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Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst: Bausteine zu einer zeitgemäßen Gotteslehre
Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst: Bausteine zu einer zeitgemäßen Gotteslehre
Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst: Bausteine zu einer zeitgemäßen Gotteslehre
eBook246 Seiten2 Stunden

Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst: Bausteine zu einer zeitgemäßen Gotteslehre

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Über dieses E-Book

Bausteine zu einer zeitgemäßen Gotteslehre - diese legt Dieter Radaj vor, ausgehend von der streng rationalen philosophischen Theologie Wilhelm Weischedels. Dieser "Minimaltheologie" wird die Lebensphilosophie dreier bekannter Sprachkunstwerke gegenübergestellt. Der Willensentscheid, die Lebenswirklichkeit ganzheitlich zu erfassen, führt zur christlichen Offenbarungstheologie, die sich als verträglich mit den neueren Erkenntnissen der Natur- und Geisteswissenschaften erweist. Die Frage nach der Verantwortlichkeit des Menschen auf dieser Erde im Verhältnis zum ewigen Gottesreich wird aus Sicht der christlichen, islamischen und jüdischen Theologie erörtert.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Sept. 2016
ISBN9783429063030
Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst: Bausteine zu einer zeitgemäßen Gotteslehre
Autor

Dieter Radaj

Dieter Radaj, promoviert und habilitiert an der Technischen Universität Braunschweig, war in Industrie, Wissenschaft und Lehre in leitender Funktion tätig. Er ist Autor zahlreicher fachwissenschaftlicher Werke sowie mehrerer Bücher zu aktuellen Fragen der Welterkenntnis und des Lebensvollzugs.

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    Buchvorschau

    Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst - Dieter Radaj

    I. Aufstieg und Verfall der philosophischen Theologie

    Die Frage nach Gott versucht die philosophische Theologie auf Basis der Vernunft zu beantworten, während sich die Offenbarungstheologie an die im Wort ergangene Offenbarung hält. Die philosophische Theologie nahm ausgehend von der Antike ihren Aufschwung, verfiel jedoch in der Neuzeit zum Atheismus, Nihilismus und Existentialismus. Wilhelm Weischedel überwindet den Verfall durch eine streng am Denken orientierte Minimaltheologie, während Albert Schweitzer die Überwindung aus der Fülle des Lebens heraus gelingt.

    1. Die Frage nach Gott

    Nach Gott fragen und dabei Vernunft und Verstand anrufen heißt philosophisch fragen. Im Rahmen der philosophischen Theologie, auch »natürliche Theologie« genannt, wird die Frage nach Gott auf der Grundlage des begrifflichen Denkens behandelt, ursprünglich in der Antike relativ unabhängig von religiösen Autoritäten oder Erfahrungen, später im Mittelalter der Offenbarungstheologie unterstellt, in der Neuzeit wieder unabhängig davon, zumindest der Intention nach. Die philosophische Theologie gilt als Kerngebiet der Metaphysik. Das von ihr behandelte Grundproblem ist das Verhältnis von unendlicher Gottheit und endlicher Wirklichkeit. Sie kann vom Dasein, Wesen und Wirken Gottes positiv nur in analoger Form sprechen, oder aber in negativen bzw. paradoxen Bestimmungen. Vielfach wird die Bezeichnung »Gott« wegen des betont personalen Gehalts ersetzt durch die Bezeichnung »das Sein selbst« oder »der Urgrund«.

    Die philosophische Theologie hat sich im Bereich des Christentums teils im Verbund, teils in der Auseinandersetzung mit der Offenbarungstheologie entwickelt. Diese antwortet im Vertrauen auf das von Gott an den Menschen gerichtete Wort. Das Wort kommt in den Zeugnissen der Bibel zum Ausdruck, von den Kirchen in Glaubenssätze umgesetzt. Die Autorität der Glaubenssätze hat im kirchlichen Bereich Vorrang vor der denkerischen Konsistenz und vor der Vernunft.

    Die Normierung der Glaubensinhalte ist eine notwendige Begleiterscheinung kirchlicher Gemeinschaftsbildung, die im Christentum als heilswirksam hervorgehoben wird. Gleichzeitig wird dem Gläubigen ein Halt gegeben. Der Glaube, »der Berge versetzen kann«, hebt jene Fraglichkeit auf, zu der sich die neuzeitliche philosophische Theologie bekennt. Erst ein positiv ausgerichteter Glaube ermöglicht einen von Sinnhaftigkeit getragenen Lebensvollzug.

