Der Festungskurier: Beiträge zur Mecklenburgischen Landes- und Regionalgeschichte vom Tag der Landesgeschichte im November 2019 in Dömitz
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Über dieses E-Book
Der Band 20 ist dem 30. Jahrestag der Grenzöffnung 1989 gewidmet. Vier Beiträge behandeln den Wandel in den neuen Bundesländern nach der Grenzöffnung. Die museale Präsentation der deutsch-deutschen Grenze von Lübeck-Schlutup bis nach Bad Bodenteich stellt Karolin Quambusch in ihrem einleitenden Beitrag als Erinnerungslandschaft dar. Die Erneuerung der Universität Rostock nach 1989 ist Gegenstand des Beitrages von Kesten Krüger. Die in Pommern wie Mecklenburg ganz bedeutende Landwirtschaft wurde einem radikalen Umbau unterworfen, den Mario Niemann eindrucksvoll darlegt. Mit den Museen in Kontinuität und Wandel in Mecklenburg-Vorpommern befasst sich Wolf Karge in seinem abschließenden Beitrag. Hier galt es vordringlich, den Übergang vom zentral geleiteten Museumswesen der DDR zum föderativen der Bundesrepublik zu vollziehen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes zeigen ein differenziertes Bild. Ist der Gewinn durch die Grenzöffnung unbestritten, sind Verluste im Vereinigungsprozess weiterhin kritisch zu erwägen und zu diskutieren.
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Buchvorschau
Der Festungskurier - Books on Demand
Inhalt
Kersten Krüger
Vorwort
Karolin Quambusch
Das Leitprojekt „Grenzgeschichte(n) der Metropolregion Hamburg – Eine Bestandsaufnahme der „Erinnerungslandschaft deutsch-deutsche Grenze
Kersten Krüger
Die Erneuerung der Universität Rostock nach 1990
Mario Niemann
Strukturwandel der Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern in den 1990er Jahren
Wolf Karge
Museen in Kontinuität und Wandel
Jürgen Scharnweber und Kersten Krüger
Übersicht zu den Veranstaltungen zum Tag der Landesgeschichte
Vorwort
Am 9. November 2019 fand der vorerst letzte Tag der Landesgeschichte im Museum Festung Dömitz statt. Es war zugleich der 30. Jahrestag der Grenzöffnung der DDR, der den Auftakt zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten setzte. Dem 9. November eignet in der deutschen Geschichte eine hohe symbolische Bedeutung – gegensätzlich in negativer wie positiver Wahrnehmung und Bewertung. Zu letzterer gehört zweifellos die Aussage von Günter Schabowski, die Grenzöffnung gelte sofort, unverzüglich, denn sie setzte geradezu einen Freiheitsrausch in Gang, mit dem das Volk der DDR seine gesellschaftlichen wie politischen Lebensverhältnisse radikal veränderte. In diesen Prozess gehört auch die Einrichtung eines regelmäßig im Museum Festung Dömitz stattfindenden Tages der Landesgeschichte, den sein Leiter, Jürgen Scharnweber, mit Vertretern des Historischen Instituts der Universität Rostock im Herbst 1999 vereinbarte, den Professoren Gerhard Heitz, Ernst Münch und Kersten Krüger. Damit sollte zwischen den ganz im Norden und ganz im Süden des Landes Mecklenburg-Vorpommern belegenen Stätten der Wissenschaft, der Universität Rostock und dem Museum Festung Dömitz, eine Brücke des geistigen Austauschs errichtet werden, die Erkenntnisfortschritte einer breiteren interessierten Öffentlichkeit vermittelte. Das ist über zwei Jahrzehnte durchaus gelungen.
