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Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda
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eBook132 Seiten1 Stunde

Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda

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Über dieses E-Book

Fünf Minuten von Weimar entfernt liegt Vollersroda, die erste Station auf Goethes Wanderweg und zugleich jener Ort, der dem Maler Lyonel Feininger zahlreiche Anregungen für Bilder, Zeichnungen und Graphiken bot. Als der junge Lehrer Matze Friedrich in den 70er Jahren der DDR hier seinen Musikunterricht erteilt, ist er voller Tatendrang und Enthusiasmus für sein Fach, so wie Feininger einst begeistert als Bauhausmeister startete. Doch es kommt anders.
An der polytechnisch ausgerichteten Schule ist wenig Raum für ein musisches Klima. Matze Friedrich begreift, dass das vom Staat propagierte Ideal der allseits gebildeten sozialistischen Lehrerpersönlichkeit mehr und mehr verkommt, weil Schulbürokratie, organisatorischer Leerlauf und politische Restriktionen ehrliches Engagement verhindern. Matze Friedrich findet in Feiningers Briefen, in denen er von Schwierigkeiten seiner künstlerischen Entwicklung und den Akzeptanzproblemen des Bauhauses spricht, die verschiedensten Bezugspunkte zu seinem Leben und seiner Arbeit als Musiklehrer. Der Lehrer kann die Kämpfe, die Feininger und das Bauhaus zu durchleben hatten, nachvollziehen. Zugleich beeindruckt ihn Feiningers unbeirrbares Verhalten gegen die Widerstände der Zeit, das Festhalten an seinem künstlerischen Weg. So wie Feininger Abschied nimmt von einer grausam gewordenen Gegenwart im NS-Staat, nach Amerika zurückgeht und in einem seiner letzten in Deutschland gemalten Bilder Vollersroda (Spring, 1936) zeigt, entflieht Lehrer Matze Friedrich seinem Schulalltag. Aber da wird er, am Ende seines Schuldienstes in Thüringen einberufen zum Wehrdienst in einer Armee, die er verachtete. Er war dort ältester Soldat und an seiner Schule war inzwischen das Unterrichtsfach "Wehrerziehung" für Jungen und Mädchen der Klassen 9 und 10 eingerichtet.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Nov. 2020
ISBN9783752922875
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    Buchvorschau

    Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda - Thomas Freitag

    1 Feininger vor Ort

    Schule? Matze Friedrich traut bis heute nicht vorbehaltlos einer Einrichtung, die sich Schule nennt. Ganz gleich, ob niedere oder höhere oder sonst welche Schule. Dabei kann es ohne Schulen gar nicht gehen, das ist auch klar. Er hatte oft in große und helle Kinderaugen gesehen und gewusst, diese Kinder da wollen lernen, etwas erfahren. Die sollten nicht enttäuscht werden. Aber jeden Tag kann eine Schule die größten Missverständnisse produzieren. Oder die Dinge werden verkürzt, es gibt zu enge Lehrpläne, es wird gemaßregelt. Selten nur wird gelacht.

    Als das Land, in dem Matze Friedrich, der eigentlich Mathias Friedrich heißt, geboren wurde, etwa die Hälfte seiner Lebensdauer erreicht hatte, hieß es unter Leuten, die sich den frischen Blick auf die pädagogische Zunft erhalten hatten: Der Lehrer sei der Pfahl im Fleisch der Intelligenz an dem sich jedes Schwein rüffeln dürfe. Das war so in der Zeit, als Matze selbst Lehrer wurde.

    Matze wurde Lehrer, ausgerechnet Lehrer. Er hatte Pläne. Es müsste gelingen, Jungen und Mädchen zu begeistern. Mit ganzem Herzen hatte er es versucht. Aber dann verflog diese Begeisterung allmählich. Dieser Lärm in den Schulen, dieser immer gleiche Geruch auf Korridoren und in Klassenzimmern, Lehrer Lämpel und die Schwarze Pädagogik. Leute, die einen von der Arbeit abhielten. Ein andauerndes Falschverstehen zwischen jenen, die vor Klassen stehen und oft viel zu viel Gutes wollen und jenen, die da sitzen müssen. Diese Normierungen und Hackordnungen. Nur beim Militär konnte es schlimmer sein. Aber es gab immer auch ein paar unvergessliche, wunderbare Lehrertypen. Die kennt auch jeder, aber die sind sehr selten.

