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Eine Seele aus Flammen - Phönix: Anthologie
Eine Seele aus Flammen - Phönix: Anthologie
Eine Seele aus Flammen - Phönix: Anthologie
eBook396 Seiten5 Stunden

Eine Seele aus Flammen - Phönix: Anthologie

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Über dieses E-Book

Der mystische Vogel, der aus der Asche wiederaufersteht, ist Gegenstand vieler Sagen und Erzählungen. Ob Geschichten aus der Gegenwart, wo der Phönix plötzlich erscheint, oder neu erzählte Märchen, vielleicht sogar tiefgreifende Gedichte - auf jeden Fall wird es spannend, wenn die Autoren in die Welt des Phönix eintauchen und Sie, liebe Leser, dazu mitreißen werden.
SpracheDeutsch
Herausgebernet-Verlag
Erscheinungsdatum17. Jan. 2015
ISBN9783957200914
Eine Seele aus Flammen - Phönix: Anthologie

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    Buchvorschau

    Eine Seele aus Flammen - Phönix - Jennifer Schumann

    Eine Seele aus Flammen – Phönix

    Anthologie

    Alle Rechte, insbesondere auf digitale Vervielfältigung, vorbehalten.

    Keine Übernahme des Buchblocks in digitale Verzeichnisse, keine analoge Kopie ohne Zustimmung des Verlages.

    Das Buchcover darf zur Darstellung des Buches unter Hinweis auf den Verlag jederzeit frei verwendet werden.

    Eine anderweitige Vervielfältigung des Coverbildes ist nur mit Zustimmung der Coverillustratorin möglich.

    Die Illustrationen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur mit Zustimmung der Künstler verwendet werden.

    Die Namen sind frei erfunden.

    Evtl. Namensgleichheiten sind zufällig.

    www.net-verlag.de

    Erste Auflage 2015

    © Coverbild: Jessica Nirschl

    Covergestaltung, Korrektorat

    und Layout: net-Verlag

    Auswahl der Geschichten:

    Lysann Rößler & Leserteam

    © Illustrationen:

    Detlef Klewer (S. 23)

    Kerstin Paul (S. 49)

    Iris Wassill (S. 188)

    Elisabeth Schreck (S. 238)

    Britta Knuth (S. 309)

    Kimea Zizzari (S. 316)

    Juliane Waldeck (S. 329)

    © net-Verlag, Tangerhütte

    1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

    ISBN 978 - 3-95720 - 068-6

    Eine Seele aus Flammen –

    Phönix

    Der mystische Vogel, der aus der Asche wiederaufersteht, ist Gegenstand vieler Sagen und Erzählungen. Ob Geschichten aus der Gegenwart, wo der Phönix plötzlich erscheint, oder neu erzählte Märchen, vielleicht sogar tiefgreifende Gedichte – auf jeden Fall wird es spannend, wenn die Autoren in die Welt des Phönix eintauchen und Sie, liebe Leser, dazu mitreißen werden.

    Wir wünschen allen Lesern

    einige unterhaltsame Stunden!

