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Steinige Jagd: Eine andere Weihnachtsgeschichte
Steinige Jagd: Eine andere Weihnachtsgeschichte
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eBook492 Seiten5 Stunden

Steinige Jagd: Eine andere Weihnachtsgeschichte

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Über dieses E-Book

In wenigen Tagen ist Weihnachten.
Verstohlen schleichen zwei gestandene Männer im Schatten der Häuser durch das nächtliche, winterlich-kalte Istanbul. Ihre Absicht ist unredlich, um nicht zu sagen kriminell: Der Einbruch in die gut gesicherte Schatzkammer des historischen Topkapi-Palastes.
Aber weder haben sie es auf den weltberühmten Topkapi-Dolch abgesehen, noch auf die dort verwahrten Barthaare Mohammeds. Nein, ihr Ziel ist ein geheimnisvolles Relief, auf dem sich die eingemeißelte Konstruktionszeichnung eines sogenannten Gravitativen Zeitdilatators befinden soll. Dieses schon steinalte, relativitäts-theoretische Gerät dient der Verlangsamung der Zeit. Und nur mit dieser Apparatur ist eine zeitnahe und pünktliche Bescherung in den guten Stuben möglich.
Verkleidet sind die beiden Einbrecher als Weihnachtsmann und Knecht Ruprecht. Das heißt: Eigentlich sind sie gar nicht verkleidet, denn sie sind es wirklich. Die Echten!
Doch was, zum Teufel, treibt es die beiden dazu, zum Goldenen Horn zu jetten, um dort ein krummes Ding zu drehen?
Auf ihrer mit Widrigkeiten des Istanbuler Alltages gespickten Mission, der einer konspirativen Verschwörung zugrunde liegt, bekommen es die beiden "Weihnachtlichen" am Goldenen Horn mit einer Bande hartgesottener Kidnapper zu tun, sowie mit einem teuflischen Hund, mit ungläubigen Einheimischen und nicht zuletzt mit der Elite der nationalen und internationalen Polizei.
Zur Überraschung aller droht plötzlich die Gefahr aber von einer ganz anderen Seite. Das Durcheinander ist perfekt - bis zum unerwarteten Finale…
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum8. Juli 2021
ISBN9783754140512
Steinige Jagd: Eine andere Weihnachtsgeschichte

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    Buchvorschau

    Steinige Jagd - Thomas Jütte

    Vorgeschichte

    Knecht Ruprecht lief es eiskalt den Rücken herunter.

    Angstvoll starrte er auf den maskierten Mann, seinen Entführer, der sich selbst Billy the Kidnapper nannte. Das konnte nicht nur, das musste ein Pseudonym sein.

    Der Mann war mit einem furchteinflößenden Messer bewaffnet. Mit fiebrigem Glitzern in den Augen, das Schlimmes ahnen ließ, hob der Verbrecher langsam seine mörderische  Stichwaffe, in der eindeutigen Absicht, gnadenlos zuzustechen.

    „Das können Sie… doch… nicht tun", flehte der prominente Gefangene, der bis zur Bewegungslosigkeit gefesselt war. Das Zittern in seiner Stimme war unüberhörbar.

    „Kann ich nicht? KANN ICH NICHT?! Wieso KANN ich nicht?!?"

    „Weil…, weil…, weil ich dann nie wieder ein Wort mit Ihnen rede..."

    „Diese Sprüche… Immer diese Sprüche!, rastete Billy förmlich aus, wieder einmal. „Aber damit ist jetzt endlich und endgültig Schluss!

    Mit rasendem Tempo fuhr das Messer nieder und bohrte sich unbarmherzig in sein Ziel, um dann in einer schlitzenden Bewegung brutal nach vorne gezogen zu werden.

    Entsetzt heulte der Knecht auf.

    War das das Ende? Sein Ende?

    Das Ende einer langen Aera?

    Das Ende der fruchtbaren Partnerschaft mit Santa Claus?

    Obwohl, wirklich vermissen wird ihn wohl kaum jemand. Ungezogene Rotzlöffel zum Beispiel, die schmerzhafte Bekanntschaft mit seiner Rute gemacht hatten, könnten gut und gerne auf ihn verzichten. Zudem zweifeln immer mehr vom zügellosen Internet statt von strenger Hand erzogene Präpubertierende an der Existenz dieser einstigen weihnachtlichen Kultfigur.

    Doch was war der Auslöser für diesen verbrecherischen Akt? Was steckte hinter der perfiden Entführung von Knecht Ruprecht? Wer, in aller Welt, war so respektlos, so abgestumpft, sich an dem Kompagnon des Weihnachtsmannes zu vergreifen? Wer riskierte es, auf deren berüchtigte schwarze Liste zu kommen, mit der bitteren Konsequenz, künftig keine Geschenke mehr zu bekommen?

    Alles begann wenige Tage zuvor mit einer defekten Apparatur im winterlich verschneiten Lappland…

    Coca-Cola

    Er sei nur ein ganz gewöhnlicher „Elf. Gewöhnlich und lustig. Ein Elf mit kugeliger, dicker Plautze. Der so drollig Beschriebene verzog säuerlich das Gesicht: „So ein ein hanebüchener Blödsinn.

    Als wäre das nicht schon genug, wurde ihm als Bekleidung noch ein Fell angedichtet: „Fell vor allen Dingen. Fell…!"

