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Ein Häusle in Stuttgart. Stuttgart-Roman.: Der schwierige Weg zum Eigenheim im Land der Häuslesbauer.
Ein Häusle in Stuttgart. Stuttgart-Roman.: Der schwierige Weg zum Eigenheim im Land der Häuslesbauer.
Ein Häusle in Stuttgart. Stuttgart-Roman.: Der schwierige Weg zum Eigenheim im Land der Häuslesbauer.
eBook309 Seiten4 Stunden

Ein Häusle in Stuttgart. Stuttgart-Roman.: Der schwierige Weg zum Eigenheim im Land der Häuslesbauer.

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Über dieses E-Book

Jeanette Schwarzrüb, ihr Mann Stefan und Söhnchen Kilian ziehen aus akuter Wohnungsnot bei den schwäbischen Schwiegereltern ein – wo sich der Schwiegervater als Haustyrann gebärdet. Deshalb suchen sie verzweifelt nach einem eigenen Häusle. Plötzlich verkauft der Schwiegervater sein Haus an eine skrupellose Investorin. Jeanette muss sich nun mit chaotischen Maklern und eigenartigen Hausgenossen auseinandersetzen. Da winkt die Rettung: ein kleines Reihenhäuschen in Stuttgart …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. März 2020
ISBN9783842522848
Ein Häusle in Stuttgart. Stuttgart-Roman.: Der schwierige Weg zum Eigenheim im Land der Häuslesbauer.

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    Buchvorschau

    Ein Häusle in Stuttgart. Stuttgart-Roman. - Bettina A. Weiskopf

    Stefan?!«

    HEIMKEHR MIT HINDERNISSEN

    oder: Dei Home isch mei Käschtle

    Es ist schnell beschlossene Sache: Wir gehen zurück nach Good Old Swabia. Heim in den Schoß der Familie, denken Stefan und ich; schwangerschaftsverklärt und in beruflicher Aufbruchseuphorie stürzen wir uns aus der Ferne auf den Stuttgarter Wohnungsmarkt. Und fallen erst mal so richtig schön auf die Nase.

    Dank der neunstündigen Zeitverschiebung fällt die Kontaktaufnahme zu Maklern logischerweise denkbar schwierig aus, und auf dem privaten Wohnungsmarkt scheint man geradezu gewartet zu haben auf Heimkehrer aus den USA mit Baby. Kann man doch als Eigentümer in der Landeshauptstadt aus der Masse an willigen Single-Mietern, die sich beim öffentlichen Besichtigungstermin für die familientaugliche 87qm-Wohnung gegenseitig mit ihren jungfräulichen Schufa-Auskünften und glanzvollen Gehaltszetteln auf die Füße treten, ganz entspannt einen haustierlosen, nichtrauchenden, kinderfreien, unmusikalischen und wochenendheimfahrenden Schreibtischhengst raussuchen, der eine prestigeverdächtige 40+-Stunden Arbeitswoche schiebt und die übrige Zeit im Fitnessstudio wohnt.

    Mit meinem Bauch wachsen folglich unsere Wohnungssorgen. Wir sitzen in Seattle, und nichts tut sich, keiner ruft zurück, die Mailbox gähnt vor sich hin. Dass unsere finanziellen Kräfte für den Bundesdurchschnitt eine überaus solide Größe abbilden, hilft uns im Landeshauptstädtle nicht weiter. Dort sind wir auf diesem Niveau nur eine Familie unter vielen, die verzweifelt mit dem Geldbündel wedeln und nur eines wollen: eine Bleibe. Stefan bittet schließlich seinen Arbeitgeber um Hilfe. Doch selbst eine sündhaft teure »Wir suchen für einen leitenden Mitarbeiter und seine junge Familie …«-Anzeige samt schwabenländischem Firmenlogo in der Samstagsausgabe der Stuttgarter Zeitung führt nicht zum Erfolg, sondern allenfalls zu absolut indiskutablen Angeboten überteuerter Luxusappartements, die allesamt höchst repräsentabel, aber zutiefst familienuntauglich sind. Stefans neuer Chef hat Mitleid und organisiert uns über irgendwelche finsteren Firmenkanäle eine unsanierte Erdgeschoss-Werkswohnung aus den 1960ern, die seit anderthalb Jahren wegen Renovierungsstaus aufgrund eines fundamentalen Wasserschadens in der Waschküche darunter leer steht. Zugegeben, 63 qm für 780 Euro lauwarm klingen unschlagbar günstig, aber noch bevor wir schließlich schwach werden und zusagen – nur für den Übergang, wie mir Stefan versichert –, rufe ich die Adresse vorsichtshalber in Google Maps auf und lasse das kleine gelbe Männle per Street View für mich die Nachbarschaft erkunden. Es braucht gar nicht weit zu laufen, bis es vor der Müllverbrennungsanlage steht.

