Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Venus: Mein Leben zwischen Freiheit und Liebe
Venus: Mein Leben zwischen Freiheit und Liebe
Venus: Mein Leben zwischen Freiheit und Liebe
eBook576 Seiten6 Stunden

Venus: Mein Leben zwischen Freiheit und Liebe

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Tina Weiss war über Jahre die Frau, die wusste, was hip und in Mode war. Fashion und Lifestyle war ja ihr Fachgebiet. Sie hatte ihre eigene Agentur für Promotion und Styling, sie schrieb und fotografierte als Reporterin für Zeitungen und Magazine. Die gelernte Buchhändlerin kam zum Fernsehen, stand vor und hinter der Kamera, kreierte ihre eigene Welt "World of Venus" mit Pin-Up-Kalendern und Events. Sie war unermüdlich und kreativ, reiste an Fashion Weeks, wurde zur Stylistin von Models und Prominenten und regelmäßiger Gast an den VIP-Events der Medien-und Fashionbranche. Sie ließ nichts aus, lebte das volle Leben. Wechselnde Männerbeziehungen und freie Sexualität inklusive. Aber was außen wie Glamour aussah, fühlte sich innen nicht nur gut an.
Das frühere Promi-Girl mit der ersten veritablen Erotik-Sendung auf Schweizer TV-Bildschirmen erlebte während eines Indien-Besuches einen totalen Wertewandel. Inzwischen studierte Tina Weiss Theologie und arbeitete bei den bekannten Sozialwerken von Pfarrer Sieber. Für sie sind Menschen immer noch wichtig. Aber jetzt geht es nicht mehr ums Aussehen und Kleidung, Erotik und Style. Sondern um das Seelenleben. Und wie!
Tina Weiss ist inzwischen verheiratet mit Samuel und heißt heute Tina Schmidt.
SpracheDeutsch
HerausgeberFontis
Erscheinungsdatum31. Okt. 2017
ISBN9783038484721
Venus: Mein Leben zwischen Freiheit und Liebe
Autor

Tina Weiss

Tina Weiss ist inzwischen verheiratet mit Samuel und heißt heute Tina Schmidt.

Ähnlich wie Venus

Ähnliche E-Books

Christentum für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Venus

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Venus - Tina Weiss

    Russisches Silvester

    Was wurde geboten? Russisches Silvester mit gleichzeitiger Hochzeit im Schloss Sihlberg in Zürich. Die Russen feiern Silvester – genauso wie Weihnachten – erst Anfang Januar. Olena hatte mich eingeladen. Sie ist eine ukrainische Designerin und war mir eine Freundin geworden. Bei diesem Anlass zeigte sie ihre Kollektion auf einer Modenschau, zudem wurde an dem Abend auch noch eine Hochzeit gefeiert. Ein vielversprechender Event also, bei dem es außerdem gute Unterhaltung sowie Essen und Getränke «all inclusive» gab.

    Natürlich nahm ich die «Invitation» gerne an. Ich kam mittlerweile ja in den Genuss von vielen Einladungen. An diesem Abend trug ich ein Kleid von Olena. Stylistin zu sein hatte den Vorteil, Kleider von Designern zu tragen, mit denen ich geschäftlich zu tun hatte. Das war eine Win-win-Situation. Für die Designer war es Gratis-Promotion, wenn ein «Promi» ihre Kleider trug, und ich musste mir nicht dauernd neue Kleider für spezielle Anlässe kaufen. Denn natürlich konnte man bei öffentlichen Events nicht zweimal dasselbe tragen. Man stand da ja immer unter der Beobachtung von Kennern der Branche und wurde außerdem fotografiert.

    Olenas Label hieß «Trophäe», welches sie mit einer Freundin zusammen in Zürich gegründet hatte. Die beiden kleideten Prominente ein, aber auch Mitarbeiter der FIFA und anderer Organisationen. Sooft es das Budget der Kunden zuließ, ließ ich Kleider für die Hostessen meiner Agentur von ihnen schneidern.

    Das Schloss Sihlberg erhebt sich als imposanter Bau auf einem kleinen Hügel inmitten eines grünen Parks, im Zentrum des Enge-Quartiers. Ursprünglich war es die Villa der Zürcher Bierbrauer-Familie Hürlimann. Viel später wurde es durch den neuen Besitzer mit Events belebt. Die Kandidaten der Casting-Show «MusicStar» wurden hier zum Beispiel mal einquartiert, und russische Silvester-Partys sorgten dann derart für Schlagzeilen, dass das Schloss seit ein paar Jahren nicht mehr für gewerbliche Veranstaltungen genutzt werden darf.

    Ich fühlte mich an dem Abend ein bisschen wie eine Prinzessin, jedenfalls wie ein wichtiger Gast, der erwartet wird. Da war eine überblickbare Anzahl von Gästen, die auch zum Essen geladen waren. Gleich zur Begrüßung gab es Wodka-Shots, und bald sah ich das Hochzeitspaar lachend die Treppe herunterkommen. Dieser Moment wurde jedoch unterbrochen. Ein gutaussehender Mann in einem gut sitzenden Anzug und weißem Hemd schob sich in mein Blickfeld. Er erklomm die Treppe in entgegengesetzter Richtung. Plötzlich drehte er sich zu mir um, zeigte mit ausgestrecktem Finger auf mich und rief mir zu:

    «Und wann heiraten wir?»

    Ich war ziemlich perplex, dass dieser Mann ausgerechnet auf mich zeigte, und auch etwas peinlich berührt. Meine Antwort weiß ich nicht mehr genau. Doch war sie wie meistens schlagfertig und etwas aufmüpfig. Vielleicht sagte ich so etwas wie: «Das musst du mir sagen» oder «Da können wir später drüber sprechen». Ich hatte ihn bis dahin noch nie gesehen, es war der Kollege eines Künstler-Gefährten von Olena, wie sich später herausstellte.