    Wäre der unselige Verfasser dieser verunglimpfenden Personenbeschreibung - ein Mann namens Clement Clarke Moore - nicht schon längst bei den Seinen, hätte er ihm längst eine Klage an den Hals gehängt. Aber nicht wegen Rufschädigung. „Nein, wegen Beleidigung!"

    Es soll übrigens auf das Jahr 1823 zurückgehen, als Moore, seines Zeichens Professor der orientalischen und griechischen Literatur sowie Schriftsteller eigenen Gnadens, besagte Beschreibung in einem seiner Gedichte veröffentlicht hatte.

    „Von wegen Gedicht. Ein Pamphlet ist das, ein dummes...", ärgerte sich der so Düpierte.

    „Da erdreistete sich dieser, dieser… Künstler sogar, noch Einiges drauf zu setzen." Er hätte glitzernde Augen, rosige Bäckchen, eine Nase wie eine Kirsche (Kirsche!!!), einen langen, schneeweißen Bart und ständig eine Pfeife im Mundwinkel.

    „Nein, diese Respektlosigkeit. Warum nicht gleich noch mehr solcher Klischees?!?"

    Die gab es in der Tat später, im Jahre 1931, als der in die USA eingewanderte Schwede, Haddon Sundblom, von Beruf Grafiker und Cartoonist, für die Coca-Cola-Company eine Symbolfigur für die anstehende Weihnachtskampagne gestalten sollte. 

    Sundblom zog Moores „Elf" kurzerhand das Fell über die Ohren und verpasste ihm ein neues Outfit in Form eines auffallend roten Mantels... mit weißem Fellbesatz. Dazu setzte er ihm eine farblich passende Zipfelmütze auf, drückte ihm eine halbvolle Coca-Cola-Flasche in die Hand und bot ihn, derart werbewirksam präpariert, einem Millionenpublikum in aller Welt dar.

    Aus dem lustigen, bodenständigen Elf war ein recht markanter, cola-benebelter Hanswurst in schwulem Rot-weiß geworden, der vielen Kindern sicherlich nicht nur schöne Träume bescherte...

    Derart der Lächerlichkeit preisgegeben, wäre seiner Meinung nach auch der Tatbestand der Vorsätzlichkeit erfüllt, geschweige der Verletzung des Persönlichkeitsrechts. 

    Wütend pfefferte der ehemalige „Elf" seine Lieblings-Illustrierte Suomen Kuvalehti in die Ecke, in der ihm die doppelseitige Coca-Cola-Werbeanzeige ins Auge gesprungen war.

    „Dieser Herabwürdigung widerspreche ich aufs Schärfste!" brachte sich der Betroffene immer weiter in Rage. Die Werbung kam ihm gerade recht, denn eigentlich war er schon den ganzen Tag übel gelaunt.

    Der Elf hatte natürlich auch einen Namen. Von Amtswegen hieß er Aleksanteri Claus, wobei er von vielen kurzerhand Santa Claus genannt wurde, er aber den Namen Santu Claus favorisierte.

    Letztendlich war ihm das aber egal. Seinetwegen könnte man ihn auch mit Heiliger Claus ansprechen, oder mit Herr Weihnachtsmann oder auch mit Heiliger Vater. Ach nein, da gab's ja schon einen, da in Rom.

    Nicht aber einen Weihnachtsmann. Richtig gehört: Weihnachtsmann! Da gäbe es nicht den geringsten Zweifel, wie der Weißbärtige selbstgefällig und unermüdlich jedem, der es hören wollte, auf die Nase band: „Ich bin DER Weihnachtsmann, der echte, der einzige...!"

    Fell trüge er übrigens seit der Erfindung der klimaregulierenden Kapokfaser-Feinstrumpfhose schon lange nicht mehr. Und rotweißes Outfit? „Na ja, gelegentlich." Daran gewöhnte man sich übrigens schnell. Auch aus praktischen Gründen. Denn es sorgte in der Dunkelheit schon für etwas mehr Sicherheit. Und da er meistens nachts unterwegs war... Warum also nicht?

    Pfeife rauchte er allerdings nur, wenn es ihm richtig gut ging. Meistens gegen Feierabend, nach dem Weihnachtswahnsinn, wenn er endlich seinen gebeutelten Sack an den Nagel hängen konnte und zur Ruhe kam. Und wenn Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen, sein - seiner Meinung nach - recht tumbes Rengetier, erschöpft alle Hufe von sich streckte.

    Im Moment war keine Pfeife angesagt, denn im Moment war er äußerst aufgeregt. Das war, gelinde gesagt, weit untertrieben: Schieres Entsetzen hatte ihn gepackt.

    Dieses hatte weder etwas mit der Coca-Cola-Werbung noch mit dem alljährliche Kraftakt zu tun, der ihm noch bevor stand - schließlich schrieb man erst den vorweihnachtlichen 16. Dezember.

    Nein, der Grund war, dass das Unfassbare, das Unaussprechliche drohte: Weihnachten ohne ihn, dem Weihnachtsmann.

    Tatsächlich. Das Highlight eines jeden Jahres, die Parade-Veranstaltung am 24. Dezember, das Finale also, drohte ins Wasser zu fallen, zumindest was die materielle Seite dieses Spektakels betraf. Denn es war etwas passiert, was nie hätte passieren dürfen…

    Ukonkivi

    „Chef‚ ‘s Zeit, die Hardware zu checken", erinnerte ihn Rooperti einen Tag zuvor: Wie immer pünktlich, aber auch wie immer unnötig.

