Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11
Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11
Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11
eBook464 Seiten6 Stunden

Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Spannung pur!Unter dem Eis in einem alten Ruderboot, das ans Ufer des Norsminde Fjords getrieben ist, wird ein toter Teenager gefunden. Wie sich herausstellt, handelt es sich um Iris Bøgh Lykkegaard aus Malling, die seit über zwei Monaten vermisst wurde. Sie verschwand in Aarhus, wo sie zusammen mit Freundinnen ihren 16. Geburtstag feierte. Auf dem Eis über dem toten Mädchen liegen Blumen. Blaue Iris. Hat der Mörder sie dorthin gelegt? Warum wurde das junge, beliebte Mädchen mit den außergewöhnlich schönen blauen Augen gefoltert, brutal ermordet und in dem Boot zurückgelassen?Es wird Rolando Benitos erster schwerer Fall als neuer Hauptkommissar bei der ostjütländischen Polizei, wo er nach seinen Jahren als Ermittler bei der Unabhängigen Polizeibehörde gleichzeitig gegen das Misstrauen seiner Kollegen ankämpfen muss. Im Laufe der Ermittlungen zeigt sich, dass es mehrere mögliche Motive für den Mord an Iris gibt. Langsam wird immer mehr über ihr Leben bekannt und nichts ist, wie es scheint. Aber der Mörder ist näher, als Roland klar ist. Kann er die beschützen, die er liebt?-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum5. Aug. 2019
ISBN9788726094862
Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11

Mehr von Inger Gammelgaard Madsen lesen

Ähnlich wie Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11

Ähnliche E-Books

Krimi-Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11 - Inger Gammelgaard Madsen

    www.egmont.com

    Das Eis auf dem Fjord reflektierte das Licht und blendete sie. Der Schnee knirschte unter den Sohlen, Eiskristalle glitzerten auf der spröden Oberfläche; der Himmel war blau, die Luft frostklar und schneidend. Einer dieser Tage, an denen sie es liebte, mit Smiley spazieren zu gehen. Der Hund war in der weißen Landschaft schwer zu sehen, aber jetzt lief er ihr freudig entgegen. Genau deswegen hatte sich für einen Samojeden entschieden, weil es aussah, als ob er immer lächelte. Das gab ihrem Leben einen positiven Hauch, nun, da Simon sie nicht mehr anlächelte.

    Er war direkt nach Neujahr begraben worden und sie war froh, dass sie trotz allem Weihnachten und Neujahr zusammen hatten verbringen können, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt krank gewesen war. Jetzt war ein ganz neues Jahr angebrochen. Der Januar war dunkel und lang und hatte gerade erst angefangen, aber sie hatte beschlossen, dass es ein gutes Jahr werden sollte. Simon hatte nun seinen Frieden und sie hatte die Kinder und Enkel – und Smiley. Martha Bæk warf einen Schneeball und der Hund stürmte ihm nach, so schnell es der Schnee erlaubte. Die Rasse stammte aus Sibirien, wo sie zusammen mit den Nomadenstämmen lebte und als Schlittenhund gebraucht wurde und sie konnte auch deutlich sehen, dass er die Winterlandschaft genoss.

    Ihr Atem blieb in der kalten Frostluft hängen. Sie rieb die Handschuhe aneinander und schlug die Arme um ihren Leib, während sie nach dem Hund schaute. Jetzt verschwand er hinter dem Hügel runter an den Fjord. Sie pfiff, aber Smiley hörte nicht. Sie seufzte und folgte der Spur des Hundes. Als sie oben auf dem Hügel angekommen war, entdeckte sie zuerst eine dunkle Gestalt und danach Smiley, der am Fjordufer um die Gestalt herumtanzte. Es sah aus, als versuchte die Person den Hund zu verjagen. Martha pfiff erneut. Smiley war viel zu zutraulich, verspielt und gesellig – jedenfalls kein guter Wachhund. Aber normalerweise hörte er.

    Sie versuchte auf dem Weg den Hügel hinunter im Schnee das Gleichgewicht zu halten. Die Stiefel rutschten und mehrmals verlor sie beinahe den Halt, fing sich aber wieder.

    „Smiley!", rief sie und pfiff noch mal, so laut sie konnte.

    Jetzt bemerkte die Person in dem schwarzen Mantel sie. Sie konnte nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war, ebenso das Gesicht nicht sehen, es war unter einer Kapuze mit Pelzkragen verborgen.

    „Sie müssen keine Angst haben, der tut nichts! Er heißt Smiley!", rief sie und lächelte, obwohl man das von da unten aus der Entfernung sicher nicht sehen konnte. Sie bereute, Smiley losgemacht zu haben, aber in der Regel ließ er sich leicht abrufen, und sie hatte nicht erwartet, hier auf dem freien Feld so früh jemanden zu treffen.

    Plötzlich rutschte sie aus und stöhnte vor Schmerzen, als eine Sehne im Knie riss. Sie versuchte es beharrlich, kam aber nicht mehr hoch. Dieses Knie hatte immer schon Probleme bereitet.

