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Mundtot auf Wangerooge: Petersens vierter Fall
Mundtot auf Wangerooge: Petersens vierter Fall
Mundtot auf Wangerooge: Petersens vierter Fall
eBook317 Seiten4 Stunden

Mundtot auf Wangerooge: Petersens vierter Fall

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Über dieses E-Book

Mitten in der Hochsaison macht eine Schulklasse während einer Wattwanderung, einen grausamen Fund. In seinem neuen Fall stößt Petersen auf ein Geflecht krimineller Handlungen, die ihn direkt in den Bereich des organisierten Verbrechens führen. Ein unverhofftes Wiedersehen, eine kämpferische junge Kollegin, ein Abstecher nach Helgoland, enge Zusammenarbeit mit der Kripo in Bremen und Oldenburg, sowie die Mitarbeit von Bundespolizei und SEK sorgen für große Spannung, als Petersen sich einmal mehr in Lebensgefahr begibt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum12. Nov. 2019
ISBN9783750251946
Autor

Malte Goosmann

Malte Goosmann ist ein pensionierter Schulleiter aus Bremen. Er studierte die Fächer Geschichte und Politik. Neben dem Schuldienst machte er in seiner Freizeit über drei Jahrzehnte Rockmusik in einer lokalen Band. Als Segler und Nordseeurlauber gilt seine Leidenschaft schon lange dem Maritimen. Auf der Nordseeinsel Wangerooge verbringt er seit Jahren mehrere Wochen des Jahres. 1999 heiratet er seine Frau Monika auf dem alten Leuchtturm. Viele geselligen Abende in den Inselkneipen inspirierten ihn zu seinem Roman "Schatten über Wangerooge".

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    Buchvorschau

    Mundtot auf Wangerooge - Malte Goosmann

    Mundtot

    auf

    Wangerooge

    Petersens vierter Fall

    *******

    Kriminalroman

    von

    Malte Goosmann

    Copyright: © 2019 Malte Goosmann

    Cover Design & Buch-Layout : Monika Goosmann

    Self-publisher

    Druck: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Titelfoto: Andree Hugel / Deichwork Wangerooge

    Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Jedwede Verwendung des Werkes darf nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung.

    1

    Es hatte aufgehört zu regnen. Der Asphalt glänzte noch nass und schwarz. Dieser Montagmorgen, Mitte des Monats August, sollte ein schöner Tag werden. Die Bedienung der Back-Factory begann damit, die Tische und Stühle auf den Bürgersteig zu stellen. Nebenan vor dem Handy-Shop stand schon eine Gruppe von Männern, die darauf wartete, Platz nehmen zu können. Der Wind hatte aufgefrischt. Die gelben Säcke für die Müllabfuhr wurden auf die Fahrbahn geweht und dort von den vorbeifahrenden Autos niedergewalzt. Der Plastikmüll verteilte sich auf Fahrbahn und Bürgersteig. Mittlerweile hatte die Gruppe von Männern an den Tischen der Back-Factory Platz genommen. Einige von ihnen hatten sich bereits mit Kaffee und belegten Brötchen versorgt. Es war noch nicht einmal 6 Uhr und die letzten Übriggebliebenen der vergangenen Nacht wankten nach Hause. Bremen-Gröpelingen ist ein Stadtteil, wie es ihn in so vielen deutschen Großstädten gibt: Abgehängt und von den Regierenden vernachlässigt. Knapp 40 % der Wahlberechtigten gingen überhaupt noch an die Urnen. In den hier existierenden Parallelgesellschaften herrschen eigene Regeln und Gesetze, ein abgeschotteter Mikrokosmos.

    Die Zahl der Männer, die sich an der Back-Factory aufhielten, war gestiegen. Jeden Morgen spielten sich hier die gleichen Szenen ab. Nicht umsonst wurde diese Ecke auch „Arbeiterstrich genannt. Eine Bezeichnung, die das, was sich hier abspielte, durchaus treffend charakterisierte. Die Männer, die an den Tischen saßen oder daneben vor dem Handy-Shop standen, warteten auf „Kunden, die ihnen für einen oder mehrere Tage schlecht bezahlte Jobs anboten. Für die meist aus Osteuropa stammenden Männer war das in der Regel die einzige Möglichkeit, an Arbeit zu kommen.