    Auf jeden Fall war so eine Frage, obwohl sehr provokativ – oder vielleicht auch gerade deswegen –, Balsam in den Ohren einer sehnsüchtigen und liebeshungrigen Frau wie mir. So etwas setzt sofort allerhand Fantasien frei und wäre dank dieser romantischen Kulisse auch der perfekte Start einer extravaganten Liebesgeschichte gewesen. Außerdem wollte ich an die Liebe auf den ersten Blick glauben. Und warum sollte sich ein Mann nicht auch sofort in mich verlieben, wenn er mich nur ansah? Ich war ja eine auffällige und attraktive Frau. Jedenfalls gefiel er mir, und ich dachte, der Abend könne ja heiter werden.

    Was er auch wurde.

    Das Essen war exquisit, dazu gab's viel Wein, irgendwann noch Champagner und dazwischen irgendwo die Modenschau von Olena. So detailliert erinnere ich mich nicht mehr an den weiteren Verlauf des Abends, außer dass der gutaussehende Unbekannte nicht mehr in meinem Blickfeld war und ich stattdessen die halbe Nacht mit seinem Kollegen, dem Künstler Gregory Banks, in einem der wunderschönen Räume abhing und Kokain schnupfte. Es war nicht das erste Mal, doch – Gott sei Dank – auch eines der eher seltenen Erlebnisse mit dieser verführerischen Droge, die das Ego noch egoistischer und aufgeblasener macht, eine unnatürliche Wachheit generiert und zudem noch spitz macht wie Nachbars Lumpi.

    Die erste Begegnung mit Kokain hatte ich in New York. Ich hatte einen Typen mit aufs Hotelzimmer genommen, der plötzlich das weiße Pulver auspackte und dünne Linien auf dem Fernsehtisch unterteilte. Als ich sie so sah, war meine Hemmschwelle nicht mehr groß, ich hatte keine Angst mehr vor Drogen. Im Gegenteil – jetzt war ich neugierig geworden.

    Wir zogen mithilfe einer gerollten Dollarnote das Zeug in die Nase hoch. Der Sex war dann noch hemmungsloser und wilder. Doch am nächsten Morgen warf ich den Fremden buchstäblich aus dem Zimmer. Total fies und «cold» macht die Droge nämlich ebenfalls. Aber ich fühlte mich emotional und körperlich furchtbar, und zwischen diesem Mann und mir war nur noch eine höchst unangenehme Leere. Also: Bye for now.

    Ich bin froh, dass das Kokainschnupfen nur eine gelegentliche Erfahrung blieb. Man wird damit eigentlich nur ein zu bemitleidendes Abbild seiner selbst, nach außen zwar stark und unbezwingbar, innerlich jedoch total unruhig, getrieben und unsicher.

    Olena und ich machten noch eine Fotosession in einem der schönen Bäder mit Füßchen-Badewanne und gekachelten Wänden. Ich erinnere mich daran, ein Stück Keramik, welches von der Wand splitterte, eingepackt zu haben. Irgendwie hatte ich es so an mir, Erinnerungsstücke aus Gebäuden mitzunehmen, ob es jetzt ein Abbruchhaus war oder ein denkmalgeschützter Ort wie eben dieses Schloss.

    Steve, wie der gutaussehende Mann hieß, sah ich erst sehr spät wieder. Und zwar unten im Grotto, dem Gewölbekeller des Hauses, wo die Disco stattfand. Es waren nur noch spärlich Leute da, als ich da unten vorbeischaute in der Hoffnung, ihn zu finden. Und da war er, ebenfalls ziemlich verladen. Lange haben wir nicht miteinander gesprochen, das Kennenlernen auf intellektueller Ebene war zu dem Zeitpunkt nicht mehr möglich und auch nicht mehr so wichtig. So gingen wir gleich zum Nahkampf über.

    «Kommst du noch mit zu mir?», meinte er.

    «Okay, warum nicht?», entgegnete ich und fühlte mich ziemlich verwegen und auch ganz schön erregt. «Horny», wie man so schön sagt.

    Das war auch zum großen Teil dem Alkohol und dem Kokain zuzuschreiben. Ich wurde dann mutig und tat Dinge, die ich sonst wahrscheinlich nicht getan hätte. Es war sicher schon gegen vier Uhr morgens und ziemlich klar, worauf ein Besuch zu dieser Zeit hinauslaufen würde. Er wohnte gleich in der Nähe. Das Hochzeitspaar des Abends hatte sich nämlich in seiner Wohnung vorbereitet, und auch sein Künstler-Kollege Gregory und andere waren von dort aus zu dem Anlass gegangen.

    Der Banker aus dem Schloss

    Ich war begeistert über die Loft-Wohnung im «Sihlcity», einem riesigen Überbauungszentrum in Zürich-Wiedikon. Sie hatte eine riesige Fensterfront. Von der Badewanne aus, die erhöht mitten im Raum stand, sah man direkt auf die Autobahn Richtung Chur. Ich wollte unbedingt baden und hatte kein Problem, mich gleich auszuziehen und nackt in die Wanne zu setzen. Er setzte sich auch kurz dazu. Allerdings schien er leicht gestresst und meinte, dass er am Morgen arbeiten gehen müsse. Es blieb also nicht viel Zeit, bevor er wieder aufstehen und nach Liechtenstein fahren musste.

    Er war Banker. So richtig bewusst, dass er ein liierter Banker war, wurde mir erst, als ich die ganzen Utensilien im Bad und die Kleider in den Schränken sah. All das zeugte deutlich davon, dass er hier nicht alleine wohnte, sondern mit einer Madame! Ich weiß nicht, was mich mehr schockierte, dieses Faktum oder das Bild über dem Bett, welches eine seitliche Nahaufnahme eines weiblichen Geschlechtsteils zeigte.

