Träum süß stirb schnell
Von Marianne Rauch
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Über dieses E-Book
Von der Mutter als Zugabe den Freiern präsentiert, passiert eines Nachts ein tragisches Unglück. Ein Freier stirbt mitten beim Liebesakt. Wohin mit der Leiche? Mutter und Tochter stehen vor einem Problem. Die vermeintliche Lösung entpuppt sich jedoch als Fluch. Schon bald beschließen Mutter und Tochter, dem ein Ende zu setzen. Ein Mord wird geplant und durchgeführt...
...Schonungslos, sarkastisch, hinterhältig und kaltblütig. Ein Schicksalsroman für Frauen um Kinderprostitution und Rotlichtmilieu.
Rasanter Spannungsbogen bis zur letzten Seite, denn Sex, Mord und Tod halten den Leser in Atem...
Marianne Rauch
An vielen Themen verschiedenster Bereiche interessiert, legt sich die Berliner Autorin Marianne Rauch auf kein spezielles Genre fest. Neben belletristischen Ausflügen widmet sie sich überwiegend ihrem Gesundheitsmagazin www.gesu-optimal.de. Sobald der Autorin jedoch gesellschaftliche Themen auf dem Herzen liegen, äußert sie sich auf ihrem Blog www.socialposition.de. Im Süden Berlins wohnhaft, unternimmt sie in der Freizeit gern Spaziergänge ins benachbarte Brandenburg.
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Buchvorschau
Träum süß stirb schnell - Marianne Rauch
Kapitel 1
Papier ist geduldig.
Auch Mutter Erde lässt sich Einiges gefallen. Wird vergewaltigt, beschmutzt und entehrt, um sich anschließend unermüdlich die Wunden zu lecken.
Wer sieht beispielsweise dem brandenburgischen Wünsdorf an, welche Berge von Kampfmittel, Munition, Chemikalien, Altöl sowie Asbestabfall die sowjetischen Truppen beim Abzug aus dem ehemaligen Sperrgebiet zurückließen? Berliner Ausflügler, die nach dem Mauerfall nach Brandenburg strömten, als gäbe es dort etwas umsonst, sicherlich nicht.
Wer sollte es ihnen verübeln? Endlich durfte man durch die einstige geheimnisvolle sowjetische Zone streifen. Kaum jemand hätte jemals vermutet, dass das amtliche Tabu heute der Vergangenheit angehört. Ebenso wie Stacheldraht, Grenzstreifen und DDR-Wachposten. Die alten verwitterten Warnschilder rund um die verbotene Stadt haben ausgedient.
Desgleichen die Sowjets, Entschuldigung, jetzt sind es ja die Russen. Sie überließen Wünsdorf nach Jahrzehnten der militärischen Nutzung wieder den Einwohnern, zogen 1994 ab und kehrten zurück in die Heimat. Fernab dieser militärgeschichtlich interessanten Stadt, immerhin befand sich dort das Hauptquartier der sowjetischen Streitkräfte, passierte Frau Dr. Neuenhagen den inzwischen kaum noch zu erkennenden Berliner Grenzstreifen. Hier säumten weder parkende Autos noch viereckige Hochhäuser die Straßenränder, sondern allenfalls Sträucher, Wälder und Wiesen. Deren Anblick dämpfte gewöhnlich den morgendlichen Stresspegel der Ärztin, während sie auf der B96 die gut 50 Kilometer zur Klinik zurücklegte.
Während sie bei strömenden Regen über einige typische Sonntagsfahrer hinter den Lenkrädern schmunzelte, preschte die Ärztin über die nasse brandenburgische Landstraße. Die Scheibenwischer rutschten seit Berlin mit Höchstgeschwindigkeit über die Frontscheibe und begrenzten gemeinsam mit klatschenden Regentropfen die Sicht.
Wer hat ausgerechnet für heute das Meeting so früh angesetzt?
