Gnade – Geist – Gebet: Texte zu Theologie und Spiritualität
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Buchvorschau
Gnade – Geist – Gebet - Cornelius Keppeler
Einführung
Gnade – Geist – Gebet
Texte zu Theologie und Spiritualität
Cornelius Keppeler
Der vorliegende 5. Band der Theologischen Studien umfasst Texte aus dem Themenspektrum der Gnaden- und Trinitätstheologie sowie der Spiritualität. Die verschiedenen Beiträge durchzieht der prägende Einfluss von Karl Rahner wie ein roter Faden. Demzufolge sind sie durch die ignatianische Haltung gekennzeichnet, die die Theologie nicht als »l’art pour l’art« versteht, sondern als Basis für eine Seelsorge und Pastoral begreift, die Gott erfahrbar vorstellt. So entwickelte Rahner seine Gnadentheologie vom Heilswillen Gottes her¹ und forderte eine Mystagogie in das absolute Geheimnis². Dies korrespondiert mit einer Spiritualität, die Mystik nicht als Erlebnis einer besonderen Erleuchtung oder Erscheinung betrachtet, sondern sie im Alltag verwurzelt erkennt und Gotteserfahrung im Kleinen und Naheliegenden für möglich hält.
Die zusammengestellten Texte sind zwischen 2006 und 2021 entstanden und sind von ihrer Charakteristik teils theologisch, teils spirituell, teils betrachtend, aber stets haben sie einen Bezug zum Alltag oder zu alltäglichen Fragestellungen. Der Beitrag »Begnadung als berechtigte Forderung?« geht auf das Verhältnis von Natur und Gnade ein, welches im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) kontrovers diskutiert wurde. Karl Rahner und Henri de Lubac haben in dieser Frage um eine Überwindung des damals vorherrschenden neuscholastischen Zwei-Stockwerk-Denkens und ein erneuertes Gnadenverständnis gerungen.
Im zweiten Artikel werden die Texte des Liedermachers Reinhard Mey auf christliche Bezüge, biblische Bilder und Aussagen über die Kirche durchleuchtet. Da diese zahlreich sind, obwohl Mey keinen kirchlichen Hintergrund hat, wird die Frage gestellt, ob er als »anonymer Christ« bezeichnet werden könne.
Der Aufsatz »Der Heilige Geist – tatsächlich Gott, Person und Herr?« ist wieder überwiegend theologischer Natur. In ihm wird zunächst der Stellenwert des Heiligen Geistes innerhalb der Trinität thematisiert, der kirchen- und dogmengeschichtlich unterbelichtet erscheint, so dass es den Eindruck macht, als sei die dritte Person von untergeordneter Bedeutung. Da der Heilige Geist jedoch nicht nur das Bindeglied zwischen Vater und Sohn, sondern auch zwischen Mensch und Gott ist, ist er nicht bloß theologisch, sondern auch pastoral eminent wichtig.
Zu Beginn seiner Publikationstätigkeit veröffentlichte Karl Rahner „Worte ins Schweigen". In diesen Meditationstexten wird deutlich, aus welchem spirituellen Fundament seine Theologie erwächst. Die Spannung zwischen Wort und Schweigen wird auch in einem zeitgenössischen Songtext greifbar, welcher Anlass für eine Verhältnisbestimmung beider zueinander gewesen ist.
Den Abschluss bildet die Auseinandersetzung mit dem Trost. Die Frage, was Trost überhaupt ist, wo er herkommt und welche Funktion er hat, ist in erster Linie eine alltägliche, dann aber schnell eine theologisch-spirituelle, so dass zuletzt der Bogen geschlagen werden kann zu den anfangs angesprochenen gnadentheologischen Fragestellungen. Es wird offensichtlich, wie sehr Trost, Gnade, Sinn und Gotteserfahrung zusammenhängen.
¹ Vgl. Rahner, De Gratia Christi/Über die Gnade Christi, 239-491.
² Vgl. Fischer, Philosophie und Mystagogie.
Begnadung als berechtigte Forderung?