    Stanimir Yordanov und Radomil Zankov schoben ihre Reisetaschen unter den Plastiktisch und begannen, ihre belegten Brötchen zu essen. Die beiden aus dem bulgarischen Varna stammenden Männer hatten am Vortag per WhatsApp die Nachricht erhalten, dass sie für mehrere Tage auf einer Baustelle außerhalb Bremens gebucht waren. Mehrere Tage bedeutete für sie eine begrenzte Zeit lang eine sichere Einnahmequelle, wenn auch der Lohn, den sie bekamen, bei weitem nicht dem entsprach, was ihnen in Varna von dem Arbeitsvermittler versprochen worden war. Über die Art der Arbeit hatten sie keine Informationen bekommen. Bisher hatten sie auf einer Werft in Bremerhaven Tankreinigungen vorgenommen, eine äußerst schmutzige und gesundheitsgefährdende Tätigkeit. Dann waren sie auf Baustellen in der Bremer Überseestadt zum Einsatz gekommen. Unter anderem hatten sie als Trockenbauer bei der Errichtung eines Übergangswohnheimes für Flüchtlinge gearbeitet. Neidisch hatten sie die Ausgestaltung der Räumlichkeiten beobachtet. Sie selbst wohnten in einer der Nebenstraßen in Bremen-Gröpelingen in einer sogenannten Schrottimmobilie. Ein findiger Immobilienunternehmer hatte dort sanierungsbedürftige Häuser aufgekauft und diese mit rumänischen und bulgarischen Arbeitern vollgestopft. Stanimir und Radomil selbst wohnten mit vier anderen Männern in einem 35 m² großen Raum. Eine Dusche und eine Toilette mussten sie sich mit insgesamt zwölf Männern teilen. Deutschland und die dortige Arbeit war ihnen von ihrem Arbeitsvermittler völlig anders beschrieben worden. Sie seien EU-Bürger und als solche stände ihnen das Tor für eine auskömmliche Arbeit weit offen. Umso größer war nach den ersten Monaten die Enttäuschung. Lohn und Unterkunft stimmten mit ihren Erwartungen bei weitem nicht überein. Radomil drohte des Öfteren, in die Kleinkriminalität abzugleiten. Stanimir war in dieser Hinsicht gefestigter und machte sich so seine Gedanken. Sein Vater war Lehrer in Varna gewesen und ein aktiver KP Funktionär. Nach den Umwälzungen im Ostblock hatte er seinen Job verloren. Sein Sohn Stanimir hatte sein Studium an der Universität Sofia abgebrochen, um seine Familie zu unterstützen. Und so hatte Stanimir gezwungenermaßen das Angebot der Arbeitsvermittlung in Varna angenommen. Bremen war genauso wie Varna eine Hafenstadt. Der Arbeitsvermittler vor Ort hatte ihm von anspruchsvollen Tätigkeiten im maritimen Bereich vorgeschwärmt. Mit diesen Aussichten war Stanimir geködert worden. Maschinenbau, mit dem Schwerpunkt Schiffbau, war seine Fachrichtung im Studium gewesen.

    Gerade hatten Stanimir und Radomil ihren zweiten Kaffee getrunken, als ein weißer Ford Transit auf den Bürgersteig vor dem Handy-Shop vorfuhr. Für die beiden Bulgaren war das das Signal zum Aufbruch. Sie griffen sich ihre Taschen und bewegten sich in Richtung Fahrzeug. Der Fahrer des Fords war ihnen wohlbekannt. Ismail Ellek war ihr örtlicher Ansprechpartner der Arbeitsvermittlungsagentur. Ellek betrieb in Bremen eine Art Agentur für ausländische Arbeitskräfte. Er half bei Behördengängen oder beantragte Sozialleistungen bei der Agentur für Arbeit. Ellek galt bei der Bremer Politik als „Vorzeigetürke", der sich sozial engagierte und sich als gutes Vorbild für gelungene Integrationsarbeit eignete. Nach kurzer Begrüßung stiegen die beiden Bulgaren in den Ford Transit. Auf der letzten Rückbank saßen bereits drei Männer, deren nationale Herkunft für Stanimir auf den ersten Blick nicht erkennbar war. Bisher hatte Ellek auch nichts über das Ziel der Fahrt verlauten lassen, da er pausenlos mit dem Handy Telefonate führte. Stanimir fühlte sich dabei nicht sehr wohl, da Ellek den Kleinbus ausschließlich mit einer Hand fuhr, während er mit der anderen das Handy an sein Ohr hielt. Nach einer halben Stunde hatten sie die Autobahn erreicht. Stanimir, der kaum Deutsch lesen konnte, entzifferte dennoch das Schild, Oldenburg 28 Kilometer. Danach döste er vor sich hin. Ein Ruckeln ließ ihn wieder wach werden. Augenscheinlich hatten sie die Autobahn verlassen. Sie fuhren jetzt auf einer Art Allee, wobei die Bäume alle eine leichte Neigung gen Osten hatten. Nach etwa 20 Minuten tauchte eine Hinweistafel auf: Carolinensiel 8 Kilometer.