    „Hallo! Können Sie mir helfen? Mein Bein ist verletzt", rief sie und winkte der Gestalt, die neben dem Boot stand, über das sie sich schon gewundert hatte. Es hatte den ganzen Winter dagelegen, voller Wasser, das zu Eis gefroren war. Das tat einem Boot nicht gut. Smiley war selbstverständlich dorthin gelaufen, das machte der Hund jedes Mal, und letztes Mal hatte sie ihn von dem Boot wegziehen müssen, um ihn mit zurück zum Auto zu nehmen. Bestimmt zogen ihn diese blauen Lilien an, die auf dem Eis lagen – oder ob es wohl Iris waren? Simon war der bessere Botaniker gewesen. Sie hatte sich auch gefragt, warum da Blumen lagen. Sie wirkten völlig fehl am Platz, aber heutzutage passierten so viele seltsame Dinge.

    Sie winkte, im Zweifel, ob sie übersehen worden war. Konnte man das? Smiley reagierte auch nicht. Der Hund bellte und folgte der Person, die sich in den Schneewehen abwehrend von ihm weg in die entgegengesetzte Richtung bewegte und plötzlich losrannte. Smiley lief hartnäckig hinterher und bellte laut. Er dachte sicher, sie würden spielen. Aber warum rannte der Fremde? War sie hier oben auf dem Hügel so schwer auszumachen? Blauer Mantel in weißem Schnee. Das müsste man eigentlich sehen.

    Martha stöhnte vor Schmerzen, als sie nochmals versuchte, auf die Beine zu kommen und sich sofort wieder in den kalten Schnee legen musste. Die Hose war durchnässt und sie fror wie ein Schneider. Sie rief erneut und versuchte lauter zu schreien.

    Die Person hielt jäh inne und schaute zu ihr hinauf. Das Morgenlicht fiel in die Kapuze und verblüfft erkannte sie das Gesicht selbst aus dieser Entfernung.

    „Du bist das?! Was in aller Welt machst du hier so früh? Komm her und hilf mir, ich komme allein nicht mehr auf die Beine!", rief Martha und winkte wieder. Smiley verfolgte den Ärmsten weiter, schnappte nach den Waden und erwischte das eine Hosenbein, an dem er riss und zerrte, während sein Opfer kämpfte, um freizukommen. Was war nur mit ihm los? Das war kein Spiel mehr.

    Ein wütendes, zurechtweisendes Kommando an Smiley blieb ihr im Hals stecken, als er plötzlich herzzerreißend winselte und zusammensackte. Um Atem ringend versuchte Martha wieder vergeblich, auf die Beine zu kommen, als sie den Hund im Schnee ein paarmal zucken sah, bevor er still und reglos liegen blieb.

    „Smiley!", schrie sie.

    Jetzt drehte sich die Gestalt um und kam langsam und zielstrebig zu ihr hoch.

    Kapitel 1

    Es hatte leicht zu schneien angefangen, als Roland Benito an der Stelle am Norsminde Fjord ankam, wo die Frau von ein paar Kindern gefunden worden war, die auf den schneebedeckten Feldern Schlitten fahren wollten. In der Sonne sahen die Flocken wie feine, weiße Daunen aus, die langsam vom Himmel fielen. Ein hübscher Anblick vor dem Eis des Fjordes, das wie Gold glänzte.

    Mein erster Fall, dachte er, während er durch die Schneewehen zu den Kriminaltechnikern in blauen Schutzanzügen stapfte, die sich zusammen mit der Rechtsmedizinerin Natalie Davidsen hinter dem Hügel befanden. Waren die Anzüge heute blau statt gewohntermaßen weiß, damit sie sich vom Schnee abhoben oder dachte sein Gehirn nach längerer Abwesenheit vom normalen Polizeidienst bloß an etwas anderes, bevor er mit dem Anblick konfrontiert werden sollte, vor dem er in den knapp vier Jahren als Ermittler bei der Unabhängigen Polizeibehörde überwiegend verschont geblieben war? Eine Leiche.

    Er war bei seinem Auto selbst auch in einen Anzug geschlüpft. Er knisterte beim Laufen im Frost. Roland versuchte, nicht in die vor ihm liegenden Fußspuren zu treten, die bald vollständig von frisch gefallenem Schnee bedeckt sein würden. Neben die am deutlichsten sichtbaren hatten die Kriminaltechniker gelbe Schildchen mit Nummern gestellt.

    Die Frau war als Martha Bæk identifiziert worden. Man hatte ihr Auto im Starupvej gefunden.

    Selbstverständlich war das nicht sein erster Fall. So fühlte es sich allerdings an, obwohl er in der Mordkommission im Polizeipräsidium in Aarhus viel länger gearbeitet hatte als bei DUP. Er hatte dem Angebot des Polizeipräsidenten nicht widerstehen können und Irene hatte recht, wenn sie sagte, dass er es vermisst hatte, wirkliche Verbrechen aufzuklären, statt gegen Polizeibeamte zu ermitteln, die das Gesetz übertreten hatten. Der Ermittlungsleiter bei DUP, Viktor Enevoldsen, war natürlich von seiner Kündigung überrascht gewesen, hatte dann kurz darauf aber lächelnd den Kopf geschüttelt und gesagt, er habe geahnt, dass das eines Tages passieren würde, da Roland sich nie daran hatte halten können, nur gegen Polizeibeamte zu ermitteln, sondern immer stärker in die Fälle selbst involviert gewesen war, mit denen man ihn in der Behörde betraut hatte. Manche seien einfach geborene Ermittler und Roland einer von ihnen. Er würde Viktor Enevoldsen, Karina Ottesen, Mark Haldbjerg und all die anderen bei DUP vermissen, aber nun würde er wieder mit seinen alten Kollegen zusammenarbeiten und den neuen, die in den Jahren seiner Abwesenheit dazugekommen waren.