    Es war damals fast schon alles zu spät. Aber es sollte weitergehen, wie es immer weiter geht. Noch mal über lange zehn Jahre hin. Zu spät war es noch nicht und immer wieder gab es die Hoffnung, dass in diesem kleinen Land noch Besseres gelingen könnte. „Es gibt genügend ehrlich arbeitende Leute, dachte sich Matze, und „viele Wahrheiten würden sich schon durchsetzen. Davon war er fest überzeugt. Und dann gab es diesen Feininger, der ihm zur Seite stand.

    Feininger war für ihn die große Entdeckung, eine wirkliche Entdeckung in der Zeit und gerade an diesem Ort. Man braucht jemanden, der einem gelegentlich über die Schulter sieht, einen manchmal anerkennend antippt und ermuntert. Der Maler Lyonel Feininger war so einer, Deutsch-Amerikaner. Seiner Julia in Berlin schrieb Feininger: Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda allein und habe gezeichnet. Es war herrliches, warmes Wetter, und ich war 3 ½ Stunden unterwegs ...

    Es war der 28. Mai 1919, als Feininger dies schrieb. Gerade war er Bauhausmeister in Weimar geworden. Aber vielleicht mochte der Feininger Schulen auch nicht besonders. Schon deshalb nicht, weil ihn seine Künstlereltern so oft fortgeben mussten und er dann in die Obhut anderer Erziehungspersonen kam. Die Eltern waren als gefragte Musiker immer auf Tour und so wird der Knabe schon mit 16 Jahren von Amerika nach Deutschland geschickt. Aber er ist begabt, sehr begabt, er würde sehen, was ihm das Leben außerhalb von Internat und Schule und Ersatzeltern noch zu bieten hatte. Dieser Lyonel (Léonel) Charles Feininger wird Mitbegründer jener Schule in Weimar, die sich Bauhaus nannte. Er war von Anfang an dabei, er wurde Meister, Bauhaus-Meister.

    Eben als Matze sich in diesem kleinen thüringischen Dorf Vollersroda unterm Dach des alten Schulhauses einzurichten begann, lernte er Feininger kennen. „Der muss noch keine zwanzig gewesen sein", überlegte er. Matze war also nur wenig älter als Feininger, fast gleichaltrig. Dieses Schulhaus war Matzes erste eigene Wohnung überhaupt, er war jung und wollte dort ankommen in diesem Dorf, diesem Strassendorf auf luftiger Höhe. Zu arbeiten begann er an der neu eröffneten Zentralschule Legefeld, Luftlinie zwei Kilometer. Der Feininger begegnete ihm zufällig, so nebenbei, allerdings war dieser Umstand entscheidend und ohne ihn hätten seine Tagesaufgaben weniger Sinn gehabt.

    Das Vollersrodaer Schulhaus sah ganz passabel aus und im Dachgeschoss hatte er rund 130 Quadratmeter zur Verfügung. Gebaut wurde die Schule ums Jahr 1910. Sie war durch den umlaufenden Fachwerkaufsatz in der ersten Etage ein respektables Gebäude. Blickfang des Hauses war das halbrunde Eingangsportal, durch das Generationen von Schülern hindurchgegangen sein mussten. In Matzes Zeit gab es hier keinen Unterricht mehr, die kleine Dorfschule hatte ausgedient. Sie haben irgendwann das ehrwürdige Portal aus Sicherheitsgründen zugemauert, später wieder freigelegt. Keine dreihundert Menschen wohnten hier, aber die Schule neben der Kirche ist wie in vielen Orten das zweitwichtigste Gebäude im Ort. Kirche und Schule auf Augenhöhe, Lehrer und Pfarrer konnte sich auf kurzem Wege einigen, ob die ihnen anvertrauten Kinder wahlweise auf Vaterland, Gott, Kaiser, die Republik, Krieg oder Frieden auszurichten waren.