    Nun erinnerte ich mich, dass Gregory mir von dem Bild erzählt hatte. Er hatte es gemalt, und er sagte mir auch, wer das abgebildete Model war. Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt hätte wissen wollen, zu wem dieser gemalte Venushügel gehörte. Diese Person kannte ich nämlich, was sie gleich in einem anderen Licht erscheinen ließ. Seltsamer war jedoch, dass es nicht mal das Geschlechtsteil von Steves Freundin zeigte. Wobei – die eigene Freundin vom Kollegen so malen lassen? Möchte man nicht unbedingt. Aber eine andere Frau übers Bett hängen? Noch viel weniger. Das war alles etwas dubios.

    Jedenfalls machte es mir nicht so viel aus, dass im Bett dann doch nichts mehr lief. Ihm war das Versagen seiner Männlichkeit allerdings sehr peinlich. Er haderte offenbar damit und entschuldigte sich dafür.

    «Wir holen das ein anderes Mal nach», meinte er.

    Nun ja, ich schlief dann und bekam später so halbwegs mit, wie er sich verabschiedete. So schlief ich selig unter dem gemalten Vagina-Bild eines mir bekannten Models in einem fremden Bett noch bis zehn Uhr morgens.

    Später erfuhr ich, dass die Freundin von Steve irgendwann am Bett stand und mich sah, die Wohnung dann allerdings wieder verließ. Ihn jedoch nicht. Entweder war ich keine große Gefahr und dieses Verhalten normal, oder sie hatte sich schon daran gewöhnt, fremde Frauen im Bett vorzufinden.

    Ich weiß nicht mal, ob ich ihre Reaktion bewundern oder eher als gleichgültig und irritierend abtun soll. Ich meine, die meisten Frauen würden doch losbrüllen und die Bettdecke wegreißen, vielleicht sogar auf mich losgehen. Arme Frau, denke ich jetzt, mit so einem, der sich nicht zügeln kann, seinen Charme überall spielen lässt und Unschuldige – oder eben Mitschuldige wie mich – ins gemeinsame Heim schleppt! Furchtbar. Wie viele solche Männer es wohl gibt? Und wie viele Frauen?

    Jetzt, da ich verheiratet bin, kann ich mir so gar nicht vorstellen, wie eine fremde Person überhaupt den Weg in unser Ehebett finden könnte. Wenn so etwas passiert, muss doch in der ganzen Beziehung etwas schon vorher nicht ganz gestimmt haben. Das ist einfach so traurig, denke ich jetzt, wenn es derart weit kommen muss.

    Die Geschichte war dort nicht beendet, und ich bin ihm leider nochmals verfallen. Offensichtlich war er so in seiner Männlichkeit getroffen, weil er mir keinen wilden Sex bieten konnte, dass er dies unbedingt nachholen wollte. Ich willigte ein, als er mich zum Dinner einlud, und eigentlich nahm ich mir vor, den Abend danach zu beenden. Es gab ja sowieso keine Zukunft für uns.

    Außerdem stand ich gar nicht wirklich auf Banker. Jedenfalls nicht ernsthaft. Gut, Männer in Anzügen und einer gewissen Machtposition fand ich schon irgendwie anziehend. Es hat einen gewissen Reiz, die so seriös und etwas hartherzig wirkenden Geschäftsmänner weichzukriegen, ihre Aufmerksamkeit und ihr Herz zu erobern.

    Später sollte ich noch einmal eine intimere Zusammenkunft mit einem Banker haben. Den hatte ich an der Bahnhofstrasse kennen gelernt, als ich ihn für die Wirtschaftszeitung «Cash» fotografierte. Danach hatte ich ihn dann «zufällig» in einem Club wiedergetroffen und schließlich zum mitternächtlichen Nacktbad im Zürichsee verführt.

    Ich glaube nicht, dass ein Banker kompatibel gewesen wäre mit meiner Leidenschaft für Kreativität und meinen Gerechtigkeitssinn. Und aus Geld habe ich mir sowieso nie viel gemacht. Was ich eher wollte, war: bekannt sein. Und sicherlich nicht «unter dem Mann stehen» – und schon gar nicht von ihm abhängig sein.

    Ich weiß nicht, warum ich dann überhaupt mit dem Banker von der Silvesterparty essen gegangen bin. Es war amüsant und gut, wir tranken einige Drinks, er war charmant und schmierte mir viel Honig um den Mund. So war ich leider zu schwach, um meinen Plan durchzuziehen, dass der Abend nach dem Essen beendet sein sollte, und nahm ihn mit zu mir nach Hause.

    Damals wohnte ich alleine an der Langstrasse in Zürich. Ich hatte eine gemütliche Dachwohnung und konnte tun und lassen, was ich wollte, ohne jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Es ging gleich zur Sache, und der Sex war sehr unromantisch, unpersönlich und vor allem so was von unnötig. Ich habe mich noch nie so schmutzig und benutzt gefühlt wie nach diesem Erlebnis. Ich bereute es wirklich, und das war atypisch für mich.

    Doch ich sollte ihm noch ein drittes Mal über den Weg laufen. Wir besuchten beide die «Fashion Week» in Berlin. Er mit seiner Freundin, ich alleine. Zufälligerweise hatten wir denselben Flug, und ich sah ihn mit ihr in der Reihe vor dem Check-in stehen. Ihm war es peinlich und unangenehm, und es kam sogar so weit, dass wir im Flugzeug in derselben Reihe saßen! Ich konnte mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. Er war alles andere als entspannt auf dem Flug, schien eher auf Kohlen zu sitzen. So manövriert man sich irgendwann in die Enge, wenn man ein doppeltes Spiel spielt.

