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Die Spur des Wolfes: Im Spessart lauert der Tod. Ein Simon Kerner Thriller
Die Spur des Wolfes: Im Spessart lauert der Tod. Ein Simon Kerner Thriller
Die Spur des Wolfes: Im Spessart lauert der Tod. Ein Simon Kerner Thriller
eBook321 Seiten4 Stunden

Die Spur des Wolfes: Im Spessart lauert der Tod. Ein Simon Kerner Thriller

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Über dieses E-Book

Fünf Jahre wartet er im Gefängnis mit der Geduld eines Raubtieres. Schließlich bietet sich ihm seine Chance zur Flucht und er entkommt in die Wälder des Spessarts.
Kurz darauf bricht aus einem Forschungsgehege das Leittier eines Wolfsrudels aus und verschwindet im Dickicht des Waldes.
Zur gleichen Zeit treffen sich am Rande des Spessarts vier undurchsichtige Männer, um eine geheimnisvolle Mission auszuführen.
Und plötzlich beginnt für Staatsanwalt Kerner und und seine Freundin Steffi ein Kampf ums nackte Überleben, der in einem dramatische Finale endet.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Apr. 2016
ISBN9783429062552
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    Buchvorschau

    Die Spur des Wolfes - Günter Huth

    Sechs Jahre zuvor

    Es war fünf Uhr morgens und kühl. Im Dämmerlicht waberten fetzige Nebelschleier über die große Waldlichtung am Eichenschlag und ließen die dreizehn Stück Rotwild, die auf ihr ästen, im ersten Dämmerlicht wie gespensterhafte Schemen erscheinen. Die schwache Brise war kaum spürbar und trug die Witterung des Jägers weg vom Wild, nach hinten in den Wald. Forstrat Volker Wohlfahrt saß auf der hohen Jagdkanzel am Rande der Lichtung und war sich sicher, das Wild konnte ihn nicht wittern. Gut fünfzig Schritte waren es bis zum ersten Alttier, einer erfahrenen Hirschkuh, die das Rudel anführte. Deutlich konnte er hinter ihr das Kalb erkennen, das der Mutter nicht von der Seite wich.

    Wohlfahrt würde Ende des nächsten Monats in den Ruhestand treten und hatte von seiner oberen Dienstbehörde letztmals einen reifen Hirsch zum Abschuss freigegeben bekommen. Ein übliches Verfahren bei verdienten Beamten.

    Plötzlich wurde die Stille des Septemberwaldes von einem tiefen, orgelnden Röhren zerrissen. Wohlfahrt lief ein Schauer über den Rücken. Da war er, der bejahrte Brunfthirsch, und schrie seinen Herrschaftsanspruch auf das Rudel in den Wald hinein. Es dauerte nur einen Moment, dann kam aus weiterer Ferne Antwort. Ein Rivale sagte dem Platzhirsch den Kampf an, um ihm die Herrschaft über das Rudel streitig zu machen. Erneut gab der starke Hirsch Antwort. Er stand nur in geringer Distanz zum Jäger in einer Buchenaufforstung, noch immer durch den Nebel unsichtbar. Das Archaische dieses Vorgangs versetzte Wohlfahrt in fast unerträgliche Spannung. Dieser Sechzehnender ließ ihn schon seit drei Stunden hier an der Wildwiese ausharren. Der Hirsch war alt und seine Tage, in denen er der Herr über dieses Rudel sein konnte, waren sicher gezählt. Plötzlich hörte er trommelnden Hufschlag. Der Platzhirsch verließ galoppierend seine Deckung. Als er abrupt stoppte, konnte Wohlfahrt ihn sehen. Wie ein Denkmal stand er im Nebel, dann senkte er sein Haupt und gab einer der Kühe einen unsanften Stoß mit seinem Geweih, damit sie näher zum Rudel aufschloss. Er musste seinen Harem zusammenhalten. Im vollen Bewusstsein seiner Stärke hob er sein gewaltiges Haupt, dass die Geweihstangen fast seinen Rücken berührten, und röhrte seine Kampfansage in mehreren Intervallen in den Himmel. Sein heißer Atem stand dabei wie eine Wolke vor seinem Äser. Der Förster spürte das Vibrieren der Kanzel. Gewaltsam riss er sich aus seiner Faszination und hob das Gewehr. Er wollte den alten Recken mit einem sauberen, schnell tötenden Blattschuss erlegen.

