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Sissi - Numquam retro ... Niemals zurück?
Sissi - Numquam retro ... Niemals zurück?
Sissi - Numquam retro ... Niemals zurück?
eBook424 Seiten5 Stunden

Sissi - Numquam retro ... Niemals zurück?

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Über dieses E-Book

"Sissi, du bist für mich ein zarter Schmetterling. Der Staub auf deinen Flügeln besteht aus bunten Schuppen. Ich habe dir zu viel von diesem Staub, deiner Farbe sowie Besonderheit abgekratzt, sodass sie inzwischen durchscheinend wirken. Würde ich es weiter tun, bekämen die Flügel Risse. Ich will dich nicht zerstören."

Sissi Dörflers Leben wird ganz schön durcheinandergewirbelt, als zwei Männer auftauchen, die sie von früher her kennt. Arno hat sich als Soldat für gefährliche Einsätze verpflichtet. Günther geht einer geregelten Tätigkeit als Lehrer nach. Trotz der unterschiedlichen Lebensweisen haben sie eines gemeinsam: die Last der Vergangenheit.

Mit feinem Gespür schafft sie es, die geheimen Mauern ihrer Freunde einzureißen. Als ihre Mama überraschend stirbt, sehnt sie sich nach einem Partner fürs Leben.
Wer von den zweien ist der Richtige und für eine Liebe bereit? Günther, der in Sissi die verlorene Schwester sieht? Oder Arno, der sich fragt, ob er nach all den schlimmen Erlebnissen, die ihn ständig einholen, überhaupt glücklich sein darf?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum31. Jan. 2020
ISBN9783750223202
Sissi - Numquam retro ... Niemals zurück?
Autor

Bridget Sabeth

Bridget Sabeth, Jahrgang 1977, ist gebürtige Österreicherin. Bereits im Alter von 3 Jahren waren die Schulsachen des Bruders nicht mehr vor ihr sicher. Sie sehnte sich nach der Magie der Buchstaben, die sich zu Wörtern zusammenfügten. Als sie Sätze bilden konnte, entstanden die ersten Geschichten, und brachte diese schließlich aufs Papier. Die Faszination von damals ist bis jetzt nicht in ihr erloschen.

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    Buchvorschau

    Sissi - Numquam retro ... Niemals zurück? - Bridget Sabeth

    In den Sanddünen – Anfang Mai

    Abenteuer pur, dachte Marissa, fuhr sich mit dem Ärmel ihrer beigen Jacke über die schweißnasse Stirn. Ihre Kleidung klebte am Körper. Sie spürte darunter den Sand, der gefühlsmäßig in jede Ritze vorgedrungen war und auf ihrer Haut rieb. Bestimmt wäre es im Augenblick am Pool einer Hotelanlage gemütlicher. Was versprachen die beeindruckenden Prospekte? Schlaraffenland-Feeling mit Sonne, all you can eat, am besten auf einer bequemen Liege mit einem Buch in der Hand …

    Bei keinem solcher Urlaube habe ich mich so lebendig gefühlt! Sie blickte über die herrliche, sanft geschwungene Dünenlandschaft. »Wow!«, entwich es Marissa. Ihre Wehwehchen verblassten. Keine Aufnahmen, die es im Fernsehen, Internet oder in den Zeitschriften zu sehen gab, konnten es mit der Realität aufnehmen, die so viel mehr als nur Bilder bot: das Gefühl der Wärme, die sandige Luft, der helle Schein der Sonne … Nicht einmal der Dung der Kamele störte sie.

    »Wenn du mich sehen könntest! Von wegen spießig, fad und feig!« Das hatte Markus ihr beim letzten Streit angekreidet. Die restlichen Zweifel fielen von Marissa ab. Bereits der Gang ins Reisebüro hatte wie ein Befreiungsschlag gewirkt. Ihr Blick war auf einem Plakat hängengeblieben: Eine zauberhafte Auberge am Rande der Sanddünen von Merzouga, stand es dort in großen Lettern.

    Da muss ich hin!, hatte sie gleich gespürt. Afrika war jener Ort, der im Geheimen immer eine besondere Faszination in ihr entfachen konnte. Nun wehte ihr eine warme Brise ins Gesicht. Sie reiste allein, ohne Markus, den sie in den Wind geschossen hatte. Sie brauchte keinen Freund, der weder an sie glaubte noch bestärkte. Er mimte dann den liebenswerten Kerl, wenn es darum ging, ihm finanziell auszuhelfen.