    2

    Er saß an seinem Schreibtisch und blickte aus dem Fenster. Melancholie hatte ihn erfasst. Nun war es endgültig. Wangerooge würde seine neue Heimat werden. Die Endgültigkeit seiner Entscheidung wurde ihm bewusst. Nicht, dass nun noch Zweifel an ihm nagten, denn sein Entschluss war nach eingehender Beratung und Abwägung aller Argumente gefallen. In dieser Hinsicht hatte er sich nichts vorzuwerfen, aber, wie so häufig, spielten seine Emotionen nicht mit. Der Rückweg nach Bremen war jetzt unwiderruflich abgeschnitten. Sicher, er hatte dort noch Freunde und er würde zu dem einen oder anderen Werder-Spiel ins Weser-Stadion fahren. Das Provisorium Wangerooge aber hatte ein Ende. Er würde zwar kein Insulaner werden, denn diesen Titel konnte man ausschließlich durch Geburt auf der Insel erwerben. Allerdings, „Wangerooger" hörte sich doch auch ganz gut an.

    Lars Petersen hatte lange mit sich gerungen, ob er das Angebot der Bundespolizei annehmen sollte. Nach der Vereitelung eines vermeintlichen Terroranschlags auf eine der Hauptschifffahrtsstraßen war das Bundesinnenministerium auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihm Hoffnung auf einen gehobenen Posten bei der Bundespolizei gemacht. Nach den vielen Kränkungen, die er in Bremen erfahren hatte, die dann auch noch in einer Disziplinarstrafe gipfelten, fühlte er sich geschmeichelt. Lob und Anerkennung waren für seine gekränkte Seele wertvoller Balsam. Doch so ganz verfing die Schmeichelorgie bei ihm nicht. Wollte er das eigentlich? Petersen hatte vielleicht noch acht bis neun Dienstjahre vor sich. Die Aufgaben der Bundespolizei waren ihm wohlbekannt. Brisante Einsätze wie Terrorabwehr, bundesweite Razzien gegen Clankriminalität und Abschiebungen würden dann sein tägliches Geschäft werden. Eine tiefe Unruhe hatte ihn befallen, und er hatte etwas getan, was er noch vor einiger Zeit für undenkbar gehalten hätte. Er rief seine alte Liebe Mona Behrens an, die mittlerweile frischgebackene Kommissarin war, um sie um Rat zu fragen. Vor einigen Wochen hatten sie sich in Oldenburg, in einem Lokal am Lamberti-Markt, zum Essen verabredet. Mona hatte sich aufrichtig gefreut, dass sie der „lonesome Cowboy, so sah sie Petersen, um Rat fragte. Seine emotionale Unnahbarkeit war immer ein Thema zwischen ihnen gewesen, und nun bat dieser erfahrene Polizist, von dem sie viel gelernt hatte, um Hilfe. Petersen und sie hatten dieses Treffen auf ein ausgedehntes Arbeitsessen beschränkt. Beide wussten, was bei einer Übernachtung Petersens in Oldenburg passieren würde. Sie wären mal wieder im Bett gelandet. Beide waren übereingekommen, ein sachlich konstruktives Gespräch zu führen. Diese Wortwahl Petersens hatte Mona amüsiert, aber sie sagte nichts. Zum ersten Mal hatte er sie in einem Sommerkleid gesehen. Bisher kannte er sie nur in Jeans oder in Uniform. Neben ihr war er sich in seinem viel zu kleinem T-Shirt und seiner abgewetzten Jeans komisch vorgekommen. Neben dieser äußerst attraktiven Frau, schien ihn zum ersten Mal der Altersunterschied von 30 Jahren erheblich zu belasten. Hielten die Leute im Lokal ihn vielleicht für einen „Sugardaddy, der seine gekaufte Braut ausführte? Gott sei Dank war Mona sofort zur Sache gekommen und hatte ihn aufgefordert, die Pro und Contra Argumente des Bundespolizei-Angebotes gegenüberzustellen. Petersen musste bei diesem Vorschlag grinsen. Mona wandte ihr neu erworbenes Wissen von der Polizeiakademie profimäßig an. Folgsam unterzog er sich dieser Prozedur. Die Argumente auf beiden Seiten der Liste hielten sich die Waage. Nun aber stellte sie die entscheidenden Fragen.

