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Liebe würde helfen: Ein Staffelroman
Liebe würde helfen: Ein Staffelroman
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eBook163 Seiten2 Stunden

Liebe würde helfen: Ein Staffelroman

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Über dieses E-Book

Katrin scheitert beharrlich an ihrer Anspruchsoptimierung, Hanne glaubt, keinem Anspruch gerecht zu werden, während Oliver sich gar nicht erst traut, Ansprüche zu stellen. Laura ist in der Liebe so manisch, dass Jan nicht mehr weiß, wo er hingehört. Burkhard bricht buchstäblich das Herz, während Lydia in den Datingportalen immer der Trostpreis bleibt. Sie alle versuchen, auf verbrannter Erde Fuß zu fassen, getrieben von einer Sehnsucht, die aus der Mode gekommen scheint. Einzig Ro, das Mädchen mit Downsyndrom, wird nicht müde zu beteuern, dass Liebe noch immer eine Lebensnotwendigkeit ist. Eva Baronsky und Claudia Brendler erzählen in den zwölf Episoden dieses Staffelromans von den Auswirkungen moderner Liebesinflation, von Menschen, die immer wieder aufbrechen müssen, obwohl sie doch eigentlich nur ankommen wollen.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum18. März 2021
ISBN9783311702122
Liebe würde helfen: Ein Staffelroman

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    Buchvorschau

    Liebe würde helfen - Eva Baronsky

    Katrin

    Sie parkt den Wagen, nimmt die Post aus dem Briefkasten, sieht nach oben. Tobias’ Rollläden sind geschlossen. Behutsam lässt sie die Haustür ins Schloss fallen, obwohl sie genau weiß, dass er keineswegs schläft, sondern nur das Tageslicht aussperrt. So wie er neuerdings auch alle Geräusche aussperrt mit seinen Noise-Reduction-Kopfhörern, vermutlich hätte sie die Tür genauso gut fest zuschlagen können. Sie bleibt einen Moment reglos in der Diele stehen, lauscht. Stille. Als wäre sie allein im Haus. Dann trägt sie die Einkäufe in die Küche. Auf dem Küchentisch liegt ein Blumenstrauß, riesengroß, in Papier verpackt, die Stängel ragen in die Luft, sind bereits angetrocknet. Daneben ein aufgerissener Umschlag und eine Karte mit Rosenmotiv und dem Logo eines Blumenservice. Sie liest die Karte, lässt Wasser ins Spülbecken laufen, entfernt das Einwickelpapier und stellt den Strauß ins Wasser. Er kippt zur Seite, ist viel zu groß und zu schwer. Dann geht sie die Treppe nach oben und reißt Tobias’ Zimmertür auf. Wie erwartet sitzt er vor dem Bildschirm, das Zimmer abgedunkelt, nur die Nachttischlampe brennt. Er nimmt sie erst zur Kenntnis, als sie mit dem Deckenlicht Blinkzeichen gibt, zieht eine Seite des Kopfhörers vom Ohr.

    »Wie kommst du dazu, meine Post zu öffnen?«, fährt sie ihn grußlos an.

    Tobias gibt keine Antwort, wirft ihr nur diesen Blick zu, den er neuerdings draufhat, zwischen Arroganz und demonstrativer Geringschätzung.

    »Ich habe dich was gefragt!«

    Er hebt die Schultern, sieht wieder auf seinen Monitor. »Wollte wissen, ob er von Marco ist.«

    »Nein, er ist nicht von Marco«, erwidert sie aufgebracht. »Wieso hast du ihn nicht ins Wasser gestellt?«

    »Weil er nicht von Marco ist.«

    Sie starrt ihn an, weiß für einen Moment nicht weiter. »Ich will, dass du die verdammte Kiste ausmachst, du hast lange genug gespielt.«

    »Woher willst du das wissen, du warst doch gar nicht hier.« Die Gelassenheit in seiner Stimme treibt sie fast in den Wahnsinn.

