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Peter Lebegerns große Reise
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eBook274 Seiten3 Stunden

Peter Lebegerns große Reise

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Über dieses E-Book

Wilhelm Lebegern, der Schuster, hat für seinen Sohne Peter nur einen Traum: Er möge Dorfschulmeister werden. Peter Lebegern erfüllt diesen Traum und wird Schulmeister. Doch auch er hat einen Traum: Er will in die Welt hinaus, was mit einer Reise nach Lappland beginnt. Dann zieht er in die Berge, landet in einer Bergeinsiedelei, schließlich in dem Burgfried der Frau von Landroff an der Saale in Thüringen. Was aber noch wichtiger ist, er lernt die wunderbare Valentine kennen und er erkennt, dass seine wahre Berufung im Schreiben von Romanen liegt.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711467756
Peter Lebegerns große Reise

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    Buchvorschau

    Peter Lebegerns große Reise - Max Geißler

    Saga

    Von Haus aus war Peter Lebegern wohl ein Armer — was man so arm nennt, das nicht reich ist; denn sein Vater war ein ehrsamer Dorfschuhmacher. Wenn der seine Sohlen aufnagelte, ängstigte den bescheidenen Mann in Liebe zu seinem Kinde der Traum: dieser Junge möge dereinst Schulmeister werden, womöglich gar Kantor. Aber — wie gesagt — jener Gedanke hatte etwas Beängstigendes; denn Wilhelm Lebegern, der Schuster, hielt ihn für vermessen.

    Zu dem Dorfschulmeister kam es mit Peter trotzalledem. Seiner Art nach gab es keinen, der zum Lehramt in damaliger Zeit berufener gewesen wäre mit seiner Entbehrungsfähigkeit, der Kraft seiner Selbstentäusserung, Geduld und Güte.

    Aber auf einmal … auf einmal kam die Sehnsucht über ihn!

    Nun, Peter Lebegern, der in Bogenbach am Rotwasser die Kinder die schweren Künste des Schreibens und Lesens lehrte — dieser Peter Lebegern war kein tatenloser Träumer. Er wartete nicht auf ein Wunderbares. Er dachte nicht, dass ihn ein Unbekannter zum Millionenerben einsetzen würde. Er hatte keinen Vetter in Amerika. Nein, nein, Peter Lebegern war ein so vernünftiger Mensch, dass er sich von den sechzig Mark Monatsgehalt eines Hilfslehrers nicht einmal ein Lotterielos kaufte. Aber das wusste er von Stund an: die Wüsten Arabiens oder die Weidegärten zwischen Euphrat und Tigris hatten etwas endlos Verlockenderes für ihn als die Enge der Wände, in die er dank des Traumes seiner Väter versetzt worden war. — Es war nämlich herausgekommen, dass dieser Traum schon durch Geschlechter in den Lebegerns gespukt hatte. Aber erst Wilhelm Lebegern, der Schuster, hatte den Weg und den Mut zur Verwirklichung gefunden.

    Natürlich war Peter Lebegern weise genug, sich zu sagen, dass es im Grunde keinen edleren Veruf gäbe als Menschen zu machen zu Abbildern Gottes aus den nassnasigen jungen Geschöpfen, die man ihm auf die Schulbank setzte. Jedennoch — er war auch weise genug, zu erkennen, dass er dies Geschäft besser solchen überliesse, die sich dabei ein bescheideneres Mass und Ziel steckten oder andere Verheissungen hatten als er.

    Und Peter Lebegern lauschte der Stimme, die in ihm sprach. Es sei nicht das richtige Glück, in dem er lebe, lockte diese Stimme. Wie? War das wohl gar ein Ton, jenem ähnlich, der durch die wunderschöne Dichtung von der Schlange im Paradiese klingt? — Nun, Peter Lebegern hörte dennoch hin — mit lächelndem Verständnis.

