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Der fremde Gott: Glaube in postsäkularer Kultur
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Der fremde Gott: Glaube in postsäkularer Kultur
eBook335 Seiten4 Stunden

Der fremde Gott: Glaube in postsäkularer Kultur

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Über dieses E-Book

Angesichts der Krisen und Defizite säkularer Gesellschaften wird die Relevanz der Religion für zentrale und elementare Fragen menschlichen Miteinanders zunehmend wieder entdeckt. Zugleich bestreitet ein "Neuer Atheismus", dass die Berufung auf Gott im Denk- und Erfahrungshorizont der Welt noch Geltung beanspruchen kann. Allenfalls eine Gott los gewordene Religiosität will er noch zulassen. Wie man angesichts dieser widerstreitenden Tendenzen und den damit verbundenen intellektuellen und existenziellen Herausforderungen angemessen von Gott sprechen kann, ist die Grundfrage dieses Buches. Darin greift Hans-Joachim Höhn auf die "theologia negativa" zurück - eine Denkform, welche im Bewusstsein des vielfachen Missbrauchs des Wortes "Gott" die "Entleerung" eines dogmatisch und moralisch überfrachteten Glaubens betreibt und ebenso die Fremdheit und Unverfügbarkeit wie die verborgene Gegenwart Gottes zu wahren sucht.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Jan. 2001
ISBN9783429061074
Der fremde Gott: Glaube in postsäkularer Kultur
Autor

Hans-Joachim Höhn

Hans-Joachim Höhn, Dr. theol. habil., geb. 1957, Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität zu Köln.

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    Buchvorschau

    Der fremde Gott - Hans-Joachim Höhn

    I.

    Abschied von Gott?

    Theologie an den Grenzen

    der Moderne

    Theologie ist Rede von Gott. Selbstverständlich! Aber versteht man deswegen auch, wovon sie spricht? Selbstverständlich nicht! Denn es versteht sich heute keineswegs von selbst, wer oder wie Gott ist. Darum müssen Theologen viele Worte machen, um verstanden zu werden. Sie erwecken damit den Eindruck, gut Bescheid zu wissen über Gott. Und zugleich wird ihnen diese Beredsamkeit zur Gefahr. Es kommt zu einer unseligen Redseligkeit. Gedankenlose Geschwätzigkeit macht sich breit. Die Theologie vermag trotz ihres Redeflusses nicht mehr, Gott oder das „Wort Gottes" zur Sprache zu bringen. Beide werden totgeredet. Auf diese Weise bereitet sich die Theologie ihr Ende selbst. Es bedarf keiner religionskritischen Vehemenz, um ihr Ableben zu befördern. Das Ende der Theologie fängt dort an, wo sie geschwätzig wird und viele Sätze über Gott schneller gesagt als gedacht sein lässt.¹ Auf diesem Wege wird sie letztlich nichtssagend. Den Nichtssagenden aber gehen die Worte niemals aus. Darum setzt sich theologisches Gerede einstweilen fort, auch wenn es nichts und niemandem mehr etwas sagt.

    Aber was wäre die Alternative? Ihre Sache zu verschweigen, im Diskurs der Wissenschaften zu verstummen, sich aus dem Stimmengewirr der Öffentlichkeit zurückzuziehen, nicht mehr von Gott, sondern nur noch über „Religion zu reden würde ebenfalls ihr Ende bedeuten. Ein solches Schweigen wäre nicht beredt, sondern ein betretenes und verschämtes Verstummen. Da sie nicht schweigen will und darf, setzt die Theologie ihr Geschäft fort, viele und große Worte von Gott zu machen. Ihr kommt dabei die Hoffnung zu Hilfe, dass sich dort, wo die Worte sind, auch die Sache einstellt, die sie bezeichnen. Allerdings ist diese Hoffnung trügerisch. Im Reich der Worte werden viele Dinge oft unbedacht ausgesprochen. Hier lässt das Reden das Denken hinter sich. Wo aber das Denken das Reden nicht mehr einholt, droht die Gefahr, dass man gedankenlos daherredet. Das gilt auch für „Berufschristen, für Religionslehrer/innen, Pfarrer und Theologieprofessoren. In ihrem Worteifer kann es passieren, dass sie sich nichts mehr dabei denken, wenn sie von Gott reden. Dann aber sind sie erst recht nicht mehr bei ihrer Sache. Und sie verfehlen auch das, was an der Zeit ist.