    Schneeflocken trafen sein Gesicht, eine landete auf dem einen Augenlid und schmolz. Er blinzelte das Wasser weg, bevor er die kleine Gruppe erreichte, die um Martha Bæks Leiche stand. Sie lag im Schnee, als ruhte sie sich nur aus. Die Lippen waren bläulich und die Haut fast so weiß wie der Schnee, ebenfalls mit einem bläulichen Schimmer, der dem Widerschein des indigoblauen Steppmantels geschuldet sein konnte. Schneeflocken überzogen ihr Gesicht wie Eiskristalle und ließen es aussehen, als ob sie lange in einer Gefriertruhe gelegen hätte; sie hingen an den Augenbrauen, den Wimpern und den weit geöffneten Augen, die ebenfalls blau waren. Ihre goldgefasste Brille lag ein Stück entfernt, daneben stand ein gelbes Schild. Sie hatte eine beigefarbene Strickmütze auf dem Kopf, eine mit einer Bommel, wie Kinder sie oft tragen. Die Haare, die unter der Mütze rausguckten, waren weiß und fielen nass auf den türkisfarbenen Schal. In beiden Ohrläppchen trug sie weiße Marmorohrstecker, die wie Tropfen geformt waren. Er dachte darüber nach, dass das Ganze beinahe inszeniert aussah, als ob sie passend zu der kalten Schneelandschaft angezogen worden wäre. Das Einzige, was sich in einem warmen Ton markant abhob, war das Blut, das den Schnee um sie herum rot gefärbt hatte. Natalie Davidsen sprach in ihr Diktiergerät. Sie kniete neben der Frau, als ob sie ihr einen Antrag machen wollte.

    Roland stellte sich diskret neben einen Kriminaltechniker, den er nicht kannte.

    „Frau Ende sechzig. Fünf Messerstiche in der Brust und …" Natalie hielt inne, als sie ihn bemerkte. Es sah aus, als wollte sie etwas sagen, schwieg aber, als fiele ihr ein, dass es jetzt gerade nicht passend war. Er nickte ihr mit einem kleinen Lächeln zu, als Zeichen weiterzumachen und sich nicht stören zu lassen. Er schaute einigen Beamten nach, die unten am Fjordufer herumliefen. Dann sah er wieder zu der Frau im Schnee.

    „Die Todesursache ist vermutlich Blutverlust, verursacht durch die Messerstiche im Brustkorb. Sie hat eine Menge Blut verloren und seit heute früh hier gelegen, den genauen Todeszeitpunkt wird die Obduktion zeigen." Natalie stand auf, strich Schnee vom Knie und schaltete das Diktiergerät aus. Roland hatte mitbekommen, dass sie lange gearbeitet hatte.

    Natalie ging zu ihm und sah ihm direkt in die Augen.

    „Na, dann bist du also zurück, Benito. Glückwunsch zu deiner neuen Stellung. Hauptkommissar. Wow. Damit solltest du gelockt werden, was?"

    „Danke, Natalie."

    „Und dann wirst du obendrein direkt mit einer Leiche konfrontiert, aber das hat wohl kaum der Polizeipräsident für dich arrangiert."

    Roland lächelte schief und versuchte einzuschätzen, wie viel Sarkasmus sich hinter diesen Worten verbarg. „Nein, ich glaube, das würde er wohl am liebsten vermeiden. Wurde sie hier überfallen?" Er nickte, die Hände in den Manteltaschen, in Richtung Leiche. Er hatte die Handschuhe im Auto vergessen.

    Natalie schaute wieder zu Martha Bæk. Schneeflocken lagen auf den Schultern und der Kapuze ihres Schutzanzugs.

    „Sieht nicht so aus, als wäre die Rede von einem Überfall, sondern fast, als ob sie im Schnee gelegen hätte, als es passierte, wie du an dem, was von den Fußspuren übrig ist, sehen kannst. Natalie deutete in den Schnee. „Ihre scheinen vom Hügelkamm zu kommen und dann sieht es aus, als sei sie ausgerutscht. Hier finden sich außerdem neue Fußspuren. Sie deutete wieder auf die entsprechende Stelle. „Sie müssen vom Täter stammen. Leider sind sie bald von neuem Schnee bedeckt, aber der Richtung nach zu urteilen kommen sie vom Fjord. Die Kriminaltechniker haben sie sich angeschaut, aber sie haben nicht viel Hoffnung, dass das was nutzt."

    „Hätte es nicht angefangen zu schneien, wären das optimale Fußabdrücke gewesen", rief ein Kriminaltechniker in der Nähe, der Natalie gehört haben musste.

    „In ihrer Manteltasche steckt eine Hundeleine, also ist sie hier offenbar Gassi gegangen."

    War das eine normale Stelle zum Gassi gehen? Er blickte über die Felder und den Fjord. Angolo würde es ganz sicher lieben.

    „Aber keine Pfotenabdrücke, wandte Roland ein. „Wo ist der Hund?

    Natalie schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Die meisten seiner Spuren sind verweht."

    „Was ist mit den Kindern, die sie gefunden haben?"

    „Die haben sich nicht bis nach unten getraut, sie sind oben auf dem Hügel stehen geblieben, als sie die Frau in dem ganzen Blut liegen sahen, und schnell heim zu ihren Eltern gerannt. Sie wohnen auf dem Hof, den du hier zu deiner Rechten erahnen kannst. Die Felder gehören wohl dazu. Die Eltern haben sofort die Polizei gerufen."