    „Was willst du eigentlich, was sagt dein Bauch?"

    Petersen verzog sein Gesicht und begann zu schwitzen. Mona setzte nach.

    „Ist dir in deinem Alter, entschuldige die Anspielung, Karriere noch wichtig? Fremde Umgebung, ständig wechselnde Einsatzorte bei der Bundespolizei, Misstrauen der Kollegen, was will der Inselfuzzi hier? Soweit ich es beurteilen kann, bist du auf Wangerooge ein respektiertes Mitglied der Inselgemeinde. Du bist mit deiner Gitarre in der Kulturszene verankert und nicht zu vergessen, das schöne Feierabendbier beim Magister."

    Nach diesen letzten Worten war die Entscheidung gefallen. Er würde Wangerooge nicht aufgeben.

    Gedankenversunken blickte er aus dem Fenster seines Büros. Durch die Erinnerung an dieses Treffen mit Mona war seine Melancholie verflogen. Er war sich der Richtigkeit seiner Entscheidung wieder sicher. Langsam blätterte er im Tagebuch des Reviers. Günter Naumann, der auch in diesem Sommer wieder auf der Insel aushalf, hatte Nachtbereitschaft gehabt. Außer einer Ruhestörung auf der Zedeliusstraße war nichts vermerkt. Neben dem Tagebuch lag die Akte einer Polizeischülerin, die auf Wangerooge ihr Einsatzpraktikum machen sollte. Es war nun schon das dritte Mal, dass ihnen während seiner kurzen Zeit auf der Insel eine Auszubildende bzw. Auszubildender zugewiesen wurde. Onno Behrens, der Leiter des Reviers, hatte mehrfach um personelle Unterstützung für die Sommersaison gebeten. Aber gekommen waren nur Polizeischüler. Wieder einmal fiel Petersen die Aufgabe zu, die Betreuung der Anwärterin zu übernehmen. Onno war nicht mehr voll einsatzfähig. Seine Herzschwäche machte ihm zu schaffen. In ein paar Monaten würde er in Pension gehen. Der Posten des Revierleiters war Petersen versprochen worden, und vor diesem Hintergrund konnte er sich schlecht der Praktikumsbetreuung verweigern. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er sich nun langsam in Richtung Bahnhof bewegen musste. Am „Hangar 7", dem Bahnhofskiosk, holte er sich noch eine Zeitung. Einige Vermieter warteten mit ihren Bollerwagen auf neue Gäste. Innerlich war Petersen etwas angespannt. Seine erste Anwärterin war Mona gewesen. Mit ihr hatte alles angefangen. Sie hatten sich gegenseitig das Leben gerettet und waren gemeinsam durch viele emotionale Höhen und Tiefen gegangen. Mittlerweile war sie frisch gebackene Kommissarin und arbeitete in Oldenburg im Referat für Organisiertes Verbrechen. Dann kam Anwärter Simon Bernhard, gegenüber dem Petersen sich nicht ganz fair verhalten hatte. Bernhard hatte in Oldenburg ein Verhältnis mit Mona gehabt. Nur schwer hatte Petersen seine Eifersucht beherrschen können, sondern hatte stattdessen seine ungezügelten Emotionen an dem jungen Mann ausgelassen. Für dieses Verhalten verachtete er sich noch heute.

