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Ein (fast) perfekter Mensch: Das Leben des Peter Bride Part I
Ein (fast) perfekter Mensch: Das Leben des Peter Bride Part I
Ein (fast) perfekter Mensch: Das Leben des Peter Bride Part I
eBook420 Seiten6 Stunden

Ein (fast) perfekter Mensch: Das Leben des Peter Bride Part I

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Über dieses E-Book

Wer ist nur dieser alte Mann, der Tag für Tag auf derselben Bank im selben Park verweilt und die Gegend mit seinen wachen Augen durchkämmt? Und wer ist dieser Peter Bride, der so plötzlich in das Leben des jungen Henry tritt? Zwei Fragen, welche eine einzigartige Geschichte über Freundschaft und das Leben in seinen außergewöhnlichen und einfallsreichen Facetten einläuten, wie sie wahrlich nur die Wirklichkeit schreiben kann und in deren Mittelpunkt ein besonderer Mensch zu polarisieren beginnt.

Peter Bride ist ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Junge, jedoch birgt er auch ein dunkles Geheimnis, welches nicht nur für ihn weitreichende Folgen haben wird. Begleitet wird er stets von seinen besten Freunden Henry und Abigail, die sehr bald feststellen, dass ihr Leben fortan nicht mehr dasselbe ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum29. März 2020
ISBN9783750298903
Ein (fast) perfekter Mensch: Das Leben des Peter Bride Part I

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    Buchvorschau

    Ein (fast) perfekter Mensch - Silas Julian Pfeifer

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    Silas Julian Pfeifer

    Ein (fast) perfekter Mensch –

    das Leben des Peter Bride

    Part I

    Für meine Mutter, die immer an mich geglaubt hat.

    Für Frau von Moos, die mir das Leben gerettet hat.

    Und für mich selbst, um zu zeigen, dass Vertrauen

    und Beharrlichkeit Berge versetzen können.

    Auch der augenscheinlich perfekteste Mensch

    besitzt schlechte Eigenschaften.

    Für den Einzelnen zählt daher nur,

    welchen Eigenschaften er selbst die Überhand lässt.

    Überraschende Begegnung

    Die Sonne stand tief am wolkenlos blauen Himmel, als die Frau jäh innehielt und mit einem genervten Blick zu ihrer Tochter hinuntersah.

    »Hörst du jetzt bitte auf so ungeduldig an meiner Hand zu ziehen, Madam?«, fragte sie und besah streng den blonden Haarschopf der Kleinen, deren Aufmerksamkeit sich jedoch längst einem anderen Ziel gewidmet hatte.

    »Aber Mum, siehst du denn nicht? Er ist schon wieder da!«

    Und die Kleine deutete mit ihrem bebenden Finger auf einen Punkt in der naheliegenden Umgebung.

    »Er ist doch jeden Tag da, Liebling, das müsstest du doch mittlerweile auch bemerkt haben. Jedes Mal dasselbe, wenn wir hier entlangkommen«, gab die Mutter zurück und blickte nun noch genervter drein.

    »Aber was macht er denn hier?«, piepste das kleine, blonde Mädchen aufgeregt und begann den Arm der Mutter nun hin und her und hin und her zu schwingen.

    Die junge Frau antwortete nicht gleich, sondern ließ ihren Blick langsam zu dem Punkt hinüber wandern, der als Auslöser für die Fragen ihrer Tochter fungierte. Dann, als hätte sie einen Entschluss gefasst, fragte sie eher besorgt als wütend:

    »Macht er dir Angst, Liebling?«

    »Nein, das nicht, aber … ich weiß auch nicht … er ist doch irgendwie komisch«, bemerkte die Kleine unentschlossen.

    Die Frau dachte nach und musterte dabei aufmerksam das erregte Gesicht der Tochter, das hin und hergerissen schien, zwischen Neugier und Unbehagen.

    »Hmm … du hast doch schon einige Male mit ihm gesprochen, oder?«, fragte sie schließlich und sah nun selbst zu dem Mann auf der Bank hinüber.

    Es war das gleiche Bild wie immer. Ein angegrauter Haarschopf; ein faltiges, freundliches Gesicht, das mit seinen neugierigen Blicken die umherstreifenden Leute bedachte.

    »Ja schon, aber immer nur über das Wetter. Er fragt immer nur, was ich glaube, wie das Wetter wird? Nie hat er bisher was anderes zu mir gesagt, nur immer das.«

    Das Mädchen sah mit fragendem Blick zur Mutter auf.

    »Nun ja, er ist eben schon etwas älter, mein Schatz. Die älteren Leute reden doch oftmals ein bisschen merkwürdiges Zeug, das kennst du doch von Opa. Aber wenn es dich wirklich so sehr beschäftigt, dann sagen wir ihm einfach mal ‚Guten Tag‘ und du fragst ihn nach etwas anderem als dem Wetter, einverstanden?«

    Die Kleine schien sich diesen Vorschlag gründlich zu überlegen und sah ihrer Mutter dabei skeptisch in die Augen. Diese jedoch nickte aufmunternd und drückte erneut ihre kleine Hand, um zu bedeuten, dass sie ihr bei diesem Unterfangen beistehen würde.

