Der Schildkrötenpfarrer: Bernd Zimmermann - ein Leben für Jesus, Mensch und Natur - Biografie - Kindheit in Stühlingen - Schule in Steyler Mission - Lehrer und Pfarrer
Von Gerald Edinger und Jasmin Geiger
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Über dieses E-Book
seine große Selbstlosigkeit zuteilwerden ließ, und schließlich geht es in diesem Buch um einen großen Schritt, den er nach langer Überlegung wagte: Den Austritt aus dem Orden und seinen Weg bis zur Erfüllung seines Kindheitstraums - Pfarrer zu werden.
Gerald Edinger
Gerald Edinger, Jahrgang 1953, war über 35 Jahre als freier Journalist, Pauschalist und Redakteur für regionale Tageszeitungen am Hochrhein tätig. Er wuchs in der ländlichen Idylle des Wutachtals auf, wo er noch heute lebt. Sein beruflicher Werdegang als Journalist begann in der Heimatsport-Redaktion des Alb-Bote in Waldshut-Tiengen. Danach zog es ihn für einige Jahre zum Verlagshaus Jaumann nach Lörrach, ehe er knapp zehn Jahre für den SÜDKURIER die Redaktion Bonndorf leitete. 2018 ging er in den Ruhestand, arbeitet aber weiterhin als Autor und freier Journalist für das Medienhaus SÜDKURIER.
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Buchvorschau
Der Schildkrötenpfarrer - Gerald Edinger
Vorwort
Der Schreiber dieses Buches lernte Pfarrer Bernd Zimmermann als intellektuellen Mann kennen, der sich trotz seines enormen Schatzes an Wissen und Erfahrung immer bescheiden, sogar zurückhaltend gibt. Er ist nicht nur mit ganzer Hingabe Priester, er liebt auch Musik. Davon zeugen ein Klavier unter dem Fenstersims seines Wohnzimmers, die Gitarre an der Wand und sein Harmonium, das auf dem Speicher im Hause seines Bruders verwahrt wird. In diesem Haus genießt er seinen Ruhestand, fernab von der Alltagshektik und der großen Verantwortung eines Seelsorgers und Pfarrers. Im Gespräch mit mir nimmt er sich oft zurück, bricht mitten im Satz ab, lässt Raum in seinen Worten „zwischen den Zeilen" zu lesen, seine Aussagen zu interpretieren. Immer wenn er es für notwendig erachtet, zeigt er Haltung, macht seinen Standpunkt mit klaren Sätzen deutlich.
Noch immer plagt uns alle die Pandemie, wir sitzen mit FFP2-Masken in seinem Wohnzimmer, ein wenig ist die Szenerie irritierend. Wenn der Pfarrer aber mit seinen Erzählungen beginnt, sind diese weißen Hüllen über Mund und Nase bald vergessen. Ich lernte Pfarrer Bernd Zimmermann als gebildeten, belesenen und musischen Menschen kennen, dessen innigster Wunsch seit frühester Kindheit war, Pfarrer zu werden. Er kann heute nicht mehr sagen, wann dieser Entschluss in ihm reifte: „Ich wollte das schon immer werden." Wenn er diesen Satz mit Nachdruck sagt, lässt das keine Zweifel an seiner Überzeugung zu. Auf verschlungenen Wegen und nach manchen Rückschlägen hat er sein Ziel schließlich erreicht.
Wer die Treppe zur Wohnung von Pfarrer Bernd Zimmermann hinaufsteigt, sieht an den Wänden Bilder von Orten, die seinen Lebensweg markierten. Unter der Türklingel ist ein Schild angebracht, dass unmissverständlich klarmacht, dass in dieser Wohnung der „Schildkrötenpfarrer mit seiner Reptilien-Familie lebt: „Hier begrüßen Familie Schildi und Pfarrer Zimmermann
. Beim Betreten der Wohnung wird sofort klar, dass hier ein belesener Mann lebt, der seinen Horizont zudem durch Reisen erweiterte und dem die Weltkirche ein großes Anliegen ist. Schriftstücke, Urkunden, Tagebücher, Fotoalben und viele Videoaufnahmen zeugen von einem erfüllten Leben mit Höhen und Tiefen, guten und schweren Zeiten. Geprägt war sein Leben in allem, was er tat, vom Glauben an Gott.