    Das Pfeifensignal der Lokomotive der Inselbahn ertönte, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Deichschart passiert war und die Ankunft des Zuges bevorstand. Er ärgerte sich über sein flaues Magengefühl. Wenn er jetzt schon wegen der Ankunft einer Anwärterin Muffensausen bekam, war es scheinbar nicht gut um sein Nervenkostüm bestellt. Die Bremsen der Inselbahn quietschten. Der Zug war, so mitten in der Woche, nur mäßig besetzt. Die Rampe für die Rollstuhlfahrer wurde an den entsprechenden Waggon geschoben. Petersens Muskeln spannten sich an. Mit Argusaugen scannte er den Bahnsteig. Aus Richtung der Gepäckcontainer kam eine junge, mittelgroße Frau zielgerichtet auf ihn zu. Sie trug eine Art Trainingshose mit den drei Streifen an der Seite, weiße Turnschuhe und eine schwarze Jacke, die ebenfalls die drei Streifen zeigte. Sie hatte einen Rucksack auf dem Rücken und zog einen Trolley. Irgendwie erinnerte sie ihn wegen ihrer sportlichen Figur und ihres Outfits an eine Spielerin der deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen. Nun fixierte Petersen ihr Gesicht. Sie hatte eine Kurzhaarfrisur, ihre knallroten Haare leuchteten über den ganzen Bahnsteig. Ihr Gesicht hatte freundliche Züge, drückte aber auch eine gewisse Entschlossenheit aus. „Die Frau weiß, was sie will", murmelte Petersen in sich hinein. Und nun stand sie vor ihm und streckte ihm lachend ihre Hand entgegen.

    „Sie müssen Herr Petersen sein. Mein Name ist Rieke Hinrichs, Ihre neue Praktikantin."

    Ihr Händedruck war fest und stark. Für Petersen ein Zeichen für ein starkes Selbstbewusstsein, was in diesem Beruf nicht unbedingt schlecht sein musste.

    „Wo kommen Sie eigentlich her?" Petersen versuchte sich in Smalltalk.

    „Delmenhorst bei Bremen, falls Sie das kennen", kam es zurück.

    „Kenn‘ ich, ich komme selbst aus Bremen, außerdem sage ich nur Getränke Hoffmann."

    Rieke Hinrichs lachte.

    „Element of Crime, ein Kommissar, der sich in Musik auskennt."

    Das Eis schien gebrochen. Petersen war mächtig stolz auf seinen Einfall mit Getränke Hoffmann. In Höhe Leuchtturm grüßte Frank Eden vom Fahrradverleih.

    „Hier kennt wohl jeder jeden, oder?"

    „Im Prinzip ja, aber in der Saison sind die Touristen in der Mehrheit", antwortete Petersen.

    Höflich schob er noch eine Frage nach.

    „Sie sehen so sportlich aus, treiben Sie Sport außerhalb des üblichen Polizeisports?"

    „Danke für das Kompliment. Ich mach‘ in meiner Freizeit Taekwondo."

    „Oha, also richtig Kampfsport", entfuhr es Petersen.

    „Joo, ich bin so eine richtige Kampflesbe!"

    Petersen war komplett verdutzt. Ihm fehlten die Worte. Durch seine Sprachlosigkeit entstand eine peinliche Pause.

    „Jetzt sind Sie wohl schockiert, oder?", beendete Rieke Hinrichs die Stille.

    „Haben Sie was gegen Lesben, kommen wir trotzdem miteinander klar?"

    Petersen versuchte, seine Fassung wieder zu erlangen.

    „Natürlich nicht, aber warum erzählen Sie mir das?"

    „Damit Sie wissen, woran Sie sind mit mir. Ich bin für klare Verhältnisse."

    „Das spielt doch im Dienst keine Rolle und ist doch auch nicht wichtig. Ich erzähle Ihnen doch auch nicht, worauf ich beim Sex so stehe."

    Er war sich, nachdem er den letzten Satz ausgesprochen hatte, unsicher, ob er zu weit gegangen war. Hinkte sein Vergleich?

    Über Rieke Hinrichs Gesicht huschte ein breites Grinsen.

    „Wäre aber doch ganz interessant."

    Dann fing sie herzhaft an zu lachen, so dass Petersen auch grinsen musste.

    „Spaß beiseite, das war jetzt übergriffig von mir, Entschuldigung. Ich will ja nicht mit Ihnen über unsere sexuellen Orientierungen diskutieren, sondern etwas von Ihnen lernen. Manchmal spielt mir mein vorlautes Mundwerk einen Streich."

    Irgendwie huschte ein Lächeln über Petersens Gesicht. Mit dieser vorlauten Frau würde er noch viel Arbeit haben, aber einen Funken Sympathie konnte er nicht verhehlen. Sie bogen nun in die Charlottenstraße ein. Petersen zeigte auf das kleine geklinkerte Häuschen.