    „Dann ist sie offenbar hingefallen. Ist was gebrochen?"

    „Das kann ich nicht sagen, bis ich sie auf dem Tisch hatte. Leider trägt sie Handschuhe, daher werden wir nichts unter ihren Nägeln finden, falls sie sich verteidigt hat, aber das sehen wir dann."

    Sie schauten beide nach unten auf den Fjord und die Beamten; es sah aus, als ob sie etwas gefunden hatten. Ein Kriminaltechniker fotografierte irgendetwas im Schnee.

    Roland tätschelte Natalie leicht die Schulter, sodass der Schnee rieselte und begann die Wanderung den Hügel hinab. Es war kein Wunder, falls die Frau gestürzt war; hier war es glatt wie auf einer Schlittschuhbahn.

    Roland hatte ebenfalls Eis im Magen, als er sich den Beamten und Kriminaltechnikern näherte. Er hatte sich Sorgen gemacht, wie er nach der Zeit bei DUP im Polizeipräsidium empfangen werden würde. Mehrere der alten Kollegen sahen ihn schief an, empfanden ihn als Verräter. Viktor Enevoldsen hatte ihn genau davor gewarnt, aber Roland hatte geglaubt, es sei vor allem gewesen, um ihn am Gehen zu hindern. Jetzt war es spannend, wie schlimm es werden würde. Er wusste, sie warfen ihm vor, dass sein langjähriger ehemaliger Partner Mikkel Jensen während eines Falls, in dem DUP ermittelte, angeschossen und invalide geworden war. Heute saß er im behindertengerechten Bereich der Institution Enner Mark, wie das Staatsgefängnis Ostjütland mittlerweile hieß, weil das Wort Gefängnis für die Insassen und deren Familien anstößig war. Aber Mikkel Jensen saß nicht unverschuldet dort, auch wenn einige das nicht einsehen wollten. Hauptsächlich hatte Roland befürchtet, auf Isabella Munch zu treffen, oder Isabella Munch Jensen, wie sie nun genannt werden wollte, nachdem sie Mikkel Jensen geheiratet hatte- kurz bevor es passierte. Es fiel Roland schwer zu beurteilen, wie sie zu ihm stand, jetzt, wo er wieder da war. Bei der Morgenbesprechung hatte sie nichts gesagt.

    Als er am Fuß des Hügels angekommen war, sah er, was der Techniker fotografierte. Den Hund. Er war im Schnee schwer zu erkennen, weil das Fell genauso weiß war, aber der rote Strom aus seinem Hals sprang ihm ins Auge. Auf eine bizarre Weise sah es aus, als ob der Hundekopf lächelte.

    Niemand sagte etwas, man hörte nur das Klacken der Kamera in der Frostluft.

    „Wir gehen davon aus, dass es der Hund des Opfers ist, oder?", fragte er, um etwas zu sagen und auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen.

    Der Kriminaltechniker nickte und sah ihn kurz an.

    „Er muss natürlich obduziert werden. Wir warten auf den Tierarzt. Ich konnte einige Fasern zwischen seinen Zähnen sehen, daher hat er den Täter vermutlich gebissen oder jedenfalls nach ihm geschnappt. Vielleicht können wir das gebrauchen."

    Roland schaute sich um. Die Fußspuren des mutmaßlichen Täters und des Hundes kamen vom Ufer. Es sah aus, als hätten sie im Schnee gespielt, aber das war höchstwahrscheinlich nicht der Fall gewesen. Aber wieso einen Hund töten? War es jemand mit einer kurzen Zündschnur? Er folgte den Spuren ans Fjordufer. An einer Stelle konnte er sehen, dass der Hund gepinkelt hatte. Ein gelbes Loch war in den Schnee geschmolzen. Alle Fußspuren liefen bei einem alten Ruderboot zusammen, das ein Stück vom Ufer entfernt lag.

    Roland streckte den Hals. Es sah aus, als wäre das Boot mit Wasser gefüllt, das zu Eis gefroren war.

    „Pass auf, das Eis ist vielleicht nicht sicher", rief eine Stimme hinter ihm. Er drehte sich um. Es war Hafid Ahmed, der gerade angekommen sein musste. Am Morgen zuvor, als er sein altes Büro wieder bezogen hatte, war Polizeipräsident Birger Gudbergsen hereingekommen, um ihn willkommen zu heißen. Er hatte die Neuen und ihn einander vorgestellt, darunter auch Hafid. Es wirkte nicht, als ob er Vorurteile gegen Rolands Arbeit in der Polizeibehörde hätte, so wie die alten Kollegen anscheinend, aber mit seiner Hautfarbe und einem marokkanischen Vater kannte er Vorurteile vermutlich nur zu gut und nahm sicher von so etwas Abstand.

    „Sieht aus, als ob Fußspuren auf dem Eis sind, also wohl nicht vomBesitzer?", meinte er.

    „Ob der Täter wohl darüber gelaufen ist? War er beim Boot?"

    „Scheint so. Da liegt irgendwas drin", antwortete Roland und trat prüfend auf das Eis. Es wirkte fest genug. Er versuchte einen weiteren Schritt, dann noch einen. Das Eis knackte, aber dann war er fast am Ruderboot. Die beiden Ruder steckten in den Rudergabeln. Sie sahen ziemlich neu aus, und irgendwie wirkte das Boot nicht ausrangiert, obwohl es alt war. Als er dort angekommen war, blieb er verwundert stehen.

