Theodizee: Eine theologische Herausforderung
Von Christian Link
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Christian Link
Christian Link ist Prof. emeritus für Theologie des Christlichen Glaubens an der Theologischen Fakultät der Universität Bochum.
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Buchvorschau
Theodizee - Christian Link
I.Entwürfe philosophischer Theodizee
1.Leibniz: Die beste aller möglichen Welten
Anders als die philosophische Tradition vor ihm, zudem herausgefordert durch seinen skeptischen Widersacher Pierre Bayle, dessen Dictionnaire historique et critique (1697) zur „Bibel der Aufklärung" wurde, geht Leibniz nicht mehr davon aus, dass sich die Welt wie selbstverständlich als ein geordneter, durch eine gleichbleibende Harmonie zusammengehaltener Kosmos verstehen lasse. Diese These muss, wenn sie denn stimmt, eigens begründet werden. Das ist Thema und selbstgestellte Aufgabe der Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l’Homme et l’Origine du Mal von 1710, die Leibniz großenteils im Gespräch mit der Kurfürstin und späteren Königin von Preußen, Sophie Charlotte, im Park von Herrenhausen entwickelt hat. Die Leitfrage dieses Entwurfs lässt sich so formulieren: Wie kann eine Welt, in welcher der Zufall regiert, die von physischen Übeln, menschlichen Fehltritten und Leiden gezeichnet ist, das göttliche Urteil „sehr gut rechtfertigen? Wie soll man sich vorstellen, dass in ihr „alles, was existiert, nur infolge der Beschlüsse des Willens Gottes und durch die Tätigkeit seiner Hand existiert
; dass seine Vorsehung (providence) und seine Vorherbestimmung (préordination) dafür sorgt, dass „alles in der Ordnung der Dinge vollkommen miteinander verknüpft ist"? (I.2; 102)²⁴ Müsste eine solche Welt nicht frei sein von Übeln und allem Bösen? Wie also hängen Notwendigkeit und Zufälligkeit des Weltgeschehens zusammen, und was ist der Ort der menschlichen Freiheit in diesem Geschehen?
Vergegenwärtigt man sich das Gewicht dieser Fragen, dann hat Leibniz’ Entwurf einen in die Augen springenden Vorzug, der ihn von theologischen Unternehmungen ähnlicher Art unterscheidet: Er ist universal angelegt. Er beschränkt sich nicht auf das moralische Problem, sondern zielt im Rahmen der zeitgenössischen rationalen Metaphysik auf eine Theorie der Gesamtwirklichkeit, die überdies noch den Anspruch erhebt, mit den wichtigsten Aussagen der biblischen und theologischen Tradition übereinzustimmen. Leibniz fordert (jedes schwächere Wort würde seinen Anspruch unterbieten) die Konkordanz von Glaube und Vernunft, von menschlicher Freiheit und göttlicher Gerechtigkeit. Wenn er erklärt, die Vernunft müsse dem Glauben „dienen" (I.1; 102), so darf man das wörtlich verstehen: Sie hat ihn so zu interpretieren, dass er auch dem kritischsten Verstand evident und einleuchtend ist. Der Anspruch der Vernunft ist so weit gefasst, dass sie nicht nur theologische Dogmen (Vorsehung, göttliche Mitwirkung) gleichsam rekonstruieren, sondern auch imstande sein soll, in Übereinstimmung mit ihnen den monadologischen Aufbau der Welt aus in sich geschlossenen letzten, nach dem Modell des selbstbewussten Ich vorgestellten Einheiten (Monaden) und ineins damit die Willensfreiheit des Menschen verständlich zu machen.²⁵
Was das gegenüber dem mechanistischen Weltbild der cartesischen Ära (später auch des 19. Jahrhunderts) bedeutet, kann man sich in seiner Tragweite kaum groß genug vorstellen. Während dort die scharfe methodische Trennung zwischen dem denkenden, mathematisch konstruierenden Bewusstsein auf der einen und einer davon unabhängigen Außenwelt auf der anderen Seite, also zwischen mechanischen Wirkursachen und innerlich bewegenden Zweckursachen, die Basis aller wissenschaftlichen Erkenntnis ist, bricht nun die Frage auf, ob die Welt tatsächlich nur „mechanistisch oder nicht auch „teleologisch