    „Da wird nun in nächster Zeit Ihr Arbeitsplatz sein. Eine Bitte habe ich noch, wenn ich Sie gleich den Kollegen vorstelle. Bitte nicht wieder die Lesbennummer machen."

    Rieke Hinrichs lächelte.

    „Keine Bange, Chef, das bleibt jetzt unser Geheimnis."

    Von Petersen kam nur ein kurzes „Oha."

    Die Kollegen Siebelts und Naumann schienen schon gespannt auf ihre neue Kollegin gewartet zu haben. Petersen erkannte sofort, dass sie krampfhaft so taten, als hätten sie etwas zu tun. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde Rieke Hinrichs in ihr Zweizimmerappartement im Obergeschoss der Wache geschickt. Für 15 Uhr hatte Petersen einen Inselrundgang in Uniform angesetzt. Als er wieder ins Dienstzimmer zurückkam, grinsten ihn seine Kollegen an.

    „Ich glaube, dat ist ‘ne patente Deern", kam es von Onno. Günter Naumann assistierte.

    „Scheint sportlich trainiert zu sein."

    Petersen nickte.

    „Sie macht Taekwondo", klärte er auf.

    „Wat is dat denn?", tat Onno erstaunt.

    „Das ist eine asiatische Kampfsportart", erläuterte Naumann.

    „Joo, dann haben wir ja jemanden für unsere Kneipenschlägereien."

    Onno klopfte sich auf die Schenkel. Petersen schüttelte nur den Kopf.

    „Etwas mehr Ernsthaftigkeit meine Kollegen, keine Vorschusslorbeeren, abwarten."

    Pünktlich um 15 Uhr meldete sich Rieke Hinrichs in frisch gebügelter Uniform im Dienstzimmer.

    „Dat steht dir aber", bemerkte Onno. Er handelte sich aber sogleich einen strafenden Blick von Petersen ein, der nicht einschätzen konnte, ob Rieke diese Bemerkung als frauenfeindlich empfinden würde.

    „So, nun wollen wir mal Flagge zeigen, mit diesen Worten leitete Petersen den Inselrundgang ein. Über die Charlottenstraße und die Anton-Günther-Straße gelangten sie an die Promenade. Die neue Schirmbar war gut besetzt und am Strand herrschte ein buntes Treiben. Die Volleyballfelder waren besetzt, und an den Strandkörben flatterten die Fahnen verschiedener Fußballklubs. Petersen gab, so wie er es immer machte, wenn Gäste da waren, einige kurze maritime Erklärungen zum Besten. Rieke Hinrichs lauschte gespannt seinen Ausführungen. In Höhe „Strandkorb winkten einige der üblichen Verdächtigen ihnen zu.

    „Bei den Kneipengängern scheinen Sie ja richtige Fans zu haben, kommentierte Rieke Hinrichs das Winken aus dem „Strandkorb.

    „Na ja, ich kenne hier halt viele, das bleibt auf so einer Insel nicht aus", versuchte Petersen das Winken runterzuspielen. Seine Auszubildende sollte nicht gleich den Eindruck bekommen, dass er Kneipengänger sei. Allerdings befürchtete er, dass sich dies auf lange Sicht nicht vermeiden ließ. Rieke Hinrichs setzte aber nach.

    „Was macht man denn hier abends so?"

    „‘Ne Disco gibt’s hier nicht, da muss ich Sie enttäuschen."

    „Ach so, Sie schätzen mich als Discomaus ein, das ist ja interessant."

    „Nein, wand sich Petersen, „aber junge Leute fragen das hier immer.

    „Was machen Sie denn abends, wenn Sie keinen Dienst haben?"

    Jetzt saß er in der Falle.

    „Na ja, ab und zu treffe ich mich mit meinen Musikerkumpels zum Üben. Ich spiele Gitarre, ja und nach den Proben gehen wir schon mal ein Bier trinken."

    Rieke lächelte verschmitzt. So richtig nahm sie Petersen die Antwort nicht ab. Schon bahnte sich die nächste Klippe an. Vor dem „Café Treibsand" saß der Magister bei einem Cappuccino. Petersen versuchte noch, auf die linke Straßenseite zu wechseln. Aber da war es schon passiert.