    Ich war jedenfalls ziemlich relaxed. Offensichtlich hat seine Lady mich nicht wiedererkannt. Ich bestellte mir einen Drink, und über den Wolken fing ich an, ihn definitiv zu vergessen. Bei einer Party der Fashion Week knallte ich ihm bei einer Kissenschlacht noch ein Kissen an den Kopf.

    Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Und eigentlich war er ja auch nur einer von vielen, die ich nicht wirklich ihretwegen begehrte, sondern die eher als Projektionsfläche für meine Sehnsüchte dienten, die mich zeitlebens verfolgten und die doch nie erfüllt werden konnten.

    Ich bin eine total Liebeskranke, eine Sehn-Süchtige. Das fing schon früh an und hört bis heute nicht auf.

    Kapitel 2

    Ein rothaariger Wildfang – Die Kindheit

    Ich wurde im Lindenhofspital in Bern geboren und wuchs im idyllischen Hinterkappelen auf, einem 9000-Seelen-Dorf in der Gemeinde Wohlen bei Bern. Mein Vater kommt aus Basel, meine Mutter aus Luxemburg. Meine Schwester war schon fast eine junge Frau, als ich geboren wurde. Sie und meine Eltern waren gerade erst aus Venezuela zurückgekommen. Mein Vater hatte dort viele Jahre bei der Siemens-Albis AG gearbeitet.

    Vielleicht hätte ich, «wie es so normal wäre», bald nach meiner Schwester auf die Welt kommen sollen. Aber das schien nicht zu klappen. So war ich also ein sogenannter «Nachzügler». Meine Ankunft war eine große Überraschung, aber auch eine besondere Herausforderung für meine Eltern. Schließlich waren sie beide schon über vierzig und dachten, dass sie das Leben jetzt bald wieder ohne Kinder genießen konnten. Nichts da, in dem Punkt machte ich ihnen einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Und so schob sich ein Schopf mit hellroten Haaren an einem stürmischen 11. September in diese Welt. Ab da sollte ich so manches Herz erfreuen, aber auch für viel Furore sorgen.

    Meine Schwester war sehr fürsorglich und verantwortungsvoll, übernahm oft eine mütterliche Rolle. Sie setzte sich bei Streitereien mit Nachbarskindern für mich ein, organisierte Geburtstagsfeste für mich. Ich war noch klein, als sie mit ihrem Freund zusammenzog. Ihr Auszug war einschneidend für mich, da sie eine wichtige Bezugsperson für mich war. So wuchs ich eher wie ein Einzelkind auf.

    Doch die gemeinsamen Erlebnisse mit meiner Schwester und ihrem Mann prägten mich und bleiben mir in guter Erinnerung. So nahmen sie mich beispielsweise in die Szene-Bar «Quick» des Restaurants «Lorenzini» mit, und mit ihnen durfte ich meine ersten Konzerte von Falco und Michael Jackson erleben. Mit ihnen war es einfach immer spannend.

    Ich wuchs in einer Siedlung mit 58 Parteien auf, die 1972 als neue Wohnform gebaut worden war. Die Häuser waren versetzt an den Hang gebaut und hatten Flachdächer. Die Siedlung heißt «Aumatt», und die konzeptionelle Idee gründete darauf, die Gemeinschaft zu fördern. Tatsächlich war bereits eine Verbundenheit zwischen den Familien gegeben, da alle die Siedlung im selben Zeitraum bezogen und die meisten kleine Kinder hatten.

    Es gab zwar keinen Gemeinschaftsraum, dafür ein Hallenbad zur gemeinschaftlichen Nutzung. Und jedes Jahr gab es das «Aumattfest» für alle Bewohner und auch die regelmäßige «Aumattputzete». An diesem Tag halfen alle Bewohner, die Siedlung zu reinigen, und waren für verschiedene Aufgaben eingeteilt. Am Abend gab es Fleisch vom Grill und gemütliches Beisammensein.

    Vor unserem Haus befand sich eine Schafweide, dahinter gleich der blaugrüne Wohlensee, ein verlängerter breiter Arm der gestauten Aare. Oberhalb der Siedlung angrenzend gab's einen Wald. Ich wuchs also an schönster Lage auf. Oft war ich draußen beim Spielen, alleine oder mit Freundinnen aus der Siedlung.

    Da meine Eltern ja einen großen Teil ihres Lebens in Südamerika verbracht hatten, war ihr Spanisch fast perfekt. Sie sprachen oft in der Fremdsprache miteinander. Besonders wenn ich es nicht verstehen sollte. Was ich dann aber bald tat. Es gab auch einiges an nicht ganz stubenreinen Wörtern, die ich auf diese Weise lernte. Es wurde nämlich oft geschrien bei uns im Haus. Ich dachte früher, dass das völlig normal sei.

    In der Nähe der Aumatt war das Haus der Familie Frutiger, wo ich eine Spielgruppe besuchte, bevor ich in den Kindergarten ging. Diese Familie wohnte mit ihren vier Kindern, einer Praktikantin, einer Studentin und einer befreundeten Familie in einem 10-Zimmer-Pavillon. Es gab einen großen schwarzen Neufundländerhund, den ich sehr mochte, und die gleichaltrige Tochter wurde eine gute Freundin für mich. Ich liebte den Ort, denn da wurde ich angenommen, wie ich war, und konnte mich so richtig austoben. Da gab's Klettergerüste, große Mal- und Bastelecken und Spielzimmer mit Holzspielzeug. Es wurde gemalt, musiziert, geturnt, Theater gespielt. In der Schweizer Zeitung «Wir Eltern» wurde über den speziellen und pädagogisch wertvollen Ort berichtet. Ich war auf zwei Fotos beim Spielen zu sehen. So hatte ich also schon früh meinen ersten Modelauftritt!

