Warum ich trotzdem glaube: Vom Zweifeln, Vertrauen und Kraftfinden in schweren Zeiten
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Über dieses E-Book
Dieses Buch vereint die realen Geschichten von Leuten, denen der Boden unter den Füßen weggerissen wurde: zum Beispiel von Jürgen Spieß, der Frau und Kind bei einem Autounfall verlor, von Christina und Michael Wahl, deren Tochter eine Woche vor der Geburt verstarb, von Karsten Lauenroth, dessen Töchter im Alter von 15 und 18 Jahren aus dem Leben gerissen wurden oder von Helena Neufeld, Mutter von fünf Kindern, deren Ehemann an nicht heilbaren Darmkrebs erkrankt ist.
Alle diese Menschen erleb(t)en schwerstes Leid - und hielten trotzdem (oder gerade deshalb) an ihrem Glauben an Jesus fest. Wie das Leid ihren Glauben veränderte, davon berichten sie in diesem Buch.
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Buchvorschau
Warum ich trotzdem glaube - Neukirchener Verlagsgesellschaft
Stephan Lange (HG.)
Warum ich trotzdem glaube
Stephan Lange (HG.)
Warum ich trotzdem
glaube
Vom Zweifeln, Vertrauen und Kraftfinden
in schweren Zeiten
Die Bibelstellen wurden folgender Übersetzung entnommen:
Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002 by Biblica Inc.®.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung von 'fontis - Brunnen Basel.
Alle weiteren Rechte weltweit vorbehalten.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.grafikbuero-sonnhueter.de, unter Verwendung eines Fotos von © fran kie (shutterstock.com)
DTP: Breklumer Print-Service, www.breklumer-print-service.com
Lektorat: Hauke Burgarth, Pohlheim
Verwendete Schrift: FF Scala, Scala Sans
Gesamtherstellung: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, Köln, www.ppp.eu
ISBN 978-3-7615-6825-5 E-Book
www.neukirchener-verlage.de
Einleitung
Die Krankheit und der Tod seiner Schwester verstärkten die Zweifel, die Andreas (30) früher schon am Glauben hatte. „Mein Problem ist, ich habe einfach kein Vertrauen zu Gott. Ich verstehe ihn nicht. Ich verstehe seine Wege nicht, die ich verstehen möchte. Aber Gott hat sie mir nicht erklärt. Und so funktioniert eine Beziehung irgendwie nicht."
¹
Was würden Sie einem Menschen wie Andreas sagen? Warum sollte er weiterhin an Gott glauben? Oder lassen Sie mich noch allgemeiner fragen: Warum sollte man überhaupt an den Gott glauben, von dem Christen sagen, er sei die Liebe in Person – der aber trotzdem zulässt, dass Andreas’ Schwester an einem Hirntumor verstirbt? Und es ist leider kein Geheimnis: Dieser Leidensweg steht exemplarisch für viele (!) weitere. Wie begegnen wir solchen Menschen, die es verdient haben, einen angemessenen Raum für ihre nachvollziehbaren Fragen und Anklagen zu bekommen?
Ich gebe ehrlich zu: Ich kann hier keine wirkliche Hilfe sein. Nicht, weil ich als Christ keine Antwort auf die Leidfrage hätte, sondern weil ich weiß, dass es meiner Antwort eindeutig an leidgeprüfter Reife fehlt. Ich wäre wie der Junggeselle, der einem befreundeten Paar Tipps für eine gelingende Ehe geben soll. Einige Gedanken könnte ich zwar beisteuern, aber wirklich wohl in meiner Haut würde ich mich dabei nicht fühlen.
