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Zwischentöne - Ein Skizzenbuch
Zwischentöne - Ein Skizzenbuch
Zwischentöne - Ein Skizzenbuch
eBook195 Seiten2 Stunden

Zwischentöne - Ein Skizzenbuch

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Über dieses E-Book

Dieses unterhaltsame Werk von Thilo Koch enthält kleinere und größere Arbeiten des Autors, die er über viele Jahre hinweg in seiner Tätigkeit als Journalist verfasst hat. Reise-Impressionen, kritische Seitenhiebe, Aufsätze über Sartre, Casanova und Benn, Sprachglossen, Miniaturen und auch elf "Galanterien" sind in dem Buch enthalten. Auf Kochs ganz eigene und spannende Weise verbinden sich die sprachliche Intimität der Skizzen und der nur scheinbar private Gestus mit einer unbeirrten Reflexion, mit welcher der Autor auf das Ganze zielt.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum30. Sept. 2019
ISBN9788711836125
Zwischentöne - Ein Skizzenbuch

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    Buchvorschau

    Zwischentöne - Ein Skizzenbuch - Thilo Koch

    www.egmont.com

    ORTE

    Dolce Fahr’

    Dieser spanische Frühling zwingt uns ins Haus. Das kleine Tropengewitter nachts läßt die Quecksilbersäule erstarren. Morgens küßt der Tramontana die Wipfel der noch eingebundenen Palmen, so daß du schnell dir die Hände an dem Kännchen mit Café au lait wärmst. Sonst aber ist alles wie im Urlaub: das Bett zu kurz, die Decke zu dünn, das Wasser nie warm, der Strom schwankend, elektrische Rasur also ungleich.

    Genieße den südlichen Frühling, Mallorca, die goldene Insel, flugs fliegt man dich hin, du bist da, du erstarrst. In den Wogen, schneidend wie Nordsee. In den Klippen, traurigkühl wie Solveigs Lied. Auf der Terrasse, kahl wie ein Berliner Hinterhof. Bunt und höhnisch die Interpunktion der Liegestühle: Warte nur, balde . . .

    Aber im Hause, da ist ja gut sein. Voll bis zum Rand die lauschige Bar, eingerichtet mit Fleiß und Genie vom französischen Wirt für den Flirt, für Espresso und Knobeln, »Time« und »Life« am Kamin, Pfeife zur Nacht und dazu »Veterano«, billigen, guten, spanischen Cognac: bueno.

    Freilich, die Kleinen! Die Kinderchen! Wo, bitte, sollen sie spielen und tanzen, singen und springen, die Süßen? Draußen, der südliche Frühling, tut ihren Hälschen, den zarten, nicht gut. Also herein mit ihnen, laß sie hier schreien. Also zu zweien, zu dreien in die Klubsessel.

    Und geduldig steht der schottische Vater am Fenster, gewärtig des heimischen Nebels, des Frühlingsschneefalls, des Geists von Hamlets Vater, allem schlechthin. Jedenfalls ist er gelassen, bedient den Kamin, gründlich: und wenn die ganze Pineta verbrennt – warm wird es doch nicht.

    Sehr lebendig dagegen die drei Pariser Familien. Die eine Madame hat den Chic der Concièrge – o la la. Aber Monsieur grübelt so gründlich über der Karte zum Menü, daß er beim Skat, den die drei Herren von der Seine unentwegt spielen – veritablen deutschen »Skat« –, daß er verliert.

    Doch der Gattin Brillanten sind echt. Und so fait es rien, daß die drei putzigen Kleinen eben den zweiten Schemel zerkleinern und ihn verheizen. Unter leichtem schottischem Schütteln des Kopfes vom Fenster her, das freilich auf Bewegungen der buschigen Augenbrauen beschränkt bleibt: take it easy, boy.

    Anders der deutsche Professor. Er liest, buchstäblich, chinesische Bücher im Urtext – mit einem dicken Bleistift und von rückwärts, also ganz echt chinesisch. Scheu und Ehrfurcht aller Nationen umgeben den Weisen – etwa im Umkreis von ein Meter fünfzig. Selbst das englische Liebespaar aus Kalkutta (ob es da warm ist?) flüstert nur in seinem Rücken, an der Bar, die sehr hübsch aus einer längs abgeschnittenen Bootshälfte besteht. Beim Flüstern muß es sich nahe und immer näher kommen, denn leider – die Kleinen, die europäisch vereinten, spielen »Mikado« jetzt, und das ergibt Streit – Pearl Harbour, Harakiri.