    »Mich würde nur mal gern interessieren, warum er jeden Tag hierherkommt und dann immer nur genau auf derselben Bank herumsitzt«, sagte das kleine Mädchen angespannt und schenkte dem alten Mann einen teils neugierigen, teils mulmigen Blick.

    »Vielleicht wartet er auf jemanden«, überlegte die Mutter laut und schlenderte, die Hand ihrer Tochter fest umschlossen, langsam den kleinen Weg entlang, der von grünen Rasenflächen gesäumt wurde, »oder aber er ist wirklich nur wegen des herrlichen Wetters –«

    »Aber ich hab ihn noch nie mit jemandem gesehen!«, fiel ihr die die Tochter belehrend ins Wort. »Immer ist er allein, also kann er auch auf niemanden warten!«

    »Na, du scheinst ihn ja bereits mehr als gründlich beobachtet zu haben, junge Dame«, antwortete die Mutter streng, »man stiert nicht die ganze Zeit auf fremde Leute, das gehört sich nicht.«

    »Aber wenn es doch sonst nichts zu sehen gibt hier …«, murmelte die Kleine leise vor sich hin.

    »Also schön«, sagte die Mutter und stoppte abrupt ihren schlendernden Gang, »willst du jetzt mit ihm sprechen oder nicht? Dann brauchst du dir überhaupt keine Gedanken mehr zu machen und das wilde Spekulieren hat auch ein Ende. Du wirst sehen, danach fühlst du dich besser.«

    Sie sahen sich erneut in die Augen, das kleine verunsicherte Mädchen und die junge, blonde Frau, die ihr aufmunternd zulächelte. Doch die Tochter antwortete nicht. Stattdessen warf sie erneut einen verstohlenen Blick in Richtung der Parkbank. Die Mutter folgte den Augen ihrer Tochter, nickte daraufhin, als würde sie in Gedanken etwas zu Ende bringen und sagte entschlossen: »Verstehe. Na, komm schon! Wir gehen mal hin und fragen, wie es ihm geht.«

    »Keine Angst, ich bin ja dabei«, fügte sie auf den ängstlichen Blick ihrer Tochter hinzu, »und wenn er wieder mit dem Wetter anfängt, dann fragst du ihn einfach, ob er hier ist, um die Sonne zu genießen. Das ist nicht unhöflich und er wird dir sicher nicht wieder mit einer Frage nach dem Wetter antworten.«

    Sie zwinkerte der Kleinen noch einmal aufmunternd zu.

    »Na los!«

    Und sie zog an der Hand der Tochter, die sich höchst widerwillig zu einem langsamen Trott hinreißen ließ, jedoch dabei immer einen halben Schritt hinter ihrer Mutter in Deckung blieb.

    »Guten Tag, Sir«, sagte die junge Frau freundlich, als sie nur noch einen Meter von der Bank entfernt waren, und sah lächelnd auf den alten Mann hinunter. Dieser blickte zunächst ein wenig verwundert drein und blinzelte gegen die tiefstehende Sonne, um sie genauer erkennen zu können. Nachdem einige Augenblicke vergangen waren und er sicher sein konnte, auch wirklich gemeint zu sein, antwortete er lächelnd: »Guten Tag, Mrs. Davis.«

    Sie stutzte milde überrascht. Damit hatte selbst sie nicht gerechnet.

    »Sie wissen, wer ich bin?«, fragte sie überrascht.

    »Aber gewiss, gewiss. Sie haben sich mir schon einmal vorgestellt, ich schätze, ein gutes halbes Jahr ist es her.«

    Er lächelte ab der Verwirrung, die er offenbar hervorgerufen hatte.

    Dann fügte er als Antwort auf ihre gerunzelte Stirn hinzu: »Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis müssen Sie wissen, auch wenn man es mir nicht gerade ansieht.«

    Er gluckste herzhaft, dann fiel sein Blick auf das kleine, blonde Mädchen, das sich hinter den Beinen der Mutter zusammengekauert hatte.

    »Ah und du musst die kleine Sophie sein. Ja, ja ich erinnere mich an dich. Oh, wie unhöflich von mir, Sie beide erinnern sich offensichtlich nicht mehr an meinen Namen. Ich bin Henry.«

    Durch die freundliche Art des alten Mannes ermutigt, streckte ihm die Kleine nun vorsichtig die Hand entgegen, kam hinter der Mutter hervor und sagte ein wenig selbstsicherer: »Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Henry. Sind Sie hier, um die Sonne zu genießen?«

    Dann blickte sie schnell zur Mutter auf und konnte ein kurzes Zwinkern von deren Gesicht ablesen.

    »So könnte man es ausdrücken«, antwortete der alte Mann mit einem Schmunzeln und sah zu Mrs. Davis auf.

    »Ein wirklich aufgewecktes Mädchen haben sie da, Mrs. Davis.«

    »Ja und neugieriger, als es ihr bisweilen gut tut, sollte man meinen«, entgegnete diese mit einem gespielt strengen Blick, tätschelte dabei aber liebevoll den Kopf ihrer Tochter.

    Der alte Mann gluckste erneut amüsiert.

    »Aber bitte, nennen Sie mich doch Monica.«

    Und auch sie hielt dem Alten die Hand entgegen.