Verärgert drosselte die Spezialistin für psychische Erkrankungen vor der kommenden Abfahrt die Geschwindigkeit, um nicht wie damals bei ihrer ersten Anfahrt zu dem Anwesen aus der Kurve getragen zu werden. Den Moment dieser Schrecksekunden durchlebte sie jedes Mal, ebenso wie das überwältigende Gefühl beim Anblick der prächtigen Villa, die sich hinter wildromantischen Kiefern versteckte.
Dort ließ sich die Ärztin Anfang des Jahres mit eigenen Praxisräumen nieder. In der Stille und Abgeschiedenheit dieses Anwesens, welchem die Sterilität einer Universitätsklinik völlig fehlte, lagen die Kraft und Stärke, die für einen positiven Behandlungserfolg unerlässlich sind. Fernab des Straßenverkehrs mit seinem tosenden Autolärm, inmitten hoher Birken und Kiefern, schien das reale, alltäglich pulsierende Leben nicht zu existieren.
Die Krankenzimmer der Klinik glänzten ebenso stilvoll wie das prächtige Bauwerk selbst. Yakido Schwarz, und mit ihr alle anderen Patienten des Hauses, sollten sich rundum wohlfühlen. Dafür sorgten nicht nur die modern eingerichteten Zimmer, sondern vor allem die erfahrenen Ärzte, Schwestern, Therapeuten und Pfleger. Der gute Ruf der Klinik eilte bis weit über Berlin hinaus.
Die jedoch düstere Vergangenheit der außergewöhnlichen Gründerzeitvilla verblasste angesichts ihrer gegenwärtigen Bestimmung, nämlich ein Ort der Fürsorge, Heilung sowie Rettung für Suizid gefährdete Menschen zu sein.
Den ehemaligen Besitzern indes wurde jegliche Rettung verwehrt. Sie teilten das gleiche Schicksal wie Millionen andere Juden, die von den Nazis zur Vernichtung in Konzentrationslager verschleppt wurden.
Doch nichts erinnerte mehr an tragische Ereignisse in diesem alten Gemäuer. Die undurchdringlichen Steinmauern bewahrten die dunklen Geheimnisse.
*
Yakido erholte sich erstaunlich schnell. Nach einigen Wochen intensiver Therapie- und Gesprächsstunden mit Frau Dr. Neuenhagen kehrte ihre innere Stärke zurück. Einzig die Narben an ihren Handgelenken markierten das unselige Tief, in welchem sie den Freitod suchte.
Inzwischen wechselten die Jahreszeiten. Der Herbst verdrängte unaufhaltsam den vorangegangenen ebenso schwül warmen wie regenreichen Hochsommer.
Langsam stieg Yakido die breiten Steinstufen der Treppe hinab. Der erste Streifzug durch die Grünanlagen des Klinikgeländes, allein und ohne Larissa, die sie sonst auf ihren Spaziergängen begleitete. Dabei haftete die Pflegerin wie ein monströser Schatten an der Patientin und nährte damit deren Widerwillen gegen die ständige Kontrolle.
Yakido sog die milde Herbstluft ein, fühlte sich frei wie ein Vogel. Larissa, wachsam und geschäftig wie immer, lief ihr gerade über den Weg. Mit gemischten Gefühlen blickte diese ihr hinterher.
„Wenn das mal gut geht", murmelte sie besorgt in sich hinein.
„Aber wenn Frau Doktor meint."
Kopfschüttelnd, womit die Pflegerin deutlich die Entscheidung der leitenden Psychologin missbilligte, fegte die gute Seele das erste Herbstlaub von den Stufen.
Ein selten erlebtes Glücksgefühl erheiterte Yakido. Niemand, der in ihrer Nähe lauerte, auf jede Bewegung, auf jedes unbedachte Wort achtete, um darüber zu protokollieren und ihre Krankenakte zu füllen. Sie fühlte sich wohl, ja, fast glücklich.
Die Blätter der Bäume rauschten im Wind. Bunte Kieselsteine knirschten unter ihren Schritten. Dem mit Mosaiksteinen gepflasterten Vorplatz der Klinik schenkte sie keine Beachtung. Stühle standen dort bereit; man nutzte offensichtlich den milden Herbsttag für eine Gruppentherapie im Freien.