    Ihr net-Verlag-Team

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Impressum

    Vorwort

    Detlef Klewer - Die zweite Chance

    Jennifer Schumann - Als der Himmel zu Asche zerfiel

    Kerstin Paul - Wenn die Seele brennt

    Marion Mink - Aus dem gleichen Holz geschnitzt

    Lea Badura - Aus Flammen, Fleisch und Blut

    Chiara Medri - Schattenfeuer

    Katharina Stein - Urlaubsfund

    Ina Mauer - Von Frevel und Unschuld

    Angie Pfeiffer - Das kristallene Kleinod

    David Pawn - Asche zu Asche

    Liesa Ziegler - Flammen in der Dunkelheit

    Dorothea Möller - Die List des Falkners

    Claudia Speer - Das Korn

    Karsten Beuchert - Die Angst des Phönix in der Moderne

    Hannelore Furch - Gebranntes Kind

    Romy Fischer - Wenn du an dich glaubst

    Marieke Pochstein - Meister der Flammen

    Melanie Brosowski - Flächenbrand

    Elisabeth Schreck - Glücksmomente

    Christian Wolfgang Büge - Flammen über Xeradur

    Elfriede Weber - Seele in Flammen

    Dörte Müller - Der Krümel

    Tammo Helms - Phönix

    Elke Meny - Genesis

    Karl-Heinz Kirchherr - Ein neues Leben

    Leonie Uhlmann - Die Feder des Phönix

    Ernst Merz - Phönixgleich

    Michaela Illner - Sturmvogel

    Natalie Geißinger - Schrei der Freiheit

    Sophia Heldt - Ein Ende und ein Anfang

    Magdalena Ecker - Tausend Sonnen

    Saskia V. Burmeister - Der flammende Pakt

    Britta Knuth - Verbrannte Seele

    Celine Hübscher - Flug des Phönix

    Lina Bartel - Wiedergeburt

    Markus Herrmann - Gilbert, der Papagei – Erzählung

    Juliane Waldeck - EINER, Phönix und viele …

    Lily Beier - Feueressenz

    Eva Birzer - Feuervogel

    Anja Kubica - Der Feuerschlucker

    Maja Neumann - Der Feuervogel

    Anna Schlimpen - Die Geburt des Feuers

    Liliana Kremsner - Schon heute Nacht

    Michaela Weiß - Die Flammen in mir

    Autorenbiografien

    Illustratorenbiografien

    Buchempfehlungen

    Detlef Klewer

    Die zweite Chance

    Ein guter Tag, dachte Emma Wensing, als sie erwachte. Es gab nicht mehr viele gute Tage in ihrem Leben. Heute aber quälte sie die Arthritis kaum, und das Rheuma ließ ihre Finger nicht anschwellen.

    Vorsichtig stieg sie aus dem Bett und verschob die Gardine, um die strahlende Morgensonne hereinzulassen. Sie lächelte. Auch das Wetter meinte es heute gut mit ihr.

    An schlechten Tagen schmerzten Rücken, Hüfte, Knie, Knöchel, und die deformierten Hände krümmten sich zu Klauen. In letzter Zeit gesellte sich des Öfteren auch ein dumpf pochender Kopfschmerz hinzu.

    Manchmal fühlte sie sich so steif und lahm, dass sie morgens eine geschlagene Viertelstunde benötigte, um endlich aufzustehen und ins Bad zu schleichen. Gehen war an diesen Tagen eine Qual. Dann pries sie Gott und ihre Weitsicht für einen gut gefüllten Kühlschrank.

    Bisweilen erwies sich selbst das Binden der Schnürsenkel als unmöglich – und ihr traten Tränen der Hilflosigkeit in die Augen. Sie lag weinend rücklings auf dem Bett und betete um Erlösung.

    Selbst die Jahreszeitenwechsel fielen ihr nicht mehr so leicht wie früher: Der Schmerz schien erträglicher, sobald die Temperatur stieg, im Winter allerdings trug sie sogar in der Wohnung Handschuhe. »Besser, ich nenne das Kind beim Namen«, entschied sie und verzog widerwillig das Gesicht. »Ich bin eben eine verbrauchte alte Frau.«

    Aber heute wartete einer der guten Tage auf sie. Kein Gelenk verursachte nennenswerte Beschwerden. Trotzdem wollte sie auf die täglichen Medikamente lieber nicht verzichten. Allzu schnell konnte ihre Befindlichkeit umschlagen, und dieses Risiko sollte sie tunlichst nicht eingehen – allen möglichen Nebenwirkungen zum Trotz. Was blieb ihr denn anderes übrig? Sie hatte sich mit den Schmerzen wie mit lästigen Verwandten abgefunden – und die Pillen ließen diese ungebetenen Gäste erträglicher werden. Also stellte sie ihre morgendliche Tablettenration zusammen und trug sie in die Küche.

    »Frühstück«, scherzte sie ironisch mit sich selbst und seufzte. Ihr Kater Hector – der sie mit seinen großen, grünen Augen immer so mitleidig angestarrt und dann mitfühlend gemaunzt hatte – war vor einem halben Jahr gestorben. Um ihm eine unwürdige Einäscherung durch den Tierarzt zu ersparen, begrub sie ihn mithilfe eines rostigen Klappspatens nachts heimlich im nahe gelegenen Stadtwald. Unter einer alten, ausladenden Eiche. Dort würde er auch bei Regen nicht so schnell nass, denn Wasser in seinem Fell hatte er stets verabscheut. Während dieser Aktion saß ihr permanent die Furcht im Nacken, womöglich erwischt und mit der Diagnose Verrückte Alte in eine Psychiatrie eingewiesen zu werden. Ihr geliebter Hector war der bislang Letzte in der langen Reihe derer, die vor ihr den Weg in eine hoffentlich bessere Welt beschritten hatten.

