Bäume in meinem Leben
Von Fritz Berger
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Buchvorschau
Bäume in meinem Leben - Fritz Berger
Emmental.
Einleitung
Dieses Buch ist zum Anschauen und Lesen. Es enthält 37 Geschichten aus meinem bewegten Leben. Eine meiner ältesten Erinnerung ist die alte, angebrannte Linde bei unserem Haus, wo ich aufwuchs. Überhaupt war meine Kindheit im Berner Hinterland vielfältig verbunden mit Erlebnissen in der Hostet (Obstgarten) und in den nahen Wäldern. Auch im Berufsleben und auf Reisen blieb ich Bäumen eng verbunden, wo immer ich war. Die wichtigsten Erlebnisse mit Bäumen teile ich in diesem Buch mit euch. Oder es sind Geschichten, die Bäume von mir erzählen, so kommt es mir heute manchmal vor.
Alle Geschichten habe ich erlebt und sie hier so aufgeschrieben, wie sie mir im Gedächtnis haften geblieben sind. Die Fotografien bereichern und ergänzen die Texte. Einige dokumentieren die Erzählung direkt. Andere – und das ist die Mehrzahl – zeigen zwar die Bäume, von denen die Geschichte handelt, wurden jedoch örtlich und zeitlich unabhängig fotografiert. Die meisten Aufnahmen habe ich gemacht. Stammen sie von einer anderen Person, steht sein Name oder unbekannt in der Bildlegende. Dort steht auch das Jahr und der Ort der Aufnahme.
Als Kind hatte ich die Leidenschaft alles zu erklettern – vor allem Bäume – um die Welt von oben betrachten zu können. Und wenn immer möglich, durchstreifte ich – allein oder mit meinen Brüdern – die Wälder und Täler der Umgebung. Als es um die Berufswahl ging, hätte ich gerne Förster oder Zimmermann gelernt. Doch beides blieben Träume, weil ich keine passende Lehrstelle fand. «Fritzli», sagte meine Mutter, (ich war damals 15) «du hast doch einen grünen Daumen.» Und so begann ich mit 16 in Niederscherli eine Lehre als Blumengärtner.
1962 im Alter von 24 Jahren ging ich auf die Insel Lefkas in Griechenland, um für zehn Jahre im Team des Christlichen Friedensdienstes (CFD) zu arbeiten. Es war eines der ersten Projekte in der sogenannten Entwicklungshilfe. Zu meinen Aufgaben gehörten auch Aufforstungen sowie der Oliven- und Fruchtanbau. Unterwegs zu den Bauern und auf Ausflügen hatte ich immer meine erste Kamera dabei. Es war eine Pentax Spotmatik, mit der ich die besten Bilder machte, wie sich später zeigte. Und da war noch der Maulbeerbaum neben unserem Wohnhaus in Nikoli, wo langsam meine erste Familie heranwuchs.
1972 folgte ein weiterer Einsatz als Bauernberater. Diesmal im fernen Nepal, begleitet von Dora und unseren drei Kindern. Dort beobachtete ich, wie Menschen heilige Bäume schützen und verehren. Ich staunte über die Bauern, die verschiedene Arten Laubbäume zogen, sogenannte «Futterbäume», um davon während der langen Trockenperiode Futter zu schneiden. Im Projekt förderten wir Mandarinen-Bäume und machten Versuche im Anbau von Apfel-, Haselnuss- und Kastanien-, aber auch Kaffee- und Avocado-Bäumen.
Mit meiner zweiten Frau und zwei Kindern reiste ich 1982 zum zweiten Mal in ein Projekt des Bundes (DEZA). Dieses Mal ins Hochtal Kalam im Norden von Pakistan. Gemeinsam mit lokalen Mitarbeitern war es meine Aufgabe, die Bauern auf dem Weg zum erwerbsmässigen Gemüseanbau zu unterstützten. Während der Arbeit und auf Wanderungen und Reisen fotografierte ich Menschen, Bäume und die faszinierende, fast unbekannte Bergwelt. Die Bewohner hatten einst ihre Arbeitsgräte selbst aus Holz angefertigt. Und auch im Haushalt wurden vorwiegend Holzgefässe verwendet, die von lokalen Handwerkern gedrechselt wurden. Doch von dieser «Holzkultur,» die wohl Jahrtausende gedauert hatte, sah ich in Souvenirshops nur noch die letzten Überreste.