    Rooperti war die rechte Hand von Santa, bzw. Santu. Er selbst bezeichnete sich bescheiden nur als dessen Handlanger oder als Knecht seiner weihnachtlichen Eminenz.

    Nun gut, im Grunde schmeichelte das Santu sehr. Dennoch sah er sich der Form halber hin und wieder dazu genötigt, diese Aussage zu relativieren, wenn auch nur halbherzig. Denn ohne Rooperti, alias Ruprecht, Rühpert, Rupperich oder Zwarte Piet, wie er von den einen oder anderen genannt wird, wäre ihr Job in ihrer speziellen Dienstleistungsbranche nur halb so effektiv. Sie beide bildeten quasi eine Symbiose, ein Dream-Team, galten bei den Kollegen hinter vorgehaltener Hand schon – oftmals milde bis mitleidig belächelt - als das „Dynamische Duo".

    Aufgrund ihrer strikten Arbeitsteilung ergänzten sich beide nahezu perfekt und rannten mit ihrer scheinbar einstudierten „Guter-Cop-Böser-Cop-Nummer" regelrecht Türen ein, im wahrsten Sinne des Wortes.

    Während Claus, der „Gute, für glückseliges Glitzern in den Augen der braven Kleinen sorgte, erfüllte sein Knecht, der „Böse, den Gegenpart. Und zwar für ihr anderes Klientel, für die - ihrer Meinung nach - unartige, ungezogene und verstockte Brut, der es galt, ihre gerechte Strafe in Form drakonischer, oft schmerzhafter Maßnahmen zukommen zu lassen.

    Im Grunde übte Santu seinen Saisonjob mit Herz und Leidenschaft aus. Es befriedigte ihn nicht nur, sonder es machte ihm sogar richtig Spaß  – meistens zumindest.

    Auch der „böse" Rooperti war mit ganzem Herzen bei der Sache. Vor allem dann, wenn sein spezielles Arbeitsutensil  zum Einsatz kommen durfte. Dabei handelte es sich um ein ruppig aussehendes Gebinde, zusammengesetzt aus rund 15 stramm-gebündelten Weidenruten…

    Glückseligkeit war es, was sich bei der Arbeit in seinen Augen widerspiegelte. Ein fröhliches Glitzern, das beim Einsatz der Rute in krasser Opposition zu dem Schimmern in den Äugelein der domestizierten Betroffenen stand.

    „Nein, nein Chef, es is‘ nich‘ so wie Sie denken", verteidigte sich Rooperti jedes Mal aufs Neue, wenn sich bei Santu wieder einmal tadelnd die weiße, buschige Monobraue hochzog, was seiner Stirn das Aussehen einer Steirischen verlieh.

    „Sie wissen's doch genau, Chef: Es gibt jedes Jahr leider immer mehr Rotzlöffel, die das nötig haben, die's förmlich brauchen", wurde er nie müde, seine nicht unumstrittenen Methoden mit scheinheiligstem Blick zu begründen.   

    Fragt sich nur, wer das braucht, wurde Santu Claus ebenfalls niemals müde, sich seine ganz persönlichen Gedanken darüber zu machen.

    Im Grunde war Rooperti nach Ansicht Santus ein lieber Kerl und eine treue Seele, wenn auch oftmals sehr tollpatschig.

    Eigentlich ein richtiger Schatz, wie er fand. Und manchmal auch ein richtiger Spaßvogel. Na ja, ist nicht gerade mein Humor. Aber was soll's?

    Santu und sein Kompagnon hatten beruflich schon viele Jahre zusammen zu tun. Jedoch konnte er nicht unbedingt sagen, dass er seinem Knecht dabei  näher gekommen war. Dazu bot sich aber auch kaum Gelegenheit. Denn nach dem vorweihnachtlichen Stress und der heiligabendlichen Ochsentour machte sich sein Knecht, begleitet von Rentier Rudolph (das heißt tatsächlich so…), umgehend auf den Weg in seine Heimat nach Ukonkivi. Das ist eine winzige Insel im südwestlichen Teil des riesigen Inarisees, nicht weit entfernt vom Städtchen Inari gelegen.

    Dort verbrachten Rooperti und Rudolph den ganzen Sommer unentdeckt, weil gut versteckt, in einem Gewölbe eines Berges, das aber eher den Ausdruck Hügel verdient hätte. Dieser Ort wurde von den Samen, den finnischen Ureinwohnern, als Kultstätte verehrt, respektiert und somit auch gemieden.

    Womit sich Roop & Rud dort die ganzen Monate beschäftigten? Santu hatte nicht die leiseste Ahnung. Aber im Grunde interessierte ihn das auch nicht. Nicht wirklich.

    „Ora et labora" faselte der Knecht erst kürzlich, wie immer unverbindlich und nichtssagend, als Santu wieder einmal von ihm wissen wollte, was sie denn dort den ganzen Sommer über so trieben.

    „Beten und Arbeiten?, äußerte Santu seine Verwunderung. „Beten, okay. Aber zusätzliches Knechten? Nein, das konnte er nun wirklich nicht nachvollziehen, bei ihrem arbeitsintensiven, stressigen Dezember-Job.