    Eines Tages stand es für ihn fest: er wollte seinem Glück und der Menschheit auf einem anderen selbstgewählten Posten dienen! Soviel Geld wie als Schulmeister musste sich zum Lebensunterhalt allenthalben verdienen lassen bei einer freien, seinen Neigungen mehr entsprechenden Tätigkeit.

    Dieser junge Dorfschulmeister hatte nämlich alle Sinne weit offen und sah durch seine Brillengläser ein ungeheuer weites und tiefes Stück Welt in sich hinein. — Es ist nicht von ungefähr, dass jene Brillengläser genannt werden. Sie hatten mit ihrer schwungvollen schwarzen Hornfassung in dem schmalen Dorfschulmeistergesicht etwas Herrschendes. Sie griffen hinab bis auf die Jochbeine der Wangen und griffen empor bis zu der klar modellierten Stirn. — Um jene Zeit trug Peter Lebegern das blonde Haar strack nach hinten gekämmt. Auch aus dieser Tatsache lässt sich erkennen, dass er mit dem Hirtenkönig im Land Uz wenig Ähnlichkeit besass — ausser der Verheissung, die in ihm glühte.

    Jedennoch — seine Träume waren anderer Art. Was nicht heissen soll: sie waren zeitgemässer. Oder: sie waren weniger verwegen; die des Abram waren das so sehr, dass er sich bekanntlich hinter den lieben Gott verstecken musste, um bei seinen Leuten den Eindruck zu vermeiden, die Wüstensonne habe ihm das Hirn verbrannt. Aber Könige waren sie alle beide — Punktum. Nur konnte der schmale Schulmeister von Bogenbach am Rotwasser sein Königtum nicht so sichtbar zur Schau tragen wie etwa der bronzebraune Kamelreiter aus dem Lande Uz in Chaldäa, dessen Herden die Weiden deckten zwischen den Rändern des Himmels.

    Um die Zeit der ersten Verheissungen wurde Peter Lebegern sogar noch ein wenig schmaler und blonder; die Bauern spotteten: dem Schulmeister wüchsen die Brillen. Was daher kam, dass er die Hälfte jedes Monatsgehaltes zur Seite legte; denn Peter Lebegern hatte sich vorgenommen, eine grosse Reise zu tun, sobald seine Ersparnisse hinlänglich seien … Bei dieser Feststellung ist im Hinblick auf die Einnahmen des Lehrers von Bogenbach die Frage allerdings nicht von der Hand zu weisen: waren nicht am Ende die Eroberungspläne Abrams und die Aufrichtung eines irdischen Königstums weniger vermessen?

    Nach einigen besinnlichen Stunden entschloss sich Peter Lebegern, das Land der Lappen und Eskimos zu besuchen; denn er fand, dass er die meisten anderen Gegenden der Erde aus unmittelbarster Anschauung heraus bereits kenne … wobei zu bemerken ist: diese Unmittelbarkeit der Anschauung war in der Tat vorhanden; denn über der Hingabe an seine Studien zur Welt- und Heilsgeschichte hatte er sich die Fähigkeit eines ungeheuren Einlebens in Zeiten, Länder und Völker angeeignet. Seine Augen sahen mit der Geübtheit derer des Malers. Sein nachschaffender Geist gestaltete mit der sieghaften Sicherheit des Dichters äusserlich Niegeschautes, aber zu tiefst Erlebtes. Peter Lebegern war schon um diese Zeit ein Künstler von kräftigen Massen — und wusste es nicht. Er war ein Eigener.

    Manchmal dachte er darüber nach, ob es nicht eine an Blödsinn streifende Schrulle sei, von den mühsam ersparten Pfennigen eines Dorfschulmeisters in das Land der Mitternachtsonne zu reisen, um mit einem Eskimo einen Becher Tran zu trinken.