    Marissa schüttelte ihren Kopf, verbannte den Ex aus den Gedanken. Ihre kleine Gruppe war seit knapp einer Stunde unterwegs. Sie bestanden aus vier Personen: der Guide, der sich als Mohammed vorgestellt hatte, zwei deutsche Männer und sie selbst als einzige Frau. Die Karawane wurde mit einem locker durchhängenden Seil zusammengehalten. Die beiden Mitreisenden wirkten nett. Albert schätzte sie etwa in ihrem Alter, auf Ende zwanzig, und Simon war Pensionist, ein rüstiger, wie sein athletischer Körper bewies.

    Marissa hatte sich inzwischen an die Sitzhöhe auf dem Kamel gewöhnt. Sie zückte ihr Handy, drehte ein kurzes Video, als sie schaukelnd vorwärts trabten. Im Takt schwangen die großen Packtaschen und der Rucksack mit, während sie auf einer zusammengefalteten Wolldecke saß. Sie entdeckte einen verdorrten Ast, der Wind blies ein Gestrüpp über den Boden, malte lustige Figuren in den Sand. Bald würden diese, ebenso wie ihre eigenen Spuren, weggeweht werden.

    »In einer halben Stunde schlagen wir das Lager am Fuße der größten Sanddüne auf«, erklang im tiefen Timbre die Stimme des Guides.

    Marissa bewunderte, wie mühelos er sich in der Weite der Landschaft orientierte. Seine dunklen Augen funkelten vertrauensvoll. Mohammeds bräunliche ledrige Haut stand im Kontrast zum grau-weißen Haar. Er trug eine weite Hose sowie einen hellen Mantel, der ihm bis zu den Knöcheln reichte. Marissa rückte ihren Turban zurecht, steckte unter das Tuch eine widerspenstige braune Locke zurück und genoss den langsamen Ritt im Einklang mit der Natur.

    »Wir sind da!« Mohammed dirigierte die Dromedare, die sich folgsam auf den Boden legten, sodass die Reisenden absteigen konnten. Marissa bedankte sich bei ihrem Kamel mit Streicheleinheiten am Hals. Die Gruppe befand sich im Außencamp, windgeschützt in einer Vertiefung, in der sich rundherum die Sanddünen anschlossen. Mohammed bot Marissa ein paar Mandarinenspalten an, die sie gerne entgegennahm. Das saftige Obst löschte ihren Durst und vertrieb zugleich die knirschenden Sandkörner im Mund. Als sie nicht aufpasste, stibitzte ihr Dromedar etwas von der leckeren Frucht, verschlang geschwind die Köstlichkeit. Dankend rieb das Tier die Stirn an ihrer Schulter, was Marissa zum Kichern brachte.

    »Wie es ausschaut, hast du einen neuen Freund gefunden«, meinte Albert gut gelaunt. Er lüftete seinen Turban, strich sich über den haarlosen Kopf.

    »Vor allem einen hungrigen«, entgegnete Marissa. »Ich kann ihm nicht böse sein, wo er mich so brav den langen Weg getragen hat.«

    »Stimmt. Zudem hat er einen hervorragenden Geschmack.«

    Flirtet er mit mir? Marissa ergriff rasch ihren Rucksack, damit sie die aufsteigende Hitze im Gesicht verbergen konnte. Nach dem Reinfall mit Markus hatte sie keinen Bedarf an irgendeiner Liebelei, doch solch ein kleines Kompliment gefiel ihr sehr. Wie sehr, das musste Albert allerdings nicht wissen!

    Marissa bekam den Schlafplatz zugewiesen. Vom Guide erfuhren sie, dass sie heute Nacht die einzigen Touristen bleiben würden. Darüber war sie froh. So konnte sie in einem Einzelzelt, ohne die störenden Geräusche anderer Urlauber, nächtigen. Nach dem Verstauen ihrer Siebensachen ging sie zu Mohammed, der mittlerweile ein Feuer entfacht hatte. Es gab Tee, Kekse sowie Erdnüsse zu knabbern. Die geleerten Packtaschen lagen drapiert um einen großen Teppich, dienten als Rückenlehnen, die gefalteten Wolldecken waren zu Sitzkissen geworden. Marissa nippte am Getränk, während sie den Männergesprächen lauschte.

    »Ich wurde in diesem Land geboren«, gab Mohammed bereitwillig Auskunft. »Seit vielen Generationen lebt meine Familie hier. Ursprünglich stammen wir vom Volksstamm der Berber ab. Lieber bezeichnen wir uns als Imazighen – freie Menschen.«

    »Wusstest du, dass Berber ein Schimpfwort ist«, flüsterte Albert in Marissas Ohr.