    „Was ist los, Benito? Was kannst du sehen?", rief Hafid neugierig vom Ufer. Offenbar ging er davon aus, dass das Eis nicht zwei Personen tragen konnte.

    „Das Boot ist voller Wasser, es ist komplett zugefroren, aber es liegen blaue Blumen auf dem Eis. Iris, glaube ich."

    „Blumen? Warum liegen die da?"

    „Gute Frage", murmelte Roland und beugte sich über den Steven. Das Boot war unerschütterlich im Eis festgefroren. Unter den Blumen und dem dicken Eis, das mit frisch gefallenem Schnee gepudert war, erahnte er eine Gestalt. Mit der Hand fegte er vorsichtig den Puderschnee weg, ohne die Blumen zu bewegen. Dann zuckte er mit einem lautlosen Keuchen unwillkürlich zurück. In der Tiefe kam ein Gesicht zum Vorschein. Die aufgerissenen Augen waren so blau, dass sie selbst durch das dicke Eis deutlich zu sehen waren.

    Sie waren genauso blau wie die Iris-Blumen.

    Kapitel 2

    Das Büro war anders eingerichtet als in den vielen Jahren, in denen er es innehatte und die Zustände bloß normal und nie besser geworden waren. Das Büro hatte der nun ausgeschiedene Vizepolizeidirektor Anker Dahl mit seiner Übernahme geändert. Es war ein kleiner Konferenztisch in die eine Ecke gekommen und ein Whiteboard, sodass sie für ihre Briefings nicht in den Konferenzraum gehen mussten. Warum war er da nicht draufgekommen? Aber da hatte ja der große Kasten von einem Drucker gestanden, fiel ihm ein. Der war nun durch ein kleineres Tischmodell ersetzt worden.

    Roland nickte zufrieden. Er hatte darauf bestanden, sein altes Büro zu bekommen, obwohl der Polizeipräsident ihm ein größeres angeboten hatte, jetzt, da er zum Hauptkommissar ernannt worden war. „Es wird mehr Papierkram", hatte er gesagt, und Roland hatte betont, dass er dann ja kein großes Büro bräuchte, wenn er nur an seinem Schreibtisch sitzen sollte. Diese Einstellung hatte Birger Gudbergsen nicht, was sich auch deutlich in den Büros der Führungsriege widerspiegelte; je mehr Papierarbeit sie hatten, desto größer das Büro.

    Roland lehnte sich ein paarmal prüfend auf dem Stuhl zurück, sodass das Leder knarzte. Warum hatte er damals nicht auch um einen neuen Stuhl gebeten? Der alte war so abgenutzt, dass die Gaspatrone nicht mehr funktionierte. Selbstverständlich, weil er gar nicht so viel gesessen hatte. Er fühlte sich draußen im Einsatz am wohlsten. Dieser Stuhl war echt bequem. Viel Papierkram? Er hoffte trotzdem, dass er nicht den lieben langen Tag auf seinem Hintern sitzen würde. Er schaute auf die Uhr. Wo blieben die Mitarbeiter? Er hatte alles für die morgendliche Besprechung vorbereitet. Die Fotos von Martha Bæk, dem Hund und dem Mädchen unter dem Eis hingen an der Pinnwand, auf dem Tisch standen Tassen und Thermoskannen.

    Am Abend zuvor war niemand hier gewesen, als er von der Pressekonferenz zurückgekommen war, die er gemeinsam mit dem Vizepolizeidirektor abgehalten hatte. Eine weitere Sache, an die sich Roland wieder gewöhnen musste. Die Presse. Er musste an das Nützliche denken, das die Journalisten trotz allem taten, sie als seinen Schlüssel zur Bevölkerung sehen, wie es der Vizepolizeidirektor ausgedrückt hatte. Glücklicherweise hatte er den Chef überreden können, nicht allzu offen zu sein. Unter anderem hatten sie sich darauf geeinigt, die frischen, blauen Iris-Blumen, die auf dem Eis über der Leiche gelegen hatten, nicht zu erwähnen.

    Natürlich war es spät geworden, bis er zurück in der Abteilung war, aber wie viel hatte sich im Laufe der Jahre im Polizeipräsidium geändert? Seinerzeit war es selten gewesen, dass die Leute einfach nach Hause gingen, wenn sie an einem großen Fall arbeiteten. Sie arbeiteten in der Gruppe, aber vielleicht hatten sie sich an etwas anderes gewöhnt unter Anker Dahl, den die Polizeibehörde nun hinter Gitter gesteckt hatte. Wenn es jemand verdiente, dort zu sitzen, dann er.

    Der Erste, der auftauchte, war Hafid Ahmed. Er wünschte Roland einen guten Morgen und setzte sich auf seinen Platz im Nachbarbüro.

    „Wann kommen die anderen?", rief Roland ihm zu und sah wieder auf die Uhr.

    „Die müssten eigentlich schon hier sein. Wenn nicht, sind sie bestimmt auf dem Weg", antwortete Hafid und schaute sich um, als glaubte er, sie versteckten sich alle unter den Tischen.

    Arbeitsniederlegung, war Rolands erster Gedanke. Alle waren so unzufrieden damit, einen Verräter als Chef zu bekommen, dass sie sich weigerten, zur Arbeit zu erscheinen. Vielleicht hatte Viktor Enevoldsen recht damit, dass es nicht leicht für ihn werden würde.