    Als Pius Heidvogel, der geräderte Zeitungsmann, bei Peter Lebegern eintrat, hatte der seine grosse Reise schon hinter sich. Er hatte also den Schulmeisterrock in Bogenbach am Rotwasser hängen lassen, war mit rundlichen Lappen im Bootschlitten über verschneite Fjelds gesaust und war nun gerade im Begriffe, seine Mitbringsel in einem hochgelegenen Stübchen zu verstauen. Mitbringsel. Ja. Es waren das viele kleine und kleinste Dinge, die ihm aus irgend einem Grunde wertvoll erschienen. Zusammengetragen, zusammengepackt und wieder gepackt.

    Dazwischen stand er — Peter der Lebegern. In einer im übrigen noch leeren Dachstube. Viele Giebelchen guckten zu den Fenstern herein — manche, als stünden sie auf den Zehen oder klömmen mit spitzen Fingern an Peters Fensterstock hoch, zu sehen, was das für ein Wunderling sei, der dort seinen Einzug halte. Mitbringsel muss man die Päcke nennen, die da um ihn herumlagen; denn Reisegepäck — du lieber Gott, was für Reisegepäck hat ein Schulmeister von Bogenbach, der sechs Jahre lang Geld sparen musste, um in einer Eskimohütte zu übernachten?

    In dieser Lage, die man im Durchschnitt ‚verzweifelt‘ zu nennen pflegt, traf ihn Pius Heidvogel. Der stürmte die Holzstiege heran. „Ah!" Dann drückte er den grauen Schlapphut gleich wieder auf die wirren Haare; denn er meinte: dies sei wohl nicht ein Raum, in dem Peter Lebegern wohnen wollte. Sondern eine Rumpelkammer, in der dieser Herr rasch einmal darüber nachdenke, welches der kürzeste Weg sei, sich wiederzufinden.

    „Herr Lebegern? — Ah, welch ein sonderbarer Name!" …

    Peter Lebegern lächelte. Nun — ‚Pius Heidvogel‘ … das war auch nicht alltäglich. Nur trug der eine seinen Namen in der Tat, der andere hatte ihn aufgelesen von ungefähr und passte dazu wie der Kürbis in das Schüsslein der Eichel.

    „Hm!" machte Peter und setzte ein Lächeln auf; das war so grundgütig und weise — der andere hätte schamrot werden müssen, wenn er nicht Pius Heidvogel aus dem Durchschnitt gewesen wäre. Ein Stürmer und Dränger mit Schlapphut und cholerischem Haarwuchs. Und dennoch aus dem grauen Lande des Durchschnitts. Ja.

    „Sie kehren von einer grossen Reise zurück, Herr Lebegern …"

    „Wie man es nimmt. Ich bin der Ansicht, die grosse Reise beginnt erst jetzt."

    „Glücklicher, der Sie über ein Vermögen verfügen, das Ihnen zu leben gestattet, wie Sie wünschen! …"

    Peter Lebegern zog eine dünnleibige Geldbörse aus dem Hosensack. Seine Grossmutter hatte sie aus grüner Seide gehäkelt. Es waren zwei weisse Hornringe als Schiebeschliessen daran. „Ich habe es so eingerichtet, dass ich mir nach der Rückkehr aus dem Lande der Mitternachtsonne noch etliches zu des Lebens Nahrung und Notdurft erstehen könnte. Alles das Meinige trage ich mit mir."

    „Und was gedenken Sie jetzt zu tun?" fragte Heidvogel aus wachsendem Staunen.

    „Augenblicklich beginne ich zu wohnen."

    „Wo schlafen Sie?"

    „Hier, lächelte Peter Lebegern. „Es ist noch weithin bis zum Abend. Ich werde mir ein Bett beschaffen, einen Stuhl, einen Tisch, eine Lampe … was Sie wollen, Herr! Und bei dieser Lampe …

    „Hah, bei dieser Lampe werden Sie mir einen schönen Reisebericht schreiben! Lappen, Renntiere, Schlitten, Fjeld, Mitternachtsonne …" Er nannte auch gleich ein leidliches Honorar, das gezahlt werden sollte. Nun, als Schulmeister von Bogenbach am Rotwasser hatte er um dies Geld zwei Monate arbeiten müssen im Dienst eines kulturfördernden Idealismus — hier sollte er das in einem Abend verdienen. — Peter Lebegern verpflichtete sich. Es war ihm ungeheuer wohlig zumute.