    »Monica«, erwiderte er mit nachdenklicher Stimme. »Ein wirklich schöner Name. Ich kannte auch mal eine Monica, müssen Sie wissen und sie war, naja, sagen wir recht speziell. Aber nichts für ungut natürlich.«

    Und er umschloss väterlich lächelnd ihre Hand mit seinen zweien.

    »Schön, schön. Wollt ihr beiden euch nicht zu mir setzen? Und vielleicht ein wenig die Sonne genießen?»

    Die letzten sieben Worte untermalte er mit einem Zwinkern in Richtung der kleinen Sophie, die sich, nun da ihre Angst verschwunden war, nicht zweimal bitten und neben dem alten Mann auf die Bank plumpsen ließ.

    »Ich weiß nicht so recht«, antwortete Mrs. Davis halbherzig. »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Henry, aber wir wollen Sie keineswegs stören. Wir wollten eigentlich nur eben ›Guten Tag‹ sagen.«

    »Aber wie könntet ihr mich denn stören«, gab der alte Mann zurück und verscheuchte diesen Gedanken mit einer lässigen Armbewegung, um zu verdeutlichen, wie absurd er doch war.

    »Setzt euch, setzt euch!«

    Und er gestikulierte einladend mit den Armen und rutschte ein wenig zur Seite, damit sie beide nebeneinander Platz nehmen konnten.

    »Haben Sie mal als Wetterfrosch gearbeitet, Henry?«, platzte es plötzlich aus dem kleinen Mädchen heraus, nachdem sie sich, die Füße in der Luft baumelnd, dem alten Mann zugewandt hatte.

    »SOPHIE!«, rief Mrs. Davis entsetzt und sah entschuldigend in Richtung des Alten. »Wie kannst du nur so unhöflich sein?!«

    Der alte Henry sah nun doch ein wenig verwirrt drein und blickte von der neugieren Miene des Mädchens zum erbosten Gesicht der Mutter.

    »Nein«, er schüttelte den Kopf. »Nein, als Wetterfrosch habe ich eigentlich noch nie gearbeitet. Wie kommst du auf den Gedanken?«

    Er schien keineswegs verstimmt, sondern eher ehrlich interessiert.

    Die Kleine warf ihrer Mutter einen zaghaften Blick zu, diese zuckte jedoch kaum merklich mit den Achseln, ganz nach dem Motto: Jetzt ist es sowieso egal, also mach nur. Sophie verstand die Mimik offenbar richtig, denn sie drehte sich wieder dem alten Henry zu, der sie nach wie vor gespannt anblickte.

    »Na ja«, begann sie verlegen, »jedes Mal, wenn wir bisher kurz miteinander gesprochen haben, dann haben Sie mich gefragt, wie das Wetter wohl werden wird. Sie wollten immer nur das wissen, daher kam mir der Gedanke –«

    Der alte Mann fing an zu lachen. Es war ein herzhaftes Lachen. Ein Lachen, mit dem er sich keinesfalls über das kleine Mädchen oder dessen Erklärung lustig machen, sondern mit dem er vielmehr ihrem Einfallsreichtum und ihrer Phantasie Anerkennung zollen wollte.

    »Du bist ja köstlich junge Dame … wirklich köstlich.«

    Er stieß einen weiteren Hickser aus und rieb sich die tränenden Augen.

    »Daher weht also der Wind und man beachte dabei die Wettermetapher«, fügte er augenzwinkernd hinzu.

    »Aber nun mal im Ernst. Nein, wirklich sehr schlau kombiniert, Sophie, das muss ich dir lassen. Du musst einen messerscharfen Verstand haben. Bist sicher gut in der Schule, nicht wahr?«

    Sophie sah erneut zu ihrer Mutter auf, die offensichtlich einfach nur erleichtert darüber schien, dass der alte Mann so freundlich reagiert hatte.

    Dann wandte sie ihren Kopf wieder dem lächelnden Gesicht zu und antwortete: »Also ich bin zwar erst in der dritten Klasse, aber bisher eigentlich ganz zufrieden.«

    »Na, das ist doch die Hauptsache«, entgegnete der Alte mit einem weiteren Glucksen. Er zog ein gepunktetes Taschentuch aus dem Innenleben seiner Jacke und tupfte sich damit die Augen.

    »Aber um auf deine eigentliche Frage zurückzukommen, es ist immer einfacher über das Wetter zu sprechen, wenn man fremden Leuten begegnet. Man verrät dabei niemals allzu persönliche Dinge und ist dennoch keineswegs unhöflich, verstehst du?«

    Die Kleine nickte mit halb überzeugter Miene. Dann nahm sie ihren Mut zusammen und fragte mit einem neugierigen Blick in sein freundliches, doch nun aus der Nähe deutlich erkennbar gealtertes Gesicht: »Aber was machen Sie dann eigentlich in Wahrheit immer hier, Henry? Jedes Mal, wenn wir hier sind, dann sitzen Sie auch hier. Immer auf dieser Bank und immer allein.«

    Daraufhin trat Stille ein. Mrs. Davis sah vorsichtig neben sich, doch der alte Henry schien dies keineswegs für unangebracht zu halten, denn er antwortete:

    »Hm … eine berechtigte Frage, denke ich. Auch wenn ich mit Glück sagen kann, dass ich ja nun nicht mehr ganz allein bin, nicht wahr?«

    Seine Mundwinkel zuckten, doch das kleine Mädchen verharrte in ihrer Position, nun fest entschlossen, dem Mysterium seines täglichen Aufenthalts auf den Grund zu gehen.