    1. Provokationen:

    Die Passion des Wortes „Gott"

    Das Ende der Theologie beginnt dort, wo sie nur noch redet, aber nicht mehr hinhört auf das, was ihr die Zeit aufträgt. Das Wort „Gott gibt in dieser Zeit mehr zu denken als zu reden. Es ist ein in höchstem Maße „bedenkliches Wort geworden. Für den jüdischen Religionsphilosophen MARTIN BUBER (1878–1965) ist es das am meisten belastete aller Menschenworte: „Welches Wort der Menschensprache ist so mißbraucht, so befleckt, so geschändet worden wie dieses! All das schuldlose Blut, das um es vergossen wurde, hat ihm seinen Glanz geraubt. All die Ungerechtigkeit, die zu decken es herhalten mußte, hat ihm sein Gepräge verwischt. Wenn ich das Höchste ‚Gott‘ nennen höre, kommt mir das zuweilen wie eine Lästerung vor."² Dennoch will M. Buber auf dieses Wort nicht verzichten – um des Menschen willen. Die Blutspur, die sein Missbrauch in der Geschichte hinterlassen hat, erzählt von der Passion des Menschen. Für dieses Wort wurden Menschen getötet und mit diesem Wort auf den Lippen haben Menschen getötet. An diesem Wort klebt Blut. Bereits um der Erinnerung an die Passion des Menschen willen darf dieses Wort nicht vergessen werden. Was das Wort „Gott" bedenklich macht, ist aber nicht allein die Leidensgeschichte des Menschen und die Kriminalgeschichte einer Religion, sondern auch die Passion Gottes.

    die passion des wortes GOTT

    das blutet aus allen wunden

    das wird vergewaltigt noch und noch

    das ist verraten zertrampelt zerschossen geköpft

    gerädert gevierteilt gezehnteilt

    verlorene glieder wurden durch monströse prothesen ersetzt

    das ist sich selber und uns und allem entfremdet

    ist schizo und neuro und psycho

    zerstochen über und über von nadeln mit denen

    fremde substanzen injiziert worden sind

    das agonisiert ohne ende

    ist vielleicht schon tot oder noch nicht oder

    das consilium der ärzte diskutiert noch zur zeit

    und ALSO wurde das wort GOTT

    zum letzten der wörter

    zum ausgebeutetsten aller begriffe

    zur geräumten metapher

    zum proleten der sprache³

    Dem Wort, das in der Geschichte der Menschen dazu verwandt wurde, dem höchsten Wert, dem Grund allen Seins und dem Ziel der Geschichte einen Namen zu geben, ist Gewalt angetan worden, weil mit ihm Menschen vergewaltigt wurden. Der Missbrauch des Wortes „Gott ist aber nicht nur ein Vergehen am Menschen und an seiner Sprache, sondern auch ein Fall von „Gottesmissbrauch. Mit dem Wort „Gott vergeht sich der Mensch an Gott. Gott selbst wird hintergangen, betrogen, ausgenutzt, wo man das Wort „Gott zum Bedeutungsträger für reichlich „gottlose Unternehmen macht. Dabei handelt es sich um ein doppeltes Vergehen, denn es führt in die religiöse Blasphemie und ist ebenso ein Akt der Unvernunft: Es ist ein Akt der „Gotteslästerung, ihn zum Erfüllungsgehilfen menschlicher Vorhaben zu machen – erst recht dann, wenn sie die Inhumanität des Menschen bezeugen.⁴ Es bedeutet einen Anschlag auf die Vernunft, wenn ihr Fragen, die grundsätzlich in die Kompetenz rationaler Weltauslegung und Weltgestaltung gehören, entzogen und in den Bereich des Glaubens überwiesen werden. Zwar gilt, dass man das, was man glaubt, auch widerspruchsfrei denken können muss. Aber daraus folgt nicht, dass man Glauben und Denken gleichsetzen darf oder dass der Glaube das Denken ersetzen kann.

