Trockensteinmauern: für naturnahe Gärten
Von Thomas Roth
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Buchvorschau
Trockensteinmauern - Thomas Roth
Baukultur und Handwerksgeschichte(n)
Bis zum Ende der Fünfzigerjahre gehörte die Pflege von Terrassenmauern zur regelmäßigen bäuerlichen Arbeit, dann brachten Mechanisierung und Zentralisierung der Landwirtschaft das Handwerk fast zum Verschwinden. Heute ist die Erhaltung dieser „stummen Zeugen vergangener Handwerkskunst" eine Aufgabe des Natur- und Landschaftsschutzes geworden – der ökonomische Wert wurde weitgehend von ökologischer und ästhetischer Wertschätzung abgelöst.
Wie im heutigen Privatgarten geht auch zivilisationsgeschichtlich die Schaffung von Lebens- und Wirtschaftsraum häufig mit der Verbauung von Steinen einher: Natursteinmauern sind die langlebigsten Zeugen von Bau- und damit Kulturgeschichte. Als Behausung, Hof- oder Garteneinfriedung und Wehranlage schützten sie kultivierte Lebensbereiche vor der Bedrohung durch Natur und Räuberei. Als frei stehende Feldmauern aus Lesesteinen sind sie das Ergebnis der Urbarmachung des Landes und bewahren gleichzeitig die kultivierte Fläche vor Wind und Verwüstung. Als Terrassenmauern wiederum stützen sie die dem steilen, unbewirtschaftbaren Gelände abgerungenen Kulturflächen und fördern den Ertrag durch kleinklimatische Wirkung.
Mörtellos gebaute, apulische Rundhäuser (Trulli) aus dem 15. Jahrhundert
Von Rundtürmen und Pyramiden
Natursteinbearbeitung ist bereits vor 50 Jahrtausenden in Form von Höhlenbauten und Werkzeug nachgewiesen; die ältesten geschichteten Steinmauerbauwerke sind etwa 10 000 Jahre alt (Jericho); im Mittelmeerraum und in Schottland gibt es bis zu 5 000 Jahre alte Siedlungsreste. Ein paar Tausend Jahre v. Chr. gab es eine frühe Blütezeit monumentaler, handwerklich aufwendiger Steinsetzungen: Rundtürme auf den Britischen und den Mittelmeerinseln, Pyramiden in Ägypten und Südamerika; und auch die jahrhundertealten asiatischen Tempelstädte wurden mit einer Logistik und Präzision gebaut, die uns ohne modernen Maschinenaufwand unmachbar scheinen.
Schlanker Mauerfuß gegen „Betonschuhe" – der ökologische Fußabdruck
Beton als „reiner Naturstoff" besteht aus Schotter, Zement und Wasser. Zement wiederum setzt sich aus gemahlenem Kalkstein, Ton, Sand, Eisenerz und Gips zusammen. All dies wird, wie auch der Mauerstein, im Steinbruch gewonnen – mit vergleichbaren Belastungen des Umfelds. Hinzu kommt beim Beton allerdings der beträchtliche Energieaufwand für das Brennen des Mehls zu Klinkerkörnern bei 1 450 °C. Damit geht eine Produktion des Treibhausgases CO2 einher, die mit durchschnittlich einer ¾ Tonne pro Tonne Zement angegeben wird und damit weltweit 5 % der gesamten CO2- Produktion verursacht. Die Erzeugung eines Kubikmeters Stahlbeton benötigt etwa 5 000 MJ (oder 120 Liter Erdöl) und damit zehnmal so viel Energie wie die Gewinnung eines Kubikmeters Bruchstein.
Die gebundene Bauweise
Gleichzeitig nimmt die – ebenfalls an die 10 000 Jahre alte – Geschichte der mit Mörtel gebundenen Bauweise ihren Anfang. Sie beginnt mit dem weithin und über lange Zeit verwendeten lufthärtenden Kalkmörtel, reicht über die frühe Betonproduktion der Römer um 120 n. Chr. („opus caementitium") bis zur Entwicklung des modernen hydraulischen Portlandzements durch britische Ingenieure um 1850. Dieser ist die Grundlage der heutigen industriellen Bauweisen.