    Nur die Stimme des Mannes in kurzen Hosen dringt da noch durch. Wem er eigentlich in schwäbischen Kernlauten von Charkow und »lagen vor Madagaskar«, El Alamein und dem Kuban-Brückenkopf erzählt, ist unerfindlich, da eine große Mutti, dick hollandaise, die deutsche Gruppe verdeckt. Mutti lächelt auf schottenrockrotkarierte Knaben und eigene kleine Meisjes hernieder, gutmütig-lieb, mit ewig schiefgeneigter Schulter und glühenden Wangen.

    Sonst gibt es noch zwei Attraktionen: die zweite Pariserin, Gattin im schwarzen Pullover, dazu ihr Anmutig-Parlierendes, schon mit acht Lenzen die ganze erotische Kultur der Nation mit Kußhändchen verschenkend. Und das rote Fräulein aus Vancouver, Kanada. Warum die hier friert und allein, weiß nicht mal Generalissimo Franco, der jede Mallorca-Briefmarke ziert.

    Sie blättert, das Engelsgeschöpf, in »Vogue«, Spalte »Reisetips«, »See Europe Now«, und hat wirklich sehr, sehr schöne Fesseln. Auch sonst – alles, was recht ist. Zweiundeinhalb Aphroditen, schaumgeboren. Aber der knappe, schmiegende Badeanzug ruht tief im Koffer, die Brandung brandet allein.

    Dieser spanische Frühling – ach ja. Aber balde: »Er kam, er kam ja immer doch . . .« Oder heißt es »noch«? Kein Büchmann – nix Literatur. Du senkst beschämt den ungebildeten Kopf. Aber: patienca – morgen, mañana ist auch ein Tag, Frühlingstag. Mache dich nützlich, Germane. Ich greife entschlossen zur Kaminzange, die Pineta zu schüren. Autsch, das war heiß. Scotchman vom Fenster fragt sachte besorgt: »Are you allright?« Ich grimmassierend, in diesem gemeinsamen europäischen Markt babylonisch verwirrt: »Merci, it’s niente!« Dolce far – aber fahr niente zu früh, in einem Früh-ling, o Reisender aus Alemania.

    Die Welt am sechsten Tage

    Artischocken und Palmen wachsen wie Unkraut. Grillen, so lang und stark wie ein Männerdaumen, springen dir über den Kopf und zehn Meter weit in die Macchia. Die duftet süß und intensiv, übertroffen nur noch gegen den Abend von der grüngrünen langen Büschelnadel der Schirmpinie am Hang und dem schotenartigen Blatt des Eukalyptus, der hier als Alleebaum dient und Kühlung raschelt. Schwarzer, roter, glitzernd-grauer Granit tritt überall aus den bunten Mosen, den Farnenfeldern, den Disteln, deren gelbe Blüte mannshoch aufschießt. Das uralte Gestein ist vom Meerwind, der Salzluft und den Güssen der Regenzeit modelliert; nun sieht es aus wie Elefantenhaut, und oft beugen sich die Höhenzüge wirklich auch in ihren Konturen wie die Rücken urweltlicher Elefantenherden unter das siedende Goldrot der untergehenden Sonne.

    Nach ewigen, ehernen Gesetzen, so spürst du, seit dich die »Tirenia« in Olbia anlandete, steht hier ein unberührtes Land gegen die nagende, kühlende See ringsum, gegen den segnenden, sengenden Himmel darüber. Das Buch der Geschichte? Hier blieb es geschlossen, und die Zeit, die allmächtige, hier verwandelt sie in zehntausend Sommern nur wenig. Asphodelen und Oleander wurden von keiner Hand gebrochen oder gezogen; alle Jahre schießt die Agave aus dem Schoß ihrer dicken, blaugrünen Blätter den Blütenbaum viele Meter in den Wind; Opuntie, der Feigenkaktus, wuchert unendlich; die Herbste duften nach Orangen, Zitronen, und in den Tälern kocht die Traube.