    Gegen diesen doppelten Grundsatz ist von den Glaubenden immer wieder verstoßen worden – vom Ruf „Gott will es als Auftakt der Kreuzzüge über das so genannte „Gottesgnadentum feudaler Herrscher bis hin zur Inschrift „Gott mit uns" auf dem Koppel deutscher Weltkriegs-Soldaten. Blasphemisch war auch die ausdrückliche Berufung auf eine göttliche Mission seitens der sich zum Islam bekennenden Terroristen vom 11. September 2001. Die von evangelikalen Predigern in den USA aufgebotene Rhetorik für einen Kreuzzug gegen den Terrorismus war es nicht minder.⁵ Man muss sich nicht wundern, dass angesichts dieses Gottesmissbrauchs viele Menschen das Wort „Gott" für ein korrumpiertes und kontaminiertes Wort halten.

    Dies gilt auch für die zahllosen Versuche, Gott als „Moralverstärker ins Spiel zu bringen. Wenn der kategorische Imperativ der praktischen Vernunft in seiner Verbindlichkeit nicht überbietbar ist, welchem Ziel dienen dann Versuche, eine solche autonome Moral bzw. Moral der Autonomie mit religiösen Mitteln in Frage zu stellen? Kritische Beobachter dieser Bemühungen fragen an, ob es überhaupt eine moralisch gute Tat gibt, die exklusiv religiösen Motiven zugeschrieben wird, ohne dass sie auch von „gottlosen Menschen vollbracht werden könnte. Verhält es sich nicht eher umgekehrt, dass auch ohne Gott anständige Menschen anständig und unanständige Menschen unanständig sind, aber dass es der Berufung auf Gott bedarf, um anständige Menschen dazu zu bringen, andere zu unterdrücken, zu bespitzeln, zu tyrannisieren?

    Jedes Reden von Gott birgt in der Tat ein Verführungspotential. Dagegen ist es nur gefeit, wenn es sich erhebt gegen jeden „Gottesmissbrauch im Sprechen und Handeln unserer Zeit – gleichgültig ob in seinen zynisch-politischen oder fromm-bigotten Versionen, die sich auch in Christentum und Kirche eingenistet haben. Denn nicht wenige „Gottesgläubige haben auf ihre Weise dazu beigetragen, Menschen- und Gottesverachtung im Namen Gottes zu praktizieren. Aus einem Wort, das etwas zu bedenken gibt, hat auch die Kirche zu oft ein Wort gemacht, das etwas beglaubigt. Sie benutzte dieses Wort bedenkenlos zur Rechtfertigung ihrer Selbstbehauptungsinteressen, die sie als Sache Gottes ausgab.⁷ Die Theologie hat dabei oft mitgespielt oder tatenlos zugesehen. Sie hatte keine Einwände, weil ihr in der Rolle als Pflichtverteidigerin der Kirche keine Einspruchsmöglichkeit blieb. Eine starre Dogmatik ließ zudem kaum mehr etwas übrig, was es theologisch noch zu bedenken gab. An die Stelle des Streitgespräches und des Diskurses trat der Kommentar, das Selbstzitat, die willfährige Unterweisung.