    Um das rechte Verhältnis von Vernunft und Glaube wurde zur Zeit der Scholastik leidenschaftlich gerungen. Überwiegend wurde die Auffassung vertreten, dass die philosophische Theologie als denkerische Durchdringung der Glaubensinhalte zu betreiben sei. Erst der Glaube ermögliche die Einsicht, daher sei das philosophische Denken dem Glauben nachgeordnet. Man müsse nicht wissen, um zu glauben, sondern man müsse glauben, um zu wissen. Die Offenbarungstheologie setzte sich in den kirchlichen christlichen Traditionen bis heute fort, teilweise unter ausdrücklicher Zurückweisung einer Vernunftbasis. Die philosophische Theologie begleitete dagegen die Entstehung und Ausgestaltung der Naturwissenschaften. Dabei wurde der christliche Glaube anfangs geachtet, aber später zunehmend durch einen grundsätzlichen Zweifel ersetzt.

    Ebenfalls zur Zeit der Scholastik entstand als bedeutende Strömung der philosophischen Theologie die christliche Mystik. Sie wurde bevorzugt von Frauen getragen. Mit ihr kommt neben der Erkenntnisweise der Vernunft die Erkenntnisweise der Gottesliebe zum Tragen. Der christliche Glaube kann sich entweder aktiv in der Außenwelt im Dienst am Nächsten oder in der Gemeinschaft bewähren, oder aber er kann sich in kontemplativer Versenkung des Gläubigen ausdrücken, der in weltlicher Abgeschiedenheit sich selbst aufgebend die mystische Einung mit Gott anstrebt.

    Weder die Erkenntnisweise des Verstandes noch die des Herzens führen zu sicherer Erkenntnis von Gott. Bei aufrechtem Bemühen erlauben sie jedoch Annäherungen. Auch die Offenbarung Gottes ist keineswegs vollständig, sondern auf das Heilsgeschehen beschränkt. Es verbleibt das Mysterium. Der Glaube ist eine angemessene Antwort.

    2. Aufstieg der philosophischen Theologie

    Aufstieg und Verfall der philosophischen Theologie im Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte sind von W. Weischedel umfassend und detailliert dargestellt worden.¹ Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Darstellung wurden vom Verfasser als Übersicht zusammengestellt.² Darauf fußend werden nachfolgend nur die Kernpunkte der geschichtlichen Entwicklung hervorgehoben.

    Als Grundzug der Entwicklung erscheint ein Aufstieg der philosophischen Theologie beginnend in der griechischen Antike bis zu einem Höhepunkt in der frühen Neuzeit, gefolgt von einem dramatischen Verfall in der eigentlichen Neuzeit. Versuche, dieses Scheitern zu überwinden, schließen sich an. Der Aufstieg wird von Weischedel mit dem Höhepunkt bei Hegel gesehen, worauf sich der Verfall abrupt vollzieht. Der allmähliche Verfallsbeginn ist jedoch dem englischen Empirismus und der französischen Aufklärung anzulasten.

    Die Frage nach Gott bzw. dem Göttlichen entsteht mit der Geburt der Philosophie in der griechischen Antike. Das Göttliche wird als das eigentlich Seiende hinter der welt- und naturhaften Wirklichkeit gesehen. Die philosophische Theologie löst damit die geschichtlich frühere mythische Welterklärung ab. Im Hellenismus der Spätantike werden die bisherigen Lehren mit eigenständigen Abänderungen fortgeführt, wobei die Praxis des realen Lebensvollzugs in den Vordergrund tritt (Epikureismus, Stoa, Neuplatonismus).

    Die philosophische Theologie der Patristik, also der Kirchenväter, beinhaltet die Entstehung der christlich geprägten Philosophie. Ausgehend von der jüdischen Vorstellung des heilsgeschichtlich wirkenden einen Gottes, der sich im prophetischen Wort dem Menschen offenbart, verkündet das Christentum den allmächtigen Gott der Liebe und Gnade, der durch die Menschwerdung und die Opferung seines Sohnes Jesus Christus die Heilsgeschichte vollendet. Gott war bereits im Judentum ausschließlich Person und als solche dem Kosmos entrückt. Die Diskrepanz zur Philosophie der Antike ist evident. Sie wird dadurch weiter verstärkt, dass das Christentum eine von Gott offenbarte Wahrheit vertritt, während die antike Philosophie bescheidener zur Erhellung des Seins und zur Praxis des Lebensvollzugs beitragen will. Gleichzeitig waren gnostische Strömungen abzuwehren, die Erlösung durch mystische Selbst- und Gotteserkenntnis anstrebten.