    Also doch der Mensch auch hier? Denn die Reben halten sauber am Stock; Schafe in daunenweicher Wolle grasen zwischen mörtellosen Steinmauern hinauf; das dunkel-sanfte Auge brauner Rinder glänzt blicklos über mahlendem Maul aus dem Schatten, und: ein dichtgeschlungenes Netz staubweißer und asphaltener Straßen überzieht die große Insel im Tyrrhenischen Meer. Menschen in den klassischen Berufen – Hirten, Pflüger, Jäger, Viehzüchter. Das einfache Leben mit Schafkäse, Wein und Brot. Menschen ohne Geschichte. Blaues Salzwasser, das den Granit zersägt; ein offener Himmel ohne Gott und voller Götter; in bergenden Muscheln aus Lava oder Basalt fruchtbares Grün, darin der Mensch.

    Das denkende Wesen, dessen Spuren sich in »vorzeitlichem« Dunkel verlieren, das so vieles ersinnt, aber nicht seinen Anfang, nicht das Ende der Zeit. »Nuraghen« hat er gebaut auf diesem Stück Erde, als erstes Zeugnis der Macht, die ihn vor allem beherrscht: der Angst. Nuraghen, Türme in kunstvoll simpler Architektur, urtümlich, düster, aus Steinen, die zwei, drei Männer noch gerade bewegen, Fluchtburgen, Gräber, man rätselt; nicht groß, nicht prächtig, aber selbst in drei-, viertausend Jahren noch nicht zerfallen. Du legst die Hand an diese ersten Mauern, die nicht Naturkraft baute, der Stein ist sonnenwarm, wie all die Sommer hindurch, da hier Phönizier, Karthager, Römer, Vandalen, Ostgoten, Sarazenen, Spanier, Genuesen, Pisaner, Habsburger vorbeizogen, eroberten, erpreßten, vergingen – bis Garibaldi die Einigung Italiens brachte.

    Nur wenige Meter sind die noch erhaltenen Nuraghen hoch. Die Abendbrise fährt kräftig drüber hin, das Land, das du überschaust, war besetztes Land bis vor hundert Jahren – durch Antike, Mittelalter, Neuzeit, »immer« also –, ohne Begriff von Sieg und Macht, von Selbstbestimmung und Zukunft. Keine Geschichte, keine historischen Aufschwünge, immer nur Material für fremde geschichtsbildende Kräfte. Besetztes Land; durch Jahrtausende besetzt. Begreift man das als freiheitsdünkelnder Mitteleuropäer? Hier ging der Wind über die Halme und knickte sie immer. Brot und Wein im besten Falle; die Berge als Zuflucht, die Macchia, Blutrache, Stolz, einsam durch die Jahrtausende, schwarzer Granit, der Wind und ein trauriges Lied auf der Hirtenflöte zum Abend.

    Hart, einfach und groß zwischen Himmel und Meer, laß andere regieren, nur immer neue Eroberer erobern Eroberer.

    An tiefblauen Golfen und zwischen silberhaltigen Bergen gibt es nun Städte. Dies Land, größer als die Schweiz, ist leer, aber es wächst doch auch Zivilisation um rasch modernisierte Zentren. Das heiße Wasser fließt zuverlässig ins rosa gekachelte Bad, blütenreine Wäsche wartet über der weichen Matratze. Languste ist zwar in der nächsten Trattoria billiger und besser als im staatlich unterstützten Hotel; aber Telefon in alle Welt, ein eleganter, ganz italienischer Corso gegen acht, das neuste Sportmodell von Alfa Romeo und aus dem Fenster dort drüben »My Heart Belongs to Daddy« sind die Vorzüge der Zivilisationsoasen; du bist in der westlichen Welt, geschützt durch NATO und einbezogen in den vertrauten Kreis von Jazz, Frühstück mit Ei, die neuesten Nachrichten, Krawatte und den zuverlässigen Ölwechsel aller zweitausend Kilometer. Um die Ecke spielt das »Ci« (gleich Cinema) mit Michèle Morgan; der sehr, aber nun schon sehr laute Sprecher vom Platz drüben ist, wie sich glücklicherweise herausstellt, kein Agitator der KPI, der Kommunistischen Partei Italiens, sondern ein Ausschreier auf dem »Mercato di Stoffe«, und die Glocken der Chiesa läuten zuverlässig zu Frühandacht und Vesper.