    Glücklicherweise trudelten sie nach und nach ein. Zuerst kam einer der Neuen, Liam Eklund, den er auch ein wenig kannte aus alten Zeiten, als Liam bei der Spezialeinheit gearbeitet hatte und anschließend, nach einer Schussverletzung, durch die er nicht mehr für ebendie härteste Einheit der Polizei arbeiten konnte, in die Abteilung für organisierte und Wirtschaftskriminalität versetzt worden war. Sie hatten letzten Sommer zusammen an dem großen Terrorfall in Aarhus gearbeitet, wo Roland erneut involviert war, obwohl er für die Polizeibehörde gearbeitet hatte. Als nächstes setzte sich Bjarke Svane auf seinen Platz. Svane war ein ehemaliger Angestellter des PET, hatte sich aber entschieden, den Job zu wechseln und im Polizeipräsidium anzufangen, als die Abteilung des PET in Aarhus 2013 schloss und die Mitarbeiter nach Søborg ziehen sollten. Dann tauchten Isabella, Niels Nyborg und Kim Ansager auf, seine drei alten, langjährigen Kollegen, die einzigen Alten, die noch da waren. Zum Schluss kam die neue Beamtin, Emily Strand, von deren schulmädchenhaftem Aussehen man sich nicht täuschen lassen durfte. Sie hatte vorher in der Spezialeinheit der Bereitschaft gearbeitet. Ihr Job bestand hauptsächlich darin, Schulen und Volksschulen abzuklappern und in das raue Nachtleben zu Diskotheken und Nachtclubs zu fahren, wo Drogen im Umlauf waren, um zynische Dealer zu verhaften. Anker Dahl hatte Liam, Bjarke und Emily in Verbindung mit dem Terroranschlag in die Abteilung gebracht und anschließend hatten sie selbst den Wunsch geäußert zu bleiben.

    Falls diese nachlässige Eintreffen am Arbeitsplatz Usus war, musste sich das wieder ändern, aber darum würde er sich nach und nach kümmern.

    Roland stand auf und ging zu ihnen ins Nachbarbüro. Wenn der Berg nicht zum Propheten kam …

    „Hmm, guten Morgen zusammen. Wir haben drei Mordfälle, würdet ihr daher mit in mein Büro kommen? Ich habe Brötchen besorgt."

    Er hatte beim Bäcker überlegt, ob es vielleicht wie Bestechung wirkte, aber falls er seine Mitarbeiter mit Brötchen und Gebäck dazu bringen konnte, ihm freundlich gesonnen zu sein, war er noch billig davongekommen.

    „Sind es nicht nur zwei Morde?", fragte Emily.

    „Ja, zwei Menschen – und ein Hund", antwortete Roland. An dem Tisch war geradeso Platz für die sieben Beamten. Roland setzte sich auf den Rand seines Schreibtisches. Zu seiner Freude nahmen alle die Bestechung an und schenkten sich Kaffee ein. Jedoch schweigend und ohne ihn anzusehen. Er räusperte sich. Die Routine bei Morgenbesprechungen musste auch wieder aufgefrischt werden. Er umklammerte seinen Kaffeebecher fester als notwendig.

    „Das Ruderboot wurde gestern Abend in die Rechtsmedizin gebracht. Das Eis sollte von allein auftauen, sodass eventuelle Spuren nicht zerstört werden. Das hat natürlich eine Weile gedauert, legte er dar. „Aber jetzt ist das Mädchen unter dem Eis identifiziert. Es handelt sich um Iris Bøgh Lykkegaard, die seit dem 5. November verschwunden war – also gut und gerne zwei Monate. Die Eltern haben sie identifiziert.

    Nun sahen ihn alle aufmerksam an. Der Fall des verschwundenen Mädchens aus Malling war in allen Medien gewesen, seit sie nach einem Abend mit ihren Freundinnen in Aarhus, wo sie ihren 16. Geburtstag feierte, verschwunden war. Der Fall hatte alle beschäftigt und berührt. Es war spät geworden, und Iris und eine Freundin, die in die gleiche Richtung musste, hatten sich darauf geeinigt, mit dem Taxi heimzufahren, aber Iris hatte aus unbekannten Gründen die verhängnisvolle Wahl getroffen, bei der Egelund Station aus dem Taxi zu steigen. Ihre Freundin hatte der Polizei während der Suche im vergangenen Jahr erzählt, sie habe gesehen, wie sie den Nymarksvej entlanggegangen sei und daher damit gerechnet, dass sie die Unterführung unter dem Oddervej nehmen und dem Nymark folgen würde, von wo aus es nicht mehr weit bis nach Hause war. Niemand hatte sie mehr gesehen, nachdem sie um 1:30 Uhr das Taxi verlassen hatte. Durch das heftige Schneegestöber in dieser Nacht waren alle Spuren beseitigt. Die Suche durch Polizei, Freunde, Familie, Missing People und im Großen und Ganzen alle in der Umgebung blieb erfolglos. Es war in Wasserläufen, Mooren und Seen gesucht worden, wo sie ins Eis eingebrochen sein konnte, und je mehr Zeit in diesem harten Winter verging, desto geringer waren die Chancen, die junge Frau lebend zu finden. „Wie ist sie gestorben?", fragte Isabella schwach.