, das heißt „als nach Zwecken eingerichtet, ob sie somit nach Kategorien wie ‚gut’ und ‚schlecht’ interpretiert werden" muss.²⁶ Nur dann ließe sich die von Leibniz aufgeworfene Frage nach dem Warum und Wozu der Welt schlüssig beantworten. Hier meldet sich bereits der Anspruch des aufkommenden Geschichtsbewusstseins. Diese Frage aber markiert, worauf Karl Löwith in kritischer Absicht hingewiesen hat, einen Bruch mit der noch älteren Tradition des griechischen Denkens: „Sowohl die Frage nach dem Wozu wie die Frage nach dem Warum sind [erst] durch die biblische Schöpfungsgeschichte in die Philosophie eingedrungen und damit zugleich die Frage nach dem Wozu und Warum des Bösen und der Versuch zu dessen Rechtfertigung.²⁷ Indem Leibniz hier neue Weichen gestellt und dem Denken neue Wege gewiesen hat, bleibt sein Entwurf (ungeachtet der nicht erst heute vorgebrachten Kritik an seinen metaphysischen Voraussetzungen) in der bis dahin nicht erreichten Klarheit und Weite seiner kosmologischen Problemstellung ein Markstein der Philosophiegeschichte, was nicht zuletzt seine bis heute anhaltende Präsenz in der Diskussion des Theodizeeproblems belegt.²⁸ Er hat die Aufgabe, an der Pierre Bayle gescheitert ist, den Widerspruch zwischen Vernunft und Glaube aufzulösen, in einem umfassenderen Zusammenhang zu bewältigen versucht: Er will die Bedeutung des Gottesbegriffs für ein autonomes Denken plausibel machen, das vor den Widersprüchen der Welterfahrung nicht zu kapitulieren braucht. Damit hat er sich „der frühneuzeitlichen Krise an ihrem wichtigsten Punkt (gestellt), der Bedrohung des Selbstverständnisses der autonomen Vernunft durch die Zweideutigkeit der Welt
.²⁹ Deshalb halte ich es für gerechtfertigt, diesen Entwurf etwas ausführlicher zu Wort kommen zu lassen, als man in einer Überblicksdarstellung erwarten mag.
1.1Die beste aller denkbaren Welten
Was leistet der Gottesbegriff für das Denken? Leibniz antwortet auf der Linie der Tradition lapidar: „Gott ist der erste Grund (la première raison) der Dinge (I.7; 106). Man muss genau lesen. Er sagt nicht: Er ist das Fundament oder die „Geheimnistiefe
der Dinge oder die „alles bestimmende Wirklichkeit", wie scheinbar analoge moderne Formulierungen lauten. Er spricht von der raison, und raison bedeutet ‚Inbegriff der Vernunft’ und des vernünftig Einsehbaren. Man müsste übersetzen: Gott ist der Grund der Rationalität der Welt, und in dieser Bestimmung kommt er der menschlichen Vernunft entgegen. Er ist keine irrationale Größe.
Vier Argumentationsgänge sollen seine daraus abgeleitete These begründen.
(1) Hier fällt eine Basis-Entscheidung gegenüber der voluntaristisch ausgerichteten cartesischen Philosophie. Descartes schrieb an den Mathematiker Mersenne: Ich bitte Sie, „öffentlich dafür einzutreten, dass Gott es ist, der diese [mathematischen] Gesetze [aus freier Willkür] in der Natur erlassen hat, wie ein König Gesetze erlässt in seinem Reich."³⁰ Auf die Einwände einer Gruppe von Theologen, Philosophen und Geometern gibt er zu verstehen: „Gottes Wille ist der wirksame Grund (causa efficiens) der mathematischen Gesetze, der metaphysischen und moralischen Wahrheiten.³¹ Hier wird wie im extremen Nominalismus der Wille Gottes als letzter Ursprung der Ordnung und Gesetzmäßigkeit in der Natur behauptet. Er hätte bestimmen können, dass 3+3=5 ist. Demgegenüber erklärt Leibniz es für eine „Erfindung
, dass folglich Bejahung und Verneinung eines Urteils Handlungen des Willens seien. Denn „wenn die Bejahung notwendiger Wahrheiten Willenshandlungen eines noch so vollkommenen Geistes wären, so wären diese Handlungen doch nichts weniger als frei, denn hier gibt es nichts zu wählen (II.186; 228). Ginge es wie in der Auseinandersetzung mit den reformierten Verteidigern der doppelten Prädestination³² nach dem mehrfach zitierten Diktum: „Sic volo sic iubeo, stat pro ratione voluntas
(so will ich’s, so befehle ich’s, statt Vernunft gelte mein Wille), dann würde überhaupt nichts mehr verständlich.