Nach der Biografie über einen ehemaligen Drogenabhängigen schrieb ich nun also dieses Buch über das Leben eines Priesters. Passt das zusammen? Auf den ersten Blick nicht, auf den zweiten schon. Der Junkie fand nach 25 Jahren durch „ein Wunder" den Weg aus der Drogenhölle – dieses Wunder heißt Jesus Christus. Der Erlöser spielt auch im Leben von Pfarrer Bernd Zimmermann die zentrale Rolle. Ein weiterer, vielleicht noch entscheidenderer Grund, diese Geschichte aufzuschreiben, war für mich: Schon als Journalist haben mich immer die Menschen hinter der Story interessiert. Anders ist bei meinen Büchern nur, dass nicht ich auf die Menschen zugehe und unbedingt ihre Lebensgeschichte aufschreiben möchte, die Menschen kommen auf mich zu, weil ich Artikel über sie verfasst habe, die ihnen offenbar gefielen. Mich hat diese Geschichte des Pfarrers interessiert, weil gerade ziemlich viel auf die Kirche und ihre Vertreter einstürzt. Stimmt das alles, was geredet und geschrieben wird? Sind alle Priester so, treiben alle Missbrauch, sind alles Vertuscher? Gibt es Ausnahmefälle oder sind diese Ausnahmen eventuell sogar die Mehrzahl, – also redliche Menschen, die mit dem ganzen Herzen ihre Berufung erfüllen? Pfarrer Bernd Zimmermann möchte mit seiner Biografie ein Zeichen setzen, an seinem Beispiel zeigen, dass die meisten Priester rechtschaffene Menschen sind, die den Glauben mit voller Überzeugung leben – das ist aus seiner Erfahrung heraus die Mehrheit, nicht diejenigen, die kleine Seelen peinigen und Kinder missbrauchen. Zu Themen wie Missbrauch, Frauenordination und Zölibat hat er eine klare Meinung.
Der Seelsorger erzählt erst zögernd und zurückhaltend, später offen von Zeiten der Angst und vom Druck, den er schon als kleiner Junge im Internat aushalten musste. Manchmal streckte er, fast wie eine Schildkröte forsch seinen Kopf heraus, erzählt frei, wie er Begegnungen erlebte und was er dabei empfunden hat, dann zieht er sich wieder in seinen Panzer zurück. Bernd Zimmermann berichtet von seiner Kindheit in Stühlingen, harten Jahren im Internat der Steyler Missionare, Begegnungen in St. Wendel, seiner engagierten Tätigkeit als Lehrer am Gymnasium, der zarten, unschuldigen Liebe zu einer Frau, der er seine große Selbstlosigkeit zuteilwerden ließ, und schließlich geht es in diesem Buch um einen großen Schritt, den er nach langer Überlegung wagte: Den Austritt aus dem Orden und seinen Weg bis zur Erfüllung seines Kindheitstraums. Bilder, Fotoalben, eine Fülle von Unterlagen, CDs, die seinen Lebensweg dokumentieren, dienten als Grundlage für diese Biografie.
Heute lebt er in der alten Heimat im Wutachtal, am Fuße des Hohenlupfen. Hier kann er sich seinen Schildkröten widmen, die ein eigenes Zimmer bewohnen. Diese Mitbewohner brachten ihm den Namen „Der Schildkrötenpfarrer ein, mir kam dabei die Idee zum Buchtitel. Auch jenseits der 80 Jahre hilft er in der Seelsorgeeinheit, wo er kann. Ob heilige Messen oder Gottesdienste im Seniorenheim – wenn er gebraucht wird, ist er da, so wie immer in seinem langen Leben. Er selbst sieht sich „als Mann für Notfälle
, der immer dann eine Aufgabe übernahm, wenn seine Dienste gefragt waren. In diesem Buch erzählt Bernd Zimmermann aus seinem spannenden, teils entbehrungsreichen und niemals langweiligen Dasein und von seinen Reisen, die ihn nach Nord- und Südamerika, China und in viele weitere Länder führten. Sein Bruder Franz schlug einen ganz anderen Weg ein, er wurde Bankkaufmann! Ein wenig Traurigkeit legte sich über die Stimmung in seinem Wohnzimmer, als er zu mir sagte: „Wenn mein Bruder und ich nicht mehr leben, ist unsere Familiengeschichte zu Ende …".