Wie sehr Yakido diese Gesprächsrunden verabscheute!
Die frische Luft kühlte ihren Verstand. Die Sitzbank am Rande der großen Wiese, die Bäume im Rücken, den Teich vor Augen, zählte inzwischen zu Yakidos Lieblingsplätzen. Ideal, um kurze Freiheiten zu genießen, dabei die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages einzufangen sowie ihren Gedanken freien Lauf zu lassen.
Fast wäre es ihr sogar gelungen, wäre sie nicht unerwartet gestört worden.
„Was tust du da?", fragte die Spaziergängerin das Mädchen, welches unvermittelt vor ihr auftauchte.
Provozierend warf das Kind grobe Schottersteine vor Yakidos Füße. Lauernd sah es die Fremde an, wobei es bereits zum nächsten Wurf ansetzte. Aufsässig griff das Kind mit der rechten Hand in die linke, packte den restlichen Schotter und schleuderte alles zusammen in das Naturgewässer. Doch zuvor hielt es inne, um Yakido ausdruckslos anzustarren.
Sekunden, die Yakido wie schleichende Minuten erschienen, erwiderte die Patientin den Blick, hielt diesen durchdringenden, stumpfen Augen stand. Wer war dieses Mädchen, woher kam sie? Weit und breit konnte sie niemanden entdecken, zu dem es hätte gehören können. Wie alt mochte es gewesen sein? Zwölf oder dreizehn vielleicht?
Bevor Yakido auch nur ein weiteres Wort heraus brachte, begann das Mädchen zu lachen. Gleichzeitig rannte es davon. Lange sah Yakido ihr nach, doch schien sich ihre Gestalt aufzulösen, wie von Geisterhand zu verschwinden.
Yakido spürte, wie Ärger in ihr hochkroch und versuchte, den Vorfall zu verdrängen. Und doch hämmerte die Erinnerung an das mädchenhafte Gesicht mit den stummen Augen in ihrem Kopf.
Warum starrte dieses Kind die ihr fremde Frau so unverblümt an? Was hatte es gesehen? Konnte es in deren Seele schauen, etwa bis auf den Abgrund ihres Herzens?
Die Stille an diesem friedlichen Herbsttag dröhnte Yakido plötzlich in den Ohren. Gedankenverloren blieb sie noch eine Weile sitzen. Sie fühlte sich seltsam ertappt, wie bei einer Lüge erwischt. Spürte das unsinnige Bedürfnis, sich über ihr Dasein zu rechtfertigen.
Doch warum? Waren nicht alle Fäden vorbestimmt, an denen ein anderer zog? Oder war sie nur zu schwach, ihr Leben, das für sie so enttäuschend begann, selbst in die Hand zu nehmen? Es in eine andere Richtung zu lenken?
Egal, auf der Sonnenseite stehen sowieso immer nur die anderen.
Solange Yakido sich erinnerte, schob sie Unangenehmes in das Sicherheitssystem ihres Gehirns. Es funktionierte ausgezeichnet. Ihr imaginärer Kippschalter blendete die schlechten Erlebnisse aus. Keine undichten Stellen, durch die sich mühselig Verdrängtes aus dem Dunkeln in ihr Bewusstsein einnisten konnte. Oder mutierte ihre scheinbar perfekte Taktik zum hinterhältigen Missbrauch als Speicherchip? Ahnte sie nicht, welch böse Saat gesät, welch teuflische Früchte sie einst ernten würde?
Gefühl entwickelte sich für Yakido zum Fremdwort, zu einem Luxus, den sie sich nicht leisten konnte. Auf Emotionen hereinzufallen, auch wenn sie noch so echt erscheinen mochten, wäre ein fataler Fehler gewesen.
Nun reichte ein kurzer Moment aus, ihr sorgfältig unter Verschluss gehaltenes Sicherheitssystem ins Wanken zu bringen.