    Ich war eine richtige Bücherratte und konnte schon lesen und schreiben, bevor ich in die Schule kam. Mein Lieblingsort in der Schule war die Bibliothek. Ich las «Hanni und Nanni» und «Die drei ???» und liebte die Bücher von Astrid Lindgren, allen voran natürlich «Pippi Langstrumpf», genauso wie die Bücher von Otfried Preußler und Federica de Cesco.

    De Cesco hatte ihr erstes Buch mit fünfzehn veröffentlicht. Ich wollte wie sie unbedingt Schriftstellerin werden. Als ich zwölf war, schrieb ich einigen Autoren Briefe. Sie waren meine Vorbilder. Von Max Bolliger erhielt ich die Antwort, dass er sich schon auf mein Buch freut! Wenn der wüsste, dass ich als Erwachsene jetzt ein Buch schreiben darf! Leider ist er inzwischen verstorben.

    Ich las am liebsten Geschichten von Abenteuern und Freundschaften, Krimis und später auch unzählige Liebesromane. Viele Bücher gehörten mir selber, und ich lieh sie regelmäßig meinen Freundinnen aus. Ich spielte dann sozusagen daheim Bibliothek, klebte Zettel in die Bücher und versah sie mit einem Rückgabedatum.

    Die Schule besuchte ich eigentlich gerne, wenn es auch gewisse Herausforderungen gab. Ich war sehr gut in Deutsch und lernte später auch schnell andere Sprachen, Französisch, Englisch, und büffelte sogar Latein. Dafür war ich ganz miserabel in Mathematik und Geografie. Ich glaube nicht, dass mich Flüsse, Berge und Ortschaften nicht interessiert hätten, doch ich erinnere mich, dass der Lehrer es immer schaffte, mich so bloßzustellen, dass ich sowieso nicht mehr klar denken konnte, wenn ich aufgerufen wurde, und mich am liebsten in Luft aufgelöst hätte, wenn ich dann vor allen Schulkameraden stand und die Antwort nicht wusste.

    Ich hielt die Lehrer ziemlich auf Trab und wurde deshalb oft vor die Tür geschickt. Einmal gab's sogar eine ziemliche Prügelei mit einer Mitschülerin. Ich weiß nicht mehr genau, um was es ging, aber ich glaube, ich habe damit angefangen. Sie hatte eine unglaubliche Mähne, und schließlich rissen wir uns heftig an den Haaren. Anschließend wurden wir beide nach Hause geschickt. Im Schulbericht stand, dass ich zwar ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen sei und es eine Freude wäre, mir beim Vorlesen zuzuhören. Da stand aber auch, dass ich faul sei und keine Ausdauer zeige. Dass ich oft unruhig sei, einiges (wohl auch Negatives) in Gang setzen könne und den Weg des geringsten Widerstands wähle.

    Früh übt sich

    Meine Lebendigkeit war aber nicht immer negativ. Bei einem Familienausflug unterhielt ich mal die ganze Gesellschaft im Bus. Ich griff mir das Mikrofon und plapperte alles Mögliche drauflos, als wäre ich eine Radiomoderatorin im Kleinformat: selbsterfundene Witze, spontane Sprüche und Kommentare über die vorbeiziehende Landschaft. Alle lachten und wurden gut unterhalten. Schon da beherrschte ich es, alle Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Es war aber auch ein gewisses Talent bezüglich Redegewandtheit festzustellen, welches mir zugutekommen sollte.

    Ich legte mir früh ein dickes Fell zu. Wahrscheinlich weil ich mich wegen meiner roten Haare und der Sommersprossen verteidigen musste. Schon früh wurde ich gehänselt und fühlte mich deswegen als Außenseiterin. Man nannte mich «Sauerampfer», was eigentlich der Name eines Unkrauts ist, welches nicht mal wirklich rot ist. Als Kind trug ich kurze Haare und später einen Pagenschnitt, der mich sehr jungenhaft aussehen ließ. Ich benahm mich ja auch oft, als wäre ich ein Lausebengel.

    Meine bleiche Haut mochte ich gar nicht, weil sie sich nie bräunte wie die der anderen Mädchen. Diese Abneigung sollte mich lange Zeit begleiten. Ich fand mich zwar durchaus speziell, aber nicht unbedingt sehr hübsch. So war ich innerlich ziemlich unsicher und hatte kein intaktes Selbstwertgefühl.

    Als Kind mochte ich es gar nicht, alleine daheimgelassen zu werden. Meine Eltern waren abends des Öfteren bei Nachbarn und ließen mich zu Hause. Häufig stand ich dann schon bald mit der Bettdecke bei den Nachbarn vor der Tür oder machte Terror am Telefon, dass sie doch bitte zurückkommen sollten. Ich hatte Angst vor dem Verlassenwerden und fühlte mich schnell einsam und allein. Tina allein zuhaus – ein No-Go.

    Wie die meisten Mädchen besuchte ich den Ballettunterricht im Dorf. Ich liebte das rosa Tutu und meine Ballettschuhe. Ballett hatte etwas Kapriziöses und Mädchenhaftes, das mochte ich. Doch ich erinnere mich nicht, dass ich besonders gut darin war; es hatte ja auch viel mit Disziplin und Durchhaltevermögen zu tun. Damit hatte ich schon früh Mühe. Und als ich mich mal mit einer Kameradin in der Umkleidekabine fetzte, wurde ich aus dem Unterricht genommen. Ich ging dann zum Jazz-Dance, was mir mehr entsprach. Da war mehr Bewegung und schnellere Musik.