    Während er noch durch das Zielfernrohr die Stelle suchte, hinter der das Leben schlug, machte der Hirsch plötzlich einen steilen Satz nach oben, dann nach vorne, tat noch zwei weite Sprünge, um dann unvermittelt zusammenzubrechen. Er schlegelte noch einige Male auf der Seite liegend, mit den Hinterläufen, dann war Stille. Der Vorgang lief so schnell ab, dass der Mann auf der Kanzel überhaupt nicht erfassen konnte, was hier geschehen war. Er hatte ja nicht geschossen und trotzdem war ihm klar, irgendetwas musste den Hirsch tödlich getroffen haben. Aus heiterem Himmel, wie vom Blitz erschlagen. Wie konnte das sein?

    Der Hufschlag des flüchtenden Rotwildrudels riss Wohlfahrt aus seiner Erstarrung. Zorn kam in ihm hoch. Er sicherte sein Gewehr und machte sich an den Abstieg. Er hatte einen schlimmen Verdacht. Ohne große Überlegung stürmte er vorwärts. In seiner Amtszeit hatte es in seinem Zuständigkeitsbereich mehrmals Hinweise auf Wildereraktivitäten gegeben. In den letzten beiden Jahren wieder häufiger. Starke Hirsche, die dem Forstamt bekannt waren, verschwanden plötzlich von der Bildfläche und wurden nicht mehr gesehen. Forstarbeiter stießen im Wald auf Innereien von Rotwild, die jemand verscharrt hatte. Die Füchse gruben sie wieder aus und zerrten sie ans Tageslicht. Die Förster vermuteten, dass hier eine ganze Bande am Werk war, denn für eine Einzelperson war ein starker Hirsch, der deutlich mehr als zwei Zentner wiegen konnte, kaum zu transportieren. Gesehen hatte man diese Kerle jedoch noch nie. Eines war klar, sie waren ortskundig und im höchsten Maß gerissen. Damals erkannte man die Wilderer an einer ganz speziellen Handschrift: Sie töteten das Wild mit Pfeil und Bogen und führten dabei einen großen Hund mit sich, der ihnen offenbar ihre Beute zutrieb.

    Wider alle Regeln der Vernunft hastete der alte Förster zu der Stelle, wo der Hirsch zusammengebrochen war. Plötzlich begann sein Herz schneller zu schlagen. Im Nebel erkannte er eine menschliche Gestalt, die sich über den Wildkörper beugte. Sie war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Wohlfahrt war klar, er handelte extrem leichtsinnig. Normalerweise hätte er sich zurückziehen und über sein Handy die Polizei verständigen müssen. Damit war aber die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Wilddiebe verschwunden waren, ehe die Ordnungshüter eintrafen. Er entschloss sich zu handeln. Mit der Waffe in Vorhalte näherte er sich langsam dem Menschen in Tarnkleidung. Unvermutet trat er auf einen trockenen Zweig, der krachend brach. Der Mann richtete sich erschrocken auf. Wohlfahrt sah in der Hand des Kerls ein großes Messer aufblitzen, mit dem der sich an dem Hirsch zu schaffen gemacht hatte. Sein Gesicht hatte der Wilderer mit Farbe unkenntlich gemacht. Er musste älter sein, denn unter seiner Basecap quollen graue Haare hervor. Wohlfahrt zögerte nicht länger, die Situation war eindeutig. Hier in seinem Zuständigkeitsbereich hatte er Polizeigewalt. Angriff war die beste Verteidigung.

    „Halt! Lassen Sie das Messer fallen und heben Sie die Hände hoch. Ich bin hier der Förster und bewaffnet! Ich verhafte Sie wegen Jagdwilderei!"

    Das Gewehr hielt Wohlfahrt im Hüftanschlag. Innerlich ärgerte er sich, seine Pistole nicht mit zur Jagd mitgenommen zu haben. Diese kurze Waffe wäre in der jetzigen Situation wesentlich besser zu handhaben gewesen. Deutlich spürte er die Spannung, die sich zwischen ihm und dem Mann aufbaute. Der Wilderer machte keinerlei Anstalten, das Messer fallen zu lassen. Er schien zu überlegen. Langsam ging der Förster einige Schritte näher. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er das Gesicht des Mannes zu erkennen, aber das war unmöglich. Zudem hatte er den Schirm der Basecap tief ins Gesicht gezogen.