Gerade das macht meinen Antwortversuch, würde ich ihn bringen, gefährlich. Denn Leiderklärungen entpuppen sich oft als kaltherzige und am wahren Leben vorbeigehende Gedankenakrobatik, auch wenn sie gut gemeint sind. Genau das geht aber am Kern des christlichen Glaubens stumpf vorbei. Mihamm Kim-Rauchholz, Professorin für Neues Testament und Griechisch an der Internationalen Hochschule Liebenzell, stellt ganz richtig fest:
Der christliche Glaube flieht nicht vor der Realität des Lebens, er entfaltet seine Stärke und sein Potenzial mitten im Leben. Seine Relevanz wird nicht in einem abgeschotteten Elfenbeinturm der theologischen Gedankengänge bewiesen – so wichtig und richtig diese auch sein mögen –, sondern da, wo die eigene Existenz betroffen ist und mit auf dem Spiel steht.²
Ich sehe in diesen Worten zwar viel Wahrheit, mich aber trotzdem nicht dazu in der Lage, Menschen in ihrem größten Leid die biblische Devise spürbar ins Herz zu sprechen: „Trauert nicht wie die Menschen, die keine Hoffnung haben." (1. Thessalonicher 4,13) Das können, davon bin ich fest überzeugt, nur die wirklich Leidgeprüften. Menschen, die trotz existenzieller Not ehrlich von sich sagen können: „Ich höre nicht nur vom Leid, ich stecke bis über beide Ohren darin fest. Trotzdem und gerade deshalb halte ich weiterhin an diesem Gott fest."
Acht von diesen Menschen, acht nach wie vor überzeugte Christinnen und Christen, kommen in diesem Buch zu Wort. Sie lassen uns teilhaben an ihren bitteren Leidenswegen und ihren denk-würdigen Antworten, warum sie dennoch glauben. Ihre Gedanken sollen der Versuch sein, gerade denjenigen zu begegnen, die angespannt mit der ehrlichen Frage ringen: „Warum sollte ich Gott nicht eiskalt den Rücken kehren, wenn er doch genau das Gleiche bei mir macht?" Darüber hinaus will dieses Buch allerdings auch ein Denkangebot für diejenigen sein, die aus der interessierten (oder gerne auch skeptischen) Distanz fragen, was einem der Glaube an den Gott, der uns in Jesus begegnet, eigentlich bringt – gerade in den Tiefzeiten des eigenen Lebens, die sich niemand von uns wünscht, die aber alle unweigerlich treffen.
Aus welcher Sicht Sie dieses Buch auch lesen mögen: Ich wünsche Ihnen in jeder Hinsicht eine gewinnbringende Lektüre.
Stephan Lange, im Herbst 2021
1 Faix, Tobias; Hofmann, Martin; Künkler, Tobias (2019). Warum ich nicht mehr glaube: Wenn junge Erwachsene den Glauben verlieren. SCM Brockhaus. S. 114.
2 Kim-Rauchholz, Mihamm (2021): Warum ein lebendiger Glaube nur im Leben selbst gelernt werden kann. SMD-Transparent 01/2021. S. 5.
Dennoch
Helena Neufeld (40) ist Ehefrau und Mutter von fünf Kindern. Daneben ist sie als freie Autorin tätig.
Es kam wortwörtlich aus heiterem Himmel. Einem blauen Himmel, an dem ein paar Zugvögel ihre geordneten Bahnen flogen, erstaunlich früh an einem erstaunlich milden Februartag. Neben mir lag mein Mann im Gras, die Hände über der Winterjacke verschränkt und gab ein paar gemütliche Schnarchtöne von sich. Ich hatte ein Lächeln im Gesicht. Mein Stift fuhr über das Notizbuch, schrieb ein Wort nach dem anderen. Dieser Ort, diese Gefühle – das musste festgehalten werden. Sorgsam packte ich Worte ein, nur ganz ausgesuchte, wie besonders schöne Muscheln, die man als Andenken von einer Reise heimbringt. Zerbrechlich und schön. Wie das Leben. Mein Gedicht endete mit den Worten: Es sieht dich der Frühling an.