    »Nein, das ist mir neu.«

    »Doch, doch. Es kommt von den Römern, damit wurden jene Leute abfällig bezeichnet, die die damalige Weltsprache Latein nicht beherrschten.«

    »Oh«, hauchte sie. »Woher weißt du das?«

    »Ich muss gestehen, es ist nicht meine erste Sahara-Tour, und wird hoffentlich nicht die letzte sein.«

    Das konnte Marissa nachvollziehen, dieses Land hatte sie ebenso spürbar mit einer besonderen Magie ausgefüllt. Schon jetzt bedauerte sie, dass ihre Reise nach einer läppischen Woche vorbei sein würde.

    »Unsere Vorfahren waren früher Nomaden, zogen von einem Ort zum anderen«, fuhr Mohammed fort. »Inzwischen sind wir sesshaft, verdienen den Lebensunterhalt in der Landwirtschaft sowie im Tourismus. Für mich gibt es keine schönere Tätigkeit, als den Besuchern die Vorzüge unseres Landes näherzubringen.«

    Albert wandte sich Simon zu, der zu seiner Linken saß. Das Feuer knisterte. Marissa sehnte sich nach etwas Zeit für sich selbst. Sie erklomm die nächstgelegene Düne. Dort zog sie die Schuhe aus, spürte den feinen Sand unter den Fußsohlen, fühlte die verschwindende Wärme. Die Sonne wich der Dämmerung. Es wurde merklich kühler. Ausgelassen rannte Marissa ein paar Schritte, ehe sie sich kichernd wie ein übermütiges Kind in den weichen Sand fallen ließ.

    Ich hab alles richtig gemacht! Die letzten Sonnenstrahlen waren dabei, sich zu verabschieden. Sandkörner rieselten zwischen ihren Fingern hindurch. Im Hintergrund rief irgendwer ihren Namen. Es war Albert, der mit Simon unten beim Feuer stand und ihr entgegenwinkte. Schweren Herzens erhob sie sich von dem Aussichtspunkt. Da bemerkte sie im Schatten ihres Schlafzeltes eine Bewegung.

    Zwei Männer? Hat Mohammed einen Besucher? Sollten wir hier nicht ungestört bleiben? Sie blinzelte, der Hauch eines unguten Gefühls durchfuhr sie. Nun schien die Stelle daneben leer zu sein. Mir haben die Augen wohl einen Streich gespielt. Ihr Magen knurrte. Rasch ging Marissa ins Lager zurück, freute sich aufs Abendessen.

    Als Vorspeise gab es eine heiße Nudelsuppe. Darauf folgte Huhn mit Gemüse, zubereitet im Tajine, dem traditionellen Lehmtopf, der für solche Zwecke über dem offenen Feuer hing. Verfeinert mit den orientalischen Gewürzen schmeckte es exotisch. Als Nachspeise naschten sie Obst, ehe sich die gesellige Runde gegen zweiundzwanzig Uhr ins Nachtlager verabschiedete.

    Marissa verharrte eine Weile am Eingang des Zeltes, starrte in die tiefdunkle Nacht, sah über ihr die Milchstraße. Der Himmel wirkte wie ein schwarzer Teppich mit funkelnden Diamanten. Neuerlich schlich sich Markus in ihre Gedanken ein. Ob ich zu hart zu ihm war? Bei diesem friedvollen Anblick regte sich ihr schlechtes Gewissen. Die Beziehung war ein stetiges Auf und Ab gewesen, wie Ebbe und Flut. Wenn er etwas brauchte, überschwemmte er sie mit Liebesschwüren, um sie hinterher am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Er kam und ging, wie es ihm beliebte. Schließlich war sie an den Punkt gelangt, wo sie seine egoistischen Verhaltensweisen nicht mehr länger ertragen hatte.

    Du hast jemand Besseres verdient, hatte die Freundin Gerti mehrmals zu ihr gesagt. Weißt, ich habe ein dummes Gefühl bei ihm. Im Grunde genommen ist er okay, aber immer wieder, und das im regelmäßigen Rhythmus, musst du ihm Geld vorstrecken, das du meist nicht im vollen Ausmaß zurückbekommst. Ich glaube, er hat ein Problem.

    Marissa fröstelte es, das lag nicht nur daran, dass es mittlerweile empfindlich kühl geworden war. »Spielsüchtig«, hauchte sie in die Nacht. Sie hatte ihn darauf angesprochen. Markus war ihr ausgewichen, gab halbherzige Antworten, unter anderem, dass er das im Griff hätte.