    Der Gedanke, dass die grosse Reise für ihn leicht erst jetzt beginne, beschäftigte Peter Lebegern gemessene Zeit. — Dabei ist nicht zu vergessen, dass Peter Lebegern in einer Dachkammer sass, in der sehr viele unansehnlich gewordene Pakete um ihn herumlagen. Er gedachte aus dieser Umwelt ein gemütliches Heim zu machen, in dem er sein gerüttelt Mass von Glück leben wollte. Denn dazu stand er im Dasein. Und nun sass er hin auf den geräumigsten der Packen, in dem er das Festkleid eines Lappenfräuleins vermutete, und dachte an dem Gedanken herum, ob die grosse Reise für ihn jetzt erst beginne …

    Das kam daher: auf der Fahrt ins nordische Land waren zehntausend Türen vor ihm aufgegangen. Allenthalben sah er seitdem Welt, Welt, Welt, die von ihm entdeckt werden musste. In Bogenbach hatte er gar keine Ahnung gehabt von all diesen Türen und der vielen Welt, die dahinter lag. Auch gehörte zur Entdeckung jener Welten weder ein Schiff noch ein Schnellzug. Es gehörte dazu weder eine gefüllte Börse noch ein Berufsrock, den man erst an den Nagel hängen musste. Was er dazu nötig hatte, das war in heiterem Überfluss vorhanden.

    Peter Lebegern schlug sich vergnügt auf beide Schenkel. Er kam sich ungeheuer reich vor. Wie ein Schlosswart, der in eines toten Königs Bergsitz waltet und zu all den Sälen, Zimmern, Speichern den Schlüssel hat: ein Druck, und die Türen öffnen sich — es ist alles dein, Peter Lebegern, diese ganze flimmernde, köstliche, königliche Welt, an der die andern vorüberhasten und nach dem Wunder suchen, das sie glücklich macht! Dein, Peter Lebegern, alles dein!

    Es muss endlich einmal gesagt werden: an einem Teile dankte Peter Lebegern seine glückliche Art dem äusserlichen Umstande seines Namens.

    Wenn ein Mensch mit einem solchen Namen geboren wird, so darf er dafür schon eine Million von dem übrigen Erbe abstreichen; denn der Name Peter Lebegern ist für einen Menschen mit leidlichen Fähigkeiten solch eine Summe Geldes wert. Ein Peter Lebegern muss Philosoph werden schon in seinen ersten Schuljahren. Reizt solch ein Name nicht, das Leben von der richtigen Seite anzufassen? Und wenn die sich nicht finden lässt, so ist in jedem Augenblick die Mahnung da, aus dem Vorhandenen das Beste zu machen. Oder sich selbst herzhaft einen Narren zu nennen, wenn das Missvergnügen am Leben einmal obenaufschwimmt. — Wilhelm Lebegern war ein Schuster gewesen. Er gestand, dass er die Kunst, die ihm sein Name auferlegte, nicht immer gemeistert habe. Aber ein nachdenklicher Mann war auch er geworden an seinem Namen. Peter Lebegern wurde darüber hinaus ein glückseliger: ‚der Weise aus dem Abendlande‘ hat ihn Pius Heidvogel einmal genannt. Es war viel später.

    Hätte Peter Lebegern seine Jugendjahre und die ersten seiner Selbständigkeit in behaglichem Wohlstande verbracht, so wäre die Zeit, die nun für ihn kam, der kürzeste Weg zur Weltfeindschaft gewesen. Zur Gefrorenheit bis auf den Grund. Er jedoch hatte von einem Dorflehrergehalt sechs Jahre lang für seine Nordlandreise gespart. Dabei waren ihm zwar die Brillengläser gewachsen, aber seiner inneren Freudigkeit hatte das keinen Eintrag getan. Jetzt lebte, er in einer Stadt Mitteldeutschlands — nicht zu gross und nicht zu klein und von jener Art und Lage, in der jedweder Eigenständigkeit ein gar kümmerlich Gedeihen beschieden ist.