Die Vermittlung geschah durch Vorträge mit Diskussion über Themenbereiche, welche die beteiligten Institutionen auf Vorschlag des Museums Festung Dömitz jährlich vereinbarten. Zu Wort kamen Angehörige der Universität Rostock – auch Studierende –, und wissenschaftlicher Einrichtungen des eigenen Bundeslandes wie benachbarter Bundesländer, ebenso ausgewiesene Landeshistorikerinnen und -historiker. Die behandelte Zeitspanne reichte vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die einzelnen Themen lassen sich zu folgenden Bereichen zusammenfassen: 1. Militär und Gesellschaft: Festungsbau und Stadtplanung, Krieg und Kriegsfolgen, Katastrophen – auch nichtmilitärische; 2. Wirtschaft: Landwirtschaft, Schifffahrt und Verkehrswesen, Industrie; 3. Grenzen als Trennung und ihre Überwindung; 4. Kultur: Hochschulen und Schulen, Museen und Bibliotheken, Wissenschaften und bedeutende Persönlichkeiten. Die einzelnen Tage der Landesgeschichte sind am Ende dieses Bandes mit ihren Themen und Vorträgen dokumentiert.
Der 20. Tag der Landesgeschichte war – naheliegend – dem Wandel in den neuen Bundesländern nach der Grenzöffnung gewidmet. Die museale Präsentation der deutsch-deutschen Grenze von Lübeck-Schlutup bis nach Bad Bodenteich stellt Karolin Quambusch in ihrem einleitenden Beitrag als Erinnerungslandschaft dar. Sie dokumentiert 24 Gedenkstätten, die gegen das Vergessen zugleich die Mahnung beinhalten, dergleichen Schutzwälle nie wieder entstehen zu lassen. Die Erneuerung der Universität Rostock nach 1989 ist Gegenstand des Beitrages von Kersten Krüger. Das Ergebnis bleibt widersprüchlich. Stand auf der einen Seite unbestreitbar der Gewinn an Freiheit – Freiheit der Forschung, der Lehre und des Lernens –, führte die drastische Einsparung an Personal zu einem Substanzverlust, an dem die Universität bis heute leidet. Die in Pommern wie Mecklenburg ganz bedeutende Landwirtschaft wurde einem radikalen Umbau unterworfen, den Mario Niemann eindrucksvoll darlegt. Das von der bundesdeutschen Agrarpolitik verfolgte Ziel, Familienbetriebe an die Stelle der vorhandenen Großbetriebe (LPG, VEG) treten zu lassen, ließ sich nicht erreichen, weil Kleinbetriebe den Modernisierungszwang einer zeitgemäßen Landwirtschaft nicht erbringen konnten. Hingegen blieb es bei einer Großlandwirtschaft mit radikalem Abbau von Arbeitsplätzen und zugleich hohem Gewinn an Produktivität, die sich am Markt gut behaupten konnte und kann. Mit den Museen in Kontinuität und Wandel in Mecklenburg-Vorpommern befasst sich Wolf Karge in seinem abschließenden Beitrag. Hier galt es vordringlich, den Übergang vom zentral geleiteten Museumswesen der DDR zum föderativen der Bundesrepublik zu vollziehen. Kultur ist Ländersache und das gilt auch für die Museen. Die naheliegende Vermutung, wegen Finanznot der Länder seien viele Museen verschwunden, erweist sich als unzutreffend, vielmehr stieg die Zahl der Museen in Mecklenburg-Vorpommern nicht unerheblich an, wiewohl weniger in staatlicher als in kommunaler und privater Regie. Vom Abbau an Personal waren die Museen ebenfalls betroffen, wenn auch nicht in gleichem Maß wie etwa die Hochschulen. Grund für Klagen gibt es durchaus, aber immer noch auf einem hohen Niveau – so der Verfasser resümierend.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes zeigen ein differenziertes Bild. Ist der Gewinn durch die Grenzöffnung unbestritten, sind Verluste im Vereinigungsprozess weiterhin kritisch zu erwägen und zu diskutieren. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass alle die Vereinigung tragenden Parlamente aus freien Wahlen hervorgegangen waren und das Beste wollten. Geschichte hört nie auf, eine kritische Wissenschaft zu sein. Sie hat Zukunft.