Wurzeln
Die Wurzeln von Bernd Zimmermann gehen bis ins Jahr 1875 zurück, soweit reichen jedenfalls seine eigenen Aufzeichnungen. Weil der Vater von Bernds Papa Wilhelm schon 1917 bei einem nicht näher beschrieben Unglück starb, wurden die fünf Söhne von ihrer Mutter Theresia, eine geborene Ebner, und Großmutter Magdalena erzogen. Das Elternhaus der Zimmermanns stand in Buch bei Albbruck. Als der Vater der fünf Brüder, ein leidenschaftlicher Jägersmann, ums Leben gekommen war, sah sich die Familie gezwungen, ohne ihren Ernährer auskommen. Die Zimmerei mit Schreinerei musste nach dem Tod von Wilhelms Vater aufgegeben werden, das hätte die Frau mit ihren fünf Kindern kaum geschafft. Was ihr blieb, war ein kleiner Bauernhof in Buch. Die Kühe gaben Milch, die Hühner sorgten für frische Eier, dazu gab es noch Schweine. Mutter Theresia führte mit den Kindern und der Großmutter die kleine Landwirtschaft. Dieses harte Leben machte die fünffache Mutter zu einer energischen, unbeugsamen Frau, die „selbst von ihren Schwiegertöchtern und den Enkeln nicht richtig gemocht wurde", weiß Bernd aus Erzählungen in seiner Familie.
Die Schule befand sich im Dorf, zur Kirche musste die Familie hingegen die zweieinhalb Kilometer ins benachbarte Birndorf laufen. Religion spielte in jener Zeit in den meisten Familien und der Dorfgemeinschaft eine zentrale Rolle. „Die Autoritäten im Dorf waren der Lehrer und der Pfarrer Emil Mathias Menges", heißt es in einem Kalender, den Bernd zum 85.
Geburtstag seines Vaters mit alten Bildern und Erinnerungen in Handarbeit anfertigte. Der Pfarrer habe die Pfarrei in Birndorf mit „Macht und Gewalt" geführt.
Wilhelms ältester Bruder Bernhard (*1907) wurde nicht einmal 23 Jahre alt, der zwei Jahre ältere Adolf (*1909) starb 1968, Otto (*1913) kam im April 1945 im Zweiten Weltkrieg bei einem Gefecht in Serbien ums Leben. Franz (*1916) wurde nach dem Krieg Priester im Orden der Steyler Missionare. Er sollte eines von Bernds Vorbildern werden, die seinen Wunsch, Pfarrer zu werden, beförderten, ohne ihn zu drängen.
Wilhelm Zimmermann absolvierte nach der Schule eine Zeitungs- und Schriftsetzer-Lehre. Fünf Jahre (bis 1930) war er bei der damaligen Zeitschrift der Zentrumspartei, dem „Tagblatt vom Oberrhein, angestellt. Danach wechselte er auf die andere Rheinseite, belegte in der Schweiz kaufmännische Kurse und kam 1932 für zwei Jahre an den Bodensee, wo er für die „Deutsche Bodensee-Zeitung
in Konstanz arbeitete – eine katholische Tageszeitung, die es später im sogenannten „Dritten Reich" schwer hatte, zu überleben. Die Pressefreiheit wurde von den Nationalsozialisten abgeschafft, die Gleichschaltung der Presse angeordnet. Seine Wohnung hatte Wilhelm in der Allmansdorfer Straße, in der Nähe des heutigen Klinikzentrums.
Sein Bruder Franz war der Liebling der Mutter. Er wurde zur Wehrmacht eingezogen und musste in den Krieg ziehen. Franz wurde an der Ostfront schwer verwundet, – im Russlandfeldzug wurde sein rechter Arm durchschossen und war danach gelähmt. Mit dieser Kriegsverletzung kam er in die Heimat zurück. Sie sollte ihn in seinem weiteren Leben stark einschränken. Fast hätte sie seinen großen Lebenstraum, Priester zu werden, zunichtegemacht. Franz kam trotz seiner Behinderung in einem der wenigen Priesterseminare unter, die es im zweiten Weltkrieg noch gab. In Fulda bewohnte er ein Zimmer mit einem weiteren angehenden Priester, Marcel van de Hartert. Die beiden wurden enge Freunde, es entstand eine aufrichtige Beziehung, die sein Neffe Bernd und dessen Familie später fortsetzen sollten.