    Nun — eigentlich lebte Herr Peter nicht in dieser Stadt. Sondern — genau genommen — er lebte in sich selber. Er wohnte nur in einer der Dachstuben, sanft umplätschert vom Meere der Giebel und seiner guten schöpferischen Gedanken. Des Tages ein paar Stunden spazierte er in dem Gewühl der Strassen. Er suchte die Viertel der Reichen und Armen. Er atmete freier im bunten Spätsommerfeste der Anlagen und Wälle. Er studierte dort die trutzig getürmten Bauwerke, die aus anderen Zeiten sich herübergeträumt hatten und nun unverstanden in tiefem Schlafe lagen. Er lebte, was ihm in Bogenbach am Rotwasser nicht zu leben vergönnt gewesen war, und entdeckte die Wirklichkeit hinter etlichen der zehntausend Türen.

    Zwischendurch fiel ihm in den ersten Tagen dieses Daseins ein, was hinfüro wohl aus ihm werden solle; denn Peter war nicht einer, dem die Weisheit Salomonis von den Vögeln unter dem Himmel eine heitere Verheissung bedeutete. Er war kein Zigeuner. Und der gesunde Einschlag des Romantikers, der sieghaft durch das Leben leitet, war ihm zu jener Zeit zwar kräftig eigen, aber er war ihm nicht bewusst.

    Auch hielt er etwas auf seinen äusseren Menschen. Und dies war ein Erbteil seines Geschlechts. Die Lebegerns waren Schuster gewesen ihr Tag, und es war ihnen die Lehre geläufig, dass einer mit guten Stiefeln der Verschnupfung allerwege weniger ausgesetzt sei. Ein Lebegern, dem die Romantik für seine Art stärker im Blute lag, hatte übertreibend gesagt: ‚ein Bettler mit schönen Schuhen ist ein König; ein König mit zerrissenen Stiefeln aber ist ein Lump.‘ — Peter Lebegern gab diesem romantischen Ahnen heimlich lächelnd recht.

    Eines Tages stürmte Pius Heidvogel die gleiche Strasse entlang, auf deren Bürgersteig sich Peter Lebegern in gütiger Oktobersonne Wohlsein liess. ‚Pius Heidvogel,‘ dachte der einstige Schulmeister von Bogenbach, ‚Pius Heidvogel trägt seinen Namen gewissermassen doch auch in der Tat!‘ Das ‚gewissermassen‘ dachte er mit besinnlichem Nachdruck; denn Pius Heidvogel fuhr dahin als hätte er heulenden Westwind unter den Flügeln. Dabei sträubten sich ihm die Haarbüschel auf dem Kopfe wie Federn — was man beobachten konnte, weil er den Schlapphut mit dem angewölkten Band in der Hand schwenkte und unablässig Reden damit hielt. Dieser Heidvogel hatte eine zerdachte Stirn. Er hatte Fenster im Kopfe, aus denen wilder Geist und zermürbte Nervenkraft schauten … könnte man sagen. Aber ‚schauen‘ ist ruhevoll. Und aus den Augen Heidvogels irrlichterte es hervor. Oder es wetterleuchtete.

    Pius Heidvogel — oha, solch ein Mensch hiess Pius! — Pius Heidvogel stiess auf den Sonnenpilger Lebegern hernieder wie ein Falke.

    „Lebegern, wissen Sie, dass Ihre Aufsätze gefallen haben? Sie, Mensch, es gibt eine einzige Wahrheit in der Welt, die unverbrüchlich ist: ‚Die Not ist die Mutter der Künste!‘ Jawohl, Peter Lebegern."