Mit 50 Jahren hatte ich genug von Projektarbeit im Ausland und kehrte 1988 nach Bern zurück. Nach Kursen in Medienarbeit wagte ich es, den inzwischen in mir gereiften Wunsch zu realisieren, als selbständiger Fotograf zu arbeiten. Wie sich bald zeigte: Eine grosse finanzielle Herausforderung, um mit einer Familie durchzukommen. Mehrere tolle Fotoaufträge in der Schweiz und im Ausland hatten wiederum mit Bäumen zu tun. Und je älter ich wurde, umso stärker wuchs ihre Faszination in mir.
So fotografiere ich Bäume auch in Stockholm, wo ich nun lebe. Wobei ich vor allem versuche, die speziellen Eigenschaften der einzelnen Arten einzufangen. In dieser wundervollen Stadt und auf seinen vielen Inseln gibt es Dutzende gepflegter Parks und naturbelassene Wälder. Dank verbesserter Optik und Technik, lassen sich heute auch hochstehende Aufnahmen mit einer handlichen Taschenkamera realisieren. Und es war natürlich – oder Zufall – dass ich zum dritten Mal unter einem Baum – einem Avokado – heiratete.
Fritz Berger, Stockholm im Januar 2020
fritz@transhumana.ch
In den Brüchen
Bäume meiner Kindheit
Friedenslinden in Borisried, 1993.
Lindenblüten, 1963.
LINDE
Die alte Linde bei unserem Haus
Die alte Linde bei unserem Haus ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Ihr Schicksal hat mich tief berührt und wohl auch meine Liebe zu Bäumen geweckt. Sie stand ganz nahe beim alten Haus und wurde in der Feuersbrunst von 1935 angebrannt und geschwächt. Die Äste, die an seiner unbeschädigten Seite wuchsen und eine neue Krone bildeten, zeugten von ihrem eisernen Lebenswillen. Mich aber interessierte vor allem die andere, die verbrannte Seite. Immer wieder hielt ich mich dort auf und betrachtete das schwarze, verkohlte Holz. Es hatte bereits zu modern begonnen, und es fiel mir leicht, mit einem harten Gegenstand darinnen herumzustacheln und dabei Würmer, Tausendfüssler, Ameisen und Raupen aufzuschrecken, die ich noch nie gesehen hatte.
Jeden Frühsommer verbreitete sich der geliebte, intensive Duft der blühenden Linde um unser Haus. Mehrmals musste Mutter den Vater bitten, nun endlich die lange Leiter hervor zunehmen und in die alte Linde zu stellen. Dann war es auch eine Aufgabe von uns Kindern, mit umgehängtem Korb hinaufzusteigen und die hellgelben Blüten abzulesen. Diese breitete Mutter noch vor dem Abend auf dem Tisch in der Stube zum Trocknen aus. Noch heute ist mir der berauschende Duft in der Nase, der mein Zimmer beim Einschlafen erfüllte.
Wenn jemand in der Familie krank wurde, braute die Mutter davon einen Tee. «Trink, er hilft und macht dich wieder gesund», ermunterte sie mich, wenn ich ihn nicht trinken wollte. Vielleicht heilte er mich damals tatsächlich, doch Lindenblütentee schmeckt mir bis heute nicht.
Weil die grosse Wunde nicht verheilte, musste die Linde wegen Umsturzgefahr gefällt werden. Im Spätherbst grub Vater am Stamm, um die Wurzeln frei zu legen. Wir Kinder halfen mit, wann immer wir schulfrei hatten. Früh genug war ein Seil im Wipfel befestigt worden, an dem regelmässig gezogen wurde, um festzustellen, wo noch Wurzeln durchgeschnitten werden mussten. Als die Linde nur noch locker stand, zogen wir alle am Seil und brachten sie zu Boden. Der marode Stamm zerschellte beim Aufschlag laut krachend in tausend Stücke. Staub wirbelte durch die Luft und das modernde Holz verbreitete einen penetranten Geruch. Am Standort der gefällten Linde setzte der Vater im Frühling eine neue, die dort bis heute weiterwächst.