Dazwischen liegen Jahrhunderte der meist familiär tradierten und kaum schriftlich dokumentierten Ansammlung und Verschüttung handwerklichen Wissens über Herstellung, Haltbarkeit und Handhabung der sogenannten „historischen Bindemittel".
Im Garten ist die Mörtelbindung allerdings nur bei der Errichtung schmaler freistehender Mauern und beim Verbauen kleiner Steine notwendig. Da außerdem der Einsatz von Beton im Naturgarten aus ökologischer Sicht eher gering gehalten werden sollte, lassen wir diese beinahe alchemistische Handwerksgeschichte links liegen und wenden uns den traditionellen Trockenbauweisen zu.
Altertümliche Ausgrabungsstätte auf Zypern
Die frei stehende Einfriedungsmauer
Viele europäische Landstriche, vor allem auf den Britischen Inseln und im Mittelmeerraum, sind bis heute von alten frei stehenden Trockensteinmauern geprägt. Grund für diese Bauleistung ist die Kargheit des dortigen Bodens: Eine dünne humushaltige Verwitterungsschicht erlaubte von jeher nur Viehzucht, vor allem Schafhaltung, und musste selbst dazu von den überall hervortretenden Gesteinsbrocken befreit werden. Da bot es sich an, das ausgelesene Material zur Errichtung von Viehhürden und Grundstückseinfriedungen zu verwenden, auch wenn es in der Regel für den Mauerbau nicht günstig geformt war.
Lesesteinmauern aus dem anstehenden Kalkgestein auf der Insel Krk, Kroatien
Doch gab es kaum Alternativen, da an diesen Standorten das Klima und der Boden (oft auch durch frühere Übernutzung) die Verbreitung des Waldes verhinderten und das Wachstum von Gehölzen einschränkten. Daher war Bauholz knapp und die Anlage von Hecken schwierig, was auch heute noch der Fall ist.
In diesen ärmlichen, aber „steinreichen Gegenden haben sich, ausgelöst durch die zutage tretende Gesteinsart, die unterschiedlichsten Baustile herausgebildet, denen aber, wegen der gleichen statischen Notwendigkeiten, die gleichen Handwerksregeln zugrunde liegen. So konnte im Sommer 2000 die „Dry Stone Walling Association of Great Britain
ein Freilichtmuseum mit 19 ortstypischen Trockensteinmauern eröffnen, alle basierend auf der mehr als 3 500 Jahre alten Tradition der Region.
Die Mauern bilden aber auch gesellschaftspolitische Entwicklungen ab, beispielsweise die Durchsetzung des Privateigentums auf Kosten der gemeinschaftlich genutzten Flächen. So entsteht im England des 18. Jahrhunderts über die Landaneignungen der Oberschicht der Beruf des Mauerbauers. Dessen Auftraggeber ist ökonomisch nicht mehr an das lokale Gestein gebunden, sodass das am besten geeignete Material aus Steinbrüchen bezogen werden kann. Da die Einfriedung nun auch der Repräsentation dient, orientiert sich die Bauform zunehmend an ästhetischen Aspekten. Dieses optimierte Bild (und nicht jenes der bäuerlichen Gebrauchsmauer) ist der Standard für jene Mauern, die heute durch Umweltbewusstsein und die Verbreitung herrschaftlicher Parkelemente im Privatgarten eine Renaissance erfahren.
Die hangterrassierende Stützmauer
Für die Besiedlung bergiger Landschaften ist die Geländeterrassierung mittels Natursteinmauern (über-)lebensnotwendig. Sie dient der Erosionsvermeidung und der Erschließung und Urbarmachung von Hängen durch bewohnbare,