Der Steyler Orden wollte diesen Freund von Onkel Franz eigentlich nach Japan entsenden. Eine schwere Erkrankung verhinderte diese Pläne. Wegen dieser Krankheit gab es offenbar Bestrebungen des Ordens, Marcel van de Hartert für geisteskrank erklären zu lassen. „Das mit der Geisteskrankheit hat natürlich überhaupt nicht gestimmt", zeigt sich Bernd empört über dieses Verhalten der Ordensbrüder. Im idyllischen Schwarzwald in St. Märgen, einem bekannten Luftkurort, konnte er sich erholen. Er wurde wieder gesund, bekam später die Pfarrei in Riedöschingen, heute ein Stadtteil von Blumberg. Auf van de Harterts Initiative hin wurden in den 1960er-Jahren Kontakte von seiner Pfarrgemeinde nach Indien geknüpft. Wegen dieser persönlichen Verbindungen wurde deutschen Familien die Adoption von indischen Waisenkindern ermöglicht, die dank der Vermittlung des Pfarrers in Deutschland eine neue Heimat fanden.
Die Familie von Bernds Mutter Anna lebte in Stühlingen. Vater Ferdinand Gantert (*1867 ⴕ 1940) und Mutter Kreszentia (geborene Kaiser *1865 ⴕ 1948) sowie die Töchter Frieda (*1897 ⴕ 1979), Marie (*1896 ⴕ 1976), Sofie (*1898 ⴕ 1980), Anna (*1906 ⴕ 1976) und Paula (*1910 ⴕ 1982). Der einzige Sohn Albert, starb „mit 18 Jahren in Calw an einer ansteckenden Krankheit". Das war ein Tiefschlag für Bernds Großvater Ferdinand (*1867 ⴕ 1940). Am Ende seines Lebens war er gelähmt und musste von seiner Familie versorgt werden.
Obwohl Bernd ihn nicht mehr kennenlernte, weiß er über Ferdinand, von dem er seinen zweiten Vornamen bekam, dass er eine bekannte Persönlichkeit war. Er stammte aus Lausheim, zog aber bald nach Stühlingen, wo er als Güterhändler (heute würde man ihn als Makler bezeichnen) tätig war, damit viel Geld verdiente und ein wohlhabender Mann wurde. Ferdinand kaufte und verkaufte Gebäude mit der ausschließlichen Intention, alles einmal seinem einzigen Sohn Albert übergeben zu können. Ihm gehörten in Stühlingen viele Häuser. Auch das Bahnhofscasino, in dem Arbeiter wohnten, die die Bahngleise verlegten.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg kam die Inflation und Ferdinand verlor den Glauben an die Zukunft. Der geliebte Sohn war tot, die Wirtschaft lag am Boden. Die Inflation von 1914 bis 1923 war bis dahin eine der tiefgreifendsten Geldentwertungen in der Geschichte. Ferdinand war deprimiert, der einzige Sohn war an einer ansteckenden Krankheit gestorben. Seine ganze Arbeit schien sinnlos, weil er sein Geschäft niemanden übergeben konnte. Er verkaufte alle seine Häuser, für die er aufgrund der galoppierenden Geldentwertung fast nichts mehr bekam. „Das schlechteste hat er behalten – das Bahnhofkasino in Stühlingen." In dieses heruntergekommene Anwesen, das vom Zerfall bedroht war, zog er mit seiner Familie ein, vom einstigen Reichtum war nicht viel übriggeblieben. Bernd entdeckte später auf dem Speicher eine Kiste voller Geldscheine – alles wertloses Papier.
Als junges Mädchen musste Anna schlimme Erfahrungen machen. Der Grund lag in ihrer Arbeitsstelle begründet. Die Arzthelferin wurde von ihrem Chef ständig belästigt. In seinen Aufzeichnungen schreibt Bernd: „Der Arzt wollte mit den Mädchen mehr Unfug treiben, wenn man das gut ausschmücken möchte. Die Flucht vor diesen Aufdringlichkeiten in ein Kloster schien für sie der folgerichtige Ausweg zu sein. Sie kam allerdings in einen strengen Orden, der den Novizinnen und Nonnen zahlreiche Buß- und Sühneübungen abverlangte. Anna musste auf einem kalten, unbeheizten Boden schlafen – sie wurde sterbenskrank. Ihre ältere Schwester Maria bekam das mit und fuhr schleunigst nach Belgien und holte sie aus diesem unwirtlichen Kloster, das für die junge Novizin aus den Wutachtal fast zum Grab geworden wäre. „Maria rettete ihr das Leben und holte sie nach Hause
, steht in dem Büchlein. Als sich die junge Frau wieder erholte, wurde sie Erzieherin im Haushalt eines Grafen von Neckarhausen. An diesem Ort betreute sie zwei Kinder der Grafenfamilie. Dort erging es ihr gut, später kehrte sie aber wieder nach Hause zu ihrer Familie zurück.