    Sie schob den Wasserkessel für ihren Morgenkaffee auf die Herdplatte. Eigentlich stand ja eine moderne Kaffeemaschine auf der Anrichte, da sie diesen geschäumten Milchkaffee so gerne mochte. Das Gerät war damals ein Sonderangebot – angesichts ihrer schmalen Rente aber immer noch sehr teuer – und jetzt stand es hier: unbenutzt. Sie konnte die komplizierte Maschine nicht bedienen, und es gab niemanden, der ihr den Gebrauch hätte erklären können.

    Sie überlegte, ob es vielleicht eine gute Idee wäre, hinunter in die Bäckerei zu gehen und Schokoladenkringel zum Frühstück zu kaufen. Dies gehörte zu den kleinen Freuden ihres Lebens. Schokolade wirkte Wunder! Sie hatte gelesen, dass sie im Gehirn Glückshormone freisetzen würde. Diese Theorie konnte sie nur bestätigen.

    Aber … die süße Droge wäre heute eine Sünde, denn der heutige Tag würde sich auch ohne Süßigkeiten gut entwickeln. Besser, sie sparte das Geld für einen der schlechten Tage …

    Emma genoss den Kaffee, nahm ihre Arznei und dachte nach. Sie war inzwischen alt und schwach, aber zumindest ihr Verstand funktionierte noch sehr gut. Ihr entglitten nur manchmal Erinnerungen.

    Den Grund für diese Erinnerungslücken argwöhnte sie in den Medikamenten, von denen sie zunehmend abhängig war. Sie verlegte gelegentlich Dinge, die sie dann nur durch Zufall wiederfand. Aber das passierte auch jungen Menschen! Diese kleinen Ausfälle beunruhigten sie bislang nur wenig. Solange sie nur nicht vergaß, die Herdplatten auszuschalten, um einen Wohnungsbrand zu vermeiden, bereiteten ihr die bisherigen Gedächtnisausfälle keine allzu großen Sorgen.

    Ihr körperlicher Gesundheitszustand hingegen beunruhigte sie allerdings schon.

    Emma seufzte in sentimentaler Erinnerung. Früher … da war alles besser. Nein, nur anders, korrigierte sie sich streng. Benimm dich bloß nicht wie eine alte, verbitterte Frau! Das Leben hatte ihr zwar überwiegend schlechte Karten zugeteilt, aber auch kein Verliererblatt.

    Ihr Blick fiel auf den zweiten Luxusgegenstand in ihrem Leben. Ein Farbfernseher. Zeitvertreib in vielen einsamen Stunden. Da saß sie dann mit hochgelegten Beinen in ihrem Fernsehsessel und träumte sich in bessere Welten, die ihr die Spielfilme vorgaukelten. Gern und oft blätterte sie aber auch in den zwischenzeitlich zerlesenen Liebesromanen voller angeblich glücklicher Menschen.

    Manchmal schlief sie vor dem Fernseher ein und träumte von den guten alten Zeiten – die in Wahrheit aber gar nicht so gut waren. Aber alle, die ihr jemals Böses wollten, waren inzwischen tot und begraben. Daher hielt sie es für legitim, sich die Vergangenheit ein wenig … schönzudenken. Außerdem hatte es in ihrem Leben ja durchaus auch glückliche Tage gegeben.

    Zum größten Problem wurde die zunehmend erdrückende Einsamkeit, die an manchen Tagen so schwer auf ihr lastete, dass sie kraftlos im Bett liegen blieb. Am schlimmsten wurde es unter grauem Himmel und trostlos prasselndem Dauerregen oder bei schneebedeckten Straßen, die sie zwangen, daheim zu bleiben. In solchen Zeiten blieb ihr dann nur noch der Fernseher als Tür zum Leben.

    Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit verfasste sie einen Wunschzettel. Ganz oben auf der Liste stand: ein Heilmittel gegen Arthritis. Weiterhin fanden sich Wünsche wie Freunde finden und schließlich: Die Kaffeemaschine bedienen lernen.

    Der Wunsch Frieden finden tauchte zunächst ganz unten auf, doch mit jedem neuen Lebensjahr rückte er weiter hinauf, bis er sogar Freunde finden überholt hatte.

    Ihre Ehe war kinderlos geblieben, folglich gab es auch keine Enkel, die sie betreuen konnte, um etwas Leben in ihren tristen Alltag zu bringen. Oh, sie und ihr Mann hatten es nicht an Versuchen mangeln lassen, aber die Natur hatte wohl nicht gewollt, dass sie schwanger wurde. Vierundfünfzig Jahre waren sie ein Paar gewesen, bis ein betrunkener Autofahrer mit überhöhter Geschwindigkeit ihre Zweisamkeit abrupt beendete.