    Ich liebte auch Pferde und durfte zum Reiten. Nicht weit entfernt in einem Dorf gab es einen Reiterhof. King hieß das Pferd, das ich am meisten reiten durfte. Ich hatte einmal einen gefährlichen Sturz, der aber Gott sei Dank gut ausging. Ich erinnere mich, wie ich in hohem Bogen vom Pferd katapultiert wurde. Da lag ich am Boden und sah über meinem Kopf schon die Hufe des Pferdes, welches hinter mir gelaufen war. Es machte aber einen größeren Ausfallschritt, und so blieb mein Kopf verschont. Danke hier diesem intelligenten Tier!

    Eine Wasserratte als Anführerin

    In der Siedlung gab es eine Situation, wo ich meine Macht an Kleineren demonstrierte. Ich sperrte ein jüngeres Nachbarsmädchen im Keller ein und sagte ihr, sie müsse eine Stunde darin aushalten, dann würde ich ihr eine Tafel Schokolade geben. Nach einer Stunde ließ ich sie zwar raus, gab ihr aber keine Schokolade. Ich erzählte den Vorfall meiner Mutter. Sie weinte und bat mich, so was nie mehr zu tun. Heute denke ich, es wäre besser gewesen, wenn ich die Verantwortung für meine Tat übernommen und mich bei dem Mädchen entschuldigt hätte. Auf so einen Gedanken oder auf diese Idee kamen aber weder eine Tina Weiss noch ihre Mutter.

    Irgendwie entwickelte ich schon früh das Bedürfnis, andere zu unterdrücken und zu dominieren. Verantwortung zu übernehmen lernte ich hingegen nicht.

    Unter meinen Freundinnen in der Siedlung war ich so etwas wie die Anführerin. Ich war auch ein bisschen älter. Wir waren vier Mädchen, die immer zusammen waren, und nannten uns das «Vierer-Team». Wir hatten einige «Geheim-Clubs», imaginäre Welten, in die man nur durch Code-Wörter oder bestimmte Fertigkeiten hineinkam. Es gab auch Geheimschriften, die nur wir verstanden, und Regeln, die vorgaben, was passieren sollte, wenn man zum Beispiel schlecht übereinander redete oder ein Geheimnis ausplauderte.

    Ich nannte mich «Bonnie» und dachte mir die Regeln und Prüfungen aus. Es gab zum Beispiel eine Unterwasserwelt im Hallenbad. Um Zugang zu erhalten, musste man einiges beherrschen. Man musste mindestens zehn Sekunden unter Wasser bleiben oder durfte auf keinen Fall die Nase zuhalten, wenn man ins Wasser sprang.

    Im Wasser war ich ganz in meinem Element. Ich stellte mir auch oft vor, dass ich eine Meerjungfrau war und unter Wasser leben würde. Das Hallenbad wurde allmählich zu meinem absoluten Lieblingsort. Dort spielte ich, schwamm meine Bahnen, tauchte oder benutzte die Sauna. Uh, ich war eine ziemlich gute Schwimmerin. Es gab dort auch einen Kurs, in dem ich die Schwimmabzeichen machen konnte.

    Ich konnte mehr als eine Bahnlänge unter Wasser tauchen, und oft balancierte ich auch auf der Stange, die den Einstiegsbereich vom tieferen Bereich trennte. An dieser Stange machte ich liebend gerne Purzelbäume, manchmal über hundert hintereinander, bis ich fast nicht mehr wusste, was oben und unten war. Alles wie ein Rausch, und ich war richtig süchtig danach.

    Ins Hallenbad ging ich aber auch wegen den Unterwasserdüsen. Ich konnte stundenlang am Rand des Beckens hängen und mich von dem Strahl Wasser befriedigen lassen und dabei von romantischer Liebe träumen.

    Ich war früh sexuell aktiv, und die Selbstbefriedigung sollte zu einem steten Begleiter in meinem Leben werden. Sie wurde zu einem Zwang, einer Sucht. Ich fand darin Entspannung, und sie lenkte mich von meiner Einsamkeit ab und gab mir zweierlei: Erstens ganz viel Lustgewinn, denn auf alle Arten von Lust sprach ich enorm an, und zweitens eine gewisse Geborgenheit, denn Geborgenheit war neben der Lustbefriedigung mein größtes Verlangen.

    Früh machte ich Doktorspiele mit den Nachbarjungs, aber auch mit Freundinnen. Einmal war ich mit dem Nachbarsjungen Timmy in der Sauna, als ich etwa sieben Jahre alt war. Wir lagen aufeinander mit einigen Badetüchern zwischen uns. Dann nahmen wir immer eins weg, bis wir keins mehr zwischen uns hatten. Plötzlich kribbelte es ganz gewaltig zwischen meinen Beinen. Ich hatte zum ersten Mal so etwas wie einen Orgasmus.

    Meinen ersten Kuss kriegte ich, als ich knapp zwölf war. Stan war mein erster Freund, und ich fand ihn toll. Er wohnte auch in der Siedlung und ging in dieselbe Klasse wie ich. Er war ebenfalls ein sehr rebellisches Kind. Schon im Sandkasten hatte er mir meinen neuen Ohrstecker aus dem Ohr gerissen, als ich ihm diesen stolz gezeigt hatte. Er wollte immer mit mir in die Schule laufen. Wenn es mal nicht klappte, dann konnte er ziemlich aggressiv und ausfällig werden.

    An einem Geburtstagsfest bei mir zuhause wollte ich mal nicht mit ihm tanzen. Da warf er Stühle im Wohnzimmer herum, so dass meine Mutter ihn grob in die Schranken weisen musste. Er war es auch, der mir auf Zettel notierte, wann und auf welchem Kanal erotische Filme im Fernsehen angekündigt waren. Die schaute ich mir dann heimlich im Büro meines Vaters an, wo sich unser zweiter Fernseher befand.