    Die Rettung naht in Form eines Telefonats, das Stefan mit seiner Mutter Margret führt. Stefan hat auf laut gestellt, denn hier und heute will er es verkünden, das mit der Heimkehr und dem Enkele.

    Es tutet sechsmal, bis Margret abnimmt.

    »Schwarzrüb?«

    »Hallo, Mama, ich bin’s, der Stefan.«

    »Ja hallo, Buale, des isch aber a Freid, au wenn ’s scho bald zehne uff d’ Nacht isch, dr Babba schläft scho.«

    Stefan räuspert sich.

    »Ja, sorry, tut mir leid, aber du, Mama, ’s isch wichtig, woisch …«

    Wenn Stefan schwäbelt, wird es persönlich. Oder wichtig. Oder beides. Margrets Stimme wird hellwach.

    »Om Goddes Willa, Bua, isch ebbes bassiert?«

    Stefan schüttelt trotz bildloser Telefonie den Kopf.

    »Noi, noi, älles in beschter Ordnung. Wobei, was Neues gäb’s scho …«

    Aufgeschreckt von den Worten »wichtig« und »was Neues« kommt Margret in Fahrt.

    »Ha, ond bei ons erscht! Du glaubschs net! Mir ziegat om! Dr Babba hot a Häusle kauft glei hender Diebenga, ’s war a Scheidongshaus von onsere Nachbars ihre Verwandte, jetzt hend se Geld braucht, und weil dr Babba doch jetzt in Rente goht und sei Ruh will, ja ond weil ällaweil hier oms Eck so viel Omtrieb isch mit de Schdudenda und au suscht, ond no hätt i endlich amol an Garda ond nemme so viele Stäffele, ond i miaßt au nemme so viel butza …«

    Der Stefan grätscht dazwischen.

    »Ja, und was machet ihr mit dem Haus in Tübingen und eurer Wohnung jetzt?«

    Ich kann hören, wie Margret tief Luft holen muss nach ihrem Neuigkeitsmonolog.

    »Ha, des trägt sich von selbscht, so mit dene Schdudenda-WGs, ond vielleicht könna mr onsere Wohnung an einen Gaschtwissenschafter, also an die Uni, vermieta, die zahlet gut, ond d’ Mebl bleibat au dren, sen ja no pfenniggut und …«

    Wieder unterbricht sie Stefan, dabei schauen wir uns groß an. Stefan sieht, wie aufgeregt ich bin. Er lächelt mir schnell zu.

    »Du Mama, könntet mir in eure Wohnung ziehen?«

    Margret schweigt, ich hör sie nur schnaufen.

    »Mama?«

    Margret schnauft sehr tief ein und aus.

    »Ja, wie jetzat?«

    Jetzt schnauft Stefan auch ein paarmal, bevor er redet.

    »Mir wollet zurück nach Deutschland. I han an neue Job in Stuttgart. Und du wirsch Oma.«

    Margret schnauft jetzt schneller.

    »I werd Oma?«

    Stefan nickt.

    »Ja, du wirsch Oma.«

    Margret schaltet um auf Schniefen.

    »I werd Oma. Isch net wahr …«

    »Und der Babba wird Opa!«, schiebt Stefan ziemlich stumpfsinnig hinterher.

    Nun heult Margret erst mal hemmungslos in die Muschel, dass der Lautsprecher quiekt und knackt. Auch Stefan hat jetzt ganz feuchte Augen. Ich würde am liebsten mitheulen, dennoch stupse ich Stefan an.

    »Die Wohnung, Stefan, frag noch mal nach der Wohnung!«

    Stefan schluckt seine Gerührtheit hinunter und zieht die Nase hoch. Vorsichtig fragt er in das Geschniefe hinein.