Doch dieser Blick voller Zärtlichkeit und Wärme schützte uns nicht vor der eiskalten Hand der Angst, die schon am nächsten Tag nach uns greifen sollte. Wir fuhren von unserem schönen Wochenende zu zweit nach Hause, ließen die Spaziergänge hinter uns, die Restaurantbesuche am Abend bei Kerzenschein und geröteten Wangen. Unsere Herzen waren voll und doch leicht. Worte der Liebe und Wertschätzung mögen das in ihrer Menge bewirken. Im Rückspiegel wurden die Windräder immer kleiner und die grasbedeckte Weite des flachen Nordens entschwand langsam unseren Blicken.
Niemals ist es einem selbst bewusst, wenn Stunden, die man gerade erlebt, die letzten unbeschwerten sind.
Diagnose Krebs
Dabei ging es nur um einen Routinetermin. Der Hausarzt wollte sichergehen, dass er nicht falsch gelegen hatte und wirklich kein Grund zur Besorgnis gegeben war. Sicherheitshalber.
Die Sicherheit wurde halber. „Irgendetwas stimmt nicht", sagte der Spezialist. Eine Darmspiegelung wurde für die nächsten Tage angeordnet.
Es war ein Donnerstag. Der Frühling sah uns nicht mehr an. Wir beruhigten uns und wurden beruhigt. Es würde sich sicher um eine Unverträglichkeit von Nahrungsmitteln handeln. Vielleicht eine Autoimmunerkrankung. Wir würden lernen, damit umzugehen. Es war still während der Autofahrt, still in der Praxis, still die Gebete in mir.
„Möchten Sie bei Ihrem Mann sein, wenn er gleich aufwacht?"
Die Arzthelferin lächelte mich warmherzig an. Ich legte hastig das Buch zur Seite, in dem ich gelesen hatte, stand auf und folgte ihr. Dort lag er und wieder hörte ich diese sanften, kurzen Schnarchtöne. Diesmal nicht im Gras, sondern auf einer Liege in einem Untersuchungsraum, eingewickelt in einer Decke. Ich betrachtete ihn und wartete. Die Arzthelferin guckte herein. „Möchten Sie einen Kaffee?" Oh nein, ich wollte keinen. Meine Anspannung hatte sich gelöst. Es stimmte, was ich über diese Praxis gelesen hatte, sie waren hier äußerst freundlich.
Andreas wachte auf. Er war noch etwas benommen von dem Schlafmittel, das er bekommen hatte. Wir hatten kaum ein paar Worte gewechselt, als auch schon der Arzt schwungvoll ins Zimmer trat. Ich werde sein Gesicht nie vergessen. Er war so sympathisch, dass es völlig absurd war, Angst vor einer schlimmen Nachricht zu haben. Wir machten uns einfach zu viele Sorgen!
Er wandte sich an mich und lächelte. „Ihr Mann hat super mitgemacht", sagte er und ich lachte erleichtert und setzte dazu an, etwas zu erwidern. Er unterbrach mich.
Mir blieb das Lachen im Hals stecken. Für einige Tage steckte es dort fest und schmerzte entsetzlich.
„Es sieht nicht gut aus, sagte der Arzt, „es ist Krebs. Bösartig und ziemlich großflächig.
Der Ernst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er ergriff die Hand meines Mannes, der dasaß und ihn anstarrte.
„Sie werden das schaffen!, sagte er und mit jedem Wort ließ er ihrer beide Hände auf den Oberschenkel meines Mannes fallen, so als wolle er ihm diese Nachricht ins Bewusstsein hämmern. Woher er wisse, dass es bösartig sei, wollte ich wissen. Müssten nicht erst die Ergebnisse abgewartet werden? Der Arzt sah mich aus seinen trüben Augen kummervoll an. „Diese Art ist immer bösartig. Ganz sicher.
Ohne Umschweife und doch voller Hoffnung waren seine Worte.
„Viele sind vor Ihnen diesen Weg gegangen, es wird ein schweres Jahr. Vergessen Sie Ihre Arbeit. Konzentrieren Sie sich jetzt darauf, gegen den Krebs zu kämpfen. Sie werden das schaffen!"