Gedanken zur Bedeutung des übernatürlichen Existentials in der Gnadenlehre Karl Rahners
(Bereits erschienen in: Zeitschrift für Katholische Theologie 126 (2004) 65-82)
Die Ungeschuldetheit der Gnade ist Grunddatum der katholischen Gnadenlehre. Sie nicht zu gefährden, war das Bemühen Karl Rahners in der Auseinandersetzung mit der »nouvelle théologie« im Allgemeinen und mit der Position seines Ordensbruders Henri de Lubac im Speziellen. Er versuchte, dessen wichtige Impulse aus der Tradition aufzunehmen und weiterzuführen, zugleich jedoch den Verwerfungen der Enzyklika Humani generis¹ zu entgehen. Den Fragen, ob dies Rahner gelingt und inwieweit sein Lösungsansatz das Verhältnis von Natur und Gnade befriedigend ausdrücken kann, soll hier nachgegangen werden. Innerhalb dieses Problemhorizonts hat Paul Rulands den zentralen Terminus des übernatürlichen Existentials und dessen inhaltliche Füllung in den ersten Jahren seines Vorkommens neu in das Blickfeld gerückt.² Daher wird seine Position eine ausführliche Beachtung finden.
Henri de Lubac wollte mit dem Vorstoß in seinem Buch »Surnaturel«³ das neuscholastische Zwei-Stockwerk-Denken, nach dem die Gnade lediglich als Überbau der Natur verstanden wurde, überwinden, indem er von Thomas von Aquin den Begriff des »desiderium naturale« aufnahm und neu – er meinte im thomistischen Sinn – interpretierte. Damit konnte er zwar dem Gnadenextrinsezismus wirksam begegnen. Doch wurde er von vielen Theologen missverstanden, die ihm vorwarfen, er stelle mit seiner These die Ungeschuldetheit der Gnade in Frage, da darin die Begnadung als Teil der Natur betrachtet werde.⁴ Im deutschsprachigen Raum kam es zu diesen Fehldeutungen, nachdem Émile Delaye Lubacs Neuansatz in einem anonym veröffentlichten Aufsatz⁵ in extremer Weise vorgestellt und zusammengefasst hatte, wobei es zu nicht unwichtigen Verständnisunschärfen gekommen war. Da Karl Rahner⁶ direkt darauf antwortete, machte er diesen Artikel dennoch zum hauptsächlichen Bezugspunkt für seine Entgegnung⁷ und die Darlegung seiner eigenen Auffassung.
Diese Entgegnung ist jedoch mehr als eine bloße Antwort. In ihr entwickelt Rahner die Grundzüge seiner Gnadenlehre, die sowohl das Verhältnis von geschaffener und ungeschaffener Gnade, als auch das Verhältnis von Natur und Gnade in einer neuen Weise vorstellt. Hierbei spielt der von ihm eingeführte Begriff des übernatürlichen Existentials eine entscheidende Rolle.
¹ Papst Pius XII. wendet sich mit Humani generis (1950) u.a. gegen einige Lehrinhalte der sogenannten »nouvelle théologie«. So wird das intrinsezistische Verständnis des Verhältnisses von Natur und Gnade, das behauptet, „Gott könne keine vernunftbegabten Wesen schaffen, ohne diese auf die seligmachende Schau hinzuordnen und dazu zu berufen" (DH 3891), verworfen.
² Vgl. Rulands, Menschsein unter dem An-Spruch der Gnade.
³ Lubac, Surnaturel.
⁴ „Aus diesem Verlangen und der Ablehnung eines status naturae purae ein (die Gratuität der Gnade aufhebendes) Recht des Menschen auf die Gnadenschenkung herzuleiten, ist nach de Lubac völlig abstrus", Berger, Natur und Gnade, 265.
⁵ D., Ein Weg zur Bestimmung des Verhältnisses von Natur und Gnade.
⁶ Rahner, Über das Verhältnis von Natur und Gnade.
⁷ Lubac äußert sich später enttäuscht darüber, dass Rahner meint, sich mit seinem Werk auseinanderzusetzen, obwohl er lediglich diese verfälschende Darstellung und einen weiteren Aufsatz gelesen habe. Vgl. Lubac, Die Freiheit der Gnade, 152f, Anmerkung 36.