    »Warum siehst du nicht, dass ich dir helfen möchte? Wieso kannst du nicht ehrlich sein, zu dir, zu mir?« Am meisten tat es Marissa weh, dass sich ihr Freund selbst belog. Er in seinen Ausreden und Geschichten stetig einfallsreicher wurde, aber an seinem Lebensstil nichts veränderte. Du wärst so ein lieber Kerl, wenn …

    Ein Funke glomm in ihr empor, dass er es schaffen könnte, von diesem Laster loszukommen. Soll ich ihm nach der Reise eine Chance geben, wenn er mich darum bittet? – Bist du dumm!, schalt sie sich kaum eine Sekunde später. Insgeheim ahnte sie jedoch, dass sie genau das machen würde. Es gab auch gute Seiten an ihm. Zumindest dann, wenn er sein Hoch hatte, was im Gegenzug bedeutete, dass Fortuna ihm wohlgesonnen war und er gewonnen hatte.

    Marissa verließ ihren Aussichtsplatz, zog sich zurück, kuschelte sich in den mitgebrachten Schlafsack, der sie vor den kalten Temperaturen schützte und sie behaglich einhüllte.

    Marissa schreckte hoch! Ist da ein Geräusch? Unbewusst hielt sie den Atem an, lauschte. Da wieder! Ein Rascheln. Vorsichtig schälte sie sich aus dem Schlafsack, schlüpfte notdürftig in die Schuhe. Hat sich ein Tier ins Lager verirrt? Albert schlief gleich nebenan, sie wollte zu ihm rüber, denn auf einmal hatte sie Angst in ihrem Zelt. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie schluckte, nahm den gesamten Mut zusammen. Ehe sie die Zeltplanen auseinanderzog, hielt sie erneut inne. Es wirkte alles ruhig, wenn sie von dem Rauschen in ihren Ohren absah.

    Bestimmt hält er mich für eine Mimose, so wie Markus – für den ich eine feige Nuss bin!

    Marissa nagte an ihrer Unterlippe. Gerade, als sie den nächtlichen Ausflug abbrechen wollte, tauchte ein Schatten vor dem Zelt auf. Marissa schrie auf. Da stürmte jemand herein. Sie stürzte rücklings auf den Boden, schlug um sich, probierte, die Hände wegzuzerren, die sie gepackt hatten. Ein Tuch wurde ihr mitten ins Gesicht gedrückt. Panisch sog sie Luft ein, hatte Angst zu ersticken. Es roch seltsam.

    Nein! … Nein! Es erklang ihr ersticktes Gemurmel, der Körper gehorchte nicht mehr, ihr Geist zog sich in den Tiefen zurück und hüllte sie tiefschwarz ein.

    Eine Süße

    »He, wer ist das denn?« Arno blickte auf die neue Freundschaftsanfrage im Facebook, die er soeben entdeckt hatte. Elisabeth Dörfler, las er. Sie war süß, in seinem Alter, um die fünfunddreißig, blondes langes Haar, genau nach seinem Geschmack. Arno unterdrückte ein Gähnen. Bald hatte er drei Tage Schlafentzug hinter sich, und er versuchte, die restlichen Stunden wach durchzuhalten. Mit seinen Kameraden, einer Untergruppe des Jagdkommandos, befand er sich bei einer Übung in den Bergen. Sie waren ein eingeschweißtes Team, mussten auf Abruf einsatzbereit bleiben. Da war mentale sowie körperliche Fitness das oberste Credo, um auf etwaige Ausnahmesituationen gut vorbereitet zu sein und diese meistern zu können.

    Arno schaute hoch in den Nachthimmel. Obwohl er das Sternenzelt über ihm schon oft gesehen hatte, liebte er den Anblick und die friedvolle Umgebung stets aufs Neue. Das Firmament schenkte ihm Ruhe, wenn er sich rastlos und Geborgenheit, falls er sich einsam fühlte. Er kannte ebenso die Kehrseite, wusste, wie minimalistisch andere Menschen hausten, die um ihre Leben und der Leben ihrer Lieben bangten. Bald sind es neun Jahre, in denen ich der Task Group – der Elite – angehöre.

    Arno hatte kaum überlegen müssen, als man ihm vorschlug, ein Teil des Jagdkommando-Teams zu werden. Voller Elan, nein – eher verbissen – absolvierte er die erforderlichen Tests, führte seinen Körper an Grenzen und überwand diese. Solch einen Beruf ergriff man nicht aus einer Laune heraus, sondern aus tiefer Überzeugung. Im Team sorgten sie dafür, den Frieden im eigenen Land zu erhalten. Sie wollten verhindern, dass sich das Übel weiter ausbreitete, damit Unschuldige nicht zu Opfern gemacht wurden. So agierten sie vielfach geheim, über die Grenzen hinweg, halfen befreundeten Nationen.