    Jedes Reden von Gott hat heute verspielt, das nicht in Opposition steht zu einer Einstellung, die nicht mehr – im positiven Sinn – „begriffsstutzig sein will. Auch die Theologie muss immer wieder stutzig werden, Anstoß nehmen an den vielen Formen, Gott für eine irritationsresistente Praxis in religiösen und säkularen Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen und die eigentliche Zumutung dieses Wortes auszuschlagen, die jeglichen Redefluss unterbricht und in Frage stellt. Theologinnen und Theologen sollten es als Ehrentitel auffassen, wenn sie von kirchlichen Würdenträgern als „Bedenkenträger kritisiert werden, womit in der Regel eine unwirsche Beschreibung für unbequeme und nachdenkliche Mitmenschen verbunden ist. Man hält sie für Nörgler, Beckmesser und Querulanten. Viele ihrer Kritiker können gar nicht verstehen, warum es etwas zu kritisieren gibt. Sie halten ihre Sache für eine große Selbstverständlichkeit. Bedenkenträger aber erinnern daran, dass sich keineswegs alles von selbst versteht. Das ahnen auch ihre Kritiker unter den Kirchenfürsten und im Kirchenvolk. Sie merken, dass die traditionelle Gottesrede auf Probleme stößt. Aber sie reagieren meist anders – jedenfalls selten mit Nachdenklichkeit und Selbstkritik. Denn für sie ist die Wirklichkeit Gottes etwas Fragloses, Unstrittiges, Unbezweifelbares. Gott ist für sie über jeden Zweifel erhaben. Diese Überzeugung ist heute jedoch immer schwerer vermittelbar. Das wissen auch die Überzeugten und darum bekräftigen sie immer wieder das, wovon sie überzeugt sind. Das ist auf den ersten Blick auch verständlich: Wer auf Anhieb nicht verstanden wird, obwohl er/sie meint, etwas Selbstverständliches zu sagen, sieht sich genötigt, dasselbe noch einmal zu sagen. Man wiederholt sich. Wiederholungen aber langweilen. Und wer sich langweilt, schaltet ab.

    Genauso ergeht es der Kirche seit geraumer Zeit mit ihrer Rede von Gott. Sie versteht nicht, warum sie nicht verstanden wird. Und darum wiederholt sie das oft Gesagte, sie fasst zusammen, sie beschwört, sie schärft ein, sie droht – und am Ende gibt sie für das gleichwohl fortbestehende Unverständnis den Anderen die Schuld. Man macht den Anderen, den Religions- und Kirchenfernen jene Vorwürfe, die man an sich selbst adressieren müsste. Ein solches Reden von Gott ist unkommunikativ. Kommunikation lebt davon, dass man sich Fragen stellen lässt. Die besten Fragen sind stets die unbequemen. Ihnen aus dem Weg zu gehen ist ebenso unklug wie feige. Es ist unklug, weil man bekanntlich durch Fragen klug wird. Und es ist feige, denn wo nicht gefragt wird, wird nichts riskiert. Und wo nichts riskiert wird, gibt es auch nichts zu gewinnen. Wer all dem aus dem Weg gehen will, ist in der Theologie fehl am Platz. Theologie beginnt mit unbequemen Fragen, die sie sich stellen lässt und die sie anderen stellt.

    Jedes Reden von Gott hat in dieser Zeit verspielt, das sich nur noch an jene richtet, die noch etwas mit dem Wort „Gott anfangen können oder wollen. Theologie, die ernst genommen werden will, braucht das Gespräch mit jenen Zeitgenossen, die dieses Wort aus ihrem Vokabular gestrichen haben. Sie muss die Ursachen und Gründe erfragen, dass es zum „Gottesverdruss, zur Aversion oder Gleichgültigkeit gegenüber diesem Menschheitswort gekommen ist. Die Theologie muss solidarisch sein mit den Nachdenklichen – sowohl unter den „Frommen als auch unter den „Ungläubigen – und auf beiden Seiten um wechselseitiges Verständnis werben. Nur so ebnet sie dem Verständnis ihrer Sache einen Weg.