    Den Feininger konnte er gut sehen von seinem großen Dachgeschoss aus, so schien es jedenfalls. Er fiel auf, obwohl er überhaupt nicht auffallen wollte. Aber, wer setzte sich sonst schon am hellen Tage da irgendwo hin im Dorf, um zu zeichnen, zu skizzieren. „Hier muss er gesessen haben", überlegte Lehrer Matze. Dieser noble, hochgewachsene Mann mit breikrempigem Hut, einen Zigarrenstummel im Mund. Er hantierte zurückhaltend und versunken mit seinen Werkzeugen, mit Notizblock, Quartheft, Bleistift oder Kohle. Die Strasse, die war Mitte der siebziger Jahre, als Matze sie betrat selbstverständlich asphaltiert. Zu Feiningers Zeit war es anders. Jedenfalls war die Dorfstrasse von seinen Fenstern aus gut nach beiden Seiten hin einzusehen. Er konnte beinahe den gesamten Strassenverlauf überblicken, was sonst im Ort niemand konnte. Feininger saß mit seinem Klappstühlchen mal vor, mal hinter der Kirche oder der Schule gegenüber, Billebs Hof im Rücken. Ein winziger Dorfplatz in der Dreiecksausrichtung von Kirche, Schule und Hof. Manchmal ging der Maler zweihundert Meter Richtung Buchfahrt aus dem Ort heraus. Dann blickte er auf den Ort zurück, nordwärts, dann hatte er links die alte Kirche, rechts das Schulhaus und die Straße führte abwärts gen Weimar. So lernte er ihn kennen, auf oder hinter dem Dorfplatz im Oberdorf sitzend. Kirche und Schulhaus und Billeb, das waren die ältesten Fixpunkte im Dorf. Alles in eine lockere Dreiecksanordnung eingebunden, das geistige Zentrum des Ortes. Dagegen waren am Dorfeingang, von Weimar her, ein Fleischer, Getreidehändler, Bierausschenker, das Dorfbackhaus, die Post zu finden.

    Feininger hatte allen Grund beschwingt von Weimar aus loszulaufen. Er hatte das Elend des Krieges überstanden, zeitweise war er als Amerikaner staatenlos, jetzt hatte ihn Gropius zum Bauhaus-Meister gemacht. Es war tatsächlich so: Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda allein und habe gezeichnet. Es war herrliches, warmes Wetter, und ich war 3 ½ Stunden unterwegs ... So etwas ist mir ganz ungewöhnt, seit 5 Jahren, und ich bin erstaunt, wie schnell ich mich wieder gewöhne, gut zu laufen…

    Etwa einen Monat später schon erfuhr seine Frau Julia, die ja noch mit den Kindern in Berlin lebte: Überhaupt ich erlebe, ich lebe; ich bin jeden Augenblick am Tage wacher, gieriger, Mensch ach, wie bin ich am gesundwerden hier…

    2 Briefe an Julia

    Feininger meinte, er würde mehr das Geistige der Kunst, Gropius dagegen mehr das Handwerkliche im Blick haben. Irgendwie fanden sie zu gemeinsamer Sprache. Jedenfalls erfuhr Julia, die doch selbst ausgebildete Malerin und Künstlerin aus gutem Hause war, dass Walter Gropius und dessen extravagante Frau Alma den Maler Feininger vollkommen respektierten und ihm die eigene Welt belassen würde. Mit Gropius käme das Staatliche Bauhaus in Fahrt und Lyonel würde der Künstler sein, dessen Stilistik und Komposition den Vorstellungen des umtriebigen, viel jüngeren Gropius` sehr genau entsprachen. Die beiden kannten sich vom Arbeitsrat für Kunst in Berlin, das Programm hatte auch Feininger mit unterschrieben: Kunst und Volk müssen eine Einheit bilden. Die Kunst soll nicht mehr Genuss Weniger, sondern Glück und Leben der Massen sein…

    Auf solche Positionen konnten sie sich damals einigen, die Architekten, Maler, Bildhauer, Musiker, Filmleute.

    „Wieviel Einigkeit da bestanden hatte, überlegte Matze, „es fängt ja immer mit einer gemeinsamen Idee an. Hauptsache ist wohl, das alles auch durchzuhalten. Gropius und Feininger lernten sich auf diese Weise kennen und Feininger hatte dem Programm seinen Holzschnitt „Rathaus von Swinemünde" beigesteuert. Und dann flog doch wieder alles auseinander.

    Gropius ließ nicht locker. Der Organisator Gropius, der die Fäden spann, der Leute nach Weimar holte und der Öffentlichkeit klarzumachen suchte, welches Gesamtkonzept von Leben und Kunstgestalten sie sich da auf ihre Fahnen geschrieben hatten, dieser Gropius… Aber Feininger war hochgestimmt in diesem Frühling. Der Krieg war vorüber, endlich. Vielleicht würden die

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