    »Meinsch, des tät klappen mit eurer Wohnung?«

    Mit einem Mal ist es am anderen Ende ganz still. Zu still. Stefan und ich schauen uns erschrocken an. War das zu viel für Margret? Aber dann hören wir eine Stimme. Und es ist nicht die von Stefans Mama.

    »750 Euro kalt, mit Kehrwoch und Mietvertrag, wenn’s recht isch.«

    Es ist Eberhard, der gesprochen hat, überaus wach, sachlich, geschäftsmäßig und gar nicht wie ein werdender Opa. Aber was soll’s, denke ich. Ab sofort also stehen wir unter Vertrag mit Stefans Eltern. Wir haben endlich eine Wohnung. In Tübingen.

    SCHLAG AUF SCHLAG

    oder: Dr Deifl isch a Eichhörnle

    Ein Dreivierteljahr später und knapp zwei Monate, nachdem unser Kilian (genannt Büble) auf die Welt gekommen ist, sitzen wir mit einem Umsteigeticket nach Stuttgart in der Tasche im Flieger Richtung Frankfurt. Kurz nach dem Start in Seattle ist Büble schon auf meinem Schoß eingeschlafen, und mir bleibt nun auch etwas Zeit, um ein paar klare Gedanken fassen zu können. Ziemlich geschafft von den letzten Wochen sitze ich auf meinem Flugzeugsitz und freue mich darauf, die nächsten zehn Stunden bedient zu werden, auch wenn es nur aufgewärmtes Essen in Aluschalen ist. Stefan neben mir schnarcht schon leise; noch bis vorgestern war er im Büro, letzte Dinge abschließen, wie er das genannt hat, während ich schon seit zwei Wochen mit Baby im Leerlauf in einem Hotel zugebracht habe, ohne Auto (das hatten wir schon vor einem Monat verkauft) und ohne eigenes Haus (das schon wieder vermietet ist), und natürlich ohne Möbel, wenig Klamotten und nur zwei Koffern, denn der Rest unseres Gerümpels, die komplette Einrichtung eines großzügigen Three-Bedroom-House, schwimmt seit Kurzem in einem großen, roten Übersee-Frachtcontainer irgendwo auf den sieben Weltmeeren in Richtung Hamburg.

    Ich schließe die Augen und stelle mir die Wohnung in Tübingen vor. Vor meinem geistigen Auge erscheinen antikweiß gestrichene, leere Altbauzimmer samt breitem Flur, die ich restlos mit unseren Möbeln und unserem nordamerikanischen Nippes fülle. Sofern das Containerschiff nicht irgendwo vor Panama in einen Sturm gerät und sinkt, werde ich jeden Quadratmeter der Altbauwohnung in Tübingen mehr als füllen können. Überhänge gedenke ich tollkühn auf dem Flohmarkt am Tübinger Freibad loszuschlagen. Was für ein Spaß! Wie hatte ich diese Freiluftflohmärkte vermisst! Und dann freue ich mich stillvergnügt auf einen Neuanfang in Deutschland, im Schoße der Familie. Alles wird gut!, denke ich noch, bevor auch ich in den Nickerchen-Modus falle.

    Wir landen an einem der heißesten Spätsommertage seit der amtlichen Wetteraufzeichnung in Deutschland. Als wir die klimatisierten Hallen des Stuttgarter Flughäfeles verlassen, laufen wir gegen eine flimmernde Hitzewand. Und gegen Eberhard. Schwiegerpapa hat es sich nicht nehmen lassen, seinen einzigen Sohn samt Familie vom Flughafen abzuholen, vor allem dann, als Stefan ihm vorab versichert hatte, die Benzinkosten zu übernehmen. Die ältliche Klimaanlage in Eberhards silbergrauem Mercedes-Kombi tut ihr Bestmögliches, schafft es jedoch nur, die beiden vorderen Sitze mit lauwarmer Luft zu bepusten; ich aber sitze hinten in der Zwetschgendörre und schwitze. Büble schläft, überrumpelt von so viel neuen Eindrücken und der Hitze, neben mir in seiner Babyschale sofort ein. So rollen wir, ohne es zu ahnen, einer Wohnung im Herzen von Tübingen entgegen, in der sich bis zu unserer Ankunft seit den 70ern nichts geändert hat.