Wir stolperten irgendwann hinaus. Derselbe Flur, dieselbe Tür, aber alles war verändert. Grauenvoll anders. Ich führte Andreas zum Auto, bemerkte dann, dass ich noch etwas liegen gelassen hatte und ging wieder zurück. Die freundliche Arzthelferin mit den dunkelblond gewellten Haaren kam mir entgegen. Sie nahm mich in den Arm und ich schluchzte hilflos.
„Frau Neufeld, wir haben hier viele Patienten, die das geschafft haben. Ihr Mann wird das auch schaffen."
Ich schickte schnell eine Nachricht an Familie und Freunde, die darauf warteten. Sie war kurz und hart: „Es ist Krebs."
Dann ging ich zum Auto und setzte mich ans Steuer. Andreas zitterte neben mir in seiner dicken Jacke. Der Schock saß tief. Ich umarmte ihn, so hilflos!
Wie ich es geschafft habe, den Weg nach Hause zu fahren, weiß ich nicht, aber irgendwann standen wir vor der Haustür.
Wie sollten wir unseren Kindern in die Augen sehen? Was sagt man, wenn so etwas passiert? Wie sollte ich damit umgehen? Unser ältester Sohn öffnete die Tür, sichtlich betroffen. Andreas ging hinein und geradewegs hinauf ins Schlafzimmer. Er weinte.
Erschüttert bis ins Innerste.
Es waren erst Minuten vergangen, Minuten in unserem neuen Leben, das einen grauenvollen Riss bekommen hatte. Mich packte die Angst. Ich wusste, diese Qual in den Augen meines Liebsten konnte ich nicht allein tragen. Mit zitternden Fingern tippte ich eine Nachricht an einen der Leiter unserer Kirchengemeinde. Wir brauchten Hilfe.
Die Türklingel ging. Mein Bruder und seine Frau waren da. Wir hatten uns gegenseitig bei unseren Hochzeiten begleitet, Seite an Seite unsere Häuser gebaut, unsere Kinder bekommen und nebeneinander aufwachsen sehen. Wir hatten immer alles miteinander geteilt und jetzt teilten wir das Grauen. Wir weinten und zitterten zusammen. „Das Wort Darm habe ich schon immer gehasst", dachte ich irrsinnigerweise.
Als es das nächste Mal klingelte, war es einer der Leiter der Gemeinde. Ich schämte mich etwas für die Unordnung. Hätte ich vorher aufräumen sollen? Ich bot allen Wasser an. Wir saßen am Tisch, nippten an unserem Wasser und der schockierenden Nachricht. Schluck für Schluck sickerte sie in unser Bewusstsein und drang durch bis ins tiefste Innere unseres Körpers.
Die beiden Jüngsten waren noch bei meinen Eltern, die während der Untersuchung auf sie aufgepasst hatten. Andreas wurde mit Öl gesalbt, wie es in der Bibel im Jakobusbrief steht, und wir beteten alle. Wir baten Gott um Hilfe, um Heilung, wenn möglich. Aber vor allem um die Hilfe, die wir gerade jetzt benötigten.
Unsere Kinder weinten.
Mitten im Sturm
An diesem Tag bebte für uns die Erde, auf der wir standen. Vieles stürzte einfach in sich zusammen, weil es nie Stabilität besessen hatte. Doch da war ein Ort, ähnlich einer Festung, hoch oben auf einem massiven Felsen gebaut. Während der Boden, auf dem wir standen, also erschüttert wurde, flogen uns Steinbrocken um die Ohren. Angst ließ unsere Herzen im Galopp dahinjagen, ohne Erbarmen. Da war es selbstverständlich, wo wir Schutz suchten, die Kinder im Schlepptau, Hand in Hand mit meinem völlig geschockten Ehemann. Wir rannten, ohne zu zögern an diesen Ort: in die Gegenwart Gottes.
Wenn auch das Toben und Wüten weitergehen würde, wenn auch alles zerbrechen würde, was wir kannten, so würde er doch derselbe bleiben. Derselbe Gott, den wir aus der Bibel kannten. Der nicht eingegriffen hatte, als Josef seine Brüder anflehte, ihn nicht zu verkaufen; der zugelassen hatte, dass