    Die Vergangenheit war eben vergangen – und würde niemals zurückkehren. Und die wenigen Jahre, die ihr noch blieben, sollte sie nicht mit Erinnerungen an längst Vergangenes vergeuden. Das Wichtigste im Leben musste es doch sein, sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse kennenzulernen. Doch für sie entpuppte sich die Umsetzung dieser Erkenntnis als aussichtsloses Unterfangen. Vor allem, weil sie viel zu spät damit begann.

    Es hatte einige behutsame Versuche des Seniorenstiftes in der Nachbarschaft gegeben, sie für nachmittäglich gesellige Zusammenkünfte zu interessieren. Doch zu jener Zeit fühlte sie sich für die gut gemeinten Einladungen noch nicht bereit und lehnte dankend ab. Nun hinderte sie ihr Stolz, ihre Meinungsänderung einzugestehen.

    Etliche Jahre gelang es dem Kater Hector, ihr fehlende menschliche Freunde zu ersetzen, doch mit seinem Tod schlich sich ein weiteres Stück Dunkelheit in ihr Leben – und sie konnte sich nicht durchringen, ihn einfach zu ersetzen. Eine andere Katze aufzunehmen schien ihr seinem Andenken gegenüber falsch.

    Ein Vogel wäre nett, dachte sie plötzlich. Vielleicht einer, dem ich sogar ein paar Worte beibringen könnte. Es wäre schön, in der Wohnung eine Stimme zu hören, die nicht aus den Fernsehlautsprechern ertönte.

    Nun, heute war ein guter Tag. Warum ihn nicht mit einem Besuch in der Zoohandlung an der Ecke krönen? Ja, das würde sie tun!

    Nach Möglichkeit achtete sie immer noch sehr sorgfältig auf ein gepflegtes Äußeres. Sie wählte ein hübsches Kostüm, kleidete sich an, und ihre Schnürschuhe bereiteten ihr heute kaum Probleme.

    »Oh, guten Morgen, Frau Wensing«, strahlte der junge, dunkelhaarige Mann und hielt ihr zuvorkommend die Eingangstür auf. »Ein wirklich schöner Tag für Einkäufe.« Er hielt einen prall gefüllten Müllsack in der Hand.

    »Ja, wunderschön«, bestätigte sie lächelnd und trat hinaus, während er die Tür hinter ihr schloss, um den Abfall in den Hof zu bringen.

    Ach, ein netter junger Mann, dachte sie.

    Vor einigen Monaten hatte ihr jemand auf offener Straße die Handtasche geraubt. Sie war froh, dass der Dieb wegrannte und wahrscheinlich erst Straßen später bemerkt haben musste, dass sich kein Geld darin befand. Womöglich hätte er sie aus Wut geschlagen.

    Augrund dieser bösen Erfahrung schaute sie sehr misstrauisch drein, als der kürzlich in die Erdgeschosswohnung eingezogene junge Mann anbot, ihr die Einkaufstaschen hinaufzutragen. Aber inzwischen wusste sie, dass er ein guter Junge war, von denen es ihrer Ansicht nach leider zu wenige gab.

    Sie hatte versucht, sich stets auf dem Laufenden zu halten, doch die oberflächliche Lebensweise der jungen Leute heute blieb ihr ein Rätsel. Natürlich war auch sie einmal ein junges Mädchen gewesen, das Grenzen austestete. Damit hatte sie es ihren Eltern nicht immer leicht gemacht. Aber zumindest hatte sie nicht hohl grinsend mit Kopfhörern in einem überfüllten Bus gesessen und ihren Sitzplatz älteren Menschen verweigert, die deutlich erkennbar kaum stehen konnten. Nun, sie würde die Jugend nicht ändern – und so oft fuhr sie jetzt glücklicherweise auch nicht mehr mit dem Bus.

    Die Türglocke bimmelte fröhlich, als sie den Laden betrat. Der Verkäufer brütete über einer Zeitschrift und spähte kurz über den Rand seiner Brille. »Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte er sich mäßig interessiert.

    »Ich möchte … mich erst einmal umsehen, vielen Dank«, entgegnete sie höflich.

    Er winkte einladend. »Nur zu, bitte, lassen Sie sich ruhig Zeit.« Dann wandte er sich wieder seiner Lektüre zu.