    In Santus Team brodelte bereits die Gerüchteküche. Denn um Roopertis Vergangenheit rankten sich die merkwürdigsten Geschichten. So wurde er tatsächlich mit den spätmittelalterlichen Kinderfressern und anderen Unholden in eine Reihe gestellt, wie zum Beispiel dem Popelmann, dem Mumlar oder dem schandlichen Clauß (Clauß? Claus!).

    „Der Kinderfresser, so drohte man seinerzeit dem ungehobelten Nachwuchs, „schnappt euch unchristliche Balgen, schlitzt euch auf, peitscht euch bis aufs Blut aus und frisst euch anschließend auf.

    Kaum zu glauben, aber das war einst tatsächlich die landläufige Meinung: Knecht Ruprecht und seine unfreundlichen Spießgesellen verschleppten unartige Kinder, packten sie in Sack, Fass oder Korb, um sie dann zu verspeisen.

    Nun, ein Knecht Rooperti verschleppte im 21. Jahrhundert wahrscheinlich keine jungen Menschlein mehr, um sie dann aufzuessen. Dennoch, so schien es zumindest, liebäugelte Rooperti sehr mit der althergebrachten Variante, züchtigende Elemente als legitimes Mittel für eine ordnungsgemäße Entwicklung körperlicher und geistiger Art einzusetzen - trotz aller neuzeitlichen, scheinbar so fortschrittlichen Erziehungsmethoden. 

    Korvatunturi

    Alle Jahre wieder, immer Anfang Dezember, machten sich Rooperti und Rudolph auf den Weg durch die eisige Kälte zurück zu Santa/Santu Claus.

    Der residierte und arbeitete im weit sichtbaren Korvatunturi. Dabei handelte es sich um einem ausgehöhlten, immerhin fast 500 Meter hohen Berg im Urho-Kekkonen-National-Park im finnischen Nord-Lappland. Dort hatte sich der Weihnachtsmann vor langer Zeit niedergelassen und seinen Vertrieb aufgebaut.

    Dieses Jahr war es nicht anders. Wieder einmal stapften Rooperti und Rudolph zu Fuß durch die weiße, eisig erstarrte Winterlandschaft Lapplands in Richtung Korvatunturi.

    Wie immer waren beide schon von Weitem zu erkennen. Kein Wunder, fielen sie doch auf wie ein bayrisches Pfingstochsen-Gespann in der namibischen Kalahari: Denn statt  in seiner üblichen düster-grauen Berufskluft war Rooperti, der Tarnung wegen, so behauptete er zumindest, in traditioneller, grellbunter samischer Landestracht unterwegs. Also unauffällig auffällig - oder auch umgekehrt.

    Rudolphs Äußere dagegen war reines Balsam für die Augen des Betrachters: Er stakste wie üblich in neutral-graubraunem Winterpelz durch die tiefverschneite Einöde.

    Das erfahrene Rentier betrachtete übrigens auffällige Outfits als Ausdruck eines narzisstischen Selbstdarstellungs-Defizits. Rudolph hatte diesbezüglich halt seine eigene Meinung, und zudem ein dickes Fell. Außerdem gäbe es in seiner Größe ja eh nichts Passendes, Samisches…

    Korvatunturi, der in grauer Vorzeit vermutlich nur durch vulkanische Aktivitäten aufgefallen war, bot mit seiner Infrastruktur ideale Voraussetzungen für einen reibungslosen Ablauf des Weihnachtsgeschäfts. Neben der Anbindung an das überschaubare Straßen- und Flusswegenetz verfügte die Vertriebsbasis - und das war das Einzigartige - mitten im flachen Krater über einen integrierten „Take-off"-Bereich für das Rentier-Fluggespann. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil: Die mittelbare Nähe zum weltbekannten Weihnachtspostamt im Weihnachtsmanndorf bei Rovaniemi, das alljährlich in einer Flut an kindlichen Bittbriefen förmlich ertrank.

    Check-up

    „Boss, was ist denn nun mit der Hardware?!", drängelte Rooperti und stoppte die gedankliche Schlittenfahrt seines Vorgesetzten.

    Santu schreckte hoch. „Ja, ja. Schon gut. Dann lass uns mal den Probelauf starten. Los, ab in die Zentrale. Habe schließlich wieder 'mal lange genug auf dich warten müssen. Ich dachte schon, die samischen Schamanen hätten dich geschnappt und ihrem Berg geopfert, so wie du wieder gemustert bist..." Rooperti ist dieses Jahr ungewöhnlich angespannt, fand er. Was hat er nur? Beziehungsstress mit Rudolph? Santu grinste innerlich über diese Vorstellung. Wäre doch nicht so schlimm. Das kommt schließlich in den besten Familien vor.

    Bei der Hardware, die es jedes Jahr zu überprüfen galt, handelte es sich um einen Gravitativen Zeitdilatator. Ein hochtechnisches Gerät, das schon bessere Tage erlebt hatte. Aber ohne diese Apparatur wären die zeitlich eng gefassten Auslieferungstermine für die unzähligen Weihnachtsgeschenke unmöglich zu halten.

    Der Gravitative Zeitdilatator war ein Gerät, welches – laienhaft ausgedrückt – die Zeit auf der Erdoberfläche um etwa den Faktor 7•10−10 langsamer macht, als im fernen, näherungsweise gravitationsfreien Weltraum.