    Wie hart der Beruf tatsächlich war, davon hatte Arno als Jungspund keine Ahnung. Die Jahre zollten inzwischen ihren Tribut. Er spürte nach jedem Einsatz stetig mehr, dass es ihm schwerer fiel, sich zu regenerieren und sich die Lasten auf der Seele summierten. Sein Körper war mit Narben übersät, doch die Narben im Inneren wogen härter. Arno atmete tief ein und aus. Der Wunsch in ihm, alles umzukrempeln und auf sich zu achten, wurde zusehends stärker. Es waren halbherzige Versuche, seinem Idealismus zu entfliehen.

    In sechs Monaten ist meine Verpflichtungsperiode zu Ende … Niemals werde ich mich aus der Verantwortung stehlen!, dachte er kämpferisch. Zwar mochte er nicht ganz so flink wie die Jungen sein, dafür konnte er auf manchen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Bei jedem Befehl, jedem Einsatz, wirkte es, als hätte er einen Schalter umgelegt, der ihn zu einer Maschine machte. Dann agierte er ohne Kompromiss, verdrängte den Gedanken, nicht mehr heimzukehren. Missing in Action.

    Arno lockerte in der Sitzposition die Arme und Beine aus. Hätte ich Schlosser bleiben sollen?, fragte er sich emotional zerrissen. In diesem Beruf könnte er wohl jene Normalität leben, nach der er sich öfters sehnte. »Das ist der verfluchte Schlafentzug«, brummte er, wollte die Grübeleien zum Stillstand bringen. Insgeheim wusste er jedoch, dass es am gewaltsamen Tod des Mädchens lag, den er nicht aus dem Kopf brachte, irgendwo ein Stück in ihm zerbrochen hatte. Arno schloss wenige Sekunden die Augen. Sein Körper fühlte sich schwer wie Blei an, sein Geist hatte ständig Phasen, in denen er in den wohlverdienten Schlaf abdriften wollte. Gegen Mitternacht sollte ein langer Marsch mit Gepäck anstehen. Das wird hart werden, wie immer.

    Arno bemerkte eine Bewegung neben sich, er öffnete die Lider. Der Heeresarzt war herangetreten, überprüfte seine Vitalwerte, nahm Blutproben. Arno sah zu, wie der Doktor einen Tupfer auf die Einstichstelle presste. »Draufdrücken!«, wies der knapp an und entfernte sich, um bei einem Kameraden das Prozedere zu wiederholen.

    Ob diese Elisabeth zur späten Stunde wach ist? Arno griff zum Smartphone, um sich abzulenken und ein Einschlafen zu verhindern. Wie komme ich zu der Ehre?, hakte er per Messenger bei ihr nach.

    Ein alter Freund

    Ich saß im Schneidersitz auf dem Bett, der Laptop lagerte zu meinen Füßen. Diese Position würde ich nicht ewig durchhalten. Ein dezentes Ziehen in der Leistengegend erinnerte mich daran, dass ich nach meinen Sporteinheiten zum Ausgleich das Stretchen vermehrt einbauen sollte. Mittlerweile war es spät, und ich diesbezüglich total unmotiviert. Ich scrollte über die Nachrichten auf Facebook runter, likte einige Fotos oder Sprüche, die manche Freunde ins Netz gestellt hatten. Ein paar eingespielte Vorschläge von ehemaligen Bekannten griff ich auf, sodass meine Freundesliste stetig anwuchs. In diesem Punkt gefiel mir Facebook, denn so konnte man zu Leuten eine Verbindung herstellen, die man aus den Augen verloren hatte, Kontakte über die Grenzen hinweg knüpfen, oder ein wenig in andere Gepflogenheiten hineinschnuppern.

    Ich massierte mir die verspannten Schultern, geschuldet an meiner ungesunden vornübergebeugten Sitzhaltung. »Genug für heute«, sprach ich zu mir selbst. Mein Kater Amadeus schielte zu mir, gähnte herzhaft und zeigte seine scharfen spitzen Zähne. Dieser Anblick wirkte furchteinflößend, dabei zählte er mit Abstand zu den bequemsten und faulsten Vierbeinern, die ich kannte. Gepaart mit seiner Fressleidenschaft war er mittlerweile kuschelig rund. Mit dem Cursor wanderte ich zum Abmelde-Button, da blinkte eine Nachricht auf, sie war von Arno Schuster. »Oh, er hat meine Anfrage schon angenommen!« Ich öffnete das virtuelle Fenster.

    Wie komme ich zu der Ehre?, las ich schmunzelnd und entgegnete:

    Hey, kennst du mich nicht mehr? Wir waren früher Nachbarn, hab dich als Freundesvorschlag bekommen, da dachte ich, warum nicht.