    Emma schlenderte gemächlich an den Käfigen vorüber und erfreute sich an den bunten Gefiedern und dem lebhaften Zwitschern der Vögel. Doch während sie die Volieren abschritt und immer wieder einen Blick auf die kleinen Preisschilder warf, wurde ihre Miene zunehmend trauriger. Keines dieser Tiere würde sie sich leisten können. Sie bewunderte versunken einen kleinen Vogel mit kecker gelber Haube und erschrak, als der Verkäufer plötzlich unmittelbar hinter ihr sprach.

    »Nymphicus hollandicus«, erklärte er. »Dieser Nymphensittich ist ein sehr schönes Exemplar. Gefällt er Ihnen? Er wäre eine gute Wahl. Fünfundzwanzig Euro. Ein günstigeres Angebot wird Ihnen niemand in dieser Stadt offerieren können.«

    »Oh … ja«, seufzte sie und blickte sehnsüchtig die Käfigreihe entlang. »Aber … es übersteigt meine finanziellen Möglichkeiten bei Weitem«, fügte sie niedergeschlagen hinzu und wandte sich zum Gehen.

    Der Mann blickte ihr bedauernd nach, überlegte. Dann nickte er. »Warten Sie einen Augenblick!«, rief er. Als sie sich fragend umdrehte, winkte er ihr zu. »Kommen Sie, kommen Sie! Ich denke, ich habe da vielleicht etwas für Sie.«

    Sie folgte ihm zögernd in einen Lagerraum hinter der Verkaufstheke. Aus einem Regal hob er einen großen Vogelkäfig und stellte ihn auf den Tisch in der Raummitte.

    Sie hielt den Atem an und näherte sich.

    Meine Güte! Es war wohl mit Abstand der hässlichste Vogel, den sie je gesehen hatte!

    Die Gefiederfarbe des armen Geschöpfes war von stumpfem Grau, doch es gab viele kahle Stellen, an denen rosafarbene Haut oder weißlicher Schorf zu sehen waren. Die wenigen Federn sahen zerrupft aus, und der gelbliche Schnabel wirkte porös und brüchig. Doch die kleinen schwarzen Augen glänzten, wirkten gar nicht krank … und betrachteten Emma so eindringlich, als würden sie ihre Gedanken lesen wollen.

    »Wissen Sie, ein Araber hat mir diesen Vogel verkauft, als er in seine Heimat zurückfliegen musste.« Der Ladenbesitzer schüttelte den Kopf, anscheinend immer noch verärgert über den Umstand, eine derartige Fehlinvestition getätigt zu haben.

    »Damals sah der Vogel allerdings noch nicht so … armselig aus«, sagte er zu seiner Verteidigung. »Na ja, jedenfalls wird ihn wohl niemand kaufen wollen, und sein Futter kostet mich nur Geld. Daher können Sie ihn haben – wenn Sie wollen.«

    Sie konnte ihren Blick nicht von dieser bemitleidenswerten Kreatur abwenden, die jetzt den Kopf schief legte und sie immer noch unverwandt aus schwarzen Perlenaugen musterte. Etwas in diesem Blick rührte tief an ihr Herz.

    Ach, Kleiner, dachte sie traurig, wir sind uns wohl ähnlich: Beide sind wir inzwischen Jammergestalten.

    »Aber ich kann ihn nicht geschenkt nehmen«, widersprach sie und senkte beschämt den Blick.

    Der Mann verstand und schüttelte den Kopf. »Aber nein, nein, es soll doch kein Almosen sein«, knurrte er, leicht verärgert über die Zurückweisung seiner Großzügigkeit. Dann hellte sich seine Miene auf. »Wissen Sie was? Ein Vorschlag zur Güte: Geben Sie mir fünf Euro … für den Käfig«, schlug er vor. »Ich lege noch eine Tüte Vogelfutter gratis obendrauf – und wir sind beide zufrieden.«

    Sie lächelte dankbar und kramte nach ihrer Geldbörse.

    Der Rückweg mit dem großen Käfig gestaltete sich schwierig. Mehr als einmal musste sie pausieren und ihre Last absetzen.

    Endlich hatte sie es fast geschafft und bog in die Straße, in der sich ihr Zuhause befand. Ihr junger Nachbar trat gerade aus dem Haus, ging rasch zu seinem Auto, öffnete die Fahrertür und stieg ein. Als er sie mit ihrem Käfig kommen sah, zögerte er, sprang aus dem Wagen und lief ihr mit großen Schritten entgegen. »Aber Frau Wensing, das ist doch viel zu schwer!«, tadelte er sie lächelnd und nahm ihr den Käfig ab. »Lassen Sie sich Zeit, ich bringe den kleinen Kerl schnell nach oben und stelle ihn vor Ihre Wohnungstür.«

    Ehe sie etwas erwidern konnte, hatte er sich bereits auf den Weg gemacht. Nur wenige Minuten später war er zurück. »Alles erledigt! Jetzt muss ich aber los!«, rief er ihr zu.