    „Wir haben den endgültigen rechtsmedizinischen Bericht noch nicht vorliegen. Aber Natalie meint, dass sie heute Nachmittag damit fertig ist. Die Leiche ist gut erhalten, da sie die ganze Zeit gekühlt war; daher glaubt Natalie, dass die Chancen nicht schlecht stehen, Spuren zu finden."

    „Ja, wenn das Wasser sie nicht zerstört hat", warf Bjarke ein.

    Roland nickte und trank von dem Kaffee. Er war nicht so gut wie der, den er aus der Polizeibehörde gewohnt war, und er versuchte eine Grimasse zu unterdrücken.

    „Aber, was sie sagen kann, ist, dass Iris an Händen und Füßen gefesselt war und grob misshandelt wurde."

    „Vergewaltigt?", fragte Isabella. Die Abscheu leuchtete deutlich in den Augen. Roland erinnerte sich plötzlich an eine der letzten Bemerkungen von Mikkel Jensen ihm gegenüber, bevor er festgenommen worden war, nämlich, dass Isabella von jemandem vergewaltigt worden war, der frei herumlief, ihr drohte und andere Frauen vergewaltigte. Er hatte gesagt, dass sie ihren Namen hatte ändern und umziehen müssen, um dem Vergewaltiger zu entkommen. Aber hatte Mikkel Jensen das damals nur gesagt, um seine eigenen Taten zu rechtfertigen?

    „Das konnte Natalie vor der Obduktion auch noch nicht sagen, aber Iris war nackt, daher müssen wir das Schlimmste befürchten", antwortete er.

    Eine Weile herrschte Schweigen.

    „Iris war eine aktive junge Frau. Sie hatte gerade ihren eigenen Rekord als Freitaucherin unter dem Eis gebrochen, bevor sie verschwand", fuhr Roland fort.

    „Und dann wird sie tot unter dem Eis in einem Ruderboot gefunden. Ob darin wohl eine Symbolik liegt?", fragte Liam und fasste damit Rolands Gedanken in Worte.

    „Wir werden selbstverständlich mit ihrem Bekanntenkreis im Tauchklub reden", antwortete er.

    „Die wurden doch bestimmt schon befragt, als das Mädchen im November verschwunden ist", meinte Niels.

    „Das ist klar, aber jetzt muss ein Mörder gefunden werden, daher sprechen wir noch mal mit allen."

    „Was ist mit dem Taxifahrer? Wurde der nicht ausfindig gemacht?"

    „Nein, er hat sich nie gemeldet, daher haben wir auch hier eine Aufgabe. Ich kann dem Bericht entnehmen, dass geschlussfolgert wurde, dass es sich um ein Schwarztaxi gehandelt hat."

    „Was bedeuten die Blumen?", fragte Isabella und betrachtete das Foto des Bootes an der Pinnwand.

    „Das sind Iris. Frische, daher deutet einiges darauf hin, dass sie gerade erst hingelegt wurden", erläuterte Roland und schaute ebenfalls einen Augenblick auf die Pinnwand. Die starrenden, hübschen blauen Augen, die er unter dem Eis gesehen hatte, erschienen immer noch vor seinem inneren Auge.

    „Blaue Iris? Ob das wohl eine Anspielung auf ihren Namen ist?" Emily lehnte sich auf dem Stuhl zurück.

    „Oder auf ihre Augen. Die sind ungewöhnlich hübsch und blau", meinte Isabella und sah fast neidisch auf das Foto von Iris, das ihnen von den Eltern ausgehändigt worden war, als sie gesucht wurde. Iris lächelte und das lange, strohblonde Haar glänzte in der Sonne und umrahmte ihr hübsches, ovales Gesicht. Das gleiche Foto hatte Iris für ihr Facebook-Profil verwendet. Isabella hatte recht. Roland hatte noch nie so unglaublich schöne blaue Augen gesehen, wenn sie denn echt und keine farbigen Kontaktlinsen waren. Heutzutage wusste man ja nie.

    „Aber es kann ja eigentlich fast nur der Mörder gewesen sein, der die Blumen dorthin gelegt hat", schätzte Niels und Roland hatte das Gefühl, dass sie sich alle langsam in dem Fall engagierten.

    „Jedenfalls jemand, der wusste, dass sie in diesem Boot lag. Warum sollte er sie sonst hinlegen?", meinte er.

    „Aber man legt doch wohl nur Blumen für jemanden hin, den man mag", murmelte Isabella fast zu sich selbst und schaute immer noch nur auf die Pinnwand und die Tafel, nicht zu Roland.

    „Vielleicht hat die Frau, die tot aufgefunden wurde, sie hingelegt, überlegte Liam. „Wissen wir, wer sie ist?

    „Ja, Martha Bæk. Frisch verwitwet. Sieht so aus, als ob sie gerade mit dem Hund Gassi war. Roland deutete auf das Foto des toten Hundes. „Aber natürlich werden wir überprüfen, ob sie Iris kannte. Einiges deutet darauf hin, dass der Hund, bevor er erstochen wurde, den mutmaßlichen Täter angegriffen hat. Die Kriminaltechniker haben Fasern zwischen seinen Zähnen gefunden. Sieht nach blauem Jeansstoff aus, daher können wir davon ausgehen, dass er – oder sie – eine Jeans trug.

    „Hurra. Alle laufen in Jeans rum", bemerkte Kim trocken.