    Den Anfang des Verstehens bildet gleichwohl das Nicht-Verstehen. Erst das Klarwerden über das, was unklar ist, ebnet den Weg zu Einsichten.⁸ Dazu gehört auch die Prüfung, ob das, was jeweils selbstverständlich erscheint, auch wirklich der kritischen Nachfrage standhält. Erkenntnis beginnt mit dem Problematisieren des scheinbar Selbstverständlichen. Darum kommt es der Theologie zu, dass sie gegenüber dem Umgang mit dem Wort „Gott zunächst Bedenken anmeldet. Anders kann sie ihrer Zeit und ihrer Sache nicht gerecht werden. Sie hat mit der Frage zu beginnen, ob das, was in dieser Zeit „Gott genannt wird oder mit diesem Wort bestritten wird, in Wahrheit verdient, so genannt und bestritten zu werden. Sie hat den Schwierigkeiten nachzugehen, welche das Reden von Gott in der Moderne in die Krise gebracht haben, und sie muss die großen Enteignungen des Christentums im Blick behalten. Diese betreffen den Nachweis der Entbehrlichkeit Gottes für die Erklärung der Welt und ihres Entstehens, den Nachweis der Verzichtbarkeit Gottes für die Begründung einer menschendienlichen Moral und den Nachweis für den fehlenden Bedarf des Wortes „Gott" in unserer Sprache. Eine der Wahrheitsfrage verpflichtete Wissenschaft kann nicht anders, als mit Infragestellungen und nicht mit Wahrheitsbehauptungen zu beginnen.

    1.1. Enteignungen:

    Vom Verbrauch des Wortes „Gott"

    Was dem Glauben selbstverständlich ist, erscheint vielen säkularen Zeitgenossen heute als unverständlich. Von der Wirklichkeit Gottes auszugehen und darüber wahre Aussagen machen zu wollen, erachten sie als ein Ding der Unmöglichkeit. Mehr noch: Sie halten bereits die Wirklichkeit Gottes für etwas Unmögliches. Dennoch darüber zu reden gilt ihnen als eine nicht zu rechtfertigende Zumutung. Folglich erweist sich ihnen auch der Glaube an Gott als ein „Ding der Unmöglichkeit", da der Bezug auf etwas Unmögliches selbst wiederum unmöglich ist und allenfalls als Illusion oder Projektion zu betrachten ist. Wenn der Glaube aber heute tatsächlich einen Wahrheitsanspruch erhebt, muss er das, wovon er redet, von etwas Unmöglichem unterscheiden können.

    Dagegen war in früheren Zeiten die Bedeutung des Wortes „Gott anscheinend klar und eindeutig. Die Rede von Gott bezeichnete nicht nur etwas, das zu denken möglich war. Sie meinte auch etwas, das zu denken notwendig war: Gott ist im Rahmen einer Welterklärungstheorie das „erste Unbewegte, aber alles Bewegende, der letzte und weltjenseitige Grund alles Seienden und als solcher auch der Garant einer Ordnung der Werte und Normen. Gott ist die notwendige Bedingung für alles Bedingte, die unabdingbare Ermöglichung alles Möglichen und Wirklichen, der Bürge für die Gültigkeit von Recht und Gesetz. In Gestalt der „Gottesbeweise versuchte die Theologie, durch rationale Argumentation das dem Glauben Selbstverständliche (d. h. die Existenz Gottes) in eine dem Denken zumutbare Erkenntnis zu überführen. Zumindest sollte jede/r Denkende der vom Glauben für selbstverständlich gehaltenen Rede von der Existenz Gottes am Ende mit so viel Verständnis begegnen können, dass sie als „nicht-unvernünftig qualifizierbar erscheint. Dabei wurde von unstrittigen Erfahrungen (z. B. von der Kontingenz der Welt) ausgegangen, die in eine Argumentation eingingen, deren Akzeptanz unabhängig von jedem Glauben ein Gebot der Vernunft darstellt und am Ende dazu führen sollte, dass zwischen Denkenden und Glaubenden ein rationales Einverständnis hinsichtlich der widerspruchsfreien Vertretbarkeit des Gottesgedankens entsteht.⁹ Eine solche Argumentation hatte zwar nie eine „konstitutive, aber oft eine „propädeutische, meist eine „explikative und zuweilen auch eine „verifikative Funktion.¹⁰ Es ging nicht darum, die Überzeugung von Gottes Existenz diskursiv zu erzeugen, sondern die Berechtigung und Verantwortbarkeit dieser (prädiskursiven) Überzeugung zu demonstrieren. Die „verifikative" Funktion der Gottesbeweise darf hierbei ebenso wenig überschätzt werden wie die Falsifikation dieser Funktion: Denn sollte ein Gottesbeweis misslingen, ist damit zwar die Verifikation einer religiösen Überzeugung fehlgeschlagen, nicht aber diese Überzeugung selbst schon falsifiziert. Auf den Fehlschlag eines Gottesbeweises reagieren die Nachdenklichen unter den Glaubenden darum auch nicht mit der Aufgabe ihres Glaubens. Vielmehr bemühen sie sich um neue und bessere Argumente zur Rechtfertigung ihrer Überzeugung.

