Andorra - Lektürehilfe und Interpretationshilfe: Interpretationen und Vorbereitungen für den Deutschunterricht
Von Friedel Schardt und Max Frisch
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Über dieses E-Book
Diese Interpretationshilfe für Max Frischs „Andorra“ unterstützt Sie bei der Lektüre und der Vorbereitung auf den Unterricht und die Klausur.
Zunächst erfolgt eine übersichtliche Inhaltsangabe, bevor dann die einzelnen Bilder im Detail betrachtet werden. Zu jedem Bild wird dabei ausführlich der Inhalt beschrieben und die Deutung im Detail erörtert. Abgeschlossen wird dies mit einer ersten Gesamtdeutung.
In einem weiteren Kapitel werden alle Figuren im Detail analysiert.
Den drei Themen "Identität", "Ichbewusstsein" und "Selbstbewusstsein" ist ein eigenes Kapitel gewidmet, denn sie spielen in dem Werk eine besondere Rolle und unterstützen bei der Interpretation.
Abschließend folgt ein Beispiel für eine Klausur mit einer ausführlichen Musterlösung.
Mit dieser Lektürehilfe gehen Sie gut vorbereitet in den Unterricht und die Klausur und nutzen Ihre Zeit optimal!
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Buchvorschau
Andorra - Lektürehilfe und Interpretationshilfe - Friedel Schardt
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sie wollen sich mit einem der wichtigsten Dramen der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im deutschen Sprachraum auseinandersetzen, und ich will Sie dabei unterstützen.
Ich gebe Ihnen zunächst einen knappen Überblick über den Inhalt des Dramas, ehe ich mich den einzelnen „Bildern" zuwende. Nach einer ausführlichen Inhaltsangabe zu jedem Bild füge ich Ansätze einer Deutung an und versuche, die jeweilige dramatische Funktion zu bestimmen. Auch die Zwischenszenen, die jeweils im Vordergrund spielen, werden angemessen berücksichtigt.
Andri, die zentrale Figur des Stückes, wird ausführlich behandelt. Aber auch die übrigen Figuren, mit denen Andri zu tun hat, die sich ein Bild von ihm machen, die ihn beeinflussen wollen, die in ihm einen Juden sehen, werden vorgestellt und in ihrer Beziehung zu Andri erörtert.
Das zentrale Thema des Stückes, das Frisch am Ende seiner stofflichen Vorlage, der Erzählung „Der andorranische Jude, in einem Anklang an die Bibel so formuliert: „du sollst dir kein Bildnis machen…
, wird ausführlich behandelt. Dabei wird auch die Frage erörtert, wie weit Vorurteile Einfluss nehmen auf das Selbstbewusstsein.
Schließlich wird anhand einer Beispielklausur der Textausschnitt erörtert, der die wesentliche Wandlung im Selbstbewusstsein Andris darstellt.
Als Textgrundlage verwende ich die Ausgabe in der Reihe „Suhrkamp BasisBibliothek". Diese Ausgabe enthält neben dem Originaltext einen guten Kommentar, eine Zeittafel, Hinweise zur Entstehung, zur Textgeschichte usw. Alle Seitenangaben beziehen sich, sofern nichts anderes vermerkt ist, auf diese Ausgabe.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Eindringen in die Problematik des Dramas.
Friedel Schardt
Einleitung
Mit dem Stoff des Stückes Andorra beschäftigte sich Frisch sehr lange. In seinem Tagebuch arbeitete er eine kurze Erzählung aus und nannte sie „der andorranische Jude".
Frisch begreift, dass er einen großen Stoff gefunden hat, und beginnt, diesen Stoff als Drama zu bearbeiten. Im Mai 1958 beginnt er ernsthaft die Ausarbeitung des Stückes. Eine erste Fassung überzeugte ihn nicht, so dass er eine zweite und dritte Fassung erarbeitete. Insgesamt schrieb er das Stück nach eigenen Aussagen fünfmal um und hatte zunächst 1960 einen ersten Abschluss erreicht, so dass es in Zürich 1961 uraufgeführt werden konnte. Ehe es allerdings in Deutschland 1962 uraufgeführt wurde, unterzog es Frisch einer neuen erneuten Bearbeitung.
Das Stück entfaltete eine große Wirkung vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund seiner Entstehung und der ersten Aufführung. Die von den Nationalsozialisten angelegte Vernichtung der europäischen Juden war gerade geschichtliche Wirklichkeit geworden und man war nun damit beschäftigt, die Schuld zu verdrängen bzw. Strategien der Schuldverdrängung zu entwickeln. Gerade solche Strategien aber spielen in dem Stück dann eine sehr große Rolle. Das Stück ist allerdings nach Frisch keineswegs ein Stück, das sich mit dem Nationalsozialismus in Deutschland ausdrücklich auseinandersetzt. Frisch begreift es vielmehr auch als „Attacke gegen das pharisäerhafte Verhalten (der Schweizer) gegenüber der deutschen Schuld. (142) Dabei ist beachtenswert, dass es eben nicht um die großen Verbrecher geht, sondern um die kleinen Mitläufer. Frisch formuliert das so: „das Stück handelt… nicht von den Eichmanns, sondern von uns und unseren Freunden, von lauter Nichtkriegsverbrechern
(144).