    »Tobias, ich schalte in zwei Minuten das WLAN ab!«

    Wieder Schulterzucken. »Dann kann ich eben keine Hausaufgaben machen.«

    Einfach die Tür knallen. Aber das kann sie nicht tun, wird es nicht tun, sie schließt sie nur mit Nachdruck und geht wieder nach unten. Für eine Weile steht sie in der Küche, sinkt schließlich auf einen Stuhl, irgendwas muss sie tun, etwas Schönes, Entspannung, das Leben genießen, das kann doch so schwer nicht sein. Entschlossen öffnet sie eine Flasche Rotwein, schenkt sich ein Glas ein, stellt sich ans Fenster, sieht in die aufziehende Dämmerung. Beim ersten Schluck kommen ihr die Tränen. Sie flucht, stellt das Glas ab, räumt die Einkäufe in den Kühlschrank. Dann holt sie eine Vase aus dem Sideboard im Wohnzimmer und stellt die Blumen hinein. Mindestens fünfzig Euro, vermutlich deutlich mehr. Nutzt aber auch nichts. Sie wirft einen letzten Blick auf die Karte, ehe sie sie mitsamt dem Einwickelpapier in den Müll gibt. Ein Gentleman, alte Schule, einen Versuch war es zumindest wert. Er hat ihr die Tür aufgehalten, ihr aus dem Mantel geholfen, hat ihr den Stuhl zurechtgerückt, ungefragt einen Aperitif bestellt. Als er dann noch aufgestanden ist, weil sie aufs Klo musste, hat sie ihn abgehakt. Irgendwie war ihr das zu viel. Über sechzig, sowieso eine Schnapsidee. Und viel zu klein, sie käme sich lächerlich vor neben einem Mann, der nicht wenigstens einen halben Kopf größer ist als sie, außerdem haben so kleine Männer meistens Komplexe. Sie hat dann angefangen, ihn zu provozieren, hat demonstrativ eine Gegenhaltung zu jedwedem Thema eingenommen, über das sie gesprochen haben, auch wenn sie eigentlich seiner Meinung war, und als er ihr schließlich von der grandiosen Entwicklung des Aktienmarkts berichtet hat – offensichtlich, um durchblicken zu lassen, wie wohlhabend er ist –, hat sie ihm einen so knallharten Vortrag in Kapitalismuskritik hingelegt, dass er sie mindestens für eine Linksradikale halten musste. Offenbar hat nicht einmal das ihn erschüttern können, wie verzweifelt muss man sein? Sie trinkt einen weiteren Schluck Rotwein, öffnet eine Packung Cracker. Natürlich war es ein Fehler, sich von ihm nach Hause bringen zu lassen, sie ist extra zwei Häuser weiter ausgestiegen, doch anscheinend hat er gewartet, bis sie drinnen war, verfluchte alte Schule.