1. Eine Antwort
Als längst überfällig anerkennt Rahner den Versuch einer Überwindung eines Natur-Gnade-Verhältnisses, nach dem die Gnade „als ein bloßer, in sich zwar sehr schöner Überbau [erscheine], der durch Gottes freie Verfügung auf die Natur aufgesetzt sei, und zwar so, daß das Verhältnis zwischen beiden nicht viel intensiver sei als das einer Widerspruchslosigkeit¹. Er kritisiert ebenso die strikte Trennung, die voraussetzt, „daß das konkret erfahrene (faktische) Wesen des Menschen sich mit der ›Natur‹ des Menschen adäquat decke, die in der Theologie Gegenbegriff zum Übernatürlichen ist
², und problematisiert die Begegnung von Mensch und Gnade nach diesem Denkmodell.³ Rahner bedient sich für seine Kritik zweier Zugänge. Zunächst hinterfragt er die Auffassung hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und bezeichnet sie als problematisch, da sie weder angebe, was zur »Natur« gehöre, noch berücksichtige, dass Erfahrbarkeit der Gnade und Erfahrbarkeit der Gnade als Gnade nicht dasselbe sind."⁴ Sodann hält er die ontologische Vorstellung, dass das Hingeordnetsein des Menschen auf das übernatürliche Ziel durch äußeres göttliches Dekret bestehen könnte, für nicht einleuchtend. An diesem Punkt erscheint nun der Begriff, der für die Gnadenlehre Rahners von zentraler Bedeutung ist – das übernatürliche Existential. Er wird fast nebensächlich in einer Frage in die Diskussion eingeführt. Doch steht er sofort im Spannungsfeld von menschlicher Natur und Gnade und ist zugleich mit der Problematik konfrontiert, wie solch ein Konstitutiv gedacht werden kann.⁵ Aber Rahner stellt seinen eigenen Ansatz vorerst noch zurück und wendet sich unterschiedlichen Wegen zu, die eine Überwindung des Gnadenextrinsezismus versuchen. Dieses Ziel wird seiner Meinung nach nicht erreicht, wenn man lediglich betont, „daß die potentia oboedientialis der Natur doch irgendwie eine Velleität, ja eine, freilich nur bedingte, Sehnsucht nach dem unmittelbaren Gottesbesitz in den Tiefen des Wesens einschließe und dieser appetitus wirklich von einer Geistnatur nicht weggedacht werden könne"⁶. Denn eine bloß »bedingte Sehnsucht« ist nicht ausreichend, um die Natur übernatürlich zu finalisieren. Eine »unbedingte« Hinordnung auf Gnade als Konstitutiv der Natur – wie es Anonymus D. vertritt – wirft jedoch die Frage nach der Gratuität auf. Sie kann Rahner nur verneinen und zieht zudem in Zweifel, ob der anonyme Autor überhaupt über eine Betrachtung der ungeschuldeten Schöpfung hinauskommt, sich die Gnade also gar nicht von deren Ungeschuldetheit unterscheide.⁷ Gerade auf diese Unterscheidung kommt es aber Rahner an. Denn eine doppelte Gratuität und damit die Ungeschuldetheit der Gnade als solche lässt sich nur begründet vertreten, wenn die Hinordnung auf die Gnade keine Anlage der Natur ist.
Ausgehend von diesen Ergebnissen der Auseinandersetzung mit dem Aufsatz von Anonymus D. zeichnet Rahner nun sein eigenes Bild des Verhältnisses zwischen Mensch und Gnade. Die Grundlage für den Empfang der Gnade sind zum einen der Wunsch Gottes, sich mitzuteilen, und zum anderen die Schaffung des Menschen als sein Gegenüber. Da Gott sich ungeschuldet mitteilen will, muss er den Menschen in einer Weise schaffen, in der er diese Selbstmitteilung nur als Gnade empfangen kann – „er muß ihm also nicht nur ein Wesen geben, sondern ihn als eine ›Natur‹ (im Gegensatz zu einem ungeschuldeten Übernatürlichen) konstituieren."⁸ Diese Kreatürlichkeit ist der Grund dafür, dass die Gnade dem Menschen nur ungeschuldet sein kann. Auf diesem Fundament entwickelt Rahner in vier Punkten seinen Denkansatz.
Zunächst soll der Mensch die göttliche Liebe empfangen können. Dazu muss er sowohl eine Kongenialität für diese Liebe als auch die Möglichkeit des Empfangs haben. Diese reale Potenz muss der Mensch immer haben, da er „ja der immer von dieser Liebe Angeredete und Angeforderte⁹ ist. Für Rahner ist sie daher „die Mitte und der Wurzelgrund dessen, was er [der Mensch] überhaupt ist
¹⁰,