    Der alte Mann sah sie nachdenklich an und schwieg zunächst. Er lenkte seinen Blick auf das großflächige Gelände um sie herum und ließ ihn eine ganze Weile darüber streifen.

    »Das ist wirklich eine berechtigte Frage, wenn nicht die Frage überhaupt«, sagte er schließlich und verschränkte die Finger in seinem Schoß. »Es ist nur so, dass die Antwort darauf nicht so leicht zu geben ist.«

    »Da hörst du es, Schatz«, mischte sich plötzlich wieder Mrs. Davis, mit einem eindringlichen Blick zu ihrer Tochter, in das Gespräch ein. »Henry möchte nicht darüber sprechen, weswegen er hier sitzt und das ist auch völlig in Ordnung, weil es uns nämlich überhaupt nichts angeht.«

    »Oh nein, so war das nicht gemeint, Monica, das haben Sie missverstanden«, warf der alte Mann dazwischen, ehe die kleine Sophie den Mund zu einer trotzigen Erwiderung öffnen konnte. »Es ist keineswegs der Fall, dass ich es euch nicht erzählen möchte, die Sache ist eher die, dass dafür ein Satz nicht ausreichen dürfte. Aber falls ihr neben den Keksen in dieser Handtasche auch noch etwas Zeit mitgebracht habt, dann habe ich in meiner eventuell eine Thermosflasche voll dampfendem Tee und eine Geschichte, die so wohl noch nie zuvor dagewesen war und die ihr, wenn ich meine Sache gut mache, wahrscheinlich nie wieder vergessen werdet.«

    Er lächelte verschmitzt von Mutter zur Tochter und wieder zurück.

    Das Interesse der kleinen Sophie hatte sich wohl eben um das Tausendfache gesteigert.

    »Ja! Bitte, bitte Mami. Bitte, ich möchte diese Geschichte von Henry hören!«

    Die junge Frau runzelte die Stirn und sah von der strahlenden Miene des Alten zum nun von äußerster Spannung behafteten Gesicht ihrer Tochter. Dann zuckte sie kapitulierend mit den Schultern und sagte: »Also schön, Henry. Jetzt haben Sie mich ebenfalls neugierig gemacht.«

    »Fabelhaft, fabelhaft«, sagte der alte Mann begeistert und klatschte in die Hände.

    Und nun konnte man etwas von jungenhafter Vorfreude in seinen Augen erkennen. »Also, wo fange ich am besten an … lass mal sehen … am besten, ja …«

    Und der alte Mann begann zu erzählen …

    Geheimnisvoller Fremder

    Am besten beginne ich mit unserer ersten Begegnung …

    Es war ein sonniger Donnerstagmorgen im Frühsommer 2008. Ja, ich erinnere mich noch ganz genau daran, da ich an diesem Tag beinahe nicht zur Schule gekommen wäre …

    Nur vereinzelte weiße Wolkenfetzen säumten den ansonsten hellblauen Himmel und es war bereits früh am Morgen angenehm warm. Der überfüllte Schulhof war wie gewohnt in mehrere, klar erkennbare Gebiete aufgeteilt. Da gab es zum einen auf der linken Seite das Territorium der Rauchergemeinde, welches sich nahtlos an das rechts benachbarte Reich der Mützenträger und Weithosenliebhaber anschloss. Dann gab es noch Ecken, in denen streberhaft aussehende Literaturfanatiker beheimatet waren und solche, die von schnatternden Mädchengruppen besetzt wurden. Leute wie ich ließen sich da eher keiner dieser Gruppierungen zuordnen. Unser Bereich lag auf einem kleinen Platz hinter dem eigentlichen Schulgebäude. Dort verbrachte ich den Großteil meiner Pausen, sozusagen in der neutralen Zone.

    Hier gab es zwar weder Überdachung, noch Sitzmöglichkeiten – bis auf den kalten Asphaltboden, der jedoch von festgeklebten Kaugummiflecken übersäht war – jedoch wurde man hier in Ruhe gelassen und es herrschte auch keine stilistisch- beziehungsweise interessensbedingte Trennung. Kurz um gesagt: das Zuhause der Normalen und Langweiligen.

    Als ich also an diesem verschlafenen Donnerstagmorgen das schrille Läuten der Schulglocke vernahm und den gewohnten Weg in Richtung Hintertür einschlug, fiel mir zum ersten Mal ein dunkelhaariger Junge auf, der sich direkt neben der Tür zum Hinterhof an eine Heizung lehnte. Ich hatte ihn mit ziemlicher Sicherheit noch nie zuvor gesehen, da mein Gedächtnis im Gegensatz zu meinen Muskeln sehr stark ausgeprägt war.

