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Der Mond kommt von Finnland
Der Mond kommt von Finnland
Der Mond kommt von Finnland
eBook163 Seiten2 Stunden

Der Mond kommt von Finnland

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Über dieses E-Book

Begleitet Christine und Sabine zu ihrem einzigartigen Sommer, den sie in Lappland verbringen wollen. Jedoch reisen sie nicht auf direktem Weg dorthin, sondern machen einen Zwischenstopp in Lübeck. Dort begegnen sie dem jungen Jürgen, mit dem sie sich anfreunden. Sie entscheiden sich, vorerst in Lübeck zu bleiben. Es entstehen jedoch Probleme, als beide Mädchen Gefühle für Jürgen entwickeln. Lassen sich diese Probleme lösen und werden die Mädchen nach Lappland weiter reisen? Nur eines klar: der Mond, der von Finnland aus in ihre Richtung scheint, wartet auf sie.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum26. Sept. 2017
ISBN9788711754399
Der Mond kommt von Finnland

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    Buchvorschau

    Der Mond kommt von Finnland - Eva Rechlin

    www.egmont.com

    Eines Tages hatten die beiden Mädchen Christine und Sabine es sich in den Kopf gesetzt, nach Lappland zu fahren. Um die Zeit der hellen, kurzen Nächte und der Mitternachtssonne gingen sie auf Fahrt. Vorläufig jedoch kamen sie erst einmal bis Lübeck — aber von Lübeck ist es bis Schweden ja nicht mehr so weit. Sie erreichten die Stadt am Spätnachmittag. Die Leute kamen alle gerade von Niendorf und Timmendorf zurück, und ihre Gesichter strahlten Ostseebrisen und Sonnenbrände aus. Christine sagte gleich: »Vielleicht können wir vor der Reise nach Lappland noch einmal nach Timmendorf fahren.« Sabine schwieg dazu, und sie machten sich auf die Suche nach der Wohnung von Christines Kusine, welche um diese Zeit gerade irgendwo im Süden weilte, um dort ihren Urlaub zu verbringen. Ihre Lübecker Wohnung hatte sie für die Zeit ihrer Abwesenheit gern ihren Verwandten zur Verfügung gestellt und vorsichtshalber auch gleich den dazugehörigen Schlüssel per Drucksache überreicht. Seit sie aus dem Zug gestiegen war, hielt Christine nun den Schlüssel bereitwillig in der Hand. Aber das änderte nichts daran, daß die beiden Mädchen Stunde um Stunde vergeblich nach der Straße suchten, in welcher sich die Wohnung befinden mußte.

    So ließen sie sich denn bei einbrechender Dämmerung ratlos auf einem Brückengeländer nahe vorm Holstentor nieder, um darüber nachzudenken, ob man sich über ihre Situation Gedanken machen müsse. Aber plötzlich bemerkten sie so etwas wie einen großen Jungen oder Mann-Anfänger, der mehrmals an ihnen vorüberging — hin und her —, um sich dann ruckhaft neben sie auf das Brückengeländer zu setzen. Da saß er, pfiff vor sich hin und schlenkerte im Takt mit den Beinen. Deshalb war es kein Zufall, daß die Blicke der Mädchen sich auf seine Füße richteten. Manche Menschen können schon sympathisch sein, wenn man sich nur ihre Füße betrachtet. Es gibt Füße, die mit den Spitzen auffällig nach außen gerichtet sind — sie können rechthaberisch, eitel, sinnlich, intelligent, selbstsicher oder gewandt wirken. Sie können auch ganz und gar irreführend sein, denn es gibt Menschen, die wir außerordentlich schätzen, obwohl sie solche Fußstellung haben. Es gibt auch Füße, die sehr nach innen gerichtet sind, zueinander — wie zwei kleine Jungen oder wie zwei schwatzhafte Großväter. Diese Füße muten meistens unsagbar naiv und gutmütig, dumm oder auch schlampig, aber im ganzen warmherzig an. Und es gibt Füße, die nur ein ganz klein wenig nach innen gerichtet sind — nicht so wie bei einer Ente, etwa so wie bei einem Hund, der kein Dackel ist — und dann kann man von ihnen manchmal auf einen gottgefälligen Idealismus schließen. Solche Füße hatte der Jüngling. Sie waren mit weißen Segelschuhen bekleidet, und auch im übrigen schien dieser Mensch nur leichtes Gepäck zu tragen. Seine Nase allerdings war seltsam zielsicher und vermutlich war sie es gewesen, die ihn in die unmittelbare Nähe der beiden Mädchen gesteuert hatte. — Nachdem seine Füße einen guten Eindruck auf sie gemacht hatten, blickten sie wieder geradeaus und begannen ein Gespräch, von dem vorher keine der beiden auch nur einen einzigen Gedanken im Sinn gehabt hatte. »Ganz netter Betrieb hier in Lübeck«, sagte Christine, »wir wollen uns das mal ein Weilchen begucken.«