    Santu, voll des Sendungsbewusstseins, erinnerte sich mit selbstgefälligem Schmunzeln an Roopertis Gesicht, als er ihm das erste Mal die Funktionsweise dieses Wundergerätes zu erklären versucht hatte. Da der Knecht zugab, nur „Bahnhof" verstanden zu haben, machte er sich sogar die Mühe, ihm das noch einmal haarklein auseinanderzuklamüsern:

    „Stell' dir vor, du bist in einer ständig gleichförmigen Bewegung. Dann ruhst du in einem sogenannten Inertialsystem. Dann geht nach der speziellen Relativitätstheorie jede relativ zu dir bewegte Uhr aus deiner Sicht langsamer. Wobei diesem Phänomen allerdings nicht nur Uhren, sondern die Zeit im bewegten System selbst und damit jedem beliebigen Vorgang unterliegen. Jetzt verstanden, mein lieber Knecht?"

    „Wie Sie meinen, Chef..."

    Santu seufzte. Hatte sein Knecht das also immer noch nicht kapiert. Aber kein Grund zum Verzweifeln. Für solche Fälle hatte Santu, dem vor Begeisterung über sein eigenes Wissen förmlich die Bartspitze zitterte, die farblose Kurzform parat: „Der Gravitative Zeitdilatator ist eine Zeitraffermaschine. Die Zeit wird gestreckt, vom Tempo her verändert - verschoben quasi. Jetzt geschnallt, du bedauernswerter Unwissender?"

    „Ach sooo. Na, das ist ja einfach."

    Eben…, bzw. eben nicht.

    Fakt war: Die Sache schien weitaus komplizierter als man dachte. Kompliziert, aber unverzichtbar. Denn ohne dieses fantastische Gerät wäre der Besuch von Millionen Haushalten, inklusive heimlicher Zutrittindiewohnungverschaffung, kreativer Geschenkeunterdembaumpositionierung und leise Ausdemstaubmachen einfach nicht möglich.

    Der Schaltplan

    Der Zeitdilatator hatte die Ausmaße eines größeren Einbaukühlschranks.

    Auf den ersten Blick kam er dem Betrachter recht altertümlich und verspielt vor, so, als hätte der englische Schriftsteller H.G. Wells bei seiner Entwicklung mitgemischt. Wells hatte 1895 ebenfalls an einer Zeitmaschine gearbeitet, zumindest in seiner schriftstellerischen Fantasie. Diese Apparatur wurde später als „The Time Machine" gnadenlos in Schrift und Bild, bzw. Zelluloid,  vermarktet.

    Doch dem ersten antiken Eindruck sollte man in diesem Fall eine zweite Chance geben. Denn das System funktionierte tadellos, so alt es auch schien. Und nur das war entscheidend.

    Der zeitraffende „Kühlschrank" stand in der Zentrale im Untergeschoss. Diese war das Herzstück der gesamten Anlage, quasi das Heiligtum.

    Unter dem gleißenden Licht der Tageslichtröhren betraten Rooperti und Santu Claus, begleitet von zwei grimmig blickenden Sicherheitswichteln in grüner Uniform, den gnadenlos weißgetünchten und mausgrau bodengefliesten, vollklimatisierten Raum. Obwohl es nicht kalt war, ließ die sterile Atmosphäre Santu jedes Mal frösteln.

    Der Begriff steril war eine ordentliche Untertreibung. Denn gegen die Atmosphäre in diesem Raum verströmte sogar eine forensische Pathologie den verträumten Charme einer ostfriesischen Teestube.

    „Eine rote Bordüre tät‘ Wunder wirken", murmelte Claus in seinen Bart angesichts des kalten Ambientes.

    „Wie meinen, Boss?", Rooperti hatte akustisch nicht verstanden.

    „Nichts. Hab' nur laut gedacht." 

    Das harte Summen der Kühl- und Stromaggregate durchschnitt die kalte Luft, kitzelte unangenehm Santus empfindliches Trommelfell.

    „Leg‘ schon mal die Hebel 2 bis 7 um", befahl Santu und bohrte, um das lästige Kitzeln in den Ohren loszuwerden, leidenschaftlich mit den Zeigefingern in seinen Gehörgängen herum, dass es nur so knatschte. Dann stellte er eigenhändig mit gewichtiger Miene die Zeitschaltuhr auf die gewünschte Verzögerung ein und machte sich an verschiedenen Knöpfen zu schaffen. Anschließend schlug er mit der linken Hand übertrieben heftig auf den roten Sicherheits-Buzzer, der einerseits zum Entsperren, andererseits, beim zweiten Hieb, als Not-Stopp diente. Mit rechts legte er zugleich behutsam den schwarzgelben Master-Stick um.

    In Erwartung des erst langsam, dann blitzartigen Hochfahrens des Generators, das dem Crescendo eines jaulenden Katers ähnelte, dem man versehentlich auf den Schwanz getreten war, schloss Claus die Augen.

    Wie erwartet tat sich… nichts. Rein gar nichts. Nach einem kurzen Augenblick der Überraschung öffnete er die Augen. Aber alles blieb unverändert: Nichts schnurrte oder jaulte. Nichts blinkte. Und das Schlimmste: Keine Zeit raffte.

    Überrascht drehte er sich nach Rooperti um.

    „Was ist los? Was hast du jetzt wieder angestellt…, beziehungsweise nicht angestellt? Welchen Schalter hast du vergessen?"