    Arno runzelte die Stirn, es dauerte eine Weile, bis seine müden Gehirnzellen begriffen, wen er vor sich hatte. Elisabeth Dörfler Sissi! Nein, das gibt es nicht, oder? Die mollige Sissi! Stimmt, die wohnte zwei Häuser von mir entfernt, ist etwa ein Jahr jünger als ich. Autsch – die ist hübsch geworden. Mit einem Schlag war die Müdigkeit verflogen.

    Sorry, bin ich blöd. Na klar, wie geht es dir?

    Danke, ich wollte grad schlafen gehen. Und du?

    Ich bin unter freiem Himmel.

    Wow, wie cool!

    Ist nicht so cool, wie du denkst. Aber egal. Bei dir alles okay?

    Danke ja.

    Verheiratet bist nicht, oder?

    »Typisch, er lotet gleich direkt aus, ob ich vergeben bin«, murmelte ich kichernd. Arno war schon als Jugendlicher nie einer gewesen, der um den heißen Brei herumredete, wenn ihn etwas interessierte. Mein Kater Amadeus beschwerte sich maunzend, als ob ich mit ihm gesprochen hätte. Er erhob sich, tappte über das Spannleintuch zu meinen Füßen, um die er schnurrend strich.

    »Machst du wieder auf Garfield?«, tadelte ich ihn. »Dein Nachtsnack muss warten.« Als ob er mich verstanden hätte, ließ er sich aufs Bett fallen: seine altbewährte Belagerungstaktik.

    Nein, bis jetzt war nicht der Richtige für mich dabei.

    Siehst, und ich dachte, ich hätte die Richtige gefunden, war nicht so.

    Leider hat man für so etwas nie eine Garantie.

    Schau, ich hab ein paar Fotos für dich.

    Okay, zweifellos war das kein Thema, über das er sich ausführlicher auslassen wollte. Stattdessen beäugte ich neugierig die geschickten Bilder im Messenger: Das blaue Haus, den Garten mit dem Biotop und zudem gab es knackige Aufnahmen von ihm selbst. Ich grinste, als ich den muskulösen Oberkörper betrachtete. Sein Haar war schwarz. Im Äußeren wirkte er wie ein Macho, der jede Frau haben könnte, wenn er nur mit dem Finger schnippte. Doch die obigen Zeilen deuteten darauf hin, dass er immer noch mit dem Ende seiner alten Beziehung haderte.

    Nichtsdestotrotz wusste er, dass er mit seinem Body beeindrucken konnte, und hatte bestimmt gezielt die Fotos geschickt.

    Schaut alles sehr schön aus. Und durchtrainiert. Ich schickte ein Zwinker-Smiley hinterher.

    Hast ein Bild von dir?

    Ohne zu zögern, richtete ich das Handy auf mich, drückte den Auslöser. Kurz überprüfte ich das Foto. Im Hintergrund sah man einen Teil des Eichenholzbettes, die Wand war in einem Zitronengelb gestrichen, was man im Licht der Nachttischlampe kaum erkannte. Mein blondes Haar, das ich zu einem Zopf gebunden hatte, lag linksseitig über der Brust. Obwohl ich ungeschminkt war, fand ich, dass meine grün-braunen Augen amüsiert glänzten. Brauchbar, entschied ich, loggte mich beim Handy ein, um es ihm weiterzuschicken.

    Ich sehe etwas müde aus, merkte ich dazu.

    Nein, keine Spur – bist richtig süß.

    Süß! Mir schoss trotz der virtuellen Distanz die Hitze ins Gesicht. Anzunehmen, dass andere mich hübsch fanden, fiel mir nach wie vor etwas schwer. Dennoch genoss ich die kleine Flirterei mit ihm.

    Danke. Gut, dass du nicht siehst, dass ich ganz rot werde.

    Bald haben wir einen vierzig Kilometer Marsch vor uns.

    Um diese Uhrzeit?, fragte ich mich insgeheim.

    Wow, das klingt anstrengend.

    Ist es auch, obendrein mit der großen Wolke.

    Wolke? Meinst du damit deinen Rucksack? Wie schwer ist der denn?

    Ja. Um die fünfzig Kilo.

    Wahnsinn. Sowas schleppst du freiwillig?

    Tja, bleibt mir nix anderes übrig.

    Das klingt, als wärst du ein Soldat.

    Kann man so sagen.

    »Kann man so sagen?«, wiederholte ich irritiert. Ich hatte mit einem simplen Ja oder Nein gerechnet. Anscheinend machte er gerne auf geheimnisvoll.

    Hast du nicht eine Ausbildung zum Schlosser absolviert?

