der Anwesenheit meiner Person gestört werden wollen. Zumal sie sich jetzt auf das bevorstehende erkennungsdienstliche Verfahren vorzubereiten haben, dass Sie bereits aus dem Finanzstrafverfahren zur Genüge kennen, welches auch Fotoaufnahmen sowie die Abnahme der Fingerabdrücke beinhaltet."

    Als sein schwer angeschlagenes Gegenüber völlig indisponiert in keiner Weise mehr auf seine Provokationen reagierte, erhöhte er ungerührt den verbalen Druck:

    „Ich glaube zwar angesichts ihrer persönlichen Umstände nicht, dass die Polizei – wie neuerdings in vielen Fällen üblich – auf die Idee kommen wird, eine Nachschau bei Ihnen zu Hause vorzunehmen. Könnte mir vorstellen, dass ihre Gattin über einen Besuch der Polizei in ihrer Begleitung höchst verwundert, mit Sicherheit jedoch nicht sonderlich erbaut wäre, verlautete er in scheinbarer Besorgnis. „Dazu noch diese Einsatzfahrzeuge mit ihrer selbst bei Dunkelheit gut erkennbaren Beschriftung samt auffällig blauen Leuchten auf dem Dach! In ihrer Wohngegend eher ein ungewöhnlicher Anblick, der für erhebliches Aufsehen unter den Anrainern sorgen dürfte. In Anbetracht neugieriger, manchmal missgünstiger Nachbarn nicht zwingend ein vergnügungssteuerpflichtiger Tatbestand fügte er auf dessen ehemaligen Beruf anspielend, Stirne runzelnd hinzu.

    Diese Aussage traf den endgültig Gebrochenen, dessen Gesicht sich mittlerweile zu einer tragischen Maske verzerrt hatte, mit fataler Wirkung: Seine Miene verfinsterte sich augenscheinlich, der Mund erschlaffte vollends, seitlich klappten die Kiefer herunter und nicht mal seine an sich lebhaften Augen blitzten. Der Jäger erblickte voller Befriedigung die Pein in den Augen seiner erlegten Beute. Die erbarmungswürdige Gestalt sackte förmlich in sich zusammen, als wäre sie eine Marionette, deren Fäden man urplötzlich durchschnitten hatte. Als die binnen kurzer Zeit eingetroffenen Uniformierten durch die Eisentür traten, begrüßte sie der Zuchtmeister mit einem aufgesetzten Lächeln. Die ihrerseits wandten sich jedoch sofort dem Dieb zu, der ebenfalls zur Begrüßung stumm nickte und den Beiden mit verzweifelten Blicken signalisierte, ihn doch endlich aus dieser erbärmlichen Umgebung zu befreien. Die Polizisten erfassten zur Erleichterung des Verzweifelten sofort seine missliche Lage, wie ihren sichtlich betretenen Mienen zu entnehmen war. Zielstrebig trachteten die Exekutivbeamten diese auch für sie unangenehme Amtshandlung rasch hinter sich zu bringen. Der besorgniserregende Zustand des Delinquenten berührte sie peinlich und ihre vornehmste Pflicht war es, den nunmehr in ihrem Gewahrsam Befindlichen so rasch wie möglich aus dieser unwürdigen Umgebung zu befreien. Angesichts dessen Alters wusste man nie und noch mehr Aufsehen durch einen herbeigerufenen Notarzt galt es tunlichst zu vermeiden. Die tiefe Scham entnahmen die beiden sympathischen Wachbeamten den flehenden Augen und der düsteren Miene des gebrochenen alten Mannes, welche auch sie nicht ungerührt ließ. Als sich das Trio anschickte, erleichtert den tristen Raum zu verlassen, hörten sie eine Stimme im Hintergrund in einer Lautstärke trompeten, die jedem brünftigen Elefantenbullen zur Ehre gereichte, welche die Gesetzeshüter samt Gesetzesbrecher indes erschrocken zusammenzucken ließ:

    „Ich empfehle dringend an der Wohnadresse dieses feinen Herrn eine polizeiliche Nachschau. Das Diebesgut, ein Schraubenzieher – für einen Schreibtischtäter wohl kein vertrauter Gegenstand – legt den berechtigten Verdacht des gewerbsmäßigen Diebstahles nahe!"

    In dem Wissen, dass die Ordnungskräfte jedem Verdacht, insbesondere seinem konkreten Hinweis nachzugehen hatten, wollten sie sich nicht dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs aussetzen, ließ sich der geballte, fast drei Zentner schwere Denunziant zufrieden in seinen alten Bürohocker fallen, der unter dem drückenden Gewicht ebenfalls einen gequälten Laut von sich gab und verzog den Mund zu einem sardonischen Grinsen. Für ihn war klar, dass der selbstherrliche Alte – sobald er den ersten Schreck überwunden hatte – den nächsten gravierenden Fehler beging. Er würde die vom Bezirksgericht zu erlassende Strafverfügung beeinspruchen, was zwangsläufig eine Gerichtsverhandlung nach sich zog. Eine Hürde, die der Alte bei allen Bocksprüngen zu denen dieser fähig war, bei gegebener Rechts- und Sachlage nicht mehr würde überwinden können, insbesondere er persönlich vom Richter als Zeuge aufzubieten war. Nachdem der Übeltäter – nur noch ein Schatten seiner selbst – von den beiden Weicheiern abgeführt worden war, widmete sich Tibor in dem erhebenden Gefühl wieder einen dieser heuchlerischen „Gutbürger zur Strecke gebracht zu haben, dem langweiligen Papierkram. Dieser bestand im Ausfüllen von Formularen für das Auftrag erteilende Kaufhaus sowie der Detektei bei der er angestellt war. Nachdem er die lästige Pflicht hinter sich gebracht hatte, begab er sich wiederum erwartungsfroh in die Glitzerwelt der Verkaufsräume um nach weiteren potentiellen Ladendieben Ausschau zu halten. Er hatte zwar diese Beute erlegt, aber sein Jagdtrieb war noch lange nicht gestillt! Zumal eine gewisse „Mindestabschussquote – zwingender Bestandteil seines Fixgehaltes – nötig war, um finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen. Am wichtigsten jedoch: Er wollte seiner neuen Flamme, die er letzten Samstag in einer Diskothek im grenznahen Lindau kennengelernt hatte, etwas bieten, denn die Konkurrenz war bei ihrem Aussehen und ihrer Herkunft nicht zu unterschätzen. Ihr Name war Brunhilde.

    Körperliche und seelische Qualen

    Die kleine Lake zu seinen Füßen vergrößerte sich rasch. Sie rührte von Schweißperlen die von der Stirn in einem kleinen Rinnsal über die Wangen zu Boden tropften. Während Darius den fast mannshohen Sandsack, der an einem dicken Stahlseil von der Decke baumelte mit seinen an Hand- und Fingerknöcheln gepolsterten Fäustlingen bearbeitete, spürte er die Blicke seiner Vereinskollegen auf sich ruhen. Wenngleich an diese unverhohlenen Blicke, seit er vor einem Jahrzehnt mit dem Sport begonnen hatte, mittlerweile gewohnt, genoss er diese doch immer wieder. Bestätigten sie ihm doch ungeachtet nagender Zweifel und den zwangsläufig mit dieser harten Sportart verbundenen Schindereien die Richtigkeit seines schweißtreibenden Tuns. Aber da vernahm er die energischen Zurufe

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