    Liebe, Stars und Beziehungen

    Ich fing mit Tagebuchschreiben an, schrieb auch viele Briefe an Stan und an andere. Es ging meistens um Jungs. Fast auf jeder Seite kam ein neuer Name vor. Ich war dauernd verliebt, liebte mal den und bald den anderen, oder konnte mich nicht entscheiden, welchen ich nun wirklich liebte. So liebte ich halt gleich zwei oder drei parallel.

    Mit dem Wort «Liebe» ging ich sehr verschwenderisch um. Meine Gedichte waren sehnsüchtige Liebesgedichte, und ich träumte von inniger, romantischer Liebe. Es war gut und sicher, aus der Ferne zu schwärmen, mich meinem Tagebuch und meinen Freundinnen anzuvertrauen.

    Sobald ich das Sternzeichen eines Jungen erfuhr, versuchte ich durch ein Horoskop herauszufinden, ob wir zusammenpassten, und stellte mir dann das eine oder andere vor.

    Ich erinnere mich, wie ich einmal mit dem Nachbarsmädchen Nora im Zimmer tanzte. Wir hatten eine farbige Birne in die Lampe geschraubt, um eine Disco-Stimmung zu erzeugen. Dann hörten wir Bonnie Tylers «Total Eclipse of the Heart» und Richard Sandersons «Dreams Are My Reality» aus dem Film «La Boum – Die Fete». Wir tanzten mit einem großen Teddybären im Arm, als ob wir mit einem Jungen tanzen würden.

    Irgendwann inszenierte ich sogar eine Hochzeit. Mein Zukünftiger sollte Billy Idol sein. Ha, diesen Rebellen fand ich ziemlich toll, und ich schwärmte für ihn. Ich hörte mir am liebsten sein «Sweet Sixteen» an. Es blieb jedoch nur bei einer selbstgebastelten Einladung. Kein Wunder, denn wie hätte ich ihn auch einladen wollen? Außerdem war ich ja ziemlich viel jünger als er.

    Natürlich schwärmte ich auch für andere Stars: Patrick Bach, der «Silas» in der gleichnamigen Serie spielte, meine absolute Lieblingsserie, später die Gruppe «Modern Talking» und die Schauspieler Rob Lowe, Tom Cruise, Patrick Swayze von «Dirty Dancing», Don Johnson von «Miami Vice» und Sascha Hehn aus der Serie «Traumschiff». Ich erinnere mich, wie ich mal ein Bild von Sascha in die Schule mitnehmen wollte. Meine Mutter zerriss es, und ich weinte, weil ich das so ungerecht fand, und klebte dann die Einzelteile wieder zusammen. Ich stand auch total auf Elvis Presley. Immerhin teilte ich da die Leidenschaft mit meiner Mutter, die auch Fan von ihm war.

    Im Buch Anleitung zum Unglücklichsein von Paul Watzlawick sollte ich später Folgendes anstreichen: «Das noch unerreichte Ziel ist – so scheint es der Schöpfer unserer Welt zu wollen – begehrenswerter, romantischer, verklärter, als es das Erreichte je sein kann.»

    Ja, immer wenn die Geschichten mit Jungs aus der Nachbarschaft oder der Schule Realität wurden, war der Zauber oft schnell vorbei, und der Junge, von dem ich geträumt hatte, entsprach doch nicht meinen Erwartungen. Dabei kam es gar nicht zu einem richtigen Kennenlernen. Zuerst drängte ich mich meist per Schreiben auf und bekannte meine tiefste und aufrichtigste Liebe, um dann auch wieder per Brief Schluss zu machen. Dann schrieb ich in mein Tagebuch, dass ich ihn gar nie geliebt hatte!

    Ich schrieb viel, traute mich aber kaum, mit den Jungs zu sprechen, geschweige denn über unsere Beziehung. Wenn es damals SMS gegeben hätte, wäre ich wohl die Erste gewesen, die andauernd per Handy Schluss gemacht hätte. Ich flirtete einfach mit allen, Hauptsache, es war immer etwas los. Ich wollte jedem gefallen und liebte es, wenn ich der Mittelpunkt war.

    Einmal schrieb ich in mein Tagebuch: «Heute ist so viel Wirbel um mich. Endlich!»

    Ich war sehr von äußeren Umständen abhängig. Wenn es gerade gut lief mit einem Jungen, dann schwebte ich auf Wolken. Wenn es nicht nach meinem Willen lief, dann war der Tag zerstört. Dann schrieb ich Dinge wie: «Ich werde sterben, wenn er mich nicht mehr anschaut» und «Ich ersticke vor Liebe … es schmerzt so». Ich war abhängig von dem, was die anderen mir gaben und wie sie auf mich reagierten; unterm Strich war ich total von meinen Gefühlen gesteuert. Meine Identität war auf sehr wackligem Fundament gegründet.

    Mit großer Neugier schaute ich mir «Playboy»-Magazine, die ich mir unter den Nagel gerissen hatte, unter der Bettdecke an. Ich zog mir auch die Sendung «Tutti Frutti» rein, eine Erotikspielshow, die ursprünglich aus dem italienischen Fernsehen kam. Da sah man zwar überall nur nackte Frauen, aber irgendwie war das trotzdem spannend für mich. Immer wieder spielte ich auch «Strip Poker» auf dem «Amiga 500», dem Computer von Commodore, den mein Vater in seinem Büro stehen hatte. Ich verbrachte Stunden davor, spielte auch andere Games, «Thunder Boy», «Bubble Bobble» und ein Panzerspiel.

    Später organisierte ich mir Videokassetten mit Sexfilmen. Das waren damals noch VHS-Kassetten, und ich erinnere mich, sie per Post bestellt oder von Nachbarjungs ausgeliehen zu haben.