Kersten Krüger
Kersten Krüger 28. April 2020
Das Leitprojekt „Grenzgeschichte(n)" der
Metropolregion Hamburg – Eine Bestandsaufnahme
der „Erinnerungslandschaft deutsch-deutsche Grenze"
¹
VON KAROLIN QUAMBUSCH
30 Jahre nach der Grenzöffnung existiert an der ehemaligen innerdeutschen Grenze eine facettenreiche Erinnerungslandschaft, die – wie Maren Ullrich deutlich macht – von unterschiedlichen, mitunter konfligierenden Ansichten und Aneignungen geprägt ist.² Dies hat seinen Ursprung unter anderem in den verschiedenen Lebensrealitäten der Menschen östlich und westlich der Grenze vor und nach 1989/90. Nach Gründung beider deutscher Staaten im Jahr 1949 richtete die DDR ab 1952 einen fünf Kilometer breiten Kontroll-, Schutz- und Sperrstreifen entlang der Demarkationslinie in Richtung Landesinnere ein. Während vor dem 13. August 1961 nur etwa zehn Prozent durch Stacheldrahtzäune gesichert waren, gehörte die innerdeutsche Grenze kurz vor der Wende zu den bestgesicherten Grenzen der Welt.³ Im grenznahen Raum der DDR war das Leben der Menschen von Überwachung, Bewegungseinschränkung und Zwangsaussiedlung bestimmt. Mehr als 12.000 Menschen mussten im Rahmen der zwei großen Aussiedlungswellen ihre Heimatorte verlassen und zahlreiche Dörfer wurden geschleift.
Diejenigen, die weiterhin im Sperrgebiet leben mussten, waren nicht nur vom Westen, sondern auch vom restlichen Staatsgebiet der DDR getrennt.⁴ Von der Staatsführung zum antifaschistischen Schutzwall stilisiert, verstand man die Grenze im Westen dagegen als ein Symbol des Fremden, dem die Anklage galt.⁵ So entwickelte sich im Grenzraum der Bundesrepublik schon in den 1950er und den beginnenden 1960er Jahren eine vielfältige Denkmallandschaft, die ihren materiellen Ausdruck in der Setzung von Mahnmalen, Mahntafeln und Gedenksteinen fand, die die Sehnsucht nach der deutschen Einheit ausdrückten.⁶ Nach dem Bau der Mauer 1961 und dem weiteren Ausbau der Grenzanlagen stand die Erinnerung an die Opfer des DDR-Grenzregimes im Zentrum des bundesrepublikanischen Gedenkens der 1960er und 1970er Jahre. Zusätzlich wurde die innerdeutsche Grenze an ihrer westlichen bzw. südlichen Seite in dieser Zeit auch touristisch erschlossen. Unter staatlicher Förderung richteten zum Beispiel Gemeinden und andere öffentliche Träger Ausstellungen, Bundesgrenzschutz und Zollgrenzdienst Informationsstellen ein. Bund und Länder förderten begleitete Grenzfahrten.⁷ Den verschiedenen materiellen Formen des Gedenkens im Westen stand dagegen eine überschaubare Anzahl an Grenztruppen-Denkmalen im Osten gegenüber.⁸ Mit der deutschen Einheit erfolgte bis 1995 der Abbau der Sperranlagen der DDR. Der Erhalt baulicher Überreste ist zu einem großen Teil der Initiative von Privatpersonen zu verdanken. Im Zentrum des Interesses standen dabei Teile der Sperranlagen, wie Beobachtungstürme, Führungsstellen oder Zaunfelder, deren Überreste sich heute in musealen, denkmalpflegerischen oder künstlerischen Kontexten befinden.
Abbildung 1
Die Gedenkstätte zur Erinnerung an die Zwangsaussiedlungen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze in Vockfey (Gemeinde Amt Neuhaus)
Foto: IDD Projektteam