    „Martha Bæk starb an Blutverlust aufgrund von fünf Messerstichen in die Brust, fuhr Roland fort. „Eine Sehne in dem einen Knie war gerissen, sodass sie sich nicht auf das Bein stützen konnte. Die Spur im Schnee zeigt, dass sie ausgerutscht ist, und da die Verletzung frisch erscheint, meint Natalie, dass sie bei dem Sturz passiert sei. Sie konnte sich also nicht von der Stelle bewegen.

    „Wann wurde der Hund getötet?", fragte Niels, der lange in die Luft gestarrt hatte.

    „Kurz vor seiner Besitzerin", antwortete Roland, nachdem er den Bericht des Tierarztes zu Rate gezogen hatte.

    „Was hat sie überhaupt auf diesem Feld gemacht? Ist das nicht in Privatbesitz? Ich dachte, man darf nicht einfach so auf dem Eigentum anderer herumlaufen", sagte Liam.

    „Vielleicht kannte sie den Hofbesitzer", schlug Bjarke vor.

    Roland erhob sich vom Tisch und ging zu der Pinnwand. „Ich habe gestern Abend mit den Hofbesitzern in der Umgebung gesprochen, aber die kannten sie nicht."

    „Dann war sie also ziemlich auf sich gestellt. Insgesamt ist der Norsminde Fjord ja nicht besonders stark besucht", sagte Isabella.

    Bjarke schüttelte den Kopf. „Nein, und dafür sind die Naturschutzbehörde und der Dänische Naturschutzverband sicher dankbar. Der Norsminde Fjord ist ein Wildreservat, das viele Zugvögel als Rastplatz nutzen. Es ist nicht so leicht, an den Fjord zu kommen. Man muss beim Norsminder Hafen parken, einem Pfad auf dem Deich in Richtung der Aarhuser Bucht folgen, am alten Pumphaus vorbei und ins Reservat, das Das Herrenlose heißt. Das dauert circa drei Stunden", informierte Bjarke.

    Emily zog das Haargummi um den blonden Pferdeschwanz fest. „Kein Wunder, dass dann jemand eine Abkürzung über die Felder nimmt."

    „Der Fjord ist nicht besonders tief, erläuterte Bjarke weiter. „Ich glaube, die Maximaltiefe beträgt nicht mehr als ein paar Meter.

    „Dann ist es wohl auch nicht normal, dort Boot zu fahren?" Isabella runzelte die Stirn.

    „Es gibt strenge Regeln für Schifffahrten auf dem Fjord. Ich weiß, dass Regatten mit Ruder- oder Segelbooten auf jeden Fall verboten sind."

    Bjarke segelte selbst viel und hatte ein kleines Boot in der Marselisborg Marina liegen, sicher hatte er daher das Wissen.

    „Ist es nicht merkwürdig, dass sie so lange in diesem Boot gelegen hat, ohne entdeckt zu werden? Wem es wohl gehört?"

    „Das finden wir heraus, Isabella", versprach Roland.

    „Haben wir Zugang zu ihrem Facebook-Profil?", fragte Emily.

    „Das wurde während der Suche bereits in Augenschein genommen. Es war nicht sehr aufschlussreich, da das Profil seit Iris’ Verschwinden nicht in Benutzung war. Es wurde von der Familie gelöscht, nachdem es drei Wochen lang kein Lebenszeichen von ihr gegeben hatte. Allerdings ist es erst vor Kurzem vollständig aus dem Netz verschwunden, aber das ist offenbar normal, wenn ein Facebook-Konto geschlossen wird."

    Roland wusste nicht besonders viel über so etwas. Er war nicht bei Facebook. Seine Enkelin Marianna schon und sie war die ganze Zeit mit ihren Updates, Statusmeldungen oder, wie auch immer sie das nannte, beschäftigt.

    „Was ist mit dem Handy? Heutzutage kann ja kein Jugendlicher ohne leben, also muss sie doch eins gehabt haben", behauptete Liam.

    „Es ist leider trotz intensiver Suche in der Umgebung nicht aufgetaucht. Hafid und ich sind gestern Abend noch mal ihr Zimmer durchgegangen, als wir mit ihren Eltern gesprochen haben. Ihr Vater, August Bøgh Lykkegaard, ist Augenarzt und hat eine Klinik hier in Aarhus. Seine Frau hilft in der Klinik als Sekretärin. Sie waren nicht der Meinung, dass es notwendig wäre, dass wir das Zimmer ihrer Tochter sehen, da es schon untersucht wurde, als sie vor zwei Monaten verschwand, aber wir bekamen trotzdem die Erlaubnis. Hat leider nichts gebracht."

    Hafid schüttelte den Kopf. „Es sah aus, als hätte sie die wichtigsten Dinge bei sich. An der Wand hingen fast nur ihre eigenen Zeichnungen. Offenbar war sie ziemlich talentiert."

    Roland nickte.

    „August Bøgh Lykkegaard?, wiederholte Emily. „Ist das nicht der, der neulich wegen der Erforschung der Regenbogenhaut im Fernsehen war?

    „Ja, stimmt. Er forscht in Iridologie."

    „Iridologie? Was soll das sein?", fragte Hafid.

    Kim räusperte sich. „Diese Technik lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückführen; doch Mitte des 19. Jahrhunderts machte ein ungarischer Junge eine Entdeckung bei einer Eule. Ihr linker Flügel war gebrochen und er bemerkte einen Strich im entsprechenden Auge. Als der Flügel verheilt war, verschwand der Strich im Auge. Dieses Erlebnis vergaß er nie. Als er später Mediziner

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1