    Im Übrigen ist das existenziell (und religiös) Gewisse nicht deckungsgleich mit dem rational Zwingenden. Der Gottesglaube zählt zu jenen existenziellen Gewissheiten, auf die Menschen „nichts kommen lassen". Die Wege, auf denen man zu solchen Gewissheiten kommt, sind nicht allein die Wege stringenter rationaler Argumentation. Das Leben kennt noch andere Lehrmeister als die Vernunft! Wozu man auf Wegen gekommen ist, die nicht die Wege der Vernunft sind, dazu muss man dennoch auf vernünftige Weise stehen können. Überzeugungen, die im Widerspruch zu den Prinzipien kritischer Rationalität stehen, können auf Dauer niemanden überzeugen, bringen sich um ihre Geltungsfähigkeit und diejenigen, die sie nicht aufgeben, letztlich um ihren Verstand.¹¹ Darum gilt der Grundsatz „nihil credendum nisi prius intellectum (P. ABAELARD): Nichts kann als Gegenstand des Glaubens ausgegeben werden, das nicht zuvor auf seine Verstehbarkeit und Vertretbarkeit hin geprüft wurde. Gottesbeweise sind Ausdruck einer solchen „fides quaerens intellectum, d. h. intellektueller Bemühungen um die (rationale) Rechtfertigung einer von der Vernunft nicht hervorzubringenden Überzeugung (dass Gott existiert), die gleichwohl vernunftgeleiteter Wirklichkeitserfahrung und -deutung entspricht.¹²

    In der Moderne sind jedoch die Voraussetzungen für solche Füllungen des Wortes „Gott weitgehend kollabiert. Jede für unbezweifelbar gehaltene Prämisse menschlichen Denkens, Wollens und Tuns, die etwa in den kosmologischen, physikotheologischen und ontologischen Gottesbeweis einging, lässt sich seit I. KANTS „Kritik der reinen Vernunft mit guten Gründen in Frage stellen.¹³ Seitdem steht die Auffassung, das Bemühen der theoretischen Vernunft um eine widerspruchsfreie Beschreibung der Welt und ihres Herkommens könne ohne religiös-metaphysische Zusatzannahmen nicht erfolgreich sein, auf sehr schwachem Fundament. Es ist signifikant, dass Kants Alternativentwurf, die Gottesfrage vor der Instanz der praktischen Vernunft zu verhandeln,¹⁴ mit einer Verschiebung des Beweisziels einhergeht. Die Konklusion dieser Argumentation lautet nicht: „Also existiert Gott bzw. das, was alle ‚Gott‘ nennen. Sein „postulatorischer bzw. ethico-theologischer Gottesbeweis führt vielmehr zu der Schlussfolgerung: „Also sollte man als Vernunftsubjekt so denken und handeln, als ob es Gott gebe!" Gott ist nicht länger Gegenstand eines Wissens, einer objektiven Erkenntnis, sondern einer Sinnoption bzw. einer Hoffnung, die philosophisch verantwortbar ist, weil sie die praktische Vernunft um ihrer eigenen Rationalität und Moralität willen unterstellen muss: Die moralischen Forderungen der praktischen Vernunft sind für den Menschen nur dann rational zumutbar, wenn die Erfüllung dieser Forderungen zu einem Ergebnis führen wird, dem er mit Vernunftgründen zustimmen kann. Der hierfür notwendige Nexus zwischen moralischer Gesinnung, moralischer Tat und rational akzeptablen Handlungsfolgen ist aber nur dann gegeben, wenn die naturgesetzlich bestimmte Wirklichkeit mit der vom Sittengesetz bestimmten Welt letztlich zusammenstimmt bzw. mit ihr vermittelbar ist. Auf diese Vermittlung muss die praktische Vernunft notwendig setzen, wenn sie die Forderungen des Sittengesetzes für rational zumutbar halten will. Das Postulat der Existenz Gottes formuliert jene unerlässliche Bedingung, um die praktische Vernunft vor einem Widerspruch zu bewahren, in dem sie sich selbst aufheben würde.¹⁵

