Geschichte eines Knaben
Von Ernst Wiechert
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Über dieses E-Book
Ernst Wiechert
One of the most widely read German literary figures of the 1930s and 1940s (he wrote 60 books in his 63 years), Ernst Emil Wiechert was thrown into Buchenwald concentration camp for publicly opposing the Nazis. His final novel, Tidings, deals with post-war Germany’s guilt, healing, and redemption.
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Buchvorschau
Geschichte eines Knaben - Ernst Wiechert
Ernst Wiechert
Geschichte eines Knaben
Novelle
Saga
Geschichte eines Knaben
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1928, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726951875
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Er hieß Percy und war in Batavia geboren worden. Nicht in der Benedenstadt, der Stadt der Speicher, Giebelhäuser und Kanäle, wo auf bebauten Sümpfen eine erbarmungslose Sonne brütet und wo vom Sonnenuntergang bis zum -aufgang die Anopheles todbringend aus der Fiebererde steigt. Sondern in Weltevreden, der weißen Stadt, zu der die breite Doppelstraße sich aufhebt, an deren Innenrändern, im Wasser des Tjiliwoengflusses, die javanischen Mädchen ihr Haar spülen und ihren Sarong waschen.
Von den Balkonen eines jener weißen Häuser hatte seine Mutter zehn Jahre lang auf den glühenden Traum der Bataverstadt hinabgeblickt, mit Augen, die aus Jubel und fassungsloser Trunkenheit sich langsam zu Müdigkeit, zu Schwermut und Hoffnungslosigkeit verdunkelt hatten. Sie hob wohl noch die Hand zum Gruße, wenn am Abend das Signal des Autos zu ihr emporrief, aber sie erhob sich nicht mehr, wenn ihr Gatte die Veranda betrat. Ihre Hände blieben im Schoß gefaltet, und mit einem müden Lächeln empfing sie den gewohnten Kuß auf ihre Stirne. Herr Schurmann, groß, schlank und mit Sorgfalt gekleidet, blieb einen Augenblick hinter ihr stehen und folgte mit wenig verhüllter Gedankenlosigkeit dem Blick ihrer halbgeschlossenen Augen über die regungslosen Palmenwipfel hinaus bis an das schon dunkelnde Meer, wo die Signallichter der Häfen aufzuckten und erloschen. »Müde, Kind?« fragte er mit der gütigen Herablassung des Erwachsenen. »Ja, ich bin sehr müde«, erwiderte sie gehorsam. Dann ging er, sein abendliches Bad zu nehmen, und sie blieb noch eine Viertelstunde in ihrem Stuhl, während die Nacht sich mit betäubender Plötzlichkeit über Haus und Garten stürzte, die Sterne aufflammten und die Düfte der tropischen Erde mit furchtbarer Nacktheit sich über sie warfen.
Einmal in jedem Jahr fuhr sie hinunter zur Merians-besar, zur heiligen Kanone im Tor des Batavia-Kastells. Dort kaufte sie Blumen von einem der Händler und irgendeine der zahllosen Votivgaben, kniete nieder, verbrannte sie an einem Opferfeuer und blieb im Gebete versunken, ihrer Rasse entkleidet, gleich allen anderen javanischen und chinesischen Frauen, deren Leib nicht gesegnet war und deren Hoffnung leise frohlockend in einer Gebärde erglühte, die seit Jahrhunderten täglich neu uralte Götter im Staube rief.
Als sie erhört war, wußte sie, daß sie mit dem Leben zahlen würde. Allen Bitten und Befehlen, bis zur Geburt in die Heimat zu gehen, setzte sie einen Widerstand entgegen, dessen Beugung nur auf Kosten ihres Lebens möglich schien. Als man sie gewähren ließ, erblühte sie noch einmal in einer traurigen Schönheit, die Jugend und entsagende Reife zu einem ergreifenden Bilde zusammenschloß. Täglich fuhr der Kraftwagen sie die weiße Straße hinauf, die irgendwo in der Ferne gleich einem leuchtenden Pfeil in den grünen Schild des Urwaldes stieß. Dann stieg sie hinter dem Diener her den Pfad zur Bergkuppe empor, von der man die Gipfel der Vulkane sah, den blühenden Rausch der Wälder, die blitzenden Reisebenen, den weißen Traum der Städte und das schmerzhafte Blau eines Meeres, das vor dem Paradiese lag. »Amaga«, sagte sie leise, »weshalb ist dein Land so schön?« Dann traf der feuchte Blick seiner Tieraugen sie in Ergebenheit und Trauer. »Die Götter haben es gewollt, Herrin«, erwiderte er, und seine Augen gingen über das glühende Land.
Oft, im Dunkel der Veranda, pflegte sie nun den Vorhang von dem Gemälde ihres Lebens zu ziehen und mit nie gehörten Worten zu deuten, was in dunkler Tiefe sich ihr je offenbart hatte. Schwirrende Insekten spannen ihre glühenden Fäden von Wipfel zu Wipfel, und die Brandung des Meeres stand hinter den Gärten wie der langgehaltene Ton einer gestrichenen Saite.
»Dies Land hat mein Blut getrunken«, sagte sie mit glücklichem Lächeln, »und ich wehrte mich mit der Kraft des Abendlandes. Nun aber habe ich mich ihm hingegeben, und wir tauschen Blut um Blut gleich einer neuen Geburt ... du sollst ihn Parzival taufen, Magnus, hörst du? Ich habe es Sawah gesagt, die ihn nähren soll, wenn du es vergessen solltest ... du sollst ihn Parzival taufen und ihm sagen, seine Mutter habe Herzeloide geheißen.«
»Sprich doch nicht so«, bat er unbehaglich. Aber sie lächelte weiter vor sich hin.
In den letzten Wochen wollte sie niemand um sich dulden als Sawah, die Gärtnersfrau, die ihr erstes Kind geboren hatte