    »Vielen herzlichen Dank!«, rief sie ihm nach.

    Er winkte ihr zu, als er davonfuhr.

    Er ist wirklich nett, dachte sie. Wäre ich ein halbes Jahrhundert jünger, könnte ich mich wirklich in ihn verlieben.

    »Dies ist dein neues Zuhause, mein Schatz«, erklärte sie feierlich und betrachtete den Vogel nachdenklich. »Wie soll ich dich nennen? Welcher Name würde dir gefallen?«

    Der Vogel wirkte wie ein Häufchen Elend. Hilfsbedürftig und zerzaust schien er zu zittern.

    »Mein armer Kleiner, das Leben hat uns beide nicht besonders gut behandelt. Da haben wir etwas gemeinsam. Mit einem Pokerface und der Fähigkeit zu bluffen hätte ich vielleicht mehr aus meinen Chancen machen können. Aber, na ja … ich war nie eine gute Spielerin.«

    Sie öffnete die Käfigtür und versuchte, das verängstigte Wesen mit Körnern zu locken, doch der Vogel blieb zurückhaltend und sah sie prüfend an, als wolle er ihre wahre Absicht durchschauen.

    Sie erinnerte sich, wie sie sich nach dem Raubüberfall gefühlt hatte, und nickte verständnisvoll. Nun, dachte sie, vermutlich ist auch zu ihm kaum jemand freundlich gewesen. Emma lächelte ihren neuen kleinen Freund liebevoll an.

    »Sieh mal, du verlierst deine Federn und ich meine Haare. Wir geben schon ein schönes Paar ab.« Sie kramte eine grüne Ledermappe aus der Schrankschublade. Grün ist die Hoffnung, dachte sie, doch sie hatte das Album nicht aus diesem Grund erworben, sondern weil es das preisgünstigste gewesen war. Sie hatte keine Ahnung, was sie auf die abstruse Idee brachte, ihre Vergangenheit mit einem Vogel zu teilen, aber es erschien ihr in diesem Moment als das Normalste der Welt.

    Ihre guten alten Zeiten befanden sich in dieser Erinnerungsmappe. Fotos, Briefe, gepresste Blumen, Zettel mit Gedichten, die sie als junges Mädchen geschrieben hatte. Sehnsuchtsvoll in gestochen sauberer Handschrift. Die ausgebleichten Fotografien ihrer Kindheit zeugten von ihrem inzwischen hohen Lebensalter.

    »Weißt du, Schätzelein, solange du ein Kind bist, fühlst du dich wie eine Sonne, um die sich alles dreht. Später bist du nur noch einer von Millionen Sternen am Firmament. Und du kannst dich glücklich schätzen, wenn dich überhaupt noch jemand wahrnimmt.«

    War sie ein Stiefkind des Schicksals? Jemand, der von Beginn an dazu bestimmt war, immer nur Pech zu haben? Sie blätterte eine Seite um.

    »Oh, schau mal, das ist mein Heinrich«, seufzte sie und zeigte auf die Fotografie eines kleinen Mannes mit schiefem Lächeln.

    »Weißt du was? Du erinnerst mich ein wenig an meinen verstorbenen Mann. Er war auch kein Adonis – außerdem klein und mit einem Bart, der nie richtig sprießen wollte. Aber … wenn er mich mit seinen wunderschönen Augen ansah, war es um mich geschehen. So wie bei dir, kleiner Vogel.«

    Das fedrige Wesen blickte ihr in die Augen.

    »Schon gut, schon gut, keine Angst. Ich werde dich nicht Heinrich nennen.«

    Diese kleinen schwarzen Vogelaugen schienen direkt in Emmas Herz zu schauen. Es war, als sähen sie dort Dinge … geheime Dinge. So tief vergraben, dass sie selbst nicht mehr um ihre verborgene Existenz wusste. Sie räusperte sich.