Frisch hat sein Stück als Modell konzipiert. Er reduziert auf Wesentliches, liefert eine Abbildung zu Studienzwecken, wobei zu beachten ist: Das Modell begreift sich nicht als Wirklichkeit sondern als Abbildung von Wirklichkeit mit der Absicht, etwas besonders deutlich hervortreten zu lassen. Wir werden als Rezipienten mit der Wirkung und Wirkungsweise von Vorurteilen bekannt gemacht, wir müssen uns auseinandersetzen mit Schuld und Unschuld, mit Schuldbewusstsein und Verdrängung der Mitläufer, der Befehlsempfänger. Eines wird besonders deutlich: Schon das „Nichtstun" führt zu Schuld.
Auffallend und beachtenswert gerade im Hinblick auf den Modellcharakter erscheinen die Zeugenaussagen vor der Schranke. In diesen Zwischenspielen, die aus dem Handlungskontinuum herausfallen, könnte eigentlich die Handlung kommentiert bzw. kritisiert, das Verhalten der Beteiligten beurteilt werden. In unserem Fall aber wird kein Kommentar der Handlung geliefert. Es werden vielmehr Hinweise darauf gegeben, wie das Verarbeiten des Geschehens vollzogen wird bzw. wie man mit dem Geschehen und der daraus resultierenden Schuld umgeht, wie Schuld verdrängt, Verantwortung verweigert und Mitläufertum gerechtfertigt wird.
Das Grundproblem, dass sich Menschen von anderen Menschen ein Bildnis machen und diese damit zwingen, sich diesem Bildnis anzugleichen und es als Selbstbild zu übernehmen, wird vorgeführt am Beispiel des vermeintlichen Juden Andri. Die Judenverfolgung des Nationalsozialismus wird zum eindringlichsten Beispiel für die unmenschliche, grausame Wirkungsweise von Vorurteilen. Der Irrsinn des Konzepts der Judenverfolgung wird gerade dadurch besonders deutlich, dass Andri, der als Jude Verfolgte, biologisch nicht einmal Jude ist.
Kapitel 1: Inhaltsangabe
Das Drama spielt in dem fiktiven Kleinstaat Andorra, der nach Frisch mit dem realen Kleinstaat gleichen Namens nichts zu tun hat. Andorra stellt ein Modell dar für Staaten in einer ganz bestimmten Situation.
Andorra hat einen Nachbarstaat, den Staat der „Schwarzen", der militärisch überlegen ist und sich ideologisch deutlich profiliert als nationalistischer Staat, der sich die Verfolgung der Juden zum Ziel gesetzt hat.
Im Mittelpunkt des Stückes steht Andri, ein junger Mann, über dessen Herkunft wir im Verlauf des Stückes mehr und mehr aufgeklärt werden. Er gilt zunächst als ein den „Schwarzen entkommenes und vor ihnen gerettetes Judenkind, das der Lehrer aufgenommen hat und als Pflegekind bei sich behält. In Wirklichkeit aber ist Andri das uneheliche Kind des Lehrers und der Senora, zu dem sich weder seine Mutter (sie hat Angst vor ihren Landsleuten, den „Schwarzen
) noch sein Vater (auch er ist zu feige, um sich zu ihm zu bekennen) bekennen. So gab der Lehrer das Kind als ein von ihm gerettetes Judenkind aus und wurde dafür von seinen Landsleuten gefeiert.
Andri gilt nun in Andorra als Judenkind und wächst als solches auf. Die Andorraner haben, wie sie behaupten, nichts gegen die Juden, dennoch aber geben sie dem Jungen immer wieder zu spüren, dass er eben anders, fremd, kein Andorraner ist. Andri wird immer wieder mit bestimmten Vorurteilen konfrontiert, wird immer wieder „als Jude" wahrgenommen und charakterisiert. So fällt es dann seinem Ziehvater schwer, eine geeignete Lehrstelle als Tischler für ihn zu finden. Nur gegen die Zahlung eines stark überhöhten Lehrgeldes übernimmt der Tischler den Jungen in die Lehre, hält ihn aber dort nicht lange, da er, gelenkt von Vorurteilen, ihm keine saubere Arbeit zutraut. Das Ergebnis seiner Arbeit wird nicht wahrgenommen sondern umgedeutet und auf das Vorurteil hin zurechtgebogen. Der Tischlermeister versetzt Andri in den Verkauf, denn seiner Meinung nach kann ein Jude besser mit Geld umgehen. Prompt erfüllt sich die Erwartung: Andri hat als Verkäufer Erfolg.
Als Andri bei seinem Ziehvater, dem Lehrer, um die Hand von Barblin anhält, wird er abgewiesen. Er bezieht die Zurückweisung auf seine Eigenschaft als Jude, da er nicht weiß, dass er der Halbbruder Barblins ist. Er verliert das Vertrauen zu seinem Ziehvater. Sein Konkurrent beim Werben um Barblin, der Soldat Peider, schleicht in der Nacht zu Barblin und vergewaltigt sie. Als der Lehrer die Wahrheit sagen will, wird er von Andri abgewiesen. Pater Benedikt, der an sich Andri wohlgesonnen ist, versucht in einem Gespräch ihm zu helfen und ihm klar zu machen, dass er eben sein Anderssein annehmen müsse.
Andri ist zwar der leibliche Sohn Cans und der Senora, er wurde aber von seinem Vater und Ziehvater zunächst als Judenkind ausgegeben und als solches behandelt. Die Andorraner sehen in ihm den typischen Juden. Sie behandeln ihn entsprechend. Das so an ihn herangetragene Vorurteil wirkt sich deutlich prägend auf Andri aus. Er sieht sich mehr und mehr in diesem Anderssein bestätigt und erfährt sich mehr und mehr als Jude, sodass auch nach der Richtigstellung Andri bei seinem Vorurteil bleibt und sich auch weiterhin als Jude begreift.
Die Senora, Andris Mutter, eine Bürgerin