    Peter fing an, darüber nachzudenken. Aber es fiel ihm nicht ein, dass dies Wort mit Bezug auf ihn gesprochen sei. Die Sonnenseite der Strasse lang redete Heidvogel heftig auf ihn ein; dann merkte Lebegern, dass er ihn für einen hungernden Bummler halte, der an seiner jammervollen Lage tiefsinnig zu werden beginne ….

    Nun ja, sein Vermögen zählte nach Groschen. Aber seine Genügsamkeit nach Millionen. Also war er zum mindesten nicht arm. In seiner Giebelstille hauste er und liess sich von Glück und Sonne liebkosen. Dabei spreitete seine Seele so wohlig die falterbunten klaren Schwingen. Kein Staub des Alltags lag darauf.

    Da kam Pius Heidvogel, der seine Tage zerhackte wie ein Hartholzspäller! Dieser Pius Heidvogel schwätzte sein Missvergnügen über ihn dahin. Nicht das Missvergnügen an seinem zermürbten Dasein — nein, nein, Peter Lebegern, verstehe: das Missvergnügen an dir und deiner sonnenlichten Art!

    „Sie Fremdling! krächzte Heidvogel, „Sie reiner Tor! Sie Müssiggänger! Wenn wir Menschen wären wie Sie — erkennen Sie denn nicht, dass dann die Achsen der Welt einrosteten? Was treiben Sie? Sie träumen! Sie lassen uns schuften und spielen König. Sie lassen uns die Welt vorwärtswuchten und sehen listig lächelnd zu. Wir aber — wenn wir fertig sind mit der Arbeit des Tages, dann schnurren die Räder der Maschine weiter, die wir geworden sind, und schnurren uns um den Schlaf …

    Heidvogel aus den ‚Neuesten Nachrichten‘ redete Zeitungsspalten. Immerzu. Und Peter Lebegern war ein Jungmann — im sechsundzwanzigsten Jahre. Er war voll allen Glaubens. Aber es fehlte ihm das wuchtige Selbstgefühl der jungen Leute, das seinen Sitz im wachsenden Schnurrbart zu haben scheint; denn in den Leistungen wurzelt es nicht — Leistungen fehlen um jene Zeit in der Regel.

    Einem Manne wie Heidvogel, einem ‚Vorwärtswuchter der Welt‘, hatte Peter Lebegern deshalb wenig zu sagen. Es ist schlechthin zuzugestehen: er fühlte sich betroffen. Seine anfängliche Erheiterung wich einem erschreckten Schweigen. Er beschloss, darüber nachzudenken, ob es für ihn nicht am geschicktesten wäre, den fadenscheinigen Flaus von Bogenbach wieder vom Nagel zu nehmen.

    So redete Pius Heidvogel den Lebegern ganz klein und hässlich. Und nach der vierten Spalte redete er sich von hinnen.

    Am späten Nachmittag machte sich Peter Lebegern auf den Weg in die Zeitungsredaktion. Er hatte vor, ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft zu werden. Das hatte die überragende Persönlichkeit Heidvogels verschuldet. Eine Stunde später war er ‚Redaktionsvolontär‘ bei den Neuesten Nachrichten, was soviel hiess als: unbezahlter Mitarbeiter. Nun — für bestimmte Leistungen sollte er sogar ein Honorar erhalten. Abends hatte er gleich eine Pantoffelarbeiterversammlung in der stinkenden Kneipe einer Winkelgasse zu besuchen und einen Bericht für die Zeitung darüber zu liefern. Am nächsten Tage sass er als Referent in einer Gerichtsverhandlung. Es handelte sich um betrügerischen Bankrott …… Auch andere Prozesse durchlebte er als Referent. Es gingen Türen für ihn auf vor der Welt.

    Pius Heidvogel erkannte: er hatte diesen jungen Mann aus den Angeln gehoben. Hah! Der Mensch, der

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