    Meine Eltern waren ziemlich abenteuerlich drauf und liebten das Reisen. Wir hatten eine kleine Jolle, ein Segelboot, mit dem wir viel in Estavayer-le-Lac am Neuenburgersee waren. Ich liebte es, mit dem Boot auf dem Wasser zu sein, und im Sommer waren wir, so oft wir konnten, am See. Wir hatten auch einen Camper. Ich erinnere mich, wie wir einmal in die FKK-Ferien nach Frankreich fuhren. Alle liefen nackt herum. Es war nicht ungewöhnlich. Ein Journalist machte sogar ein Foto von mir, wie ich lächelnd am Strand posierte.

    Einmal hatten wir unsere Katze dabei, einen beigen Perserkater, der Milo hieß und ein etwas grimmiges Gesicht hatte. Mein Vater hatte ihn meiner Mutter zu Weihnachten geschenkt. Er war in einem riesigen Paket drin, und ich vergesse nie den erstaunten Blick meiner Mutter. Das war eine gehörige Überraschung gewesen. Ich liebte Milo sehr, er gab mir Trost, wenn ich traurig war, und ich schrieb auch einige Gedichte über ihn.

    Fünfzehn Jahre später war Milo alt, und es ging ihm nicht mehr gut. Wir mussten ihn einschläfern lassen, und da meine Mutter dies nicht übernehmen wollte oder konnte, musste ich mit meinem Vater mit. Ich war damals zwar schon neunzehn Jahre alt, doch es war ein sehr einschneidendes Erlebnis für mich.

    Erstes selbstverdientes Geld

    Als Kind war ich fasziniert von Geld, und wenn ich am Strand war, suchte ich den Sand immer nach Münzen ab. Außerdem versuchte ich, auf alle erdenkliche Arten Geld zu machen. Ich verkaufte immer irgendwelche Dinge. Entweder baute ich einen Stand auf in der Siedlung, oder ich ging direkt an die Türen und klingelte, um Blumen, Sandwiches oder selbstgemachte Kerzen zu verkaufen.

    Sogar beim Tennisclub stand ich an der Eingangstür und verlangte von jedem, der in den Club wollte, fünfzig Rappen Eintrittsgeld. Ich kann mir vorstellen, dass das für die Besucher ziemlich nervig gewesen sein muss. Aber sie nahmen es mit Humor – wer konnte schon so einem süßen rothaarigen Mädchen wie mir widerstehen?

    Wir waren Mitglied im Tennisclub «Lawn», der sich in der Stadt Bern befand. Meine Eltern hatten bereits in Venezuela viel Tennis gespielt, Einzel und manchmal auch Doppel. Ich nahm schon früh Stunden. Ja, irgendwie war es cool in diesem Club. Mir gefiel die Atmosphäre, Tennis hatte etwas Mondänes. Ich machte von da an eigentlich immer Einzelsport, außer in der Schule, in der Teamsport obligatorisch war. Vielleicht hatte das auch Einfluss darauf, dass ich eine ziemlich ehrgeizige Einzelkämpferin wurde und allgemein immer Mühe mit Teamarbeit haben sollte.

    Opa läuft davon

    An Ostern fuhren wir jeweils zu meinem Großvater nach Luxemburg. Er wohnte in einem riesigen rosafarbenen Haus. Mein Großvater war Zöllner gewesen. Remich hieß das Dorf, in dem die Familie meiner Mutter wohnte. Es grenzt gleich an Deutschland, und die Mosel bildet die Grenze zu beiden Ländern.

    «Petter», wie wir Opa nannten, arbeitete auf der Brücke im Zollhäuschen. Ich besitze heute noch die Knöpfe seiner Uniform, die ich an eine Lieblingsjacke angenäht habe.

    Ich ging sehr gerne nach Remich. Ich erinnere mich, wie ich jeweils das Osternest gesucht habe, das im großen Garten versteckt war. Der Garten war wunderbar, mit vielen Blumen, Gemüse und Kirschblütenbäumen. Ich ging regelmäßig in den Hühnerstall und holte die Eier. Danach hatte ich mal den ganzen Körper voller Flohstiche.

    Mein Großvater bewahrte das Hühnerfutter in den umgestülpten Helmen einiger amerikanischer Soldaten auf, als ob es Schüsseln wären. Im Zweiten Weltkrieg wurde Luxemburg von den Deutschen besetzt. Die Amerikaner kamen als Befreier und quartierten sich in jener Zeit auch im Familienhaus meiner Mutter ein. Dabei hinterließen sie so einiges im Haus.

    Einmal kamen wir wie alle Jahre zu Besuch, und Petter saß mit einem Freund am Tisch. Es gab immer viele Katzen im Haus, aber dieses Mal schien es zu überborden. Es stank überall nach Katzen-Urin, das Haus war dreckig, ein einziges großes Chaos. Der Tisch in der Stube war mit Essen und Gläsern überfüllt, Petter und sein Freund tranken Alkohol und qualmten Zigaretten. Für mich als Kind eine traumatische Begebenheit, die ich nie vergessen werde. So mussten wir zuerst mal gehörig putzen, bevor wir uns da wohlfühlen konnten. Der halbe Aufenthalt ging mit Saubermachen drauf.

    Es war das letzte Mal, dass wir Opa in dem Haus besuchten. Er wurde in ein Altersheim überwiesen, wo er dann aber rebellierte und davonlief. Offenbar fühlte er sich seiner Freiheit beraubt, und es war nicht einfach, ihn im Heim zu halten. Später besuchten wir dann ein paar Mal meine Tante und meinen Onkel, die das Haus übernommen hatten.

    Aber hey, ich kam jetzt in die Jahre, in denen die Hormone verrücktspielten und ich kein großes Interesse mehr an Tanten und Onkeln hatte, sondern eher an der immensen Anziehungskraft der männlichen Welt! Und

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1