    „Negativ, Boss, beschied der Beschuldigte. „Alle Schalter auf ON!

    Merkwürdig. Was hat denn das nun zu bedeuten?   

    „Chef, ist vielleicht der Stecker ‘raus?", traute sich Rooperti die Mutter aller Unfragen, die meistens den nicht männlichen Fragestellern vorbehalten war.

    Santu ließ sich natürlich nicht auf dieses Niveau herab, verdrehte hingegen nur seine Augen, was seinem Knecht allerdings verborgen blieb.

    „Hmmm. Dann alle Schalter wieder auf OFF… Und jetzt die Prozedur nochmals von vorne."

    Nach einem verstohlenen Blick auf die Steckdose (nur zur Sicherheit! Könnte vielleicht, möglicherweise, eventuell, gegebenenfalls ja doch… wie‘s der Teufel nun mal will), das gleiche Prozedere noch einmal: Alle benötigten Schalter umlegen, Knöpfe drücken und auf den Buzzer hauen…

    Atemlose Spannung legte sich über den Raum.

    Doch wieder nichts: Das Wundergerät streikte, ignorierte sie,  schien sich förmlich über sie lustig zu machen.

    Santu war mit seinem Latein am Ende: „Was nun, Rooperti. Einen Einfall, aber rasch!"

    „Schrotthändler anrufen, Koffer packen und ab nach Hause, entgegnete der Angesprochene hoffnungsvoll wie praktisch. „Hätt‘ natürlich gerne einigen Blagen den Hintern versohlt, fuhr er leutselig fort. „Andererseits täte es der Menschheit vielleicht ganz gut, wenn wir einmal nicht am Start sind, was meinen Sie, Chef?"

    „Ganz ausfallen lassen? Warum?"

    „Na, dann würde das gemeine Volk erst einmal merken, wie wichtig wir sind. Und was von dem gewohnten Weihnachtsfest ohne uns übrig bliebe! Das wär' mal eine ganz neue Erfahrung. Dann etwas nachdenklich: „Vielleicht würde man dann endlich wieder auf das Wesentliche und auf den eigentlichen Kern dieses Spektakels zurückkommen.

    Natürlich, so war der Knecht felsenfest überzeugt, sei ohne ihr Engagement die pure Langeweile angesagt, abgesehen von den Nebenschauplätzen des Festes, nämlich der ausufernden Völlerei, der kurzweiligen Familienkräche und der obligatorischen Fernseh-Nonstop-Berieselung.

    Rooperti weiter: „Wir haben's in der Hand. Denn wir sind schließlich die Stars dieses Spektakels. WIR sind Weihnachten! Und den Aufschrei, den würde ich schon gerne mal hören…" Erwartungsvoll schaute Rooperti den Weihnachtsmann nach seiner ungewohnt emotionalen Eruption an.

    „Na, na, na. Mal nicht so aufmüpfig, lieber Kollege. Schön wär's vielleicht. Aber das geht leider nicht, entgegnete Santu mechanisch, während sein Gehirn bereits auf Hochtouren arbeitete und nach einer Lösung des eigentlichen Problems suchte. „Das würde uns Millionen kosten. Ach, was sag‘ ich: Milliarden! Denn schließlich ginge es bei dem „ganzen Brimborium nur ums Business, as usual. „Und wir sind nur ein kleines Rädchen in diesem System.

    „Überleg' mal, erläuterte Santu weiter, „der Riesenberg an Geschenken. Was machen wir damit? Was ist mit den Lagerkosten? Und dann noch unser Personal, die Zulieferer, die Ausfallhonorare, und nicht zuletzt, unser Tier- und Fuhrpark… Was ist damit?

    Rooperti überlegte - zumindest tat er so. Eine direkte Antwort hatte er also nicht.

    „Stell dir einmal vor, jemand verschickt einen Hund oder eine Katze, fuhr Santu fort, „gut verpackt in einem Pappkarton.

    „Ja, schooon, aber…"

    „Was meinst du wohl, wie die Tierchen nach drei oder mehr Wochen aussehen…?", fuhr Santu unbeirrt fort.

    „Selbst, wenn sich die Sache nur zwei Wochen verzögern würde, fuhr er fort, „dann stell‘ dir einmal vor: Das aufgeregte Kindchen packt mit großen Augen erwartungsvoll sein Geschenk aus. Und statt eines schmuseweichen Kläffers hält es plötzlich ein Steifftier in der Hand, das nie wieder bellen wird, geschweige denn mit dem Schwanz wedeln. Ein ehemaliges Tier, das nach ein paar Tagen Einzelhaft nur noch an einen makabren Scherzartikel zu Halloween erinnert. Und dann noch, brrrh, der Geruch. Ich möchte mir‘s gar nicht vorstellen…

    „Ja, ja, ist schon gut, ich verstehe, stoppte Rooperti die plastischen Ausführungen seines Chefs. „War ja nur so ein Gedanke. Also, was schlagen Sie vor?

    „Ganz einfach: Wir müssen das selbst in die Hand nehmen. Was kaputt geht, kann auch wieder repariert werden. Und zwar von uns: WIR reparieren es!"

    Die Lösung

    Leichter gesagt als getan: Denn in seinem ganzen Stab gab es nicht einen einzigen wirklichen Spezialisten auf diesem Gebiet. Niemanden, der sich mit altertümlichen Transistoren und Kondensatoren auskannte. Es gab lediglich die unbedarften Wichtel, die aber nur für grobe Packarbeiten taugten, sowie das phlegmatische Nutz- und Zug-Getier.