    Die einzelnen Argumentationsschritte stellen sich wie folgt dar: (1) Die praktische Vernunft enthält eine unbedingte Verpflichtung (kategorischer Imperativ) zur Herstellung einer „moralischen Welt, deren Verpflichtungskraft durch sich selbst gegeben ist und einleuchtet (Autonomie der Moral). (2) Gegen die Erfüllbarkeit dieser Vernunftpflicht sprechen empirische Umstände (Endlichkeit des Menschen, Schicksalsschläge, naturgesetzliche Determinierung der Welt), die das Erreichen des moralisch gebotenen Zieles grundsätzlich verhindern können und dies de facto nur zu oft auch tun. (3) Kein Mensch könnte und dürfte dieser unbedingten Verpflichtung folgen, wenn die Herstellung einer „moralischen Welt faktisch unmöglich wäre oder ihm nur Nachteile brächte. Sie wäre selbst „unvernünftig, wenn durch sie ein Widerspruch zwischen dem von der Vernunft unbedingt Gebotenen und dem vom Menschen in seiner Lebenspraxis (aus Klugheitsgründen) zu Vermeidenden bzw. zum empirisch und geschichtlich Möglichen entstehen würde. (4) Weder darf aus Vernunftgründen die Verpflichtungskraft des kategorischen Imperativs relativiert werden noch darf aus Vernunftgründen das Faktum der empirischen Nichtherstellbarkeit einer „moralischen Welt ignoriert werden. (5) Die Unbedingtheit des kategorischen Imperativs verlangt nach seiner „kontrafaktischen Umsetzung. Die rationale Unbedingtheit des Sittengesetzes (kategorischer Imperativ) und die rationale Zumutbarkeit seiner kontrafaktischen Erfüllung setzen eine Instanz voraus, welche die Befolgung des Sittengesetzes angesichts des o. a. Widerspruchsproblems erst möglich macht. (6) Die gesuchte Instanz kann zwar in der Erfahrungswelt nicht gefunden werden. Von ihr müssen jedoch sowohl das Vermögen zur Überwindung des Kontrafaktischen als auch zur Erfüllung des Sittengesetzes ermöglicht werden. (7) Ohne das Postulat der Existenz Gottes bzw. einer „eschatologischen Vollendung als Bedingung der Möglichkeit einer kontrafaktischen Erfüllung des Sittengesetzes kann die unbedingte Geltung des Sittengesetzes und Verpflichtungskraft der Vernunftpflichten diese Zerreißprobe nicht bestehen.

