West- und Ostrom am Scheideweg.: Galla Placidia und Synesios von Kyrene
Von Rolf Helfert
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Über dieses E-Book
Warum reagierten Ost- und Westrom auf die gleiche Völkerwanderung in sehr unterschiedlicher Art und Weise? Diese Frage, die noch immer einer systematischen Untersuchung harrt, bildet den Dreh- und Angelpunkt der Studie. Gelingt es, dieses Problem zu lösen, dann ist zugleich besser zu verstehen, warum aus der Auflösung des weströmischen Reiches eine neue Kultur, das Mittelalter, hervorging.
Interessierten Laien wird eine kompakte Darstellung der Spätantike zwischen 376 und 410 geboten. Die Analyse enthält Elemente, die in der einschlägigen Sekundärliteratur nicht oder nur ansatzweise vorzufinden sind.
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Buchvorschau
West- und Ostrom am Scheideweg. - Rolf Helfert
West- und Ostrom am Scheideweg.
Titelseite
Impressum
Der Geist ist selbst sein eigener Ort und macht aus Himmel Hölle sich, aus Hölle Himmel.
John Milton, Das verlorene Paradies
1. Einleitung
Der Philosoph und Schriftsteller Synesios von Kyrene hielt 399/400 in Konstantinopel eine dramatische Ansprache. Germanische Söldner wollten die Macht im Staat an sich reißen, warnte Synesios und forderte, den alten Römergeist zu erneuern, der allein die Germanen bezwingen könne.
395 war das Römische Reich endgültig in eine West- und Osthälfte zerfallen. Die Idee der Reichseinheit bestand weiter, doch gingen beide Teilreiche getrennte politische und kulturelle Wege. In Ostrom, das 400 kurz vor dem Untergang stand, kontrollierten Germanen die Hauptstadt und große Teile des Landes. Das Westreich aber, regiert vom tatkräftigen Heermeister Stilicho, verlebte relativ sichere Tage.
Wenige Jahre später sah die Lage völlig anders aus. Den gleichen Germanen, die der Osten abgewehrt hatte, erlag das Westreich. 410 plünderten Goten die Stadt Rom; der letzte weströmische Kaiser wurde 476 abgesetzt. Die Frage, warum dem Osten gelang, woran der Westen scheiterte, bildet den Dreh- und Angelpunkt meiner Studie.
Gelingt es, dieses Rätsel zu lösen, ist noch eine andere Frage beantwortet. Warum gingen aus dem Römischen Reich zwei unterschiedliche Kulturen hervor, die oströmisch-byzantinische und das westliche Mittelalter? Bekanntlich war das Mittelalter eine neue Epoche.
Synesios repräsentierte ein an Vorbildern der heidnischen Antike orientiertes Denken. Im Westen verkörperte die Kaisertochter Galla Placidia, die Römer und Germanen zu verschmelzen hoffte, das genaue Gegenteil. Beide stehen für zwei sehr verschiedene kulturgeschichtliche Konzepte. Erst der Vergleich offenbart das Spezifische und ist das wichtigste Mittel historischer Erkenntnis.
Der Zeitraum der Untersuchung beginnt 376, als gotische Stämme die Donau überquerten und endet mit der Plünderung Roms 410, die eine Ära abschloss, in der welthistorische Entscheidungen fielen.
Interessierten Laien soll eine komprimierte Darstellung geboten werden. Die Schilderung der Fakten basiert auf den angegebenen Quellentexten und Geschichtsbüchern. Meine Analyse enthält Elemente, die in der einschlägigen Sekundärliteratur nicht oder nur ansatzweise vorzufinden sind ¹.
2. Der frühe Beginn der Spätantike
Wann die Spätantike begann, ist sehr umstritten. Vielen gilt der Tod Mark Aurels 180 als wichtige Zäsur, anderen die Krise des 3. Jahrhunderts. Nicht wenige verweisen auf Diokletians Staatsreformen, die Legalisierung des Christentums oder den Anfang der Völkerwanderung 376. Meines Erachtens begann die Spätantike mit der Errichtung des Principats durch Augustus. Nicht zufällig stiegen damals jene Kräfte empor, welche die Zukunft gestalteten: Germanen (Schlacht im Teutoburger Wald) und Christen. Bereits Cäsar und Augustus rekrutierten germanische Söldner für ihre Leibwachen.
Roms Aufstieg war dem Staatsbewusstsein der Bürger in republikanischer Zeit zu verdanken. Aber nur eine Militärmonarchie konnte das enorm vergrößerte und vielgestaltige Reich effektiv regieren. Bürgersinn und Staatsbewusstsein verkümmerten. Der Niedergang trat früh unter der Herrschaft despotischer Kaiser zutage (Caligula, Nero). Schon im Vierkaiserjahr 69 n. Chr. rivalisierten mehrere Generäle um das höchste Staatsamt.
Die Kaiser mussten privilegierte Gruppen des Militärs oder der Prätorianer materiell befriedigten. Lange bevor die Germanen Rom existentiell gefährdeten, versteigerten Prätorianer 193 das Kaiseramt. Der Staat funktionierte wie eine entseelte Maschine; statt des Bürgersinns benötigte sie Geld.
Der inneren Selbstschwächung folgte außenpolitischer Druck. Immer längere Grenzen hatte der römische Imperialismus gezogen, die immer schwerer zu verteidigen waren, sobald feindliche Offensiven gleichzeitig an mehreren Stellen erfolgten. Die römische Expansion brachte ihr eigenes Gegenteil hervor – eine lehrreiche historische Dialektik.
Jahrhundertelang vermochte Rom zahlreiche Kulturen und Völkerschaften in sein Herrschaftssystem einzubauen. Wieder begann, als der Bogen überspannt wurde, eine dialektische Umkehr. Symptomatisch hierfür ist die inflationäre Ausdehnung des römischen Bürgerrechts 212. Die Kehrseite der gleichen Prinzipien, die Rom einst groß gemacht hatten, stürzten es in die Krise.
Viele Germanen, zunächst vor allem Franken, wanderten ins Römische Reich ein. Anfangs fassten sie in den Hilfstruppen Fuß und besetzten später hohe Offiziersränge. Diokletian, Konstantin I. und Theodosius I. rekrutierten dem Reich nicht angehörende germanische Stammesgruppen.
Der Historiker Zosimos schildert eindringlich die gefährlichen Konsequenzen der Aufnahme von „Barbaren in das römische Heer. Denn die Germanen „hegten freilich insgeheim den Gedanken, dass sie bei wachsender Zahl den Staat leichter angreifen und alles in ihre Hand bekommen könnten
. Und sobald die außerhalb der Reichsgrenzen befindlichen Germanen „die Schwäche des Römerheeres bemerkten, glaubten sie den Augenblick gekommen, das in so großer Sorglosigkeit dahinlebende Reich anzugreifen" (Zosimos, Neue Geschichte) ². Rom verlor schrittweise die Kontrolle über das eigene Militär.
Bürgerkriege, Soldatenaufstände und Gegenkaiser (Usurpatoren) bestimmten Mitte des 3. Jahrhunderts den römischen Alltag. Der inneren Auflösung des Reiches folgte die außenpolitische Bedrohung. Um