    Tatsächlich gelingt es dem Kirchenvater Augustinus, die paulinischen Glaubenssätze mit neuplatonischer Philosophie zu einer neuartigen Einheit zu verbinden. Er erkennt und nutzt die Möglichkeiten einer philosophisch begründeten Schriftexegese. Aber die Philosophie allein kann nach Augustinus die Wahrheit nicht finden, sondern nur der durch die Schrift und die Kirche verbürgte Glaube.

    Die Philosophie des Mittelalters, die Scholastik, ist überwiegend philosophische Theologie. Sie entfaltet sich auf der Grundlage christlich anerkannter Schriften (Paulus, Kirchenväter, Aristoteles) und deren begrifflich-denkerischer Auslegung nach der Vernunft. Albertus Magnus und Thomas von Aquin begründen den Aristotelismus der Scholastik. Die natürliche Vernunft wird dem übernatürlichen Offenbarungsglauben unterstellt, wobei über den Grad der Unterstellung unterschiedliche Auffassungen bestehen. Überwiegend wird die gemäßigte Ansicht vertreten, dass die philosophische Theologie als denkerische Durchdringung der Glaubensinhalte zu betreiben sei. Ein weiteres bevorzugtes Betätigungsfeld sind die Gottesbeweise. Zunehmend wird die Macht der Vernunft gegenüber dem Glauben wahrgenommen, was sich in den zeitgleichen Anfängen der Naturwissenschaft ausdrückt. Eine weitere bedeutsame Strömung der philosophischen Theologie des Mittelalters ist die Mystik, in der sich die Erkenntnisweisen des Verstandes und des Herzens verbinden. Am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit steht schließlich der bedeutende philosophische Theologe Nikolaus von Kues, der im »gelehrten Nichtwissen« die seinerzeitigen Glaubensund Vernunftwahrheiten zur Deckung bringt.

    Die philosophische Theologie der frühen Neuzeit wird von den großen rationalen Systemen von Descartes, Spinoza und Leibniz beherrscht. Vorausgegangen sind die theologisch relevanten reformatorischen Erneuerungsbewegungen und die dadurch ausgelöste Gegenreformation. Die angesprochenen rationalen Systeme führen die scholastische Denktradition fort, sind aber auch schon von der mechanistisch-mathematischen Denkweise der aufstrebenden Naturwissenschaft geprägt.

    Die Aufgabe der philosophischen Theologie sieht Descartes darin, das Dasein und die Wahrhaftigkeit Gottes rational nachzuweisen, auch wenn der Glaube als primäre Quelle der Gotteserkenntnis gilt. Grundlegend ist ihm der Begriff der Substanz. Gott ist unendliche Substanz, ungeschaffenes Sein. Geist ist endliche denkende Substanz (res cogitans). Materie ist endliche ausgedehnte Substanz (res extensa). Das Weltbild ist konsequent mechanistisch.

    Die philosophische Theologie steht bei Spinoza im Zentrum des Denkens. Jegliche Offenbarungstheologie ist ausgegrenzt, obwohl Spinoza jüdischer Herkunft ist. Der rationalen Philosophie wird alle Wahrheitserkenntnis zugeordnet. Es gibt nur eine Substanz, nämlich Gott, während denkende und ausgedehnte Substanz Attribute Gottes sind. Gott ist aller Wirklichkeit, allem Geist und allen Dingen immanent (Pantheismus). Alles Geschehen ist streng determiniert, es gibt keine Willensfreiheit.

    Auch bei Leibniz ist die philosophische Theologie ein wesentliches Element seines rationalen Weltentwurfs. Offenbarungsglauben und Vernunfterkenntnis sind verträglich, weil beides Gaben Gottes sind. Gott ist ursprüngliche unendliche Substanz, aus der sich die endliche Substanz in Form metaphysischer, seelenartiger Punkte, genannt »Monaden«, ableitet. Gott wird begriffen als Macht (zum Sein), als Verstand (zum Wahren) und als Wille (zum Guten). Damit stellt sich das Problem der Rechtfertigung Gottes angesichts der Übel und des Bösen in der Welt, die Theodizee. Leibniz befindet, Gott habe die beste aller möglichen Welten geschaffen, in der das Böse zur Beförderung des Guten dient.