    Er stand einfach da, eine Hand leicht in der Tasche, während seine aufmerksamen Augen neugierig durch den Raum wanderten. Man bemerkte sofort, dass er überhaupt nicht beabsichtigte, durch diese Haltung eine Art falscher Lässigkeit oder abgeklärter Coolness vorzutäuschen, wie es viele hier taten. Vielmehr wirkte er völlig in sich ruhend und entspannt. Im Vorbeigehen besah ich ihn mir genauer. Sein dichtes, braunes Haar ergänzte sich perfekt mit seinen durchdringend blauen Augen, welche er mit neugieriger Wachsamkeit über die zum Ausgang hindrängende Schülerschar streifen ließ.

    Er war gut gekleidet, aber keineswegs übertrieben elegant (denn auch für dieses Extrem gab es hier genug Individuen).

    Die Ärmel seines blaukarierten Hemdes waren hochgekrempelt und um sein Handgelenk hatte er ein hellbraunes Lederarmband gebunden, auf welchem in feinen Buchstaben ein Schriftzug eingraviert war, dessen Bedeutung ich jedoch in der kurzen Zeit des Vorbeigehens nicht erkennen konnte. Seine insgesamt sportliche Statur gepaart mit seinem, ja, ich muss es einfach sagen, wahnsinnig guten Aussehen, machten aus ihm eine beinah exotische Erscheinung. Aber es war nicht allein die Momentaufnahme des Äußeren, was einen stutzen ließ, auch seine gesamte Präsenz hatte etwas Erhabenes, etwas Einzigartiges, dessen Ursprung ich mir mit Worten jedoch nicht erklären konnte, da er im Grunde nichts tat, außer anwesend zu sein. Es war mehr ein Gefühl, eine Art unsichtbare Kraft, die von ihm auszugehen schien.

    Ich konnte mir nicht helfen, aber dieser Junge hatte einfach etwas Besonderes an sich, wie er so dastand und mit wachem Blick sein Umfeld taxierte. Er wirkte, ich konnte damals kein passenderes Wort finden, schlichtweg geheimnisvoll. Ganz die Art Mensch, von der man unbedingt mehr erfahren wollte.

    Als ich seinen Blicken folgte und meine Augen ebenfalls über die Menge schweifen ließ, bemerkte ich sofort, dass ich nicht der einzige war, dem dieses neuartige Phänomen aufgefallen war.

    Viele Schüler um mich herum musterten den Neuen. Manche neugierig, andere unverschämt offensichtlich und wieder andere, überwiegend Mädchen, hatten die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten aufgeregt miteinander, während sie immer wieder in seine Richtung blickten.

    Ich selbst gehörte zur ersten Gruppe und war eher neugierig, wie er wohl ticken mochte und woher er kam, denn oftmals täuschte das Äußere eines Menschen, besonders an dieser Schule.

    Ich war mir jedoch sicher, dass es bei diesem Jungen anders sein musste. Es war kein mathematisches Wissen oder irgendetwas, das wissenschaftlich belegt werden konnte, sondern einfach ein Gefühl und genau das machte es so spannend für mich. Zum damaligen Zeitpunkt konnte ich nicht erklären, was es war oder wodurch es ausgelöst wurde, nur eines wusste ich: dieser Junge war besonders und ich wollte unbedingt mehr über ihn erfahren.

    Doch fürs Erste wurde ich von der laut murrenden Schülermenge aus dem Gebäude geschoben und nahm meinen gewohnten Platz auf dem Hinterhof ein – Routine ist schließlich Routine. Die ganze Pause über ging mir der geheimnisvolle Fremde nicht mehr aus dem Kopf und ich überlegte wild vor mich hin, wie er wohl heißen mochte, wo er denn wohnte und woher er zu einem so späten Zeitpunkt des Schuljahrs überhaupt kam.

    Als es erneut läutete, betrat ich als einer der ersten die Kühle der Schule und blickte sogleich mit spannungsgeladenen Augen nach rechts, doch da war keine Spur mehr von dem Neuen. Nur die leere Heizung und ein völlig ausgestorbener Gang waren zu sehen.

    Wie ich später erfuhr, hatte er seinen behaglichen Platz an der Heizung nur deshalb aufgeben müssen, weil ein Lehrer vorbeigekommen war und ihn daraufhin hingewiesen hatte, dass es Schülern nicht gestattet sei, die Pause im Inneren des Schulgebäudes zu verbringen. Der Junge hatte daraufhin völlig ruhig und nüchtern geantwortet und erklärt, dass er sich nun einige Zeit lang umgesehen hätte, aber von dieser ganzen Aufteilungsgeschichte überhaupt nichts halten würde. Da er ebenfalls keine Absicht habe, sich in irgendeine gruppenorientierte Schublade stecken zu lassen, hatte er für sich entschieden, das Schulgebäude während der Pause gar nicht erst zu verlassen.

    Über die genaue Antwort des Lehrers wurde noch lange heiß diskutiert und gerätselt, aber aus sicherer Quelle erfuhr ich, dass der Lehrer über diese Antwort offenbar so verblüfft gewesen war, dass er den Jungen umgehend auf eine Tasse Kaffee in sein Büro eingeladen hatte.