    Allerdings ist auch dieser Ansatz nicht vor einem Einwand gefeit, der die Gottesbeweise der theoretischen Vernunft an ihrer empfindlichsten Stelle trifft. Was als denknotwendig behauptet wird, ist damit noch nicht als seinsnotwendig erwiesen. Und falls dies dennoch gelingen sollte, wäre dies wiederum nur eine gedachte Notwendigkeit. Auch der Gottesgedanke der praktischen Vernunft gründet nicht in einer dem moralischen Bewusstsein vorgegebenen und von ihm real verschiedenen, objektiven Wirklichkeit. Vielmehr konstituiert das moralische Bewusstsein diese Wirklichkeit als ein „Postulat, das letztlich nur einen bewusstseins- und sprachimmanenten Ausdruck der Logik und Struktur ethischer Rationalität darstellt. Hier wird nicht thematisiert, was ihr vorgegeben ist, sondern was ihr mitgegeben ist. In seinem moralischen Bewusstsein weiß sich das Vernunftsubjekt zwar auf eine ihm transzendent (d. h. transsubjektiv) erscheinende Wirklichkeit bezogen. Allerdings weiß es darum nur in der Weise einer bewusstseinsimmanenten bzw. „intramentalen Vergegenwärtigung, so dass es über deren transsubjektiven oder transzendenten („übernatürlichen) Realitätsstatus nichts sagen kann, was dem Risiko ihrer Projektion als einer selbständigen Größe entgeht. „Als bewusstseinsimmanentes Verhältnis bezieht das Gottesbewusstsein den semantischen Gehalt des Ausdrucks ‚Gott‘ auf den nur ihm gegebenen Mentaleindruck, ohne dass dieser eine Beziehung auf eine extramentale selbständige Realität implizierte.¹⁶ Selbst wer aus Gründen der Vernunft auf ein „Gottespostulat setzt, muss auf die Einlösung von Geltungsansprüchen verzichten, welche über die Sprach- und Bewusstseinsimmanenz der Rede von Gottes Wirklichkeit hinausgehen. Man muss zwar nicht so weit gehen und behaupten, hier werde Gott bloß ausgedacht. In diesem Fall wäre das kantische „Gottespostulat grandios missverstanden. Aber zumindest wird er vom und im Denken hervorgedacht.

    Diese Problematik stellt sich in jüngster Zeit neu und verschärft durch die Experimente der so genannten „Neuro-Theologie"¹⁷. Mit ihnen ist es gelungen, durch bildgebende Verfahren die Veränderung einzelner Felder in spezifischen Hirnarealen während religiöser Praktiken sichtbar zu machen. Dabei handelt es sich um Areale, in denen Prozesse ablaufen, die über die räumliche Orientierung, Bewegung und Selbstwahrnehmung der Probanden entscheiden. Durch entsprechende Stimulierungen dieser Areale ist es möglich, dass für die Probanden die Grenze zwischen Ich und Welt verschwindet und die Orientierung in Raum/Zeit-Bezügen aufgehoben wird. Was die Mystiker unterschiedlichster religiöser Traditionen berichten – das „ozeanische Gefühl der Versenkung, die Erweiterung von Bewusstseinsgrenzen, die Vereinigung mit einer allumfassenden Wirklichkeit –, lässt sich offenkundig rekonstruieren als Resultat einer via Meditation erfolgenden Stimulation entsprechender Hirnlappen. Der Beweis scheint erbracht, dass es sich bei mystischen Erlebnissen nicht um „Einbildungen, sondern um empirisch nachweisbare Tatsachen handelt. Allerdings kippt dieser „Beweis sogleich in eine religionskritische Anfrage um. Denn er wirft die Frage auf, ob sich in mystischen Erfahrungen ausschließlich hirnimmanente Ereignisse manifestieren, die Ausdruck einer Selbstbeschäftigung des Gehirns sind, oder ob diese Erfahrungen eine „Außenreferenz haben (z. B. in der Weise, dass dieses „Außen das neuronale Geschehen affiziert oder mental verursacht), wie religionsapologetische Deutungen nahelegen wollen. In ihrer religionskritischen Variante zieht die Neurobiologie gleichwohl eine „Naturalisierung der Gottesvorstellung nach sich, welche am Ende ihren Gehalt als etwas allein vom Bewusstsein Hervorgebrachtes erscheinen lässt, das wegen einer fehlenden Außenreferenz nicht mehr von einer Illusion oder Projektion unterschieden werden kann. Allerdings behauptet dieser Ansatz zu viel, wenn er die Frage nach der Geltungsfähigkeit und Plausibilität der Inhalte mystischer Erfahrungen bzw. des Glaubens abhängig macht von ihrer Genese („genealogischer Fehlschluss").

    Ein entsprechend problematischer Syllogismus lautet: (1) Alles, was dem Menschen bewusst ist, ist ihm durch neuronale Prozesse bewusst bzw. von ihnen bedingt. (2) Religiöse Überzeugungen („Gott existiert") sind Inhalte bzw. Gegenstände menschlichen Bewusstseins. (3) Also sind religiöse

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