    3. Zwischen Aufstieg und Verfall der philosophischen Theologie

    Zur Zeit der großen rationalen Systeme auf dem europäischen Kontinent etabliert sich als erkenntnistheoretische Gegenposition in England der Empirismus, der allein in der Erfahrung die Quelle jeglichen Wissens sieht. Der bedeutendste Vertreter des Empirismus ist David Hume. Die Ideen, darunter die Gottesidee, entstehen nach seiner Auffassung im Verstand, ohne dass das Bezeichnete tatsächlich existiert.

    In der französischen Aufklärung wird dieser Gedanke zum Materialismus und Atheismus radikalisiert. Die Gottesvorstellung gilt als unvereinbar mit der Vernunft, als Wahnvorstellung und Trugbild. Rousseau überwindet den einseitigen Vernunftbezug der französischen Aufklärung, indem er die »natürliche Religion« im Gefühl verankert. In der deutschen Aufklärung ruft Lessing zu religiöser Toleranz auf. Die großen monotheistischen Religionen seien Ausdruck einer eingeborenen »Vernunftreligion«.

    Als Vollender der Aufklärung gilt Immanuel Kant. Die philosophische Theologie verdankt Kant eine neuartige vernunftkonforme Begründung. Eine kritische Untersuchung der herkömmlichen Gottesbeweise zeigt, dass die Vernunft das Dasein Gottes nicht nachweisen kann. Der Gottesbegriff wird dennoch als »regulatives Prinzip der theoretischen Vernunft« beibehalten. Die Frage nach Gott als dem Unbedingten wird dagegen auf Basis der praktischen Vernunft beantwortet. Für den handelnden Menschen gibt es ein unbedingtes moralisches Gesetz, einen »kategorischen Imperativ«. Dem Anspruch des moralischen Gesetzes steht die Willensfreiheit des Menschen gegenüber. Gott wird als der Urheber des Moralgesetzes postuliert.

    Im Deutschen Idealismus, der im Anschluss an Kant in Deutschland vorherrschenden philosophischen Strömung, erfährt die philosophische Theologie einen letzten Aufschwung. Nach Fichte ist die Außenwelt ein Erzeugnis des Ich (subjektiver Idealismus). Nach Schelling sind Außen- und Innenwelt polare Aspekte desselben geistgezeugten Ganzen (objektiver Idealismus, Identitätsphilosophie). Nach Hegel entfaltet sich der Weltgeist dialektisch zur Weltwirklichkeit (absoluter Idealismus). Alle drei genannten Philosophen haben eigenständige philosophische Theologien entwickelt.

    Im subjektiven Idealismus von Fichte, begründet durch einen dialektischen Dreischritt zum Ich, existiert Gott als Ich-bezogenes inneres Sein, verstanden als geistige Wirklichkeit, als Wissen. Der Begriff wird zum Weltschöpfer. Das absolute Wissen Gottes realisiert sich im relativen Wissen des Menschen, der im Vollzug der Liebe seine Ichhaftigkeit abstreifen und das Absolute intuitiv erfassen kann. Das Absolute manifestiert sich in der Einheit von Freiheit des Menschen und Sein Gottes.

    Im objektiven Idealismus von Schelling, begründet durch einen dialektischen Dreischritt zum Geist, ist der Geist das vom Ich unabhängig Seiende. Der Schritt vom Objekt zum Subjekt folgt der Stufung der Natur von der toten Materie zum vernunftbegabten Menschen, während der Schritt vom Subjekt zum Objekt der Stufung des Selbstbewusstseins von der Sinnesempfindung zur intellektuellen Anschauung entspricht. Schließlich wird die wesensmäßige Identität von Natur und Geist, Außenund Innenwelt, Objekt und Subjekt vertreten.