    „Los, sofort die Waffe weg, befahl Wohlfahrt erneut, „… flach auf den Bauch legen, Arme und Beine abgespreizt! Aber ein bisschen plötzlich!

    Jetzt erst entdeckte er die zweite Gestalt, die sich ein Stück von der ersten entfernt aus dem Nebel herausschälte. Der Forstmann erschrak. Offenbar hatte er es tatsächlich mit einer Bande zu tun. Der Gewehrlauf schwenkte zwischen den beiden Männern hin und her. Jetzt wurde die Situation kritisch. Allerdings konnte er bei dem zweiten Wilderer keine Waffe erkennen.

    „Für dich gilt das Gleiche!, stieß Wohlfahrt hervor. „Hinlegen! Im Augenblick wusste er nicht, wie er diese schwierige Situation meistern sollte. Er hatte zwar sein Handy dabei, aber in seiner jetzigen Lage konnte er nicht telefonieren. Dazu hätte er sein schweres Gewehr mit nur einer Hand halten müssen und das war unmöglich. In diesem Augenblick raschelte links von ihm das Laub. Gleichzeitig vernahm er ein tiefes, bösartiges Knurren. Erschrocken fuhr der Forstbeamte herum. Der Lauf seines Gewehres schwenkte unwillkürlich mit. Weniger als zehn Meter von ihm entfernt stand sprungbereit ein großer, dunkler Hund, der ihn mit gefletschten Zähnen anstarrte. Es war abzusehen, dass er jeden Augenblick angreifen würde. Die Gedanken wirbelten wild durch den Kopf des Försters. Was sollte er tun? Das war eine verdammte Zwickmühle! Er durfte die beiden Wilderer nicht aus den Augen lassen, musste aber auch auf den Hund aufpassen. In Sekundenbruchteilen traf sein Gehirn eine Entscheidung und übertrug diese auf seinen Finger am Abzug. Der Schuss brach und der Knall fand im Wald ein vielfaches Echo. Hastig wollte er eine neue Patrone ins Patronenlager repetieren, als er auch schon einen harten Schlag gegen seine Brust bekam, der von einem schrecklichen Schmerz begleitet wurde. Wohlfahrt hatte das Gefühl, als würde es ihm die Lunge zerreißen. Sein Gewehr fiel ins Gras, weil seine Hände instinktiv an seine Brust fuhren. Im gleichen Moment war der große Hund heran. Sein Schuss war offenbar wirkungslos in die Wiese gegangen. Mit voller Wucht sprang das Tier den Förster an und warf ihn auf den Rücken. Eine Sekunde später gruben sich die scharfen Zähne des Hundes tief in die Kehle des Mannes, zerquetschten seinen Kehlkopf und rissen ihm die Halsschlagader auf.

    „Grauer zurück! Aus!" Trotz seiner Panik hörte Wohlfahrt die laute befehlende Stimme. Verzweifelt versuchte er mit schwindender Kraft das Tier von sich zu zerren. Doch der zangenartige Griff der Kiefer verstärkte sich noch. Ein heftiger Schmerz fuhr ihm ins Gehirn. Wohlfahrt bekam keine Luft mehr, weil ihm die Luftröhre abgedrückt wurde. Schnell verfiel er in eine Art Agonie. Sekunden später verlor er das Bewusstsein.

    Er bekam nicht mehr mit, wie der zweite Mann herangerannt kam und mit harter Hand den Hund zurückriss, damit er von seinem Opfer abließ.

    „Verdammte Scheiße!, fluchte der Jüngere und leuchtete mit einer Taschenlampe auf den Förster, aus dessen Halsschlagader das Blut stoßweise in die Wiese lief. Aus seiner Brust ragte der hintere Teil eines Pfeils. „Er stirbt! Vater, warum hast du geschossen? Der Graue hätte den Kerl doch an den Boden genagelt.

    „Ich wollte verhindern, dass er noch einmal schießt!, knurrte der Ältere und ließ den Bogen wieder ins Gras fallen, von wo er ihn gerade aufgenommen hatte, als der Förster durch den Hund abgelenkt wurde. „Los, wir müssen den Hirsch zerlegen und abtransportieren. Es wird schnell heller. Für den da können wir nichts mehr tun. Er spuckte ins Gras und wandte sich wieder dem Wildkörper zu.