    »Nein, mein Heinrich war kein strahlender Ritter auf einem weißen Pferd. Das einzig Weiße, das er besaß, waren seine Unterhemden. Unser gemeinsames Leben verlief wie eine Kutschfahrt. Zuerst saßen wir zusammen auf dem Kutschbock und teilten uns die Zügel. Doch dann übernahm er mehr und mehr das Kommando, lenkte die Pferde hierhin oder dorthin. Er bestimmte das Ziel, gleichgültig wie oft ich ihn bat, diese Fahrtrichtung nicht einzuschlagen. Schließlich resignierte ich, stieg in den Passagierraum, zog die Vorhänge zu, ließ ihn einfach gewähren und mischte mich nicht mehr ein. Ab diesem Zeitpunkt war es nicht mehr unsere gemeinsame Fahrt durch das Leben.«Sie erhob sich mühsam von ihrem Stuhl und betrachtete sich vor dem großen Spiegel im Korridor. »Ich habe aufgehört zu tanzen, weil er es albern fand.« Sie drehte sich langsam um ihre eigene Achse und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. »Es mache mir nichts aus, log ich, aber das Tanzen aufzugeben, schloss eine weitere Tür zu meinem Leben. Die Wahrheit? Ich liebte es! Und dort, wo mein Herz gewesen war, blieb immer mehr eine Leere zurück, die ich nicht mehr füllen konnte.« Sie seufzte tief und setzte sich wieder. »Ich hatte die üblichen Vorstellungen vom Eheleben. Die ewigen Streitereien meiner Eltern hatte ich satt und war sicher, in meiner Ehe alles besser machen zu können.« Sie senkte den Kopf. »Was für ein Irrtum! Wie naiv ich doch damals war! Es war ganz einfach: Das Leben, das ich führen wollte, existierte niemals. Also nahm ich meine eigenen Bedürfnisse zurück und richtete ich mich in einem fremden Leben ein.«

    Der Vogel schüttelte sich und sträubte sein zerfleddertes Gefieder. Eine weitere Feder löste sich und sank auf den Käfigboden.

    »Heiraten, Kinder kriegen, den Haushalt und den Mann versorgen sind die Aufgaben der Frau. So habe ich es von meiner Mutter gelernt. Daher hat mich meine Kinderlosigkeit damals tief getroffen. Ich fühlte mich so … nutzlos. Heute weiß ich, wie absurd das war. Die Natur ist weise. Ich glaube nicht, dass Kinder uns für die Lebensumstände, die wir ihnen zugemutet hätten, dankbar gewesen wären.« Sie zuckte entschuldigend die Achseln. »Du musst denken, ich wäre eine törichte, alte Frau«, lachte sie leise. »Mein Kater Hector hat das jedenfalls getan.«

    Sie lockte den Vogel erneut mit Körnern, und nun trippelte er auf seiner Stange zögernd auf sie zu, um vorsichtig aus ihrer Hand zu picken.

    »Weißt du, Liebe ist eine ziemlich idiotische Sache«, fuhr sie fort. »Sie verwirrt die Sinne und kann viel Unglück bescheren. Ich habe mein Leben damit vergeudet, einen Mann zu lieben und zu umsorgen, der ohne Rücksicht auf mich sein eigenes Leben verschwendet hat. Was für eine Ironie des Schicksals …« Ihr Lachen klang bitter. »Er war leichtsinnig, verlor oft seinen Job und trank zu viel. Er schwor mir jedes Mal Besserung. Hoch und heilig. Vermutlich meinte er es in diesen Momenten sogar ernst. Aber das Problem ist: Männer haben ein kurzes Gedächtnis. Er blieb egoistisch, ungerecht und ließ sich gehen. Ich erinnere mich an viele Abende, an denen ich zu Bett ging und bitterlich weinte. Meine Jugend und meine Schönheit verblassten allmählich, sein Verhalten und der Alltag verschlangen die Liebe, Glück wurde zunehmend ein Fremdwort und verschwand am Ende gänzlich aus meinem Wortschatz. An die Stelle meiner Ideale trat Lethargie. Er hat mich zwar nie geschlagen, konnte aber sehr gemein sein und sorgte dafür, dass Freunde sich von mir abwandten.« Sie nahm mehr Körner aus der Tüte und hielt sie dem Vogel hin. Nun zeigte er kaum noch Scheu und näherte sich.

    »Ich habe sogar erwogen, mich von ihm zu trennen. Aber damals einfach fortzugehen, mittellos, allein … das konnte ich nicht. Ich hatte nicht den Mut.«

    Der Vogel zirpte … verständnisvoll?