    Sie öffnet den Computer, loggt sich in der Singlebörse ein. Kontakt verabschieden. Persönliche Nachricht: Vielen Dank für die Blumen, aber ich möchte keinen weiteren Kontakt. Weg damit. Erleichtert lehnt sie sich zurück, schenkt Wein nach. Dann ändert sie die Sucheinstellungen. Maximal sechs Jahre älter als sie, mit einem Schlag werden nur noch halb so viele Profile angezeigt, 137 statt 298, viel zu wenige, sie erweitert den Entfernungsradius so lange, bis die Zahl der Profile auf über 500 gestiegen ist. Oben klappt Tobias’ Zimmertür, sie hört ihn die Treppe herunterkommen und legt rasch die Website der Stiftung, an deren Forschungsauftrag sie derzeit arbeitet, über die Seite der Partnerbörse. Tobias betritt die Küche mit Kopfhörern, nimmt, ohne sie anzusehen, eine Schüssel aus dem Schrank und schüttet Müsli hinein. Sie beobachtet ihn, er steht abgewandt, ist groß, groß wie ein Mann, wie sein Vater, dabei ist er doch ihr Baby, der Winzling an ihrer Hand. Sie betrachtet seinen fast schon breiten Rücken und sieht ihn gleichzeitig auf seinem Bobbycar, in Matschhose, Mütze und Gummistiefeln, will schreien über das Unwiederbringliche, das Verlorene, und ist im selben Moment unsicher, ob es je da war. Er holt die Milch aus dem Kühlschrank, und spätestens jetzt müsste sie sagen, hey, willst du nicht lieber etwas Richtiges essen, wollen wir nicht lieber etwas Richtiges essen, gemeinsam essen, aber sie tut es nicht, schaut nur, wie er das Müsli in Milch ertränkt, greift nach dem Wein und sagt kein Wort, er würde sie ohnehin nur wieder so anschauen, nach dem Motto: Du hast doch sowieso keinen Bock auf Kochen. Schweigend wartet sie, bis er mit seiner Schüssel nach oben verschwunden ist, schließt das Fenster der Stiftung, unter dem wieder das Partnerportal auftaucht. Mit Marco hat er gekocht, Burger vom Grill mit Pommes-Frites; Männeressen, hat Marco erklärt, als sie angewidert die Nase gerümpft hat über die Grillsaucen, die er angeschleppt hatte, voller synthetischer Zusatzstoffe, das Primitive an ihm war einfach nicht zu übersehen. Sie hält inne, lässt die Erkenntnis in sich hineinsickern: Ganz offensichtlich hatte sie es doch übersehen, am Anfang, als sie ihn kennengelernt und sich mit ihm eingelassen hatte, da war er ihr irgendwie richtig, verheißungsvoll erschienen. Das Fröhliche, Unbeschwerte an ihm, in der Anzeige hatte er sich als verträglich bezeichnet. Sie schaut auf, schaut aus dem Fenster, hinter dem der Himmel jetzt blaulila geworden ist, die noch kahle Birke auf dem Nachbargrundstück hebt sich als schwarzer Schatten davor ab. Wieso hat sie es damals nicht besser gewusst, hat es nicht gleich gesehen, schon sein Name war Hinweis genug: Marco. Das ist aber nicht dein richtiger Name, oder? Eine Kurzform von … ja, von was? Markus? Natürlich sei das sein Name, hat er erwidert, was denn sonst. Ob er noch mehr Namen habe, hat sie ihn gefragt, in der Hoffnung auf einen Johannes oder wenigstens einen Christian, irgendetwas, was nicht so nach Prekariat klingt. Nein, ich heiße einfach Marco, das ist mein einzigster Name. Er hat tatsächlich einzigster gesagt, wieso hat sie damals geglaubt, darüber hinwegsehen zu können? Im Laufe ihrer Beziehung ist es immer wieder vorgekommen, einzigster, und jedes Mal hat sie ihn so angesehen, dass er es hätte merken müssen, aber er hat es nicht gemerkt, es gibt eben auch bei Akademikern Unterschiede. Sie atmet tief durch, trinkt, spürt die entspannende Wirkung des Weins, wahrscheinlich war es einfach wichtig, diese Erfahrung zu machen, damit sie beim nächsten Mal genauer hinschaut. Sie wendet sich wieder dem Computer zu: Singles mit Niveau, unwillkürlich schüttelt sie den Kopf.

    In der Zwischenzeit sind zwei Nachrichten gekommen, einer gibt ihr kommentarlos seine Bilder frei, er posiert im Schlabber-T-Shirt vor einem Holzregal, von dem sich eine Efeutute rankt. Sie entsorgt ihn ebenso kommentarlos. Die nächste Nachricht ist hell unterlegt, Vertriebsingenieur (53) verabschiedet sich von Ihnen, immerhin hängt er noch eine Nachricht an, er suche nach einer Partnerin zur Familiengründung. Aha. Sie scrollt durch den Nachrichtenverlauf, ein paar Abende haben sie sich durchaus humorvoll ausgetauscht, kein Wort über Kinder. In ihrem Kopf formt sich eine ziemlich scharfzüngige Antwort, die sie aber nicht loswerden wird, sie kann ihm keine Nachrichten mehr senden, auch sein Profil kann sie nicht mehr aufrufen, dabei hätte sie gern nachgeschaut, ob er bereits Kinder hat. Sie öffnet erneut die Sucheinstellungen und entfernt die Kinderlosen.

