Kreuz und Geißel
Von Max Kretzer
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Buchvorschau
Kreuz und Geißel - Max Kretzer
Kretzer.
Erster Teil:
Soziale Auferstehungsgedichte
Widmung.
An die Befreier.
(1919)
So steig ich denn in der Erinnerung Schacht,
Wo Dämm’rung liegt auf meinen Jugendtagen,
Und hol’ ans Licht aus harter Arbeitsnacht,
Was früh in Fron erstickte meine Klagen.
Novemberstürme fegten durch die Stadt,
Tief schwarz in Nebel reckte sich der Morgen,
Und was von Abendvöllerei noch satt,
Das träumte süss, noch ledig aller Sorgen.
Scheu ging die Dirne ihren letzten Weg,
Der Bäckerjunge pfiff sich warm beim Trotten,
Ein Bummler taumelte auf trunk’nem Steg,
Ernüchtert durch der Männer rauhes Spotten.
In langen Wogen zogen sie dahin,
Die dunkle Flut geformt aus Menschenleibern,
Noch sprach der schwere Schlaf aus ihrem Sinn,
Der kurze Abschiedsgruss von gramverhärmten Weibern;
Der flücht’ge Kuss auf blassen Kindermund,
Der, traumbefangen, lächelnd sich beklagte,
Wenn sich des Vaters Seele, trennungswund,
Mit Bangen nach dem Wiedersehn befragte.
Denn das war des Enterbten Sklavenfest:
Dass er am Ruhetag erst seinen Namen hörte,
Weil früh und spät im warmen Kindernest
Bei Fort- und Heimgang ihren Schlaf nichts störte.
So wollt’s von Geldes Gnaden alter Brauch,
Der lange Tagesschicht aus Macht begehrte.
Weit war der Weg von Schlot zu Herdesrauch
Und kurz die Nachtrast, die an Kräften zehrte.
Das Tor der Arbeitsfeste klaffte weit,
Dem hohlen Maul des Untiers zu vergleichen,
Das seinen Schlund zur Beute hält bereit,
Sobald die Pfeife gellt als Sammelzeichen.
Es zog auch mich in seinen finstern Bauch,
In seiner Räderwerke hast’ges Treiben,
Wo stickerfüllt in Qualm und Rauch
Sich stiessen Mensch und Ding bei hartem Reiben.
So ging ich auf denn in der schwarzen Masse
Als schwache Welle in der Sklavenflut,
Ein Knabe noch, doch der Enterbten Klasse
Als Glied nun eingefügt zum Schachergut.
Aus Not. Von Unrechtswegen deklassiert,
Dem Spiel der freien Kräfte preisgegeben;
Noch hat kein Reicher je sich echauffiert,
Wenn rauh sein Fuss zertrat den Keim im Leben.
Und dreizehn Stunden ging die Tagesfron,
Von morgens sechs bis Feierabends sieben,
Und wog ich dann den Taler Wochenlohn,
So war die leere Schale mir geblieben.
Denn schwerer wog die Arbeit meiner Hände,
Die zehnfach häuften an dem Silberschatz
Des strengen Herrn, der stolz inmitten seiner Wände
Nur suchte für den Reichtum einen neuen Platz.
So wurde meine Jugend früh zertreten,
An Gott gesündigt, den der Reiche trog;
Und wenn mir Zeit blieb, still zu beten,
War’s nur mein zäher Glaube, der nicht log;
Der Glaube an den ewigen Erlöser
Der Armen, die das Kreuz ihm abgenommen,
Und der als seines Wundenmals Entblösster
Die Ausgleichsstunde selig hiess willkommen!
Heilandsaugen.
Als Christus ward ans Kreuz geschlagen,
Da hörte sterbend man ihn sagen:
„Es ist vollbracht." Der Himmel wurde finster,
Und in dem fahlen, blutgetränkten Ginster
Erstarb der Blumen frische, bunte Pracht.
Verstummt war rings der Vögel heller Sang,
Der noch zuvor der Knechte Hohn durchdrang.
Der letzte Stern erlosch, die Welt war Nacht.
Drauf stand die Erde still. Das Leben schwand,
Und alles starb, was Gottes Zorn gekannt.
Das Blut des Heilands war zur hellen Flamme,
Die feurigrot sich nährt am Marterstamme.
Und lodernd über kleinlichem Gewimmel
Ragt’ schreckhaft gross das Kreuz zum Himmel.
Der Geist entfloh. Am weltenöden Schacht
Hielt brünstig betend noch Maria Wacht.
Die Liebe blieb! Wenn auch im Kreis umher
Die Welt nur starrte als ein Totenmeer.
Doch Aschefunken,