    Der Jüngere starrte den sterbenden Forstmann an, der noch einige Male mit den Beinen zuckte und dann still lag.

    Nachdem der Hirsch zerlegt war, trat der Ältere an den Toten heran, setzte seinen linken Schuh auf dessen Brust und zog mit einem Ruck den Pfeil aus der Brust.

    Als Volker Wohlfahrt am Morgen nicht zum Forstamt zurückkehrte und auch über Handy nicht zu erreichen war, fuhr sein Nachfolger mit dem Jeep in den Wald hinaus, um nachzusehen. Wenig später fand er den Kollegen in seinem Blut. Das abgefeuerte Gewehr und die Spuren im Gras ließen darauf schließen, dass hier offenbar eine schreckliche Auseinandersetzung stattgefunden hatte. Der Forstbeamte suchte eine Stelle mit Handyempfang und alarmierte die Polizei.

    Ein gutes Jahr danach

    Der alte, dunkelgrüne Renault 4 preschte mit so hoher Geschwindigkeit über den geschotterten Forstweg, dass die Bodenhaftung der Räder gerade noch so eben gewährleistet war. Die Steine des Untergrunds schlugen mit der Kadenz eines Maschinengewehrs gegen den Unterboden und machten eine normale Verständigung im Inneren unmöglich.

    Trotz des Lärms hörten die beiden Insassen deutlich das Heulen der Polizeisirene des sie verfolgenden Einsatzfahrzeugs. Der Streifenwagen mochte vielleicht zwei-, dreihundert Meter zurückliegen. Nur durch eine für die Verfolger kaum zu kalkulierende Irrfahrt über schwer passierbare Waldwege hatten sie diese Distanz aufbauen können. Der R 4 war dem verfolgenden BMW zwar an Schnelligkeit absolut unterlegen, auf dem schwierigen Gelände nutzte dem Streifenwagen seine höhere Leistungsfähigkeit allerdings nicht viel. Der kleine Franzose war hochbeiniger und konnte die ausgefahrenen Waldwege verhältnismäßig schnell passieren, während der Fahrer der Polizeilimousine höllisch aufpassen musste, dass er nicht aufsetzte. Hinzu kam, dass einer der beiden im Renault den Wald wie seine Westentasche kannte. Der Forstweg mündete etwas später auf eine Staatsstraße, der sie zwei Kilometer folgen mussten, um dann auf der anderen Seite wieder in den Wald eintauchen zu können. Es war ein Wettrennen gegen die Zeit. Sie mussten unbedingt schneller sein als die Polizei, die mit Sicherheit gerade dabei war, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften in der Umgebung Straßensperren zu errichten.

    Der Mann auf dem Beifahrersitz gab der Fahrerin ein Zeichen. Die Staatsstraße war nur noch zweihundert Meter entfernt. Als der Mann durch die Bäume voraus die blinkenden Blaulichter erkannte, stieß er einen heftigen Fluch aus. Offenbar waren sie tatsächlich schon dabei, diese Straße zu sperren. Sie hatten verdammt schnell reagiert!

    „Mist, wir müssen durchbrechen!", schrie er gegen den Krach an und gab der Fahrerin ein Zeichen, dass sie am Ende des Forstweges nach rechts auf die Staatsstraße abbiegen solle. Die junge Frau hinter dem Steuer nickte mit weit aufgerissenen Augen. Sie hielt das Lenkrad mit beiden Händen umkrampft, um nicht die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Die extrem weiche Federung des Franzosen verstärkte das Gefühl, auf einem Boot in stürmischer See zu sitzen. Ihr Gesicht war vor Konzentration verzerrt. Sie sah das dunkle Band der Straße kommen, trat etwas überhastet auf die Bremse, zerrte die Revolverschaltung in den nächstniedrigeren Gang, riss das Steuer nach rechts und trat das Gaspedal wieder voll durch. Der R 4 übersteuerte kurzzeitig und das Heck drohte auszubrechen. Sie gab stur Vollgas und der Frontantrieb ermöglichte es ihr, den Wagen wieder voll in den Griff zu bekommen. Jetzt erst erfasste sie die Szene auf dem Asphalt in Gänze. Offenbar waren etwa hundertfünfzig Meter vor ihnen zwei Einsatzfahrzeuge gerade dabei, sich auf der Fahrbahn quer zu stellen, um eine Straßensperre zu bilden. Durch das Heranstürmen des R 4 konnten sie den Vorgang allerdings nicht ganz abschließen. Zwischen den beiden Streifenwagen klaffte noch eine Lücke, welche die Beamten jetzt hektisch zu schließen versuchten, indem sie sich mit gezogenen Waffen im freien Raum postierten. Der Beifahrer sah bei den Beamten Maschinenpistolen. Einer hielt eine rot leuchtende Polizeikelle in die Höhe und forderte damit hektisch winkend die Fahrzeuginsassen auf abzustoppen.