    „Meister Eder und sein Pumuckl", dröhnte es in Anspielung auf die roten Haare von Rieke Hinrichs über die Straße. Rieke drehte sich sofort zur Seite und wollte auf den Magister losgehen. Petersen zog an ihrer Uniformjacke.

    „Cool bleiben, nicht provozieren lassen, weitergehen", flüsterte er ihr ins Ohr.

    Sie ging zwar weiter, aber ihr Zorn war noch nicht verflogen.

    „Was war das denn für ein Vollpfosten, das muss man sich doch nicht gefallen lassen?"

    „Nein, das kläre ich auf meine Art. Das war der Magister, der Wirt vom „Störtebeker, so eine Art Kultfigur, der hat hier Narrenfreiheit, der leidet unter Gag Tourette.

    Gespannt wartete Petersen auf ihre Reaktion. Für einige Sekunden war Stille, dann brach ein herzhaftes Lachen aus ihr heraus.

    „Geiler Spruch, Chef! Sie haben Humor, wo haben Sie das denn her?"

    „Ist nicht von mir, hab‘ ich mal irgendwo so gehört."

    „Trotzdem darf man dem das doch nicht durchgehen lassen, antwortete Rieke, „Sie müssen das nicht für mich klären. Ich kann das schon selbst regeln, dabei stemmte sie leicht trotzig ihre Hände in die Hüfte.

    „Das glaube ich Ihnen aufs Wort bei Ihren Taekwondo-Kenntnissen. Aber als Polizist wird man häufig provoziert. Der meint das nicht böse, der ist halt so, der haut einen Spruch nach dem anderen raus, und genauso werden wir es ihm heimzahlen", zwinkerte er ihr zu.

    „Was soll das denn nun heißen?"

    „Demnächst gehen wir zusammen zu einem Feierabendbier ins „Störtebeker, halbdienstlich, vorher keine Einzelaktionen, verstanden?

    „Aye, aye Sir!"

    Irgendwie begann Rieke Hinrichs ihren Chef zu mögen.

    3

    Am nächsten Morgen saßen alle Beamten des Polizeipostens Wangerooge bei einem gemeinsamen Frühstück zusammen. Rieke Hinrichs hatte zu ihrem Einstand für Brötchen und Aufschnitt gesorgt, was bei ihren neuen Kollegen gut ankam. Zwanglos wurden die Abläufe des Dienstalltags beraten. Die junge Anwärterin bekam auf diese Art und Weise schon einen kleinen Einblick in die Polizeiarbeit auf Wangerooge. Gerade als Onno Siebelts, der formal immer noch der Dienststellenleiter war, über die Verteilung der künftigen Nachtbereitschaften referierte, klingelte das Telefon. Günter Naumann nahm das Gespräch entgegen und aktivierte sogleich die Mithörtaste. Am Apparat war der Küster der St. Nikolai Kirche, Fokko Janssen.

    „Als ich heute Morgen die Kirche aufgeschlossen habe, fehlte der Opferstock im Vorraum. Der Kasten ist fest an die Wand gedübelt. Jetzt ist er nicht mehr da. Könnt ihr euch das mal ansehen? Wer macht denn sowas hier?"

    „Bleiben Sie bitte in der Kirche. Wir kommen gleich und nichts anfassen."

    Naumann legte den Telefonhörer zurück auf die Station. Onno, als alteingesessener Insulaner, war fassungslos.

    „Haben die denn vor nichts mehr Respekt? Jetzt wird schon Spendengeld geklaut und das auf unserer kleinen Insel. Ich fasse es nicht."

    Betretenes Schweigen in der Runde. Lars Petersen beendete die Sprachlosigkeit.

    „Es hilft ja nichts. Es gibt Arbeit. Ich gehe mit der Kollegin Hinrichs zur Kirche. Wenn wir mehr Informationen haben, müssen wir einen Aufruf starten. So unter dem Motto, wer hat den Opferstock gesehen? Sachdienliche Hinweise usw. Günter, machst du das?"

    Naumann nickte. Petersen hatte, wie immer in letzter Zeit, schon die Chefrolle übernommen. Onno protestierte nicht. So kurz vor der Pensionierung hatte er nicht mehr die Kraft für solche Aktionen.

    „Wo ist eigentlich unser Spurensicherungskoffer?", fragte Petersen.

    Onno ging an den

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