Den Primat des Willens ersetzt Leibniz daher konsequent durch den des Intellekts (entendement). Gott ist die intelligible Ursache des „Systems einer prästabilierten Harmonie; er sorgt dafür, dass es „aufgrund seiner eigenen Gesetze dem Denken und Wollen der [vernünftigen] Seelen entspricht
(II.188; 229). Die Rationalität Gottes entspricht der Rationalität des Selbstbewusstseins, und wenn dies das erste und umfassendste Erkenntnisprinzip ist, dann muss sie auch das Weltbewusstsein begründen können. Es ist der Anspruch dieser Theodizee zu erweisen, dass die äußere Welt nicht nur in ihrer naturgesetzlichen Struktur, sondern in jeder Hinsicht, also auch in dem, was wir als Übel und Leid empfinden, die Verwirklichung der göttlichen Vernunft darstellt und insofern die beste aller denkbaren Welten ist.
(2) Ein zweiter, nicht weniger wichtiger Schritt ist die Erweiterung des überlieferten Rationalitätsbegriffs. Sein Spielraum wird nicht schon durch den Satz vom Widerspruch abgesteckt, wonach einem Gegenstand nicht zwei einander ausschließende Prädikate zugeordnet werden können. Diesem fundamentalen Gesetz der Logik, das die Mathematik beherrscht, hat Leibniz ein ebenso fundamentales zweites Prinzip an die Seite gestellt, das gleichfalls in der göttlichen Vernunft begründet ist und den weiten Bereich der kontingenten Erscheinungen bestimmt, den Satz vom Grund (principium rationis sufficientis): Nichts geschieht ohne eine zureichende Ursache. Der Zufall ist nicht einfach „unlogisch, er widerspricht keinem etablierten Naturgesetz; denn er hat in jedem Fall, wenn es denn um ein reales Geschehen geht, einen zureichenden Grund. Haben wir es dort mit notwendigen „ewigen
Vernunftwahrheiten (vérités de raison) zu tun, so hier, wo nicht logische, sondern faktische Gründe ausschlaggebend sind, mit Tatsachenwahrheiten (vérités de fait). So sind etwa alle Aussagen über Handlungen (Gottes wie der Menschen) Tatsachenwahrheiten, denn Handlungen sind an sich nicht notwendig wie Sätze der Geometrie. Sie sind „nur ex hypothesi und gewissermaßen per accidens notwendig, an sich aber zufällig, da ihr Gegenteil keinen Widerspruch enthält".³³ Beide Prinzipien erlauben es Leibniz, die Existenz der wirklichen Welt aus dem Begriff Gottes zu rekonstruieren. Denn Gott hat die Ordnung der Welt und die Geschicke jedes einzelnen Lebens so geordnet, dass sich die Verknüpfung der Ereignisse „nicht allein auf die ganz reinen Ideen und den Verstand Gottes gründet [Satz vom Widerspruch], sondern auch auf seine freien Ratschlüsse und den Weltlauf [Satz vom Grund].³⁴ Unter dieser Voraussetzung gilt, dass Gott nichts außerhalb der Ordnung (hors d’ordre) tut und dass alle zufälligen Ereignisse und alle Aussagen über sie „Gründe haben, weshalb sie so und nicht anders lauten, oder (was dasselbe ist) dass es zwar Beweise a priori für sie gibt
, die aber nicht den Charakter der Notwendigkeit haben, da sie „auf nichts anderem als dem Prinzip der Kontingenz oder der Existenz der Dinge