    „Wir müssen durchbrechen, sonst haben sie uns!", brüllte der Mann.

    Als offensichtlich war, dass der Wagen nicht anhalten würde, kniete einer der Beamten nieder und gab einen Feuerstoß aus seiner Maschinenpistole ab. Zwei andere Polizisten schossen mit ihren Pistolen. Sie hielten tief, weil sie die Vorderreifen treffen wollten, verfehlten aber ihr Ziel. Einige Projektile schlugen wirkungslos in die Karosserie ein, dann war die Distanz zusammengeschrumpft und die Beamten mussten sich in letzter Sekunde durch hastige Sprünge zur Seite in Sicherheit bringen.

    Der Renault raste durch die bestehende Lücke. Das Blech der Fahrzeuge kreischte auf, als der kleine Wagen beiderseits an den Stoßstangen der Streifenwagen entlangschrammte und sie ein Stück zur Seite schleuderte. Dabei verlor er nur geringfügig an Geschwindigkeit. Mit eiserner Hand hielt sie den Wagen in der Spur, der für einen Moment ausbrechen wollte.

    Bis die Beamten sich wieder aufgerappelt hatten und die ersten Salven hinter dem Fluchtfahrzeug herfeuerten, hatte dieses fast die nächste Kurve erreicht. Drei, vier Projektile schlugen blechern in die Heckklappe ein, blieben aber anscheinend in den Polstern der Rücksitze stecken.

    Die Anspannung der männlichen Person entlud sich in einem lauten, triumphalen „Ja!". Die Frau gab weiter konzentriert Gas. Sie sagte nichts, aber ihre Nerven waren bis zum Äußersten angespannt.

    „In ungefähr zweihundert Metern kommt eine Rückegasse. Fahr da ein Stück rein und halte an. Ich verschwinde dann, erklärte er knapp. „Ehe die Bullen merken, dass sie uns auf den Leim gegangen sind, bin ich in Sicherheit. Du fährst dann auf dieser Rückegasse weiter. Sie führt den Hang hinauf, dabei schneidet sie mehrere Forstwege. Aber die alte Kiste müsste das schaffen. Nimm die Schleichwege am alten Steinbruch entlang, dann verstecke dich mit dem Wagen in einer Dickung, bis es dunkel wird. Erst dann kehrst du zu eurem Hof zurück. Mit Sicherheit werden sie dort auf dich warten. Wenn sie dich in die Mangel nehmen, sag einfach, ich hätte dich zu allem gezwungen. Ansonsten schweigst du. Da können sie dir nicht viel anhaben.

    Durch das offene Fenster vernahm er ein knatterndes Geräusch. Er spähte nach oben. Über ihnen schwebte ein Hubschrauber. Verflucht, das hatte ihm gerade noch gefehlt.

    „Anna, da rein!", schrie er und deutete auf einen schnell herannahenden schmalen Waldweg. Die junge Frau zwang den schwankenden R 4 in die Rückegasse. Sie fuhr mit verminderter Geschwindigkeit die Gasse ein Stück weit entlang, dann bremste sie ab. Er beugte sich herüber, gab ihr schnell einen Kuss, dann riss er die Tür auf und sprang hinaus. Über sich hörte er nach wie vor den Hubschrauber, der aber wegen des dichten Blätterdaches praktisch keine Sicht auf den Boden hatte. Ihm war aber klar, dass die Piloten geländegängige Einsatzfahrzeuge aus der Luft einweisen würden.

    „Anna, fahr jetzt weiter. Wie besprochen bleibe ich so lange im Wald, bis einigermaßen Gras über die Sache gewachsen ist. Irgendwann hole ich dich, dann gehen wir ins Ausland. So, jetzt muss ich aber verschwinden! Ich liebe dich."

    „Wolfi, bitte sei vorsichtig!, rief sie. „Ich liebe dich auch!

    Er warf ihr ein Lächeln zu und griff sich vom Rücksitz seine Ausrüstung. Mit Schwung schulterte er einen Rucksack, dann drückte er die Türen leise zu. Ein kurzes Winken, dann marschierte er einen sanft ansteigenden Spessarthang hinauf. Einen Steinwurf weit entfernt nahm ihn eine Dickung auf und entzog ihn endgültig seinen Verfolgern aus der Luft. Nachdem er innerhalb der Dickung eine längere Strecke zurückgelegt hatte, blieb er auf einer freien Stelle stehen und kontrollierte seine Ausrüstung. Im Köcher steckten zwanzig Jagdpfeile. Ihre rasiermesserscharfen Spitzen trugen Schutzhüllen, damit man sich nicht an ihnen verletzte. Der Langbogen steckte entspannt in einem schlanken Etui. Mit wenigen Handgriffen konnte er einsatzbereit gemacht werden. Sein langes Jagdmesser hing am Gürtel. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass alles einsatzbereit war, marschierte er bis zum Ende der Dickung. Vorsichtig blieb er zwischen den Randbäumen stehen und spähte hinaus in den Hochwald. Kurz orientiere er sich, dann legte er beide Hände wie einen Schalltrichter an den Mund, legte den Kopf in den Nacken und stieß ein lautes Heulen aus. In mehreren Intervallen hob und senkte sich seine Stimme. Dann brach er ab und lauschte. Kurz darauf wiederholte er den Vorgang. Er wusste, dass der Schall von dieser Anhöhe aus ziemlich weit trug. Nach der dritten Wiederholung wartete er. Als er nach einiger Zeit aus der Ferne eine Antwort bekam, huschte ein schmales Lächeln über sein Gesicht. Es geschah fast lautlos. Plötzlich tauchte neben ihm im Unterholz ein großer, dunkler Schatten auf. Der Wolfshund gab ein hohes Winseln von sich, während er den Mann mit gesenkter Rute, angelegten Ohren und leicht geduckter Haltung begrüßte. Der Mann griff ins Fell des Wolfshundes und zauste es rau, aber herzlich. „Brav, mein Grauer. Ich freue mich ja auch, dich wiederzusehen."

    Die junge Frau gab wieder Gas und der unverwüstliche R 4 zog zuverlässig die Rückegasse entlang. Jetzt, wo der Mann das Fahrzeug verlassen hatte, konnte sie ihrem Schmerz nachgeben. Keuchend verzog sie das Gesicht und griff mit der rechten Hand nach ihrer linken Schulter. Betroffen warf sie einen kurzen Blick auf das Blut an ihren Fingern. Offenbar hatte eines der Projektile, die die Polizisten auf das Auto abgefeuert hatten, noch genug Kraft besessen, um in ihre Schulter einzudringen. Wie es sich anfühlte, steckte es oberhalb des Schulterblattes in der Muskulatur. Zum Glück hatte es Wolfgang Hasenstamm, ihr Gefährte, wegen der stressigen Flucht nicht bemerkt, sonst hätte er sie sicher nicht verlassen. Sie biss die Zähne zusammen. Die Wunde war ziemlich schmerzhaft, aber wahrscheinlich nicht sehr gefährlich. Sie musste noch eine Weile durchhalten, ehe sie sich zuhause in die Obhut eines Arztes begeben durfte. Der Renault zog jetzt einen Hang hinauf. Der Hubschrauber schwebte weiterhin über ihr. Wolfgangs Einschätzung traf zu. Wegen des Blätterschirms war es ihnen verborgen geblieben, dass er das Fahrzeug verlassen hatte.