Niemanden gewährte Yakido Einblick in ihre Seele. Dem Mädchen nicht, den Freiern nicht und erst recht nicht dieser Frau Doktor, die Psychologin. Das sind die Schlimmsten! Die sind doch alle gleich, meinen, sie könnten in Menschen wie in einem offenen Buch lesen, sie analysieren, um dann zu sagen, was gut oder schlecht ist. Wer will das schon wissen!
Nein. Yakido gehörte sich selbst!
Kapitel 2
„Die Männer lieben mit dem Schwanz".
Seit Yakido denken konnte, redete ihre Mutter ihr diesen Satz ein. Resigniert, verbittert, mit Zorn in der Stimme.
„Und gutes Essen. Dann geben sie dir alles, was sie haben. Also mein Engelchen, mach die Beine hübsch breit und hauch den Herren Liebe ins Ohr. Yakido, glaube mir, einfacher kannst du nicht für dich sorgen."
Eine gut gemeinte Empfehlung, die sie der Tochter eindringlich ans Herz legte.
„Männer sind so einfach gestrickt. Solange sie sich im Bett richtig austoben können, sind sie wie kleine Jungs, die ihr Lieblingsspielzeug bekommen. Du musst nur höllisch aufpassen, dass du nicht dein Herz an so einen Kerl verlierst."
Oh ja, wie recht sie hatte! Den Rat nahm die Tochter an; schließlich hatte sie nichts anderes vom mütterlichen Vorbild gelernt. Hätte es eine andere Chance für Yakido gegeben?
Chancen sind wie Sonnenaufgänge, wer zu lange wartet, verpasst sie.
Wo hatte Yakido diese Weisheit gelesen? Wie auch immer. Sie musste für sich sorgen, also machte Yakido die Beine breit. Darin war sie eine Meisterin.
*
Rückblende. Hamburg 1969.
Im mittlerweile beliebten Stadtteil Tonndorf kehrte abendliche Ruhe ein. Yakido wälzte sich auf der Matratze hin und her. Das Gewitter war vorüber gezogen. Die kindliche Angst vor dem krachenden Donnern der aufeinanderprallenden Luftströme wich allmählich dem Schlaf.
Aufgeschreckt durch Geräusche aus dem Nebenzimmer, verkroch sich Yakido unter der Bettdecke. Doch dann erkannte sie die warme, sanfte Stimme der Mutter. Beruhigt kuschelte sich das Mädchen wieder in ihr warmes Nest, zog den kleinen abgewetzten Teddybär dicht an ihre Brust. Sogleich schlief sie erneut ein. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des schlafenden Kindes, denn es träumte von der wunderschönen Mutter. Fühlte, wie sie sich herunter beugte, um der Tochter einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Dabei die langen, dunklen Haare Yakidos Gesicht streiften. Die Mutter lachte und flüsterte:
„Kitzeln die Feenhaare mein kleines Engelchen?"
Der sintflutartig einsetzende Regen löste das gigantische Feuerwerk am nachtschwarzen Himmel ab. Zuckende Blitze, die die Dächer für Sekunden gespenstisch hell erleuchteten, kündigten mit ihren langen weißen, wie elektrische Fäden schimmernde Strahlen, den unausweichlich darauf folgenden, sich mit gewaltiger Wucht entladenden Donner an. Wahre Sturzbäche fielen anschließend aus den Wolken, um die Stadt innerhalb kurzer Zeit mit Wassermassen zu überfluten.
Sirenen ertönten, die Feuerwehr rückte mehr als zweihundert mal in dieser Nacht aus, um vollgelaufene Keller auszupumpen und Straßen vom herabgefallenen Geäst zu befreien. Nach einer Stunde endete der Spuk. Nun prasselten die Regentropfen nur noch leicht gegen die Fensterscheiben, als wollten sie mit ihrem regelmäßigen und behutsamen Tröpfeln den vorangegangenen Wolkenbruch entschuldigen.
Es war kühl in der Wohnung. Feucht und kühl. Wie oft schon