    »Mmh«, machte Sabine gedehnt, »meinetwegen bis es dunkel wird.«

    »Haben wir überhaupt noch Zeit?«

    »Aber ja — es sind doch Ferien!«

    Der große Junge hörte plötzlich auf zu pfeifen.

    »Ach schau mal«, sagte Sabine hastig und laut und wies mit dem Zeigefinger auf das Holstentor, »wie schön das Dingsbummstor da in der tiefstehenden Sonne aussieht!« »Dingsbummstor?« brummte Christine spöttisch, aber noch ehe sie fortfahren konnte, war da plötzlich die Stimme des Jungen: »Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische, aber ich hörte zufällig — na, jedenfalls heißt das Tor da Holstentor.«

    Sabine nickte ihm mit einem angedeuteten Lächeln zu und sagte: »Danke. Es sieht aus wie zwei dicke alte Tanten, die ihren zarten Neffen zwischen sich führen. Finden Sie nicht?«

    »Wunderbar!« lachte er auf, »die Tanten tragen sogar Hüte.«

    Sie lachten alle drei, und als sie damit fertig waren, beugte sich Sabine ein wenig über das Brückengeländer und sagte wieder hastig: »Ich nehme an, daß dieses die berühmte Trave ist.«

    »So berühmt ist sie gar nicht.«

    »O doch — durch Travemünde. Das kennen wir auch noch nicht.«

    »Sie sind fremd hier?« fragte er und musterte die Rucksäcke, die unter ihren Füßen am Geländer lehnten.

    »Ja«, erwiderte Christine, »so fremd, daß wir nicht mal die Wohnung meiner Kusine finden können.«

    Er schwieg ein Weilchen, dann sprang er plötzlich von der Brüstung hinunter, baute sich vor den Mädchen auf und sagte ernst: »Mein Name ist Jürgen.«

    Sie nickten erschrocken, murmelten ihre Vornamen und fürchteten, er könne ihnen nach dieser Erklärung davonlaufen. Aber er schien damit etwas ganz anderes beabsichtigt zu haben — für die Preisgabe seines Namens wollte er ihr Vertrauen. Er machte eine Handbewegung und schlug ihnen vor, sich doch bitte seiner bei der Suche nach der Wohnung zu bedienen. Und wie er da erwartungsvoll vor ihnen stand, wurde er so sehr zu einem Teil ihrer Reise nach Lappland, daß die Mädchen nach dieser Begegnung eine ziemliche Strecke ihrer Nordlandfahrt streichen konnten. Aber das kam ihnen erst viel später zum Bewußtsein. —

    Die Wohnung lag unmittelbar unter dem Dach, aber dennoch hoch über den andern Dächern der Stadt. Eigentlich war sie nur eine Andeutung von Wohnung — drei winzige Räume mit insgesamt drei Stühlen, einem schmalen Bett und einem ebenso schmalen Diwan, einem altersschwachen Tischchen, einem Wandspiegel und einigen Kisten und Vorhängen, die die Einrichtung vervollständigten. Der eine Raum war die Küche, die so groß war, daß sich eine Person darin bequem herumdrehen konnte, ohne allzuviel Schaden anzurichten.