    Dort hatten sie sich offenbar weiter über allerlei Dinge unterhalten und obendrein beinahe den Beginn der nächsten Unterrichtsstunde versäumt.

    Als der Junge am nächsten Tag wieder an der Heizung stand, wurde er auf halbem Weg erneut von demselben Lehrer, Mr. Stuart, zum Kaffeetrinken in dessen Büro abgeholt. So verging gut eine Woche, in der ich den Jungen immer nur für ca. eine Minute am Tag sah und meine Neugierde stieg bereits in galaktische Sphären, da ich natürlich viel zu feige war, ihn in dieser kurzen Zeit anzusprechen. Tag für Tag stellte ich mir daher dieselbe Frage: Wer war er? Fortan von dieser Ungewissheit begleitet, fiel es mir schwer, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Ich dachte ständig darüber nach. Beim täglichen Absitzen der Unterrichtszeit, am Nachmittag, am Abend, ja sogar nachts, wenn ich wach im Bett lag …

    Bis zu dem Zwischenfall, der unser beider Schicksale auf immer miteinander verknüpfen sollte.

    Es war Prüfungszeit und ich war nicht, wie gewohnt, von einer laut krakeelenden Menschentraube umringt, die sonst ihre Pause auf dem Hinterhof verbrachte. Außer mir standen nur noch zwei Mädchen an der gegenüberliegenden Wand und rauchten. Ich beobachtete sie heimlich, denn für die kleinere der beiden, mit ihren hellbraunen Haaren und ihrer insgesamt niedlichen Erscheinung, hatte ich schon länger eine Schwäche entwickelt. Jedoch sie einfach ansprechen? - dafür war ich nicht der Typ. Plötzlich warfen sie die halbgerauchten Zigaretten auf den Boden und gingen mir raschen Schritten an mir vorbei in das Gebäude. Zu spät bemerkte ich, was der Auslöser für ihre blitzartige Flucht gewesen war. Als ich mich umdrehte, waren sie nur noch rund drei Meter von mir entfernt: Zwei große, breitgebaute Gestalten, die mich nun nach und nach in eine Ecke des Hinterhofs drängten.

    Natürlich wusste ich, wer sie waren und daher auch, was mir gleich blühen würde. Einer, der Größere der beiden, streckte den Arm aus und packte mich am Kragen, der andere fing an zu lachen und in meinen Taschen nach diversen Gegenständen zu suchen, welche die beiden Trolle möglicherweise zu Geld machten konnten.

    Ich startete gar nicht erst den Versuch, mich zu wehren, denn dies war keineswegs mein erster Zusammenstoß mit diesen Gestalten und wenn ich mich kooperativ verhielt, kam ich vielleicht ohne ein blaues Auge davon.

    Als der zweite Troll seine Hände aus meinen Jackentaschen zog und dabei Handy, Geldbeutel und ein angerissener Packen Kaugummi zum Vorschein kamen, räusperte sich jemand deutlich vernehmbar.

    Die beiden Gestalten drehten sich verwirrt um – ganz nach dem Motto ›Welcher lebensmüde Mensch es wohl wagen konnte, sie bei ihrer täglichen Arbeit zu stören‹ – und durch den Spalt zwischen ihren breiten Schultern erkannte ich, wie der ›Neue‹ in einer fließenden Bewegung Geldbeutel und Handy aus den Händen des zweiten Trolls fischte. Dies alles geschah so ruhig und ohne Aufregung, dass den beiden Trollen vor Verwunderung kurzzeitig die Sprache zu fehlen schien. Der erste fand sie schließlich am schnellsten wieder und blaffte den ›Neuen‹ an: »Bist wohl ’en ganz harter Zeitgenosse, was? Gleich gibt’s paar auf die Mütze!«

    Der ›Neue‹ stand nach wie vor völlig unerschrocken da und musterte erst den einen, dann den anderen, ganz so, als würde er abwägen, ob er es mit beiden gleichzeitig aufnehmen konnte. Dann antwortete er mit ruhiger Stimme – und dies war gleichzeitig das erste Mal, dass ich ihn überhaupt je sprechen hörte: »Tja, Jungs, so geht das aber nicht. Ich will hier ja keine Gefühle verletzen, aber diese Sachen« – und er hob Geldbeutel und Handy verdeutlichend in die Höhe – »bleiben besser bei ihrem alten Besitzer, was meint ihr?«

    Dann zwinkerte er ihnen zu und lächelte freundlich.

    Sie glotzen blöde zurück, denn damit hatten sie nicht gerechnet.

    »Hältst dich wohl für witzig, was?«, schnauzte nun der zweite Troll zurück und baute sich bedrohlich vor seinem Gegenüber auf. Dieser schien jedoch von dieser Gestik nicht sonderlich beeindruckt und gab mit völlig gelassener Stimme zurück: »Nein.«

    Ein kurzer Augenblick der Stille folgte, dann: »Nein? Das ist alles, was dir einfällt? ’n einfaches ›Nein‹? Wo haben sie dich denn ausgegraben, du Vogel?«

    Die beiden fingen an zu lachen.

    Mir wurde zunehmend übel und ich hoffte inständig, dass der ›Neue‹ irgendeine geheime Kampftechnik beherrschte, mit deren Hilfe er es mit diesen beiden, sowohl in die Höhe, als auch in die Breite gewachsenen Bullterriern würde aufnehmen können.