    Santu seufzte: „Da bleibt mir wieder einmal nichts anderes übrig, als es selbst zu richten..."

    Nur, ohne Schaltplan, Netzliste, Blitz-Zeichnung oder Blaupause bestand von vornherein nicht die geringste Chance für eine erfolgreiche Reparatur. Was er brauchte, war zumindest eine Kopie davon.

    „Die Maschine ist schon recht alt, sinnierte Claus laut. „Ich kann mich vage daran erinnern, dass ein Schaltplan von diesem Gerät existiert. Aber wo ist der? Wo, zum Teufel, fliegt dieser Wisch rum… hmmm?!? Los, Knecht, streng auch 'mal deine grauen Zellen an! Schließlich bist du für den ganzen Schlamassel verantwortlich.

    Natürlich. Schuld sind immer die Anderen.

    Gespannt beobachtete der „Verantwortliche" seinen grübelnden Vorgesetzten, um ihn plötzlich in seinem Brainstorming zu unterbrechen.

    „Der Plan könnte auch beim letzten, letzten… äh Vulkanausbruch verschütt‘ gegangen sein, oder?!" Rooperti war zumindest bemüht, sich konstruktiv an der Lösung des Problems zu beteiligen.

    „Vulkanwas? Santu verdrehte die Augen. „Nee, mit Sicherheit nicht. Einen Vulkanausbruch gab's hier seit Menschengedenken nicht mehr. Wenn dir nichts Besseres einfällt, müssen den Plan eben suchen. Und zwar sofort!

    Gesagt getan. In den nächsten Stunden glich Korvatunturi einem Ameisenhaufen. Alles was zwei, drei - selbst versehrte Tiere machten mit - oder vier Beine hatte, suchte, schnüffelte und durchstöberte jeden Winkel, kehrte Unterstes zuoberst, räumte alles, was nicht niet- und nagelfest war, von links nach rechts. Doch ohne Erfolg. Im ganzen Betrieb gab es weder Bauplan, noch Blaupause. Und erst recht keine Blitz-Zeichnung.

    „Ok, geben wir's dran, resignierte Rooperti nach stundenlanger, ermüdender Suche. „Da kann man eben nichts machen. Das ist wirklich Pech. Also, was nun? Jetzt doch packen?

    Claus war sichtlich am Boden zerstört. Sein doppeltes Kinn, das unter der reichlichen Manneszier nur zu erahnen war, schien lang und länger zu werden. Es fehlte nicht viel, und die weiße Bartspitze würde Muster in den Staub auf den Estrich malen.

    Das darf doch wohl nicht wahr sein, grübelte der Weißbärtige. Und das KANN NICHT sein. Da muss es doch einen Ausweg geben. Mühselig durchforstete er die hintersten Winkel seiner drei Gedächtnis-Areale, so dass das Glühen seines neuronalen Netzwerkes selbst bei einer Mondfinsternis zu sehen wäre.

    „Wir haben doch den Gravitativen Zeitdilatator seinerzeit von meinem Vorgänger übernommen, stimmt‘s?", kam er zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zurück.

    Damit meinte er niemand Geringeres als den Nikolaus, auch Sankt  Nikolaus genannt, den Mann des 6. Dezembers.

    Nikolaus, amtlich-korrekt auch Bischof Nikolaus von Myra genannt, der von seinen Anhängern auch Heiliger Nikolaus gerufen wurde, war in der Tat der erste amtliche Besitzer des besagten Zeitdilatators.

    Der Bischof lebte und wirkte um 300 nach Christi in Myra, einem kleinen Örtchen an der lykischen Küste, seinerzeit hellenistisch, dann römisch, später osmanisch und heute türkisch.

    Nikolaus wurde damals wie heute als Heiliger verehrt. Er soll den Überlieferungen zufolge sein ganzes, von seinen Eltern geerbtes Vermögen verschenkt haben.

    „Das Geld, so schilderte Santu Claus die Legende, „hatte Nikolaus einer verarmten Familie zukommen lassen, damit der Vater nicht gezwungen war, seine Töchter zur, pfui, Prostitution hergeben zu müssen. Nikolaus soll es durch den Kamin geworfen haben. Und es landete in den darin zum Trocknen aufgehängten Strümpfen.

    „Wahrscheinlich in Fishnets…", kommentierte Rooperti im Bestreben um eine geistreiche Bereicherung dieser Geschichte.

    „Fishnets?!?"

    „Schon gut, Chef. Unwichtig."

    Die Nummer mit dem Strumpf hatte man dann als alljährlichen Brauchtumstag übernommen, mit dem Stichtag 6. Dezember, dem Nikolaustag, wusste Santu weiter zu berichten, um sich dann zu empören: 

    „Da aber heutzutage die kindliche Erwartungshaltung das Fassungsvermögen von Socken und Strümpfen bei weitem übertrifft, stellt der Nachwuchs mitlerweile gleich ganze Stiefelpaare vor die Tür. Eine Unverschämtheit, oder?"

    „Genau. Und deswegen gibt's dann Haue…", ergänzte Rooperti.