    »Und wenn man Bratkartoffeln haben will«, sagte Jürgen, der es sich nicht hatte nehmen lassen, ihnen die Rucksäcke herauf zu tragen, »dann muß man die Fenster öffnen, damit der Pfannenstiel auch noch Platz hat.«

    Die beiden Mädchen liebten diese Wohnung vom ersten Augenblick an. Und zum zweiten Male an diesem Tage brach ein Stück ihrer Lapplandreise ab. —

    Sie nannten die Straße, in die sie an diesem Tage eingezogen waren, von Anfang an ,Nordstraße‘, obwohl sie in ostwestlicher Richtung verlief. Sie wollten den Gedanken an Lappland auf diese Weise besonders lebendig erhalten. — Jürgen blieb nicht lange bei ihnen. Eine Weile lang stand er unschlüssig am Fenster, wies dann plötzlich mit seinem Zeigefinger vielsagend in den Abendhimmel und empfahl sich gleich danach. Sekunden später hörten sie ihn unten auf der Straße grell pfeifen.

    »Er muß das Treppengeländer benutzt haben«, sagte Christine und beugte sich aus dem Fensterchen. Jürgen legte die Hände trichterförmig um den Mund und rief herauf: »Morgen früh?«

    »Was meint er?« fragte Christine.

    »Ob er morgen früh kommen kann.«

    »Abgemacht!« rief sie hinunter. Er nickte ernst und trottete bedächtig davon. —

    An diesem Abend warteten sie lange auf den Mond. Sie konnten die Zeit am offenen Fenster verbringen, weil es nichts für sie zu tun gab. Die Rucksäcke wollten sie gar nicht erst auspacken.

    Es dauerte eine lange Zeit, bis sie den Mond sahen, obwohl er schon seit der Dämmerung am Himmel gehangen hatte. Zuerst sahen sie nämlich nur die Dächer. Sabine sagte: »An der Frisur kann man manchmal den Charakter erkennen. Wie findest du diese Frisur?«

    Sie sahen die Dächer schon unter einem Schleier von Blau und Violett. Zwischen ihnen hingen Fetzen von künstlichem Licht, und die Nordstraße roch nach Fisch und Bratkartoffeln. Hinter einer fernen Pappelallee war die Sonne versunken. Christine hatte einmal gehört, daß Napoleon die Pappeln in Deutschland eingeführt hätte. Seitdem sah sie in ihnen immer französische Soldaten. Und noch etwas war an ihnen: eine Spur der steilen Flammen, die in Zypressen lodern. Das hatte sie nun wieder gesehen, als die Sonne hinter den Pappeln verglüht war. Von diesem Verbrennen blieb ein aschgrauer Horizont übrig, der sich den Dächern als Abend genähert hatte.

    »Ach«, sagte Christine, »wir könnten die Rucksäcke eigentlich doch auspacken. Gerade jetzt soll es in der Tundra so viele Mücken geben …«

    *


    Am nächsten Morgen brachen sie um vier Uhr auf. Sie wußten noch nicht genau, wohin es gehen sollte, nur eines war sicher, daß es noch nicht nach Lappland ging. Es war dämmerig. Bevor sie aufbrachen, warfen sie einen Blick aus dem Fenster und sahen, daß die Stadt noch schlief.