    Stimmt. Sorry. Ich muss nun auch los. Wäre schön, wenn wir uns die Tage wieder schreiben könnten. Schlaf gut.

    Arno justierte sich, nahm den Rucksack. Sein Körper sehnte sich nach Erholung. Noch lagen einige Stunden vor ihm, die er durchbeißen musste.

    Es standen Schieß- sowie Gefechtsübungen am Programm, die den Ernstfall simulierten, ehe er sich in seinem herrlichen weichen Bett ausruhen durfte.

    Sicher, bis bald. Ich wünsch dir schnelle Füße und viel Energie für deinen Marsch.

    Danke, Hübsche!

    Das Hübsche ließ mich schmunzeln, doch ich war auch nachdenklich, fühlte mich von ihm etwas abgefertigt. Will er nichts Genaueres erzählen, oder muss er tatsächlich aufbrechen? Ich schaltete den Laptop aus, holte eine Snackstange für meinen Stubentiger aus der Küche, auf die er sich erfreut stürzte. Später, nachdem er aufgegessen hatte, würde er sich zu mir ins Bett gesellen und am Fußende zusammenrollen, so wie er es jede Nacht machte. Ich löschte das Licht der Lampe, verbannte Arno aus den Gedanken und kuschelte mich unter die Decke.

    In der Hölle

    Marissas Schädel dröhnte. Mit Mühe schaffte sie es, ihre Augen zu öffnen. Sie hörte ein Stöhnen. Ihr eigenes, oder von jemand anderem? Sie wusste es nicht. Ihre Umgebung war düster und unscharf. Sie spürte die geschwollene Zunge am Gaumen, sehnte sich nach Wasser. Langsam wurde ihr Geist klarer. Feine Lichtstrahlen kämpften sich durch ein Fenster, vor dem eine Art Rollo oder Holzläden angebracht waren. So genau konnte sie das im Moment nicht sagen. Wo bin ich? Was für ein Tag ist heute? Da, auf einmal sprach wer. Fremdländische Laute. Zwei Männer? Ein Schnalzen!

    Marissa zuckte zusammen, als wäre das zischende Geräusch durch ihren Körper gefahren. Sie bemerkte Albert, geknebelt und gefesselt.

    Sahara-Tour! Geschockt starrte sie auf seinen Mund, Blut tropfte heraus. Alberts Augen wirkten wie hypnotisiert, waren weit geöffnet. Er kniete, während hinter ihm ein Kerl ein ausgefranstes Stromkabel in der Hand hielt. Obwohl ihr Urlaubsfreund nichts tat, außer starr sowie stumm da zu sitzen, schlug der Fremde hart zu, traf den Urlaubsfreund im Nacken. Albert kippte nach vorne.

    Marissa keuchte auf, zog damit den Fokus auf sich. Schon war ein weiterer Kerl bei ihr, fasste grob ins Haar, schleifte sie über den Boden.

    »Dein Mann?«, herrschte der Peiniger sie an. »Du auch Deutsche?«

    Verwirrt schüttelte sie den Kopf. »Nein, Österreicherin … Ich bin Österreicherin«, brachte sie stockend hervor. Ihre Zunge reagierte ungewohnt lahm. Ist Albert tot?

    In der äußeren Ecke lag Simon, unnatürlich verdreht, als hätte man ihm sämtliche Glieder und den Rücken gebrochen. Tränen schossen aus Marissas Augen. Sie zitterte. Bin ich das nächste Opfer?

    Der Kerl, mit dem Kabel in der Hand, raunte ihrem Peiniger etwas ins Ohr. Daraufhin ließ er sie los, hart prallte Marissa auf den Boden. Die beiden Männer drehten sich abrupt ab, verließen den Raum.

    Ihr war schwindlig. Sie robbte zu Albert. Mit bebenden Fingern tastete sie nach seinem Puls. Er lebt. Gott sei Dank. Sie wagte nicht, zu Simon zu kriechen. Sie erkannte auch so, dass es für ihn keine Hilfe mehr geben würde. Marissa rutschte zurück in die nächstgelegene Ecke. Sie zog ihre Beine an, umklammerte diese. Wenigstens haben sie mich nicht gefesselt … Als sich etwas bewegte, erschrak sie. Da war eine Ratte, die über den Boden huschte. Bald darauf folgte eine weitere, die Nagetiere suchten nach Essen.

    »Nein!«, rief Marissa, als sie bemerkte, dass sie sich Simon als Nahrungsquelle auserkoren hatten. »Scht!« Sie warf einen Schuh, dann den zweiten. Die Biester quiekten erbost auf, huschten durch ein Loch an der Seitenwand ins Freie. Marissa war klar, dass sie nur kurzfristig das Getier vertreiben konnte. Trotzdem nahm sie einen Schuh und steckte diesen in den kleinen Hohlraum, in der Hoffnung, sie damit auszusperren.