    Doch er machte keinerlei Anstalten zu irgendeiner schnellen Kung-Fu-Bewegung oder einem tückischen Schlag anzusetzen. Lediglich sein Gesichtsausdruck, mit dem er seine beiden Gegenüber nun musterte, hatte sich verändert. Das Lächeln war verschwunden und in seinem ernsten Blick lag eine gewisse Schärfe.

    Ich wusste, dass der einzige Grund, warum er überhaupt noch aufrecht stehen konnte, sein Gebaren war, das sie überraschte.

    Denn für gewöhnlich waren die Leute vom bloßen Erscheinen dieser zwei hünenhaften Riesen dermaßen eingeschüchtert, dass sie entweder sofort das Weite suchten oder, falls es dafür schon zu spät war, bedingungslos kapitulierten. Das hier jedoch war neu. Und so langsam beschlich auch die Trolle ein merkwürdiges Gefühl. Dieser Junge schien nicht ganz normal zu sein. Irgendetwas an ihm war anders. Vielleicht war er ja wahnsinnig.

    Plötzlich drehte sich einer der beiden zu mir um und raunzte: »Da haste nochmal Glück gehabt, du Spacko! Das nächste Mal biste fällig!«

    Er nickte seinem Kumpanen zu und sie gingen, nicht ohne mich nochmals anzurempeln, in Richtung der Büsche davon, aus denen sie gekommen waren.

    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte der ›Neue‹ und hielt mir meine Sachen entgegen.

    »Ja, danke«, stammelte ich etwas verlegen und sah zu ihm auf.

    »Ähm, tut mir leid, aber wie heißt du denn eigentlich?«, fragte ich beklommen, als wir wieder in der Eingangshalle angekommen waren und ich ihm endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.

    »Mein Name ist Peter, Peter Bride. Ich bin neu an der Schule«, antwortete er und hielt mir lächelnd die Hand entgegen.

    Und das war das erste Mal, dass ich mit ihm gesprochen habe.

    Kurz darauf sollten die Sommerferien beginnen, daher waren die Gelegenheiten ziemlich rar, in denen ich mich mit ihm hätte unterhalten können. Im Grunde sah ich ihn nur in den Pausen, wenn er mit unserem Vertrauenslehrer, Mr. Stuart, auf dem Weg in dessen Büro zum täglichen Pausenkaffee war. Ich fühlte mich schon wie eine Art Stalker, aber dieses kurze Zusammentreffen mit ihm ließ mich einfach nicht mehr los. Er grüßte zwar noch mehrmals, wenn er mich sah, doch offenbar war seine Rettung in letzter Sekunde etwas gewesen, das er auch für jeden anderen jederzeit getan hätte und schien in Folge dessen, kein allzu prägendes Erlebnis für ihn zu sein.

    Als ich am darauffolgenden Montag, genau zwei Wochen nachdem ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, meinen gewohnten Platz in der Klasse einnahm und beim Warten auf den Unterrichtsbeginn in meine Unterlagen vertieft dasaß, stieß mich plötzlich jemand an der Schulter. Schon halb mit einer genervten Antwort im Mund sah ich auf und da stand er. Die braunen Haare fielen ihm vereinzelt ins Gesicht, seine wachen blauen Augen blitzen aufmerksam zu mir herunter und um seinen Hals trug er eine Lederkette, an dessen Ende ein Kreuz und eine Feder lässig auf seiner Brust ruhten. Er grinste ab meiner völlig perplexen Miene und deutete auf den freien Platz neben mir.

    »Hallo, Henry! Kann ich mich zu dir setzen?«

    Die bloße Tatsache, dass er meinen Namen noch kannte, ließ mich kurzzeitig stumm werden.

    »Klar – natürlich«, stammelte ich etwas verlegen und nahm rasch meine Schultasche von dem freien Stuhl.

    »Danke«, antwortete er und ließ sich lässig darauf nieder.

    »Wie … ich meine, was machst du hier?«, fragte ich nach einigen Augenblicken verwundert, nachdem er seine Schultasche unter sich abgestellt hatte und sich mit neugierigem Blick umsah.

    »Es gab eine Verwechslung«, antwortete er milde lächelnd und wandte den Kopf. »Die haben hier wohl die Akte meiner letzten Schule erst heute Morgen erhalten und daraufhin bemerkt, dass ich eigentlich noch eine Klasse tiefer sein sollte, als bisher angenommen.«

    »Und du hast –«

    »– dir nicht die Mühe gemacht, es aufzuklären?«, beendete er glucksend meine Frage. »Nein, allerding nicht. Mr. Stuart und ich haben nach meinen ersten Unterrichtstunden eine Wette abgeschlossen, wie lange ich es wohl schaffen würde, diesen Irrtum am Leben zu erhalten. Er schätzte ›nicht mal einen Tag‹, da diese Schule viel zu hohen Standards ausgesetzt sei.«

    »Aber – aber du bist doch schon über zwei Wochen hier, oder?«, fragte ich erstaunt.

    »Ich habe die Wette ja auch gewonnen«, antwortete er grinsend und zwinkerte mir zu.