    Es ist etwas Geheimnisvolleres um eine Stadt, die noch schläft, als um eine, die schon schläft. Wer noch schläft, der träumt. Wer noch schläft, hat dafür Gründe, und sie liegen in der letzten Nacht. Es können ganz einfache Gründe sein, aber es können auch Abgründe sein. Man kann sie nur erkennen, wenn man hinabsteigt. Aber die meisten Menschen steigen immer nur in ihre eigenen Abgründe hinab — oder lassen sich hinunterfallen — und deshalb bleiben die fremden ihnen geheimnisvoll. Und weiter ist um eine noch schlafende Stadt etwas Rührendes und Unangetastetes. Augen, die aufwachen, sind sekundenlang sehr junge, kindhafte und unwissende Augen. Je weiter der Tag vorgeschritten ist, desto erstaunter und hilfloser sind die erwachenden Augen, desto verwirrter und ferner — fern im Unergründlichen. Die Mädchen sahen nur einen Mann, der dem Bahnhof zuzueilen schien. Er trug einen Koffer in der Hand, und der Mantel flatterte um seine Gestalt. Als er an einer Straßenlaterne vorüberhastete, war er plötzlich eine letzte große Motte, die herab und weiter, weiter taumelte.

    Christine sagte: »Am Hafen muß es jetzt am schönsten sein.« Am Hafen sägte der Motor einer kleinen Barkasse die Dunkelheit auseinander und spaltete sie in ein Zwielicht, das für die Mädchen ein Vorschimmer der hellen Nächte in Lappland war. Die Barkasse fuhr mit einem grünen Licht durch den Hafen, als sollte der Tag damit angezündet werden. Das Licht war groß und breit, wo es als glimmernde Straße über das dunkle, glucksende Wasser hingeisterte. Der Hafen kam ihnen klein vor, aber deshalb war er auch von ihrer ganzen Zuneigung zu umschließen. Sie standen oben an der Brüstung einer gewölbten, graugelben Steinbrücke und warteten und warteten darauf, daß ihnen ein Schiff, eine Welle oder eine fremde Flagge ein Zeichen von der Welt und der Ferne gäbe. Aber es ereignete sich an diesem Morgen nichts, was von außerhalb der Stadt kam. Am Kai lagen nur Schiffe, die nicht größer als Gartenhäuser waren. Die Namen am Bug dieser Schiffe waren statt skandinavisch, amerikanisch oder asiatisch nur plattdeutsch, und als sie sich endlich aus diesem Bild lösten und zur Stadt umwandten, hatte der Tag — der geräuschvolle Tag mit Straßenbahnen, Autos und Fischfrauen — längst begonnen. Da stiegen sie hinab in ein Kellerlokal und bestellten sich heißen Kaffee mit Sahne und Zucker. —

    Auf dem alten, ehrwürdigen Rathausmarkt kam ihnen Jürgen entgegen. Er sah so aus, als hätte es für ihn keine Nacht gegeben, als hätte er gar nicht geschlafen — oder mindestens so, als hätte er sich inzwischen nicht einmal aus — und angezogen. Es saß an ihm alles genauso wie am Tage zuvor. Nur sein schmales Gesicht war frisch und hell, und zum ersten Male fielen ihnen die unzähligen Sommersprossen auf. Er wunderte sich gar nicht darüber, daß sie noch nicht in Lappland waren. Er lächelte nur ein bißchen und sagte: »Ich war grad auf dem Wege zu euch.« Zögernd erwiderte Christine: »Du siehst — wir wären gar nicht dagewesen.«

    Vergnügt nickte er und bemerkte nicht, daß Sabine erstaunt von ihm zu Christine und rasch wieder auf ihn blickte. Ihr erschien das unüberlegte ,Du‘ nicht so selbstverständlich wie den beiden, sie hätte das ,Sie‘ gerne noch eine Weile lang benutzt — aber nun war es wie mit einem Schwamm von der Tafel gelöscht worden, und sie konnte sich nicht davon ausschließen.

    »Wir können ja mal irgendwohin gehen«, schlug Jürgen vor, »ich habe ja auch Ferien.«

    »Hast du dir dafür nichts anderes vorgenommen, als irgendwohin zu gehen?«

    »Mmh. Zum ersten Male kann ich mit meinen Ferien nämlich machen, was ich will. Zum Angewöhnen.

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