    Eine neue Woge Panik brach über ihr herein, der Innenraum fühlte sich unnatürlich heiß an. Sie schielte zum Toten. Simon hatte zumindest alles hinter sich. Sie schluchzte unkontrolliert, wiegte den Körper ruckartig nach vor und zurück, bis ein Ächzen sie innehalten ließ. Albert!

    Sie kroch an seine Seite. »Ich bin’s, Marissa. Wie geht es dir?«

    Alberts Augen öffneten sich zögerlich. Seine Lippen waren blutig verkrustet. »Wasscher«, bat er kaum hörbar.

    »Tut mir leid, ich hab keines.« Mit Mühe schaffte sie es, ihre Tränen zurückzuhalten, sie wollte stark bleiben.

    »Scheiß…kerle.«

    Dem konnte Marissa nichts hinzufügen. Es wirkte wie ein absurder Albtraum, und sie wünschte sich sehnlichst, daraus zu erwachen. Es sah nicht danach aus.

    Marissa lauschte. Leise Gebetsrufe ertönten, waren wie ein Weckruf für den beginnenden Morgen. Deutlich vernahm sie männliche Stimmen. Werden wir von drei oder vier Männern gefangen gehalten? Die Wahrnehmung neben dem Zelt kam ihr in den Sinn. Hat Mohammed mit ihnen gemeinsame Sache gemacht? Oder hab ich mich getäuscht und der Guide ist ebenso schuldlos diesen Kerlen zum Opfer gefallen?

    Marissa grub ihre Fingernägel tief ins eigene Fleisch. Mit einem Mal sehnte sie sich nach Markus, ihrem Ex, dessen hochnäsigem Gehabe und der Besserwisserei. Eine weitere Familie gab es bei ihr nicht. Ob ich ihm fehlen werde, wenn ich nicht mehr heimkomme? Oder zumindest Gerti? Aber sie war in letzter Zeit auch so sonderbar … Schien keine rechte Lust zu haben, auf meine Pflanzen zu achten.

    Richtig halbherzig hatte Gerti den Wohnungsschlüssel entgegengenommen, ein: Ich hab’s eilig, tschüss gemurmelt, Marissa quasi die Tür vor der Nase zugeschlagen. In der Aufregung, allein wegzufahren, hatte Marissa dem nicht viel beigemessen, es als Laune oder Hektik der Freundin abgetan. In dieser Sekunde fragte sie sich, ob irgendetwas vorgefallen war, von dem sie nichts wusste. Hätte ich nachfragen sollen? – Zu spät …

    In ihr bemächtigte sich das Gefühl, das zwischen ihnen etwas gründlich schieflief. Marissas Stirn sank auf die angewinkelten Knie, der Körper wurde von stummen Schluchzern gebeutelt. Bestimmt liegt es an mir … Ich … ich wollte die Trennung wegschieben, beweisen, wie mutig und taff ich sein kann … Wir werden uns nie mehr aussprechen können. Verzeih, wenn ich etwas falsch gemacht habe … Ich sterbe hier …

    Neuer Auftrag

    Arno ächzte, als er sich die Luftaufnahmen anschaute, die ihnen vom Vorgesetzten zugespielt wurden. Seine Kameraden und er befanden sich bei einer Besprechung in Wiener Neustadt. Sie hatten erst eine anstrengende Übung hinter sich gebracht, und schon war der Ernstfall eingetreten. Es ging um eine Geiselbefreiung: Zwei Männer und eine Frau … keine Soldaten, sondern Zivile, so war der aktuelle Stand. Er prägte sich die Gesichter der Geiseln ein, von denen es Fotos gab.

    Drei Menschen, gefangen gehalten … Wieder einmal wird die Allgemeinheit nichts davon erfahren, es in keinem Nachrichtensender gebracht werden. Ebenso wenig falls etwas schiefgeht. Er strich sich über seine buschigen schwarzen Augenbrauen. Die mangelnde Wertschätzung kränkte ihn, auch wenn er wusste, dass es nicht nur zu ihrem Schutz diente, sondern einen Schutz für die eigene Familie vor den Feinden und möglichen Angriffen darstellte. Unter keinen Umständen wollte er, dass seine Lieben oder Freunde zur Zielscheibe würden. Es war eine Extreme, die er stetig weniger ertrug, da es sich anfühlte, als würde er zwei Leben parallel leben.

    Wenigstens ist kein Kind dabei! Arno schluckte,

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