    »Na ja, er war nichts weiter als ein gewöhnlicher Mann mit allen Schwächen, die ich in meiner ersten Verliebtheit erhaben geglaubt hatte. Trotz der Ernüchterung vieler Ehejahre hing ich noch der Illusion nach, alles würde sich ändern und zum Guten wenden. Das tat ich … bis er starb.« Sie lehnte sich zurück und blickte auf die Bilder in ihrem Album. »Die Tragödie meines Lebens bestand darin, dass ich es nie in meine eigenen Hände genommen habe. Als ich nach seinem Tod die Chance bekam, fehlte mir die Kraft dazu. Auf einmal musste ich nur noch an mich denken, kleiner Vogel. Weißt du, wie schwer das ist, wenn man es noch nie getan hat?«

    Es schien ihr fast, als nicke der Vogel nun zustimmend. Aber das war bestimmt ein Zufall.

    »Könnte ich mein Leben noch einmal leben, dann wüsste ich heute, was zu tun wäre.« Mit all den Erfahrungen ihrer vielen Lebensjahre hätte sie die Chance, es im zweiten Versuch besser zu machen. Ein Wunschtraum, der unerfüllt bleiben würde, angesichts der wenigen Lebenszeit, die sie noch erwarten durfte.

    Sie erhob sich und schloss das Album. »Und nun, meiner kleiner, neuer Freund, gehen wir beide schlafen. Ich werde deine Taufe auf morgen verschieben. Was hältst du davon? Einverstanden?«

    Der graue Vogel blickte zu ihr auf, verlor eine weitere Feder und zirpte. Es klang zustimmend.

    Sie lachte, winkte ihm zu und bedeckte den Käfig mit einem Tuch.

    Die Morgensonne weckte sie. Keine Schmerzen. Sie lächelte glücklich. Der zweite gute Tag in Folge. Ein Geschenk des Himmels! Doch sie fühlte sich mehr als gut. Sie fühlte sich ausgeruht, kräftig, geradezu … jung.

    Während sie sich noch im Bett räkelte, erklang – anscheinend aus der Wohnung nebenan – eine wunderschöne Melodie wie der Gesang eines Vogels! Aber … Moment: Ihr Nachbar besaß nur einen stets missgelaunten Dackel. Die Geräuschquelle schien auch viel näher. Sollte ihr neuer, kleiner Freund seine Stimme wiedergefunden haben?

    Sie schwang sich leichtfüßig aus dem Bett und war schon in Richtung Fenster gegangen, um die Vorhänge aufzuziehen, als sie feststellte wie leicht ihr das Gehen heute fiel.

    Sie griff nach den Gardinen und erschrak heftig. Ihre Hand … Das konnte nicht sein! Sie war weiß und glatt! Die braunen Altersflecken waren verschwunden, die runzlige Haut war zart und weich.

    Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder, doch der Anblick blieb. Das konnte nur ein Traum sein! Sie zwickte sich, doch es war kein Traum. Stattdessen kniff sie schmerzhaft in festes, jugendliches Fleisch.

    Der Gesang … der Vogel … Emma wirbelte herum, stürzte in das Wohnzimmer und hielt angesichts des sich ihr bietenden Anblicks den Atem an. Ungläubig starrte sie auf den Käfig.

    Der zerrupfte und kränkliche Vogel hatte sich gründlich verändert. Er war nicht mehr grau und hässlich. An Kopf und Hals glänzte stattdessen nun goldenes Gefieder, das am Körper zu königlichem Purpur wechselte und in den langen Schwanzfedern zu flammendem Rot überging.

    Seine Stimme war kein kraftloses Krächzen mehr, sondern ein tremolierender Gesang, der sie mit grenzenloser Freude erfüllte.

    Behutsam ging sie auf den Käfig zu. Auf dem Käfigboden erblickte sie graue Asche und einige zerbrochene Eierschalen.

    Ihre Augen weiteten sich überrascht. Konnte es sein? Ein Mythos, eine Legende … lächerlich! Und doch stand sie hier – auf unerklärliche Weise verjüngt – vor einem Vogel von atemberaubender Schönheit, obwohl er noch tags zuvor hässlich, unscheinbar und wahrscheinlich dem Tode nahe gewesen war.

    Es gab nur diese eine Erklärung: Ein Phönix.

    Und dieses magische Wesen hatte nicht nur sich ein neues Leben geschenkt, sondern auch ihr eine zweite Chance gewährt. Um nun zu leben, wie sie es sich erträumt hatte. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Sollte sie …?

    Der Phönix beendete seinen Gesang und blickte sie an. Zustimmend? Sie lächelte und öffnete die Wohnungstür.

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