    Ermattet schleppen Stefan und ich uns und Büble hinter Eberhard in den dritten Stock eines senffarbenen Biberschwanzziegel-Altbaus, dessen Treppenhaus erstaunlich kühl ist. Wie im Nebel betrete ich ein Raumschiff, das mich zurückbeamt ins Jahr 1975. Das Braun des Flurs umschließt mich, die beigen Fliesen kommen mir entgegen. Zunächst schiebe ich es auf die Hitze und den Jetlag, dass es mir latent schwummrig ist. Wir folgen Eberhard ins Wohnzimmer. Es ist voll möbliert. Und irgendwie voll daneben. Schwiegermama Margret hat auf uns gewartet, hat Leitungswasser und Gläser und einen selbst gebackenen Gugelhupf vom vergangenen Wochenende bereitgestellt, der Gemütlichkeit halber nicht am Esstisch, sondern an der Couch. Als wir eintreten, sitzt sie freundlich lächelnd und stocksteif auf dem Sofa. Als ich die Babyschale mitsamt schlafendem Büble neben ihr abstelle, lächelt sie mich nur umso breiter an, legt mit einem Seitenblick auf ihr schlafendes Enkele einen Zeigefinger an den Mund und macht in unsere Richtung ein »Pssst!«. Ich bin ganz schön irritiert ob der Reaktion Margrets, als sie das erste Mal ihr Enkele sieht. Kein Freudenausbruch, keine Tränen der Rührung, nichts. Eberhard setzt sich neben Margret auf das Sofa, und mit einer etwas herrischen Handbewegung weist er uns die beiden gegenüberliegenden Sessel zu.

    Gönnerhaft blicken die Schwarzrüb-Seniors erst sich, dann uns an. Ganz ungewohnt ergreift Margret das Wort, während Eberhard danebensitzt und lauscht. Auf seiner Stirn hat sich eine dicke Konzentrationsfalte niedergelassen.

    »Also mir hend ons ebbes ibrlegt, der Eberhard ond I … also mir wollet euch, der jongen Familie, also quasi … halt so a Art Schtarthilfe geba. Des isch ja no älles pfenniggut … also mir lasset euch die Möbel alle da, und au suscht. Die Küch isch ja voll ausgschtattet, mit ällem Drom ond Dran. Mei aldes Kaffeeservice isch au no fascht komplett.«.

    Ich höre Stefan schlucken, während meine Fassungslosigkeit es immerhin fertigbringt, meine Augen über das unschlagbar günstige Angebot für die junge Familie gleiten zu lassen: Von der monströsen Sofalandschaft, genauer betrachtet der mit viel Nachdruck vor dem Fernseher eingesessenen erzkonservativen Dreier-Zweier-Doppeleinergarnitur aus schmutzresistentem Edelsamt, mit Echtholzelementen in Nussbaum und im rustikalen Landhausstil. Vom zerschrammten Riesenesstisch mit dem abgeschabten Furnier zur schnörkeligen Schnitz-Eckbank (Modell Alpenländisches Hüttenglück) und rüber zur Pressspan-Wohnwand in Eiche Brutal mit neonbeleuchtetem, verspiegeltem Barfach und aus schadstoffreicher DDR-Produktion, garantiert verleimt und nicht verschraubt, hingestellt für die Ewigkeit.

    Noch bevor Stefan und ich es irgendwie fertigbringen, uns zu fassen, spricht Eberhard mit erhobenem Zeigefinger Klartext.

    »Unter einer Bedingung. Des Holz bleibt Holz. Da wird nix dribrgschtricha. Butza ja und neu donkl eilassa, aber schtreicha: noi. ’s bleibt, wie’s ischt.«

    Nun muss ich schlucken. Die dunkelbraune Holzdecke, die kaffeefarbenen Sichtbalken, die kackbeigen Fliesen, sie kommen mir entgegen und wollen sich auf mich stürzen. Der helle, elfenbeinfarbene Altbaucharme, von dem ich träumte, er ist dahin, entschwunden auf immer hinter seiner schwarzbraunen Schmach.

    Stefan versucht, trotz Jetlags erstaunlich schlagfertig, zu retten, was zu retten ist.

    »Des hoißt also, wenn mir eure Möbel net wollen, dürfen mir streichen, wie mir wollen?«

    Der Eberhard reißt jetzt seine Augen genauso weit auf wie ich. Margrets Augen huschen nervös zwischen Ehemann und Sohn hin und her. Gerade, als ich tief Luft holen und auch etwas sagen will (was, weiß ich eigentlich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht), da fängt mich Margrets leicht panischer Blick ein; ihre Augen sind starr auf mich gerichtet, der Kopf kleinmädchenhaft zur Seite gelegt, die Hände brav auf den Knien abgelegt; so sitzt sie kerzengerade da und lächelt mich betont entschuldigend an und schüttelt kaum merklich immer wieder den Kopf, so als wollte sie sagen, Mädle, jetzt bisch besser mal ruhig ond läsch des die Männer machen. Entgegen meiner Natur, und vielleicht, weil ich so übernächtigt und verdattert und überrumpelt und mordsmäßig hungrig und daher chronisch unterzuckert bin, klappe ich das Kinn wieder hoch und lausche den Worten der beiden Herren, immer noch leicht irritiert von Margrets konstantem Dauerversuch, mich mit Fremdschämlächeln und Kopfgewackel von einer Wortmeldung abzuhalten.

    Gerade fallen die Worte Zwölf-Fuß-Überseecontainer, Verschiffung unseres Hab und Guts, Ankunft per Frachtschiff in knapp sechs Wochen. Stefan hat sein Handy gezückt und zeigt Eberhard offenbar die Bilder unseres Umzugs in den USA. Aus Eberhards schweigsam zurückgelehnter Körperhaltung, dem grimmigen Blick, den zusammengekniffenen Lippen und den verschränkten Armen spricht blankes Unbeeindrucktsein. Von einer gewissen ablehnenden Grundhaltung ganz zu schweigen. Erst als Stefan den Mietvertrag ins Spiel bringt, wird es interessant; denn den hatten uns Eberhard und Margret bereits ganz bieder und altmodisch in Papierform noch in die USA geschickt mit der Bitte, diesen doch unterschrieben baldmöglichst wieder zurückzusenden, damit »Klarheit und Verlässlichkeit« herrschten. Brav kam Stefan der Aufforderung seines Herrn Papa nach – etwas, das ich in exakt diesem Augenblick sehr, sehr, also wirklich sehr bereue. Doch schnell stellt sich heraus, dass das für uns ein Vorteil sein soll. Stefan ist Gewohnheitsverhandler, erfolgreich im Geschäftsleben, und wenn es sein muss, knallhart. Wo er das antrainiert hat, wohl von Kindesbeinen an, wird mir nun sonnenklar.

    »Also, Papa: Du hosch uns doch den Mietvertrag unterschrieben zugschickt, da steht, die Wohnung wird besenrein übergeben. Da haben mir uns drauf verlassen, ja, und jetzt isch älles unterwegs im Container hierher. Ja, und was machet mir jetzt damit? Einlagern koscht a Menge Geld, und des müsst man machen, wenn des hier alles bleibt, schließlich müsstet mir unsere Unterlagen und persönlichen Dinge dann im Lager erscht mal raussuchen, und des kann dauern. Dätsch du des dann koschtenmäßig übernehmen?«

    Eberhards Gesicht wechselt von Zornesrot zu Schockweißgrün. Stefan lächelt freundlich und wirkt sehr entspannt, im Gegensatz zu Margret, die ihr Kopfgewackel in meine Richtung intensiviert. Eberhard steht zackig auf und stopft sich den Wohlstandsbauch zurück in den Hosenbund. Seine Gesichts-farbe nimmt wieder rosigere Züge an, auch wenn die Konzentrationsfalte auf der Stirn nun eindeutig einer Zornesfalte gewichen ist.

    »I seh scho. Der Herr isch sich z’ fein für onser guats Sach. Au recht, na wiss’ mr Bscheid. Aber eins sag i euch: Die Küch bleibt dren, die isch no pfennigguat, des isch a Echtholzanfertigong vom Schreiner, die war amol saudeuer. Nirgends wird nix dribrgschtricha. ’s bleibt, wie ’s ischt.«

    Und zu Margret meint er im Fortgehen: »Auf, kommsch jetzt, mir wollet onsere Mieter net weiter behelliga!« Spricht’s und ist hinaus zur Tür.

    Und so kommt es, dass Oma Margret wortlos, aber immer noch das breite Fremdschämlächeln angeknipst und ohne ihren Enkel jemals richtig wach gesehen zu haben, treu ihrem Gatten folgt und mit ihm im Treppenhaus verschwindet.

    EIN UNGLÜCK KOMMT SELTEN ALLEIN

    oder: Altes Eisen muss man schmieden, solange es noch heiß ist

    Kaum haben wir verdaut, dass noch eine Wohnung aufgelöst werden muss, passiert das eigentliche Unglück.

    Am nächsten Morgen rufe ich bei meinen Eltern an. Sie wohnen in einem gebietsreformlich eingemeindeten Teilörtchen einer künstlich getauften Kreisstadt auf der Schwäbischen Alb, gut eine Dreiviertelstunde von Tübingen entfernt. Nun muss ich der Vollständigkeit halber sagen, dass meine Eltern und ich ein grundsätzlich freundschaftliches Verhältnis pflegen; man stelle sich darunter Freunde vor, die man gerne sieht, und zwar genau ein- oder zweimal im Jahr; man erinnert sich dabei der alten Zeiten, hat aber ansonsten nicht mehr viel miteinander zu bereden, weil beider Seiten Leben derart auseinandergedriftet sind, dass die gemeinsame Vergangenheit nur noch ein dünner Faden ist, der alles zusammenhält. Und dennoch. Ich hätte gehofft und erwartet, dass ein Enkele die ganze Kiste wieder etwas mehr zusammenleimt. Mama Waltrauds Begeisterungsstürme halten sich jedoch deutlich in Grenzen, als ich unseren Besuch für das nahende Wochenende ankündige.

    »I frei mi auf di, Mädle, jesasmäßig, ond dei Vaddr au – aber an dem Sonndich hot dr Herbert doch sei großes Altherra-Turnier. ’s goht erscht nächscht Woch!«, entscheidet Mama Waltraud resolut und zeigt mir ganz klar auf, wo hier die Prioritäten liegen. Ich sage zu, wenn auch etwas angesäuert. Ein bissle mehr Willkommenseuphorie hätte mir gutgetan. Dass aus der bevorstehenden Familienzusammenführung eine Beerdigung werden soll, ahnt niemand, als ich auflege. Denn Papa Herbert macht das, womit er Mama Waltraud schon öfter gedroht hat. Er kommt an jenem Sonntag nicht mehr nach Hause.

    Der Schichtdienst in einem Hochlager als Lagerleiter (Herbert selbst nennt sich immer »Leitungsbefugter Fachlagerist für Logistik«), das nahende Ende seines Arbeitslebens und die damit verbundene Verbissenheit, (noch) nicht zum Alteisen zu gehören, gipfeln in besonders sportlichen Einlagen für ein Senioren-Fußballturnier, das Ende Juli um 15:30 Uhr bei knapp 34 Grad Celsius angesetzt ist. Der Schlag trifft ihn, und zwar ausnahmsweise nicht daheim und wegen Waltraud, sondern auf dem Bolzplatz.

    MARGRET MACHT ES PASSEND

    oder: Gut gemeint muss net gut sein

    Doch von alldem ahne ich noch nichts, als ich am Samstag – Stefan sitzt derweil irgendwo hinter Frankfurt im ICE auf dem Heimweg von einem Meeting – nach einem ausgiebigen Stadtbummel durch Tübingens Altstadtgassen ermattet nach Hause komme, das schlafende Büble in der Babyschale, todmüde und gleichzeitig voller Vorfreude auf einen ruhigen, kuscheligen Restsamstag samt Kaffeetass und Sofakissen. Ich wundere mich zunächst nur mäßig, warum die Haustür sperrangelweit offen steht und gleich daneben an der Hauswand mehrere absolut verschrottungsverdächtige Fahrräder lehnen. Aha, denke ich. Die Studis unter uns haben Besuch oder planen eine Radtour, aber am wahrscheinlichsten ist wohl, dass Eberhard endlich den tiefen Keller räumt. Na ja, denke ich weiterhin halbschlafig, tangiert mich alles nur peripher. Nach dem ersten Treppenabsatz werde ich allerdings hellwach, als mir eine kunterbunt berockte und bekopftuchte Dame mit meiner erst vor einer Woche gekauften Babydecke und meiner nigelnagelneuen Schautherwie-schickundgarnichtMutti-Berliner-Design-Wickeldasch unter dem Arm entgegenkommt. Ich stelle mich ihr in den Weg, Büble in der Babyschale auf den Boden, und rupfe ihr die Sachen – meine Sachen! – aus der Hand. Sofort fängt mein Gegenüber an zu zetern. Ich verstehe kein Wort, wohl aber ihre Stimmlage. Ich halte dagegen.

    »Hilfe! Einbruch! Diebstahl!«, rufe ich aus Leibeskräften und hoffe inständig, dass einer der Studis zu Hause ist und mir zu Hilfe eilt.

    Aber nichts passiert, außer dass mein Gebrüll Büble weckt, der daraufhin selbst zum Brüllen anfängt, was wiederum dafür sorgt, dass die Frau mir gegenüber die Augen aufreißt, rot anläuft, sich an mir vorbeidrückt und schwupps! verschwunden ist. Mit zittrigen Händen fummle ich mein wiederbelebtes Alt-Handy aus der Jackentasche. Verdammt! Akku leer! Was mach ich jetzt? Oben höre ich Stimmen. Viele Stimmen. Leute, die ziemlich ungeniert in meiner Wohnung hin- und herlaufen. Und zwischendrin: Margret! Das ist doch ganz eindeutig Margret, wie sie da lacht und plappert, ganz aufgeregt schallt ihre Stimme durch das Treppenhaus bis hinunter zu mir. Ich versteh nur noch Bahnhof. Die Babyschale mit brüllendem Büble in der rechten, meine geretteten Sachen in der linken Hand wuchte ich mich und meine Last hinauf in den dritten Stock. Meine Wohnungstür steht weit offen, und ich trete ein. Halb Aleppo mit einer Prise Bulgarien und etwas Kongo steht in meinem zukünftigen Wohnzimmer, und zwischendrin huscht Margret hin und her, ihre rudernden Hände deuten mal zur monströsen Sofalandschaft, mal zum zerschrammten Riesen-Esstisch mit dem abgeschabten Furnier, zur schnörkeligen Schnitz-Eckbank Modell Alpenländisches Hüttenglück oder aber zur Pressspan-Wohnwand in Eiche Brutal mit beleuchtetem Barfach. Ich schaue mich hektisch um. Kinderzimmer, Küche, Bad und Schlafzimmer – überall steht die Tür offen, und mindestens ein mir unbekannter Mensch darin. Es wird gewühlt, gegrapscht, gerafft. Meine Sachen! Bübles Sachen! Stefans Sachen! Als ich sehe, wie mein alter Stoffhase, den ich schon als Kind hatte und der nun Bübles Kuscheltier ist, ohne den er nicht mehr einschlafen will, in einer abgeratzten Zinser-Plastikgugg versenkt wird, krieg ich einen Schreikrampf. »Raus!«, höre ich mich toben, »Polizei« und »Diebe!«, wahlweise mal auf Deutsch und mal auf Englisch. Das zieht. Binnen weniger Augenblicke ist meine Wohnung geräumt, und da ich strategisch günstig am Ausgang stehe, konnte ich das meiste der eingesackten Sachen wieder zurückerobern. Wie viel Kraft man entwickeln kann, wenn man so richtig sauer ist, ist beachtlich!

    Zurück bleibt eine Margret, die die Welt nicht mehr versteht. Böse schaut sie mich an, bevor sie sich zum schreienden Büble in seiner Babyschale hinabbeugt.

    »Wie führscht du dich denn auf! Mein Gott, des arme Würmle …«

    Ich stehe kurz vor einer Ohnmacht. Hatte ich zwar noch nie, aber ich stelle mir vor, dass sich das so anfühlen muss.

    »Margret, was um Gottes willen hast du dir nur dabei gedacht, diese ganzen Leut hier reinzulassen?«

    Margret hat Büble mittlerweile abgeschnallt, hochgenommen und hoppelt mit ihm auf dem Arm hin und her.

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