    Claus schüttelte den Kopf. Das war es eigentlich nicht, worauf er hinaus wollte, sondern auf etwas anderes: Denn seit dieser Sockenstory seines bischöflichen Vorgängers hätten sie beide jedes Jahr die ganze Plackerei mit den Paketen, die von Jahr zu Jahr zahlreicher und voluminöser zu werden schienen.

    Vielleicht sollten wir doch einmal eine Pause einlegen? Nachdenklich holte Santu seine Thermoskanne und ein in Pergamentpapier eingewickeltes Butterbrot aus seiner Aktentasche. Zeit für eine kleine Stärkung.

    Plötzlich versteifte sich Santus Haltung, und sein Blick fiel wie magnetisch angezogen auf das Butterbrotpapier. „Pergamentpapier! Bauplan! Steinrelief! Abdruck!", brach es aus ihm heraus.

    Rooperti erschrak: „Chef, alles in Ordnung? Soll ich einen Arzt rufen?" Seine Sorge war diesmal wirklich echt.

    „In der Transportverpackung des Zeitdilatators befand sich seinerzeit ein Pergamentpapier! Ein Abdruck, der von einem Steinrelief genommen wurde. Denn auf dieser steinernen Tafel war dieser vermaledeite Bauplan eingemeißelt worden, weißt du nicht mehr, Rooperti? Rooperti!?!"

    „Ja, so vage…", erinnerte sich der Angesprochene kein bisschen.

    „Schön akribisch und haarklein eingemeißelt. Ein regelrechtes Kunstwerk seinerzeit. Und wenn‘s einen Abdruck auf einem Pergament gibt, dann gibt's auch ein, ein...?"

    Rooperts‘ Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

    „…richtig, du ahnungsloser Traumtänzer. Ein Original. ORIGINAL! Und dabei handelt es sich genau um diese Druckplatte, dieses Stein-Relief", nahm der Weihnachtliche weiter Fahrt auf.

    „Aber nach so langer Zeit? Wo, zum Teufel, sollen wir denn danach suchen, Chef?"

    „Fluche nicht, mein Sohn. Der Heilige Nikolaus hat bekanntlich in Myra das Zeitliche gesegnet. Wer weiß? Vielleicht hängt dort die Tafel in seiner alten Kirche `rum, oder in einem Museum? Oder es gibt dort zumindest einen Hinweis auf sie, ließ Claus sich nicht beirren. „Übrigens heißt die Stadt mittlerweile Demre beziehungsweise Kocademre. Und genau dort sehen wir uns um. Basta!

    „Wir? Heißt das etwa, ich muss mit?", fragte Rooperti entgeistert, auf dem jetzt alle Augen ruhten.

    Mittlerweile hatte sich eine aufgeregte wie neugierige Schar Wichtel, einige Rentiere, Schafe und Ziegen - kurz, ein Großteil der Belegschaft von Korvatunturi - um Santu, Rooperti und den defekten Zeitdilatator gebildet.

    Das Rezept

    „Natürlich kommst du mit. Vielleicht kannst du dich nützlich machen", bestimmte Santu und erntete damit bei seinen zwei- und mehrbeinigen Betriebsangehörigen ein zustimmendes Gemurmel.

    Das hatte sich der Knecht ganz anders vorgestellt. Koffer packen jawohl, aber nicht um ins unchristliche Anatolien zu pilgern, sondern um zu seiner geliebten Insel der Glückseligkeit zurückzukehren. Ins heimische Ukonkivi. Gemeinsam mit Rudolph, seiner treuen Seele. Aber so wie es aussah würde daraus wohl nichts werden.

    Nach einem kurzen Moment unschlüssigen Schweigens: „Und wann soll's losgehen? Wir nehmen doch sicherlich den Rentierschlitten, oder?", schien sich Rooperti offensichtlich damit abgefunden zu haben.

    „Den auffälligen Schlitten? VOR Heiligabend durch die Weltgeschichte herumkutschieren? Warum nicht gleich mit dem Space-Shuttle. Komm, ruf Houston in Texas an, und mach eins klar."

    Rooperti überlegte, ob sich Santu über ihn lustig machte.

    „Dann lass uns wenigstens die Schafe vorspannen. Die sind kleiner, unscheinbarer und fallen nicht so auf." Dieser Vorschlag wurde mit einem aufgeregten Blöken quittiert.

    „Oh ja bitte, wir wollen in den Süden!", bettelte einer der Wiederkäuer.

    „Mögen die uns auch?", wollte ein anderer wissen.

    „Ja, gut durchgebraten, du dummes Schaf", mischte sich das Leittier ein, das ein bisschen mehr Verstand zu besitzen schien, als seine Artgenossen, die jetzt wie belämmert aus der Wolle glotzten.

    Der kurzen schockstarren Stille folgte ein regelrechter Sturm der Entrüstung, das reinste Tohuwabohu. Ein Schaf versuchte das andere zu übertönen.

    „Näääh, näääh!", beanspruchten die betroffenen Vierbeiner ihr Recht auf Meinungsfreiheit und blökten sich kollektiv ihren Paradigmenwechsel von der Seele. Die gedankliche Kehrtwende war eindeutig und unmissverständlich.

    So ergriff auch der Leithammel letztendlich und beschlussfassend das Wort und gab die endgültige Entscheidung bekannt: „Näääh, wir bleiben hier!"

    „Dann nehmen wir halt die Ziegen", versuchte Rooperti seine Idee zu retten, die er überaus

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