    Der Himmel ist jetzt nachtblau, in den Fenstern der Häuser gegenüber brennt Licht. Sie schenkt Wein nach. Manchmal denkt sie daran, dass alles auch anders hätte kommen können, stellt sich vor, wie es gewesen wäre, kinderlos, und sie muss an ihre Doktormutter denken, die das Kinderkriegen irgendwie versäumt und sich ersatzweise auf Hauskatzen gestürzt hatte. So, hatte sie sich geschworen, würde sie niemals enden. Aber dann war sie doch plötzlich über dreißig gewesen und hatte nach und nach den Kontakt zu den Freundinnen verloren, die längst geheiratet und Kinder in die Welt gesetzt hatten. Und die Männer damals waren wie verflucht gewesen, bloß keine Kinder, einer hat vor lauter Angst, sie könnte ihm eins andrehen, keinen hochgekriegt. Mit solchen Typen ist ihr viel Zeit verloren gegangen, wahrscheinlich sind es genau die, die jetzt, mit über fünfzig, auf die Idee kommen, eine Familie zu gründen.

    Als sie dann schwanger war, hat sie sich manchmal gefragt, ob sie doch hätte warten sollen, auf eine bessere Gelegenheit, ohne Kompromisse, aber sobald ein Kind da ist, sind solche Gedanken nicht mehr denkbar, weil dieses einzigartige Wesen nur auf diesem einen Weg gefunden werden kann. Bilder von Tobias, wie er auf der Decke im Garten liegt, Babylachen im Gesicht, als Fünfjähriger beim Skifahren, und wieder überfällt sie Sentimentalität, dieses Mal so sehr, dass ihr die Augen tränen. Sie steht auf, ohnehin müsste sie etwas essen, sie schnäuzt sich in ein Küchentuch, holt ein Stück Parmesan und Oliven aus dem Kühlschrank, Cracker, Parmesan, Oliven, Rotwein – die Zutaten für einen Abend, wie er sein könnte, wenn nichts fehlte.

    Eine neue Mitteilung: Geschäftsführer (51) ist gerade online und schickt eine persönliche, annähernd fehlerfreie Nachricht. Die Berufsbezeichnung macht sie skeptisch, im Zweifel betreibt er ein Fitnessstudio oder eine Imbissbude. Sie antwortet mit ein paar Fragen zu seinem Wohnort und seinen Arbeitszeiten, Kompatibilität sei schließlich wichtig, fügt sie an und bittet ihn, seine Bilder freizugeben. Er bevorzuge ein Treffen statt vieler Nachrichten, der persönliche Eindruck sei entscheidend. Sie denkt an die vielen Male, die sie erwartungsfroh zu einem Treffen gefahren ist, um dann festzustellen, dass das Gegenüber eine Katastrophe war. Er schlägt einen Ort auf halber Strecke vor, etwa fünfzig Kilometer entfernt. Fünfzig Kilometer. Ein ganzer Abend, der dafür draufgehen würde, und die Wahrscheinlichkeit, dass es komplett vertane Zeit ist, liegt ziemlich hoch. Sie überlegt, ob sie ihn gleich wegklicken oder die Entscheidung auf morgen vertagen soll, dabei weiß sie längst, dass auch er eine Enttäuschung ist, und sie hat sich geschworen, sich gar nicht erst wieder in eine Situation zu bringen, in der sie allzu große Kompromisse eingehen würde. Sie klickt ihn weg, ich konzentriere mich gerade auf einen anderen Kontakt. Fertig.

    Und nun? Sie hat nie geraucht, wird nie rauchen, doch in letzter Zeit wünscht sie sich manchmal, eine Zigarette zwischen den Fingern zu halten, so wie ihre Mutter das immer getan hat, und jetzt, da sie sich daran erinnert, fällt ihr auf, dass das Ausblasen des Rauchs ihr damals ungeheuer entspannend vorgekommen ist. Zumindest solange sie ein Kind gewesen ist und die Gesundheit der Mutter ihr als etwas Konstantes erschien. Heute sieht sie eine Zigarette natürlich als das, was sie ist: pures Gift, und umso absurder fühlt sich die Sehnsucht an, die sie plötzlich überfällt, als sie sich an den Aschenbecher aus hellgrünem Porzellan erinnert, mit der qualmenden Zigarette darin, der auf dem

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