"In Amerika", sagte Jonathan
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Über dieses E-Book
"Tavares hat kein Recht, im Alter von 35 Jahren so gut zu schreiben. Man möchte ihn schlagen."
José Saramago
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Rezensionen für "In Amerika", sagte Jonathan
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Buchvorschau
"In Amerika", sagte Jonathan - Gonçalo M. Tavares
It looks so dark the end of the world may be near
Charles Simic
Kalifornien, 30. Juni 2016
Projekt Kafka
Reproduktion eines Portraits von Kafka, das ich vor vielen Jahren auf einem Straßenmarkt in Barcelona gekauft habe.
Projekt Kafka – sein Portrait mitnehmen auf die Reise. Ein rechteckiger Begleiter; ein Begleiter mit den Maßen: 20 mal 10 bei einer Stärke von 1,5 cm.
An eine allgegenwärtige Magie glauben, die das Verhältnis zwischen Abbild und Anwesenheit beeinflusst. Die neuen Technologien suggerieren: Abbild ist Anwesenheit. Antiquiert und übertrieben aktuell: Die Landschaft durch Kafkas geisterhafte Anwesenheit verändern.
Projekt Kafka.
Spezialist darin sein, Seltsames vorzubringen. Oder darin, infrage zu stellen; Kafkas Gesicht trägt diese Impulse an neue Orte. Trägt es ein Warum? Weshalb? Ein Gesicht, das eine Frage transportiert. Eine Frage, die gewissermaßen eine Anklage ist. Eine Anklage, die sich nicht zwangsläufig auf gehobene oder historisch wichtige Themen bezieht. Warum diese Farbe? Warum dieser Stuhl und nicht ein anderer? Warum diese Landschaft? Aber auch: Warum so leben?
Kalifornien, 1. Juli 2016
Ein Gemischtwarenladen in Kalifornien
Jonathan nimmt in der Farbe einen Exzess des Lebens wahr, der sich gegen das Leben selbst wendet. Das Leben soll ein Flüstern sein und keine gesättigten Farben, die unsere Augen anzuschreien scheinen, als würde die Farbe zur Verkäuferin. Eine Farbe, die ohne Worte sagt: „Kaufe!", die Dollars verlangt oder den Vorbeigehenden auffordert, seinen Weg nicht fortzusetzen, bis er vor dieser Farbe innehält, die für irgendein Getränk wirbt, das der Reisende unbedingt und sofort braucht. Die Farbe wird zu einem Stuhl; Ort des Innehaltens, der ein Vorbeigehen verhindert.
Jonathan denkt an Kafka als Maler. Welche Farben würde er verwenden? Der erste, ja unmittelbare Bezugspunkt wäre die Scham, dann das Flüstern, aschgraue Töne: Schwarz-Weiß: ein Schwarz-Weiß-Bild, wie früher die Fernseher, wie eine Bildstörung, eine Störung in der Malerei. Jonathan stellt sich Kafkas Bild schwarz-weiß vor. Nicht, weil er keinen Zugriff auf andere Farben gehabt hätte; sie standen in Reichweite seiner rechten Hand. Aber Kafka sah sie nicht. Das ist die Wahrheit. Kafka sah nur das Schwarz unter den Farben, die neben ihm standen; und das Weiß der Leinwand.
Aber Jonathan fällt plötzlich etwas ein: Und was, wenn entgegen der Tradition die Leinwand ausnahmsweise schwarz wäre statt weiß?; statt einladend weiß, weiß wie der leere Raum, die Farbe der Gastfreundschaft, in Gesten wie in Worten: Sprich, ich höre dir zu, während der Zuhörende Platz nimmt und zeigt, dass Zuhören Geduld bedeutet, den Weg unterbrechen und rasten; wäre die Leinwand anstelle von weiß also schwarz, eine Farbe, die zu sagen scheint: Kein Durchgang!; wäre dem so, hätte Kafka sich vielleicht dem Weiß angenähert, wäre hineingeschlüpft, um eine Erwartung zu wecken oder sogar Hoffnung: ein gewisses Weiß inmitten einer großen dichten Dunkelheit.
Aber Leinwände sind weiß, zu weiß. Kafka würde diesen Optimismus nicht ertragen haben.
Und wir können von einer Störung sprechen: ein schwarz-weißes Gemälde, als wäre aus mysteriösen Gründen das Fernsehbild gestört und in diese zwei Grundfarben zurückgekehrt und dabei in einer Sekunde um Jahrzehnte gealtert: eine technologische Alterung, künstlich, aber doch: plötzliche Alterung und auch plötzliche Melancholie.
Nimm die Farbe weg und du hörst sofort den Laut, den die Traurigkeit hervorbringt, wenn sie nichts sagt.
Vielleicht möchte Kafka auf dem Foto genau das sagen. Aber, was weiß schon Jonathan?
Kalifornien, 1. Juli 2016
Kafka in einem Gemischtwarenladen im Bundesstaat Kalifornien.
Woher die Freude?
Was ist der Grund?
Als könnten Freude und dieser Exzess an Farben,
an die man sich gewöhnt