    Sonst nämlich, in der Campagna, sieht es mitunter so gar nicht westlich aus. Es ist das gleiche Licht, ein ähnlicher Geruch nach Hammelfleisch und Holzkohle, die Leute bewegen sich so und blicken über ihren Bärten – wie in Aserbeidschan, auf den Ägäis, an sehr heißen Tagen in Süd-Polen, in Arragonien, an gewissen osmanischen Plätzen. Da fällt das törichte Herumgeschicke des »Grand-Hotel-Kellners« durch drei amerikanische Sekretärinnen vom Hauptquartier in »Naples« ins schweigende Nichts. Immerhin signalisieren die Ladies Zivilisation, und die ist angenehm, schließlich verteidigenswert, gerade in göttlicher Wildnis, unter Palmen, Disteln, Asphodelen – in der drängenden Nachbarschaft von Nuraghen, Granitbergen, Himmel und Meer.

    Sardinien, Insel hinterm Rücken der Geschichte, stolz und leer, stark und lieblich, unentdeckt und doch uralt: dein Reiz liegt darin, daß du die Welt bist am sechsten Schöpfungstage – aber zierlich gehalten von blauen Bändern aus Asphalt.

    Zwischen Jungfrau und Mönch

    Im Herzen Europas, denkst du, herrscht eitel Zivilisation. Vier Wochen maßvolles Wohlsein bei Alpenmilch und »Grüet Sie alle miteinand!« Doch Wildnis, verwegne, bedroht auch hier, so lernst du, humane Idylle und liebliches Gleichmaß der Ferien. Paar tausend Meter entfernt vom Kuhläuten, roten Asphalt und traulichen Giebel deines Chalets – bleckt Arktis knurrend die Zähne, ragt Eiswelt, dürftig verdeckt unter brauenden, nördlichen Nebeln.

    Sie grüßten als art’ge Kulisse beim Frühstück herüber, die stummgigantischen Viertausender des Berner Oberlandes. Nun aber schnurrt auf stählernen Zahnstangen die elektrische Bahn mit dir zum Joch der meistens in Wolken gehüllten Jungfrau. Hybris, sinnst du, menschlicher Übermut, fahrplanmäßig hier U-Bahn zu fahren durch Marmormassive, den längsten Tunnel Europas hinauf zum höchsten Bahnhof des alten Erdteils (3454 m über dem Meer). Einige tausend Tonnen drücken da auf das Köpfchen, und oben ist die ozonige Luft schon recht dünn.

    Polarhunde, Eskimoschlitten – das mag wohl nur fromme Prospektlegende gewesen sein. Doch leibhaftig knurrt es und grönländisch finster vom Mönch her, und wie ein Geisterzug rasselt und hechelt der Schlitten an dir vorbei, im Schneesturm, im Wolkendunst weiß. Sechs arktische Hunde, kein Zweifel, ein mähniger Mann mit Schneebrille und Urlauten am Ende und lenkend. Inmitten verloren die Schatten von drei, vier Touristen.

    Da ließest du lächelnd und mählich unten in Sommer und Urlaub, bei Alpencreme-Schoko nebst allfälliger Südfrucht, die Kinderchen glücklich, die Gattin. Dreitausend Meterli knapp über ihnen west hier das Urtum, die schneidende Kälte, Gletschergefahr und wildes Getier. Wie herbestellt pfeifen finstere Dohlen schwarz und gezackt um das Berghaus.

    Drinnen beim wärmenden Kaffee sieht die Sache normal aus, wenn auch noch immer bizarr. Vor den Fenstern wölkt und brodelt der weiße Ozon distanziert, der riesige Steinadler schaut griesgrämig drein – an der Wand, ausgestopft. Aber es harren die Wunder ihres Betrachters. Vor zwanzig Jahren zum Beispiel haben ein paar Schwyzer Bergmannen die Eishöhle geschlagen, von Hand, in den Gletscher, ins fünfzig Meter tiefe Eis hinein, Gänge und Nischen, einen riesigen Saal für Schlittschuhtänze, und seither steht die kalte Pracht da – unbewegt, verzaubert, denn die Temperatur ist immer frigide hier drinnen.

    Oben nur taut der Schnee weg bisweilen, ewig starren Felsen und Eis. Sonne? Die sahen sie stumm wohl millionenmal kommen und sinken,

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