    »Und Mr. Stuart hat –?«

    »– nichts gesagt, meinst du? Nein, das hat er in der Tat nicht. Er fand es von Tag zu Tag amüsanter und ich musste ihm natürlich versprechen, dass niemand von seiner Beteiligung erfahren wird, also …« Und er legte eine Hand auf die Lippen.

    »Klaaar ... von mir erfährt keiner was«, antwortete ich immer noch leicht verdattert.

    »Und du hast wirklich verstanden, um was es im Unterricht ging? Ich meine, die sind ja schon viel weiter als wir.«

    »Im Großen und Ganzen schon. Klar, gab es da Begriffe, die wir erst im nächsten Jahr lernen, vor allem in den Fremdsprachen wie Französisch fanden sich teilweise einige Stolperer, aber ich denke, ansonsten habe ich einen ganz ordentlichen Eindruck hinterlassen.«

    Ein leises »Wow« entfloh meinem Mund und schon im nächsten Moment hasste ich mich dafür. Ich lief rot an und ein vertrautes Gefühl der Hitze stieg in mir auf. Er sollte mich ja keineswegs für einen Arschkriecher oder etwas Derartiges halten, daher hoffte ich inständig, dass Peter es nicht gehört hatte oder zumindest so tat, aber nichts dergleichen war der Fall.

    »Ich bin mir sicher, du würdest dort oben ebenfalls zurechtkommen«, sagte er freundlich. »Es ist immer nur die Angst vor dem Unbekannten, die uns das Leben so schwer macht. Aber du hast doch nur das eine, oder? Und irgendwann ist es vorbei, also, was soll dir denn schon passieren, Henry?!«

    Er gab mir lächelnd einen Klaps auf die Schulter und setzte sich dann gerade hin, denn soeben hatte Mr. Stuart den Raum betreten.

    Seine letzten Worte hallten mir noch in den Ohren. Wie leicht sie ihm über die Lippen gekommen waren und wie null geschwollen oder aufgesetzt sie geklungen hatten.

    Ich blickte beeindruckt zu Peter hinüber, der jedoch keine Miene verzog und mit völlig neutralem Gesichtsausdruck aufmerksam nach vorn zu Mr. Stuart sah, welcher bei seinem Anblick ein kurzes Grinsen nicht unterdrücken konnte.

    In mir arbeitete mein Gehirn fieberhaft und hatte immer noch nicht ganz verdaut, was er mir soeben alles erzählt hatte. Jedoch war eines ganz sicher, mein erster Eindruck hatte mich nicht getäuscht. Dieser Junge war anders.

    In den kommenden Wochen verbrachten wir eine Menge Zeit miteinander und auch die beginnenden Sommerferien änderten daran nichts. Peter kam oft bei mir vorbei oder wir gingen zusammen in die Stadt, aßen Eis und unterhielten uns.

    Diese Zeit zählte für mich zu der bis dato aufregendsten in meinem doch relativ unaufregenden Leben, denn ich lernte darin viel über den Menschen Peter Bride kennen und schätzen. Schon nach kurzem war ich äußerst stolz darauf, ihn meinen Freund nennen zu dürfen, auch wenn es zu Anfang eine etwas ungleiche Freundschaft war, da ich eher zu ihm aufblickte, als mich auf Augenhöhe mit ihm zu sehen. Doch das war eher meinen Unsicherheiten geschuldet und von ihm in keiner Weise beabsichtig, wie ich sehr schnell lernen sollte. Es war einfach schwer, neben ihm eine genauso gute Figur abzugeben, wie er selbst es tat. Peter war jedoch niemand, der auf andere Leute herabblickte oder sich für etwas Besseres hielt, er war das absolute Gegenteil. Er gab jedem Menschen, mit dem er zu tun hatte, das Gefühl etwas Wichtiges, etwas Besonderes zu sein. Für ihn gab es keine Unterschiede, alle Menschen besaßen in seinen Augen denselben Wert und so lebte er auch. Da war es ihm auch egal, ob sie schon viel in ihrem Leben erreicht hatten oder noch ganz am Anfang standen, ob da großartige Karrierepläne auf sie warteten oder noch überhaupt keine Idee, was mit der gegebenen Zeit, anzustellen war.

    Ich erinnere mich noch gut an ein Erlebnis, das diese Einstellung stark zur Geltung brachte.

    Es war kurz vor Beginn des neuen Schuljahres und Peter hatte von seinen Pflegeeltern Karten für ein Spiel meines Lieblingsteams geschenkt bekommen. Als er hörte, was für ein leidenschaftlicher Fußballfan in mir schlummerte, überredete er seinen Pflegevater, die Karte mir zu überlassen.

    Nach dem Spiel wartete dann ein besonderes Highlight auf mich, denn wir kamen durch Zufall am Mannschaftsbus meines Teams vorbei, der von einem Hotel geparkt hatte. Die Spieler waren gerade dabei auszusteigen und steckten bereits in einer großen Menschentraube aus Fans und Bewunderern, die sich alle unbedingt ein Foto mit ihren Idolen sichern wollten. Während auch ich mit Mühe und Not ein Foto mit meiner Lieblingsspieler

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