    Im absoluten Idealismus von Hegel wird das Denken des Menschen, soweit es die Wahrheit und das Sein betrifft, zum Denken des Weltgeistes erklärt, der die Dinge erschafft, indem er sie denkt. Im Weltgeist fallen Denken, Wahrheit und Sein zusammen. Das Absolute wird zu dem, was es ist, nämlich Identität des Gegensätzlichen, durch die Bewegung der Begriffe. Dieses Werden bzw. Bewegen erfolgt als dialektischer Prozess im Dreischritt von Thesis, Antithesis und Synthesis. Er ermöglicht »die Erkenntnis des Entgegengesetzten in seiner Einheit«.

    Die zentrale Aussage der philosophischen Theologie Hegels lautet: Gott ist absoluter Geist. Das Geistige allein ist das Wirkliche, die Dinge sind nur Schein. Das Wesen des Geistes ist Tätigkeit. Der Geist erschafft sich selbst im dialektischen Prozess. Weischedel¹ (ibid. S. 379) hat das in folgender Weise zur Anschauung gebracht: »Der absolute Geist – Gott – ist zunächst, in seinem Ansichsein, der reine Begriff. Er entäußert sich sodann selbst und wird zur Natur und zum leiblich-seelischen Dasein des Menschen. Im weiteren Gange wendet er sich – im menschlichen Geiste und in dessen Geschichte – auf sich selber zurück und wird so für sich selbst. Schließlich versöhnt er sich – im Durchgang durch Kunst, Religion und Philosophie – mit sich selber und wird nun wirklicher absoluter Geist«.

    4. Verfall der philosophischen Theologie

    Im Anschluss an Hegel setzt ein abrupter Verfall der philosophischen Theologie ein, begünstigt durch die Erfolge der Maschinentechnik, aber auch durch die von der Industriellen Revolution ausgelösten sozialen Umbrüche. Die philosophische Theologie wird radikal angegriffen, von Feuerbach auf Basis der Anthropologie, von Marx auf Basis des Materialismus und von Nietzsche auf Basis des Nihilismus. Den Standpunkten gemeinsam ist ein extremer Atheismus.

    Ludwig Feuerbach sieht im Menschen das Maß aller Dinge. Anstelle des Gottesglaubens tritt der Glaube des Menschen an sich selbst und seinen Fortschritt. Der Gott der Religion wird zur psychischen Projektion ohne objektive Wirklichkeit erklärt. Es gibt keinen erfahrbaren Gott, der Mensch erfährt nur sich selbst.

    Karl Marx, mehr publizistischer Agitator als Philosoph, präsentiert eine durch und durch materialistische Weltsicht. Der dialektische Materialismus lässt das Metaphysische aus dem Materiellen hervorgehen. So wird die Gottesvorstellung zu einem Epiphänomen der Materie erklärt. Der praxisorientierte Materialismus wiederum sieht die Welt allein in Umbildung durch den Menschen. Der historische Materialismus schließlich leitet das individuelle Bewusstsein aus dem gesellschaftlichen Sein ab. Mensch, Geschichte und Gesellschaft sind die tragenden Elemente der Marxschen Philosophie. Der Mensch erzeugt sich selbst durch seine Arbeit. Die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse bestimmen sein Bewusstsein. Die kapitalistische Produktionsweise hat den Menschen sich selbst entfremdet. Die zukünftige klassenlose humane Gesellschaft wird mit geschichtlicher Notwendigkeit durch Revolution verwirklicht.

    Friedrich Nietzsche verwirft die herkömmliche Metaphysik neuplatonisch-christlicher Prägung, nämlich die Annahme einer wahren jenseitigen Welt hinter der nur scheinhaften diesseitigen Welt. Und so verkündet er: »Gott ist tot. Wir haben ihn getötet«. Nietzsche gibt sich als Philosoph des Nihilismus, den er folgendermaßen kennzeichnet: der Glaube an die absolute Wert- und Sinnlosigkeit, der Glaube, dass es gar keine Wahrheit gibt, die Entwertung aller bisherigen Werte, besonders aber der christlichen Moral. Vollständiger Nihilismus äußert sich im Tun ohne Gott und Moral, im »Willen zur Macht«. Die Zukunft beinhaltet zwei Aspekte: »die Umkehrung aller Werte« und »die ewige Wiederkehr«, wobei Letztere die Sinnlosigkeit des Daseins ausdrückt. An die Stelle der Symbolgestalt des Gekreuzigten setzt Nietzsche den griechischen Gott Dionysos als Verkörperung eines rauschhaften, alle Formen sprengenden Schöpfungsdranges.

    Die zweite philosophische Strömung der Neuzeit, in

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