Als sich Wilhelm Zimmermann in der Zeit von 1935 bis 1940 um die Büroarbeit im Sägewerk seines Bruders Adolf in Tiefenstein kümmerte, lernte er auf einer seiner Reisen Familie Gantert in Stühlingen kennen. Die zweitjüngste Tochter der Familie Anna (*1906) ließ sein Herz höherschlagen. Dieses bildhübsche Mädchen ging dem jungen Burschen aus Buch nicht mehr aus dem Kopf. Aus der anfänglichen Verliebtheit wurde Liebe und die Verlobung des jungen Paares ließ nicht mehr lange auf sich warten.
Wilhelm und Anna heirateten am 14. November 1939 standesamtlich in Stühlingen, die kirchliche Trauung wurde in Birndorf gefeiert. In jenem Jahr also, als der Krieg nach Europa zurückkehrte. Am 1. September marschierte die deutsche Wehrmacht ohne Kriegserklärung in Polen ein. Dieses Datum markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs, der bis zum 2. September 1945 dauern sollte. Das junge Ehepaar zog in das Elternhaus der Braut in der Bahnhofstraße ein. Damals keine ungewöhnliche Entscheidung für frisch vermählte Paare. Letztendlich galt es Geld zu sparen, da war der Einzug unter das Dach der Eltern und im anderen Fall der Schwiegereltern eher Regel als Ausnahme.
Wilhelm wurde 1941 zur Wehrmacht nach Berlin eingezogen, das junge Glück wurde getrennt. „Der 2. Weltkrieg belastet die kostbaren ersten Ehejahre, heißt es in der Kalenderaufzeichnung. Wie oft in jenen Kriegstagen mussten sich Liebende einiges einfallen lassen, um sich zu sehen – wenigstens für ein paar Stunden. Anna Gantert reiste kurz entschlossen nach Berlin, um ihren Ehemann Wilhelm noch einmal zu treffen, in die Arme zu schließen und mit ihm eine romantische Nacht zu verbringen, bevor er in den Krieg zog. In dieser „schönen, beglückenden Nacht
wurde Bernd im Hotel Adlon gezeugt. „Eigentlich bin ich ein Berliner, merkt er augenzwinkernd an. Am folgenden Morgen wurde es für beide ein schmerzlicher Abschied. Anna kehrte schweren Herzens in das heimatliche Wutachtal zurück – Wilhelm musste an die Front nach Russland. „Krieg im Osten, Krieg im Westen, viele Tote, Städte und Länder überfallen. Juden, standhafte Menschen, Sinti und Roma, Priester und Ordensleute kommen in Konzentrationslager. Menschen wurden als Versuchskaninchen missbraucht – eine gottlose Welt
steht in Bernds Aufzeichnungen.
Seinen Filius sah Wilhelm erstmals ein Kalenderjahr nach dessen Geburt, als er Heimaturlaub von der Wehrmacht erhielt. Die ersten Jahre bekamen Anna ihren Mann und der Sohn seinen Vater also selten zu sehen. „Vater im Krieg, einem Kampf für den Führer, der das deutsche Volk in den völligen Ruin führen sollte. Die Deutschen jubeln ihm in Massen zu – Vater nicht, – er mochte den Führer nicht. Er musste einfach mitziehen. Die Zeit unter dem Diktator war eine gottlose Zeit, steht im „Tagebuch der Erinnerungen
.
Der Druck der Nationalsozialisten auf die junge Familie wurde immer größer. Die Ehe von Wilhelm mit Anna war den Nazis suspekt – für deren Geschmack einfach zu kirchlich orientiert. Ein Originalbrief der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (Gauleitung Baden) vom 10. März 1942 ließ keinen Zweifel daran aufkommen, was sie vom „Volksgenossen
Wilhelm Zimmermann erwarteten: Warum sind Sie bis heute noch nicht Mitglied der NS-Volkswohlfahrt? Unter anderem heißt es darin: Viele, die dem Führer feindlich gestimmt waren, haben die Richtigkeit seines Ideals erkannt und bekennen sich nunmehr schon seit Jahren zu dieser völkischen Gemeinschaft …. Sie sind heute bald der Einzige, der den Weg und vielleicht den Willen zu dieser Gemeinschaft noch nicht gefunden hat: