Bevor mir die Worte ausgehen: Ausgewählte Texte der letzten zwanzig Jahre
Von Walter Beutler
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Über dieses E-Book
Die Ernte aus zwei Jahrzehnten Leben mit der Sprache.
Walter Beutler
1956 in Basel geboren. Drei Jahre später an Kinderlähmung erkrankt und seither Rollstuhlfahrer. Zwar im Heim aufgewachsen, aber trotzdem ohne Bitterkeit. Zwar ein Mensch mit Körperbehinderung, aber trotzdem nicht behinderter als andere auch. Dann Zickzackkurs durchs Leben: Gymnasium, Studium der Biologie und Ethnologie (ohne Abschluss), Strassenmusik, wilde Achtziger. Reisen, Reisen, Reisen. Übersetzerdiplom mit Spanisch und Französisch als Fremdsprachen. Ein Leben lang militanter Leser, immer wieder Korrekturlesen, auch Lektorat. Schreibversuche seit früher Jugend, doch nie etablierter Schriftsteller geworden. Dafür immer wieder Kolumnen und Beiträge in verschiedenen kleineren Zeitschriften und Verbandsorganen. Sachbearbeiter in einer Druckerei als Brotberuf. Schliesslich Blogger aus ganzer Seele. In den letzten Jahren etwas ruhiger geworden - und innerlich bewegter, vertiefter. Noch immer suchend, noch immer vom Leben berührt.
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Buchvorschau
Bevor mir die Worte ausgehen - Walter Beutler
INHALT
Vorwort
Über das Schreiben
Kurzware
Du
Ich
Aus dem Tagebuch
Behinderung
INHALT
Vorwort
Über das Schreiben
Die Geburt einer neuen Welt
Ein Lob dem herzhaften Text
Das Luftige und das Harte
An meinen Nachlassverwalter
Der Schreibtisch – Blick in meine Alltagswelt
Aus dem Sudelheft
Gegen das Verschwinden
Kurzer Versuch über das Schreiben
Sehnsucht nach Poesie
Entzauberung
Kurzware
Aufruf zur Rückeroberung der Sprache
Bekenntnis
Heute Morgen
Willkommen, Zukunft
Tanz mit dem Frühling
Osterfrage
Sommer-Notiz
Herbstlicht
Herbst-Notiz
Gedanken im Schneegestöber
Meine Seele im Wechsel der Jahreszeiten
Augenblicke des Glücks
Plädoyer für die Globalisierung
Sehnsucht
Gebet
Du
Deine Abwesenheit
Beim Blättern im Tagebuch
Der Weg zu dir
Erinnerung ans Glück
Schicksalsjahr
Ich
Der sicherste Ort
Vom Loslassen
Erinnerungen ans Kinderspital Basel
Sonntage oder: Der traurigste Tag der Woche
Mein gebrechlicher Körper
Mein Rückgrat
Über meine Spiritualität
Sterben und Tod – eine Annäherung
Aus dem Tagebuch
Eine unverfängliche Beobachtung
Koketterie auf der Autobahn
Zeitlose Instanz
Horizonterweiterung
Der Mensch als Individuum und als Kollektiv
Gedanklich entfliegen
Der Eros des Denkens
Reine Lebensfreude
Beim Zählen meiner Gedanken
In der Stille zu Hause sein
Behinderung
Über das Gehen – Betrachtungen eines Rollstuhlfahrers
Abenteuer Behinderung
Gibt es im Paradies Menschen mit Behinderung?
Die Menschwerdung eines Behinderten
«Die integrieren auf Teufel komm raus»
Drei Aspekte von Behinderung
Inhalt
Danke!
Über mich
VORWORT
Was hier vorliegt, könnte man auch Sammelsurium nennen: ein Sammelsurium von längeren und kürzeren Texten, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden, teilweise schon auf meinem Blog oder in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht, zu einem guten Teil aber noch unveröffentlicht sind. Meine Lektorin hat mir davon abgeraten, diesen Begriff zu verwenden, entwerte er doch, was hier vorliegt. Die Gruppierung und Zusammenstellung sei alles andere als beliebig, folge vielmehr einer klaren Dramaturgie. Recht hat sie. Und ich möchte mich bei ihr bedanken, dass sie mich sprachlich immer wieder vor mir selbst geschützt hat.
Vom Sinnspruch bis zum autobiografischen Bekenntnis, von der Reflexion über das Schreiben hin zur ironischen Betrachtung über das Gehen aus Sicht eines Rollstuhlfahrers: Unterschiedlicher könnten die Texte nicht sein, die hier versammelt sind. Doch sie sind aus derselben Notwendigkeit entstanden, wie etwa der Bauer das Korn sät oder die Weiden pflegt. Er muss auch den Traktor warten, das Dach über dem Stall ausbessern und den Mist führen. So wie ich nicht darum herumkomme, noch ein Plädoyer für die Globalisierung zu schreiben oder eine Weile gedanklich zu entfliegen, bevor ich mit einem Seufzer der Erleichterung mein Notizbuch schliesse.
Die vorliegende Sammlung ist denn auch die Ernte aus zwei Jahrzehnten Leben mit der Sprache, eine Ernte, eingebracht in die Scheuer, bevor der Winter kommt. Nicht ausgeschlossen, dass es wieder Frühling wird. Doch diese Lese ist schon mal im Trockenen und kann während des Winters nähren und Wärme spenden.
Walter Beutler, Dezember 2021
Über das Schreiben
Die Geburt einer neuen Welt
Das weisse, unbeschriebene Blatt als Faszinosum, als offenes Fenster hinaus auf eine Landschaft, die erst noch entstehen muss und die es so noch nie gegeben hat. Mit dem ersten Wort, dem ersten Satz gebe ich dieser Landschaft eine Farbe, setze vielleicht ein paar dunkle Steine auf einen Talboden, nicht kantig, vielmehr vom Wasser über Jahrtausende gerundet. Liegen die ersten Steine, folgt mit einer gewissen Logik der Wasserlauf, der sich zwar immer wieder neue Wege bahnt, aber im Talboden gefangen bleibt und nicht bergauf fliessen wird. Dann die Bergflanken, steil und scheckig mit saftigen Wiesen und schwarzen Waldpartien, aufstrebend bis zu den baumlosen Gipfeln. Irgendwo tost ein Wasserfall, der nicht zu sehen ist. Mit ein paar kräftigen Sätzen sind auch die Bewohnerinnen und Bewohner dieser zeitlosen Landschaft eingeführt: Nachfahren von Bauernfamilien, die vor Jahrhunderten in sicherem Abstand zum Bergbach ein kleines Dorf errichtet haben, das heute nicht viel grösser ist als zu jener Zeit. Damals wie heute haben das raue Klima und die steilen Hänge die Gesichter der Dorfbewohner gezeichnet, ihre Rücken gebeugt und die Hände schrundig werden lassen.
Er war nicht der erste Fremde, der sich in dieses Hochtal verirrte. Doch sein Erscheinen und vor allem sein Bleiben sollten die Dorfgemeinschaft in ihrer Grundfeste erschüttern. Der Fremde tauchte ein erstes Mal an einem jener Herbsttage auf, wo tiefe Wolkenfetzen den grauen Berghängen entlang strichen und der Ruf des Steinadlers für lange Zeit ein letztes Mal zu hören war. Einer der Dorfbewohner gab später zu Protokoll, er habe an jenem Tag zuoberst im Tal ein Wolfsrudel gesichtet, was jahrzehntelang nicht mehr vorgekommen war.
Die ersten Pinselstriche auf dem weissen Blatt sind