    Hasenstamm hatte sie auf dem Kirchweihfest vor zwei Jahren kennengelernt. Sie war mit Freunden auf dem Fest, weil sie dort ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag feierte. Es war ein fröhlicher Abend und sie hatte viel getanzt. Die Toilettenanlagen der Gastwirtschaft, in deren Saal die Veranstaltung stattfand, lagen jenseits des Hofes in einem Anbau. Als sie die Örtlichkeiten aufsuchen musste, wurde sie von einem betrunkenen Festbesucher, der im Dämmerlicht des schlecht beleuchteten Hofes herumlungerte, belästigt und begrapscht. Sie wehrte sich zwar heftig, kam aber gegen die Kräfte des Mannes nicht an. In diesem Augenblick trat Wolfgang Hasenstamm wie aus dem Nichts hervor und schnappte sich den Burschen. Er prügelte ihn windelweich und gab ihm zum Schluss einen Tritt in den Hintern, der ihn auf den Heimweg beförderte. Von diesem Tag an waren sie und Wolfi zusammen. Erst nach und nach erfuhr sie von der gefährlichen Obsession, die ihren Freund beherrschte. Und sie bekam mit, welchen negativen Einfluss Wolfgang Hasenstamms Vater Richard auf seinen Sohn hatte. Immer wieder versprach er ihr, mit der Wilderei aufzuhören, immer wieder wurde er rückfällig. Lange Zeit konnten sich Vater und Sohn der Polizei entziehen. Irgendwann musste etwas Gravierendes passiert sein, etwas, worüber er nicht mit ihr sprach, etwas, das ihn aber sehr belastete. Die Polizei intensivierte ihre Verfolgung. Auch sie wurde mehrmals vernommen, leugnete aber jede Verbindung. Anscheinend wurde sie in der Folgezeit überwacht. Aber immer wieder war es ihr gelungen, sich heimlich mit Wolfgang im Wald zu treffen. Heute war die Falle nun zugeschnappt. Sie hatte sich mit Hasenstamm in ihrem Auto an einer verborgenen Stelle im Wald getroffen. Auf der Rückfahrt war ihnen plötzlich ein Polizeifahrzeug gefolgt. In ihrer Verblendung sah sie für sich keine andere Wahl, als ihm zur Flucht zu verhelfen.

    Nur mit eisernem Willen konnte sie den zunehmenden Schmerz ertragen, der durch das Holpern des Wagens noch verstärkt wurde. Plötzlich registrierte sie, dass sie sich kurz vor dem ihr bekannten aufgelassenen Steinbruch befand, den sie laut Wolfgang oberhalb der Abbruchkante passieren sollte. Der Boden war rutschig vom letzten Regen und verlangte von ihr volle Konzentration. Plötzlich bemerkte sie im Rückspiegel zwischen den Bäumen eine Bewegung. Erschrocken stellte sie fest, dass ihr ein geländegängiges Polizeifahrzeug folgte und zügig immer näher kam. Offenbar hatte sie der Hubschrauber doch gesehen. Sie gab zwar Gas, aber ihr war klar, dass sie auf Dauer gegen den Geländewagen keine Chance hatte. Sie wollte ihre Festnahme aber so lange wie möglich hinauszögern, damit Wolfi einen ausreichenden Vorsprung bekam.

    Die Absturzkante des alten Steinbruchs war nicht abgesichert. Wer sich hier nicht auskannte, lief Gefahr, in den Abgrund zu stürzen. Wenn die Polizisten die Gefahr bemerkten, würden sie vielleicht aufgeben.

    Trotz der Schmerzen in ihrer Schulter hielt sie das Lenkrad eisern fest, damit der R 4 wenige Meter vom Abgrund entfernt die Spur hielt. Mit einem Blick in den Rückspiegel konnte sie sich davon überzeugen, dass das Verfolgerfahrzeug tatsächlich anhielt. Sie erschrak, als sie eine durchdringende Lautsprecherstimme hörte, die sie aufforderte, auf der Stelle anzuhalten und sich zu ergeben. Die Warnung wurde wiederholt. Mit entschlossener Miene fuhr sie weiter. Bald hatte sie die gefährliche Stelle hinter sich. Da hörte sie einen lauten Knall. Im gleichen Augenblick ging durch den Wagen ein Ruck und das rechte Hinterrad rutschte weg. Mit einem schnellen Blick in den Rückspiegel entdeckte sie einen Uniformierten, der mit einem Gewehr im Anschlag neben dem Geländewagen stand. Es gab keinen Zweifel, er hatte ihr einen Hinterreifen zerschossen. Sofort schob die Felge des zerstörten Rades das Auto auf den Abgrund zu. Sie versuchte das Steuer herumzureißen, um nach links vom Abgrund wegzukommen. Der Rest ging blitzschnell. Sekunden später kippte der R 4 im Zeitlupentempo über den Rand, und stürzte dann, immer schneller werdend, in den Abgrund. Zwanzig Meter tiefer schlug der Wagen